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Nr. 12Auszugsweise Notizen aus der Tagung mit den Landräten [des Regierungsbezirkes Unterfranken]Würzburg, Dienstag, 17. Juli 194565 Beginn: 10 Uhr 30
Anwesend:

Bayer. Ministerpräsident Schäffer, Wirtschaftsminister Dr. Lange, Minister des Innern Dir. Fischer, Staatsrat Rattenhuber.

Tagesordnung:

[I. Programmatik der Regierung Schäffer und Entnazifizierung. II. Haushalt. III. Öffentliche Sicherheit. IV. Ernährung. V. Gefahren beim Wiederaufbau. VI. Eingaben an die Landesregierung. VII. Wirtschaftssystem. VIII. Wiederaufnahme der Tätigkeit durch die Betriebe. IX. Kohlen. X. Kriegssachschäden. XI. Schwarzer Markt. XII. Übernahme von Reichsfunktionen. XIII. Eigentumsbegriff.]

Einleitende Worte des Herrn Reg.Präs. Dr. Stegerwald.

[I. Programmatik der Regierung Schäffer und Entnazifizierung]

Ministerpräsident Schäffer: Kurze Ausführungen über die Ernennung zum Bayer. MinPräs. am 28. 5. 1945. – Keine politische Regierung – Weder die Experimente einer vergangenen Partei, noch die Vorgänger einer künftigen Partei. Wir sind nur Deutsche.66 Das deutsche Volk lebt gegenwärtig in einer solchen Not, da gibt es nur eine Sorge: zu leben. Aufgabe: Dieser Lebenserrettung des deutschen Volkes zu dienen. – Wir können uns eine politische Zersplitterung nicht leisten. Es werden wahrscheinlich gewisse politische Bestrebungen auftauchen. Wir haben nur eine politische Aufgabe: Den Geist des Nationalsozialismus im deutschen Volk ein für allemal auszurotten und verhindern zu helfen, daß dieser Geist wieder ersteht. – Wir müssen unterscheiden zwischen wirklichen Nationalsozialisten und nur Trägem des Parteiabzeichens. Es gibt Umstände, in denen Gegner des Nationalsozialismus das Parteiabzeichen trugen, weil ihnen nichts anderes übrig blieb, um in ihrer alten Gesinnung Weiterarbeiten zu können; und es gibt Leute, die nicht als Parteigenossen nach außen hervorgetreten sind, ihr aber innerlich angehörten. Diese Entscheidung zwischen wirklichen Nationalsozialisten und anderen würde von Deutschen besser getroffen werden können als von Fremden, die gezwungen sind, nach rein äußeren Gesichtspunkten zu urteilen. – Wir haben leider keinen Einfluß auf diese Entscheidungen. Wir können nur bitten, mahnen, Zureden, auf die Schwäche und Gefahr hinweisen, die für die politische Entwicklung und Gesamteinstellung des deutschen Volkes besteht. Es handelt sich hier um eine spezielle, dem deutschen Einfluß entzogene Maßnahme, von der MinPr. Schäffer allerdings hofft, manchen, die heute verzweifelt sind, bald bessere Nachricht zu geben. Wir müssen nur einige Monate geduldig ausharren. – Die äußere Organisation des Nationalsozialismus ist tot – aber die innere nationalsozialistische Geisteshaltung muß ausgerottet werden. – Es gibt eine Grenze für jede Befehlsgewalt wo wir das Recht haben zu sagen: hier ist die Grenze, und zwar in dem Augenblick, wo wir wissen, daß es ein sittliches Unrecht ist. – Wenn man die Grenze zieht, daß das sittliche Unrecht nicht befolgt werden kann, muß man die Gewißheit haben, daß das Volk dies unterscheiden kann. Das sittliche Unrecht beginnt da, wo das christliche Sittengebot verletzt wird. Wir müssen deshalb dies als Motiv betrachten.67 Die Landesregierung ist keine politische Regierung, vertritt keine politische Richtung, ist eine deutsche Regierung und will das christliche Sittengebot im deutschen Volke wieder aufleben lassen. Alle anderen Kreise, die mit irgendwelchen Tendenzen kommen, sind abzulehnen. Wir wollen frei von Politik an die praktische Arbeit gehen. – Unsere Aufbauarbeit besteht darin, den zusammengebrochenen Verwaltungsapparat des deutschen Staates wieder aufzurichten. – Es muß wieder eine wirtschaftliche Einheit auf möglichst großem Gebiete entstehen. – Wieder eine deutsche Verwaltung – Wir müssen in unserem Lande dafür sorgen, daß unser Kreis als Wirtschaftskreis wieder ersteht. – Austausch von Wirtschaftsgütem. Bisher glaubte jeder, nach eigenem Ermessen handeln zu können (Zurückhaltung von Gütern, Geld usw., Abschließen gegenüber den anderen Landkreisen)68 – Wir sind eine Notgemeinschaft nicht nur im Landkreis, sondern im ganzen Lande Bayern und im ganzen deutschen Vaterland. Der Einzelne hat sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. – Diese Sonderrepubliken (Landkreise) müssen ein Ende finden – Appell an die Ortskommandeure und die Militärregierung.

[II. Haushalt]

Finanzlage: Höchste Zeit zum Eingreifen, wenn wir nicht den vollkommenen Zusammenbruch Deutschlands erleben wollen. – Versuch der Aufstellung eines Haushaltsplanes für die Landesverwaltung und Reichsverwaltung (treuhänderisch übernommen),69 um zu sehen, ob es überhaupt möglich ist, daß der Staat wieder eine finanzielle Unterlage hat und damit weitere Aufgaben (Kriegssachschäden,70 Verzinsung der Reichsschuldverschreibungen, Aufrechterhaltung der Währung usw.) in Angriff genommen werden können. – Voraussetzung für Vorschläge auf diesen Gebieten ist die Aufstellung und Durchhaltung des eigenen Haushaltsplanes. – Um die Finanzen in Ordnung zu gestalten, muß ein Verkehr mit den unterstellten Stellen ermöglicht werden. Es ist deshalb erst eine Genehmigung dieses Verkehrs durch die Armee notwendig. –

[III. Öffentliche Sicherheit]

Die Frage der öffentlichen Sicherheit71 hat sich insoweit gebessert, als die Zahl der Ausländer abnimmt und in kurzer Zeit wahrscheinlich alle in ihre Heimat zurückkehren.72 Auch die Evakuierten werden die Möglichkeit erhalten, zurückzukehren.73 Hier muß man allerdings zwischen den Besatzungszonen unterscheiden, denn man kann es wohl menschlich nicht verantworten, sie in die russische Zone zu schicken; dies geht nur auf Selbstverantwortung der Evakuierten. – Neue Zuströme aus Sudetenland74 und Österreich75 werden vermutet.

[IV. Ernährung]

Frage der Ernährung: Rationen können in der nächsten Zeit einigermaßen erhöht werden, allerdings noch nicht auf Normalrationen.

[V. Gefahren beim Wiederaufbau]

Materielle Frage: Ankurbelung des Wirtschaftslebens, Wiederaufbau der zerstörten Gebäude. – Es wird unmöglich sein, der Not, die durch die Zerstörung entstanden ist, in kurzer Zeit abzuhelfen. – Politische Gefahr: Der Neid, daß es einem anderen ein wenig besser geht. – Der, der in der Not leben muß, wird zum Feind jeden Staates und jeder Gesellschaft werden. – Es fehlen die technischen Möglichkeiten, das Material und die Arbeitskräfte zum Aufbau.76

Es ist die Aufgabe der Finanzpolitik, Mittel und Wege zu finden, um das Geld wieder in Umlauf zu bringen.77

[VI. Eingaben an die Landesregierung]

Bei Eingaben an die Landesregierung78 sind keine allgemeinen Klagen vorzubringen, mit denen nichts angefangen werden kann, sondern sachliches und ziffernmäßiges Material, mit dem allein man bei der amerikanischen Armee etwas erreichen kann. –

Das, was wir in der heutigen Zeit brauchen, ist nicht nur der Geist des einmütigen Zusammenstehens und des Vertrauens, es ist nicht nur der Geist der Konzentration auf die Arbeit und das Weglassen aller unnötigen Spielereien, die außerhalb der Arbeit liegen, es ist auch der unerschütterliche Mut. Ein Volk, das in der heutigen Situation, die schlimmer ist als alle bisherigen Situationen (30-jähriger Krieg usw.), das auch hier den Mut weiterbehält, wird bestimmt nicht untergehen.

Wirtschaftsminister Dr. Lange führte u.a. aus:

[VII. Wirtschaftssystem]

Man darf nicht alles auf einmal anpacken – es müssen gewisse Regeln und Reihenfolgen herausgearbeitet werden. – Wiedereinführung der freien Wirtschaft unter möglichst geringer Einflußnahme des Staates. – Die zur Zeit bestehende Knappheit an Waren und der Überfluß an Geld zwingt noch zur Zwangsbewirtschaftung. Es werden aber schrittweise Artikel um Artikel freigegeben, um wieder in normale Zustände zu kommen. Der Ablauf der Wirtschaft soll nicht durch Zwischenschaltung einer Behörde gehindert werden.79

[VIII. Wiederaufnahme der Tätigkeit durch die Betriebe]

Die Militärregierung unterscheidet zwischen Betrieben mit 100 Arbeitern und Betrieben mit weniger als 100 Arbeitern. Diese allgemeine Grenze von 100 Mann handelt sich meist um den Verbrauch von Rohmaterial. – Industriebetriebe mit mehr als 100 Arbeitern können nur arbeiten, wenn ihnen vom Produktionsamt die Erlaubnis erteilt wird.

Kleinere Betriebe (Handwerker) sollen bevorzugt und gefördert werden. Durch diese kleineren Betriebe soll versucht werden, nicht nur die Bedürfnisse des täglichen Lebens, sondern auch darüber hinaus zu befriedigen.

Für die anderen Betriebe gilt eine Reihenfolge, die eingehalten werden soll:

1. Lebensmittel, einschließlich Verarbeitung

2. Medikamente, Artikel für sanitäre Zwecke, Seife

3. Flüssige Brennstoffe und Öle, feste Brennstoffe, Kunstdünger, Textilien, Schuhwaren, Geräte und Bedarfsartikel für obengenannte Industrien usw.

[IX. Kohlen]

Es werden alle Versuche unternommen, die Produktion der Heimat zu steigern, mit allen Lieferanten in Verbindung zu treten, um im Wege des Austausches Kohlen zu erhalten.80 Ohne Kohlen ist die Frage der Industrie unlösbar. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Anlieferung von Kohle erfolgen kann, da die Flüsse durch die Brückensprengungen noch nicht schiffbar sind.

[X. Kriegssachschäden]

Alle Reparaturen, die durch Fliegerschäden verursacht sind, sind bis zu einer Höhe von 5.000 RM zugelassen. (In den Städten sind die Feststellungen durch dazu bestimmte Treuhänder, auf dem Lande durch den Landrat zu treffen). Andere Reparaturen können bis zu einer Höhe von 500 RM genehmigt werden.81 In besonderen Fällen kann der Regierungspräsident einen Betrag bis zu 50.000 RM freigeben.

[XI. Schwarzer Markt]

Es muß vor allem gegen die schwarzen Märkte82 eingeschritten werden. Über bewirtschaftete Waren dürfen keine Tauschgeschäfte abgeschlossen werden – Konventionsgeschäfte nur durch den Staat (Landeswirtschaftsamt) – für Private nicht zulässig. Die Artikel, die ausgeführt werden, müssen in die Bewirtschaftung eingeschlossen sein.

[XII. Übernahme von Reichsfunktionen]

Überall da, wo bisher das Reich als die maßgebende Leiterin tätig war, tritt nun das Land Bayern ein. – Die Landeswirtschaftsämter werden eingezogen, ersetzt durch Leitstellen (Produktion und Verbrauch, Steuern usw.), aber nicht länger, als unbedingt nötig ist; sobald es geht, wird alles, was Verkehr, Handel und Gewerbe hinderlich ist, beseitigt.83

[XIII. Eigentumsbegriff]

Wirtschaftsaufbau nur nach Grundsätzen und unter Mitarbeit aller. Erste Voraussetzung ist eine grundsätzliche Umänderung der Einstellung zur Allgemeinheit und zum Eigentum. Wenn man nicht weiß, daß jeder das Eigentum des anderen achtet, kann man nicht aufbauen.