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Nr. 1120 Niederschrift über die Besprechungen anläßlich des Besuches des bayerischen Ministerpräsidenten Dr.[!] Schäffer im Beratungszimmer des Oberbürgermeisters21 Augsburg, Samstag, 14. Juli 1945 Beginn: 12 Uhr 10 Ende: 13 Uhr 40
Anwesend:

Ministerpräsident Schäffer, Wirtschaftsminister Lange, Ministerialdirektor Fischer, Regierungspräsident Dr. Kreisselmeyer, geschäftsführender Bürgermeister Dr. Ott, Stadtrat Sennefelder, Forstamtmann Hergenröder, Stadtrat Weinkamm, Studienprofessor Dr. Feller, Direktor Dr. Seiler, Oberbaurat Moos, Baudirektor Beblo, Baudirektor Hett.

Protokoll: Oberinspektor Feile.22

Tagesordnung:

[I. Entnazifizierung der Stadtverwaltung. II. Brennstoffversorgung. III. Nahverkehr. IV. Flüchtlinge. V. Evakuierte. VI. Ernährung. VII. Schulangelegenheiten. VIII. Städtisches Orchester. IX. Bekenntnisschulen und Berufsschulen. X. Fürsorgeleistungen. XI. Wiederaufbau der Krankenhäuser. XII. Fürsorgeverbände. XIII. Kriegssachschäden. XIV. Baustoffbewirtschaftung und Kohlenmangel. XV. Bauwesen. XVI. Entnazifizierungspraxis.]

[I. Entnazifizierung der Stadtverwaltung]23

Geschäftsf. Bürgermeister Dr. Ott 24 begrüßt den Ministerpräsidenten und stellt die anwesenden Sachbearbeiter vor. Mit einem Hinweis auf die Personalsorgen erteilt er das Wort Stadtrat Sennefelder.

Ministerpräsident Schäffer: Kann nach Entlassung aller Parteigenossen mit dem verbleibenden Personalstand noch weitergearbeitet werden?

Stadtrat Sennefelder 25: Die Entlassungen wirken sich bei uns folgendermaßen aus:

Bei den städtischen Krankenanstalten müssen von 48 Ärzten 43 entlassen werden, darunter sämtliche Chefärzte, ferner sämtliche Krankenpfleger bis auf einen und sämtliche Beamte ebenfalls bis auf einen.

Bei der städtischen Forstverwaltung sind sämtliche Beamte vom Oberforstrat bis zum letzten Forstaufseher zu entlassen.

Fast genauso schlimm wirken sich die Entlassungen bei der Feuerschutzpolizei aus, weil von 60 Offizieren und Mannschaften nur 2 verbleiben können.

Die gewünschte Eröffnung der Volksschulen scheitert an dem Mangel an Lehrkräften. Vom männlichen Lehrpersonal stehen nämlich nur mehr 6 Mann zur Verfügung.

Aber auch in anderen Zweigen der Verwaltung verbleiben fast keine eingearbeiteten Leute mehr, wovon besonders die technischen Referate, wie Baureferat und Stadtwerke betroffen werden.

Es besteht also die Gefahr, daß die Arbeit überhaupt ins Stocken kommt. Das, was verbleibt, sind hauptsächlich fast nur Frauen.26

Ministerpräsident Schäffer: Haben Sie nicht die Hoffnung, daß von der Wehrmacht noch eine größere Anzahl Entlassener zurückkommt?

Stadtrat Sennefelder: Es werden früher oder später bestimmt noch Leute von der Wehrmacht zurückkommen. Die Hauptschwierigkeit liegt aber in dem zeitlichen Drängen der Militärregierung.27

Ministerpräsident Schäffer: Die Amerikaner wollen bis Ende August mit der Aktion fertig sein. Bei dem Hinweis auf die Schwierigkeiten, die diese Aktion mit sich bringt und die Opfer, die sie verlangt, erklärte die amerikanische Militärregierung, daß das das Opfer des Besiegten sei. Es wird also nichts übrig bleiben, als mit zusammengebissenen Zähnen diese Situation zu meistern. Glauben Sie, daß in Augsburg auch menschlich viel Unrecht geschieht?

Stadtrat Sennefelder: Großes Unrecht sogar.

Ministerpräsident Schäffer: Haben Sie Gegenvorstellungen gemacht und hatten diese Erfolg?

Stadtrat Sennefelder: Wir können nur, wenn die Aktion durchgeführt ist, diese Fälle nochmals persönlich vortragen. Es wird dann von Fall zu Fall darüber entschieden werden. Der Gouverneur28 hat zugesagt, daß Leute, die sich anständig geführt haben, später hereingeholt werden können und zwar wurde erklärt, in ihre alten Dienststellungen.

Ministerpräsident Schäffer: Wenn aber die alten Stellungen bereits besetzt sind?

Stadtrat Sennefelder: Wir stellen die Leute nur auf Probedienstvertrag an.

Ministerpräsident Schäffer: Wenn Sie wissen, daß diese Erklärungen der Amerikaner ehrlich gemeint sind und Sie, sagen wir vom September, Oktober ab wieder Einstellungen vornehmen können, können Sie diese Zeit dann durchhalten?

Stadtrat Sennefelder: Das ginge wohl. Bezüglich des Zeitpunktes der Einstellung wurde aber von 3 Jahren, dann wieder von 6 Monaten und dann wieder von 3 Monaten gesprochen. Ich bin aber persönlich davon überzeugt, daß die Absicht besteht, nicht belastete Parteigenossen wieder aufzunehmen.

Bürgermeister Dr. Ott: Es fragt sich also nur, wann, unter welchen Bedingungen und ob in ihre ursprüngliche Stellung.

Ministerpräsident Schäffer: Ob es taktisch richtig ist, jetzt schon Gegenvorstellungen bezüglich einzelner Herren zu machen? Einen Fall mit negativem Erfolg haben wir bereits praktiziert. Bei anderen Fällen blieben unsere Vorstellungen liegen. Ich halte dies an sich für ein gutes Zeichen und bin überzeugt, daß man bei aufrechten, zuverlässigen Leuten – nicht Gesinnungsnazis – in ein paar Monaten eher wieder Gegenvorstellungen erheben kann.

Stadtrat Sennefelder: So muß also augenblicklich der gegebene Befehl durchgeführt werden.

Ministerpräsident Schäffer: Die amerikanische Militärregierung will eben schnellstens einen möglichst günstigen Bericht in dieser Sache an ihre Vorgesetzte Stelle (Armeeoberkommando) machen. Nachher besteht eher wieder die Hoffnung, etwas zu erreichen. Wir sind eben vorläufig nur Vollzugsorgan.29 In der Situation, in der sich die Stadt Augsburg befindet, befindet sich die Staatsverwaltung erst recht. Als ich den Posten des Ministerpräsidenten zu meiner Überraschung übernehmen mußte, hatte ich auch niemand um mich. Ich mußte die Landesverwaltung erst wieder neu aufziehen. Wenn man nicht gesunde Nerven hätte, wäre es an sich zum Verzweifeln.

Geben Sie uns einen Bericht über die Erfahrungen Ihrer Referate im Telegrammstil!

Bürgermeister Dr. Ott: Wie es um den Wiederaufbau der Stadt steht, darauf werde ich bei den einzelnen Referaten noch zu sprechen kommen.

Zur Personalsache ist für die Stadtverwaltung und insbesondere für die Beamten noch die Frage der Gewährung von Pensionen von Interesse. Hier hat man uns erklärt, daß solche mit Genehmigung der Militärregierung bezahlt werden können. Über die Höhe hat man sich allerdings vorerst ausgeschwiegen. Man wird vielleicht eine Regelung in dem Sinne erwarten dürfen, daß man als Berechnungsgrundlage für die Versorgung den Zeitpunkt vor Beitritt zur Partei annimmt.

Auf die Schwierigkeiten bei der Forstverwaltung möchte ich besonders hinweisen. Hier hat Forstamtmann Hergenröder30 für den entlassenen Stadtforstrat Amberg31 vorläufig die Geschäfte weiterzuführen. Für 5900 ha Waldbesitz haben wir nach Durchführung der Personalaktion keinen Forstbeamten, ja nicht einmal einen Forstaufseher mehr. Auf der Suche nach eingearbeiteten Kräften haben wir uns schon an die Landesforstverwaltung gewandt.

[II. Brennstoffversorgung]

Ministerpräsident Schäffer: Sie müssen hiewegen eben nochmals mit der Militärregierung reden. Wenn schon ein verstärkter Holzbedarf durch Mehreinschlag gedeckt werden soll, dann muß eben auch das nötige forsttechnische Personal vorhanden sein. Bei der Landesforstverwaltung war es z.B. so, daß von den Forstbeamten 98% in der Partei waren und 50% darin noch Funktionen hatten. Gerade in der Holzbewirtschaftung wollen nicht nur die Amerikaner bedeutende Lieferungen von uns,32 sondern sie erklären darüber hinaus, daß wir im Winter keine Kohle haben. Wenn wir die notwendigen Kohlen für die Industrie hereinbringen, dann sind wir froh und es ist ein Wunder vollbracht. Für Hausbrand Kohle herbeizuschaffen, ist ausgeschlossen. Es muß also zunächst vor allem dafür gesorgt werden, daß kleine Öfen zur Verfügung stehen und ein Raum (in halb zerstörten Wohnungen usw.), den man einigermaßen beheizen kann (Holzheizung). Für diese Arbeit muß jeder Monat ausgenützt werden. Es darf nicht erst im Oktober und November angefangen werden. Die Leute müssen möglichst alle selbst in den Wald gehen. Das ist der einzige Rat, den ich geben kann. Ich darf auch gar nichts (z.B. am Radio) von einer Kohlenbeschaffung sagen. Was wäre, wenn das z.B. die Engländer mithören würden? Der Staatswald hat eine Ausbeute (bei 166% Einschlag) von 1, 6 Millionen Raummeter Holz33. Hievon beansprucht die Hälfte die Besatzungsarmee, so daß noch 800.000 Raummeter verbleiben. Von diesen sind 400.000 Raummeter als Tankholz34 benötigt. Wie weit die restlichen 400.000 cbm Holz reichen, können Sie selbst errechnen, wenn Sie den jährlichen Kohleverbrauch der Stadt Augsburg auch nur annähernd zugrunde legen. Der Staat muß also sagen, daß alle Gemeinden, in deren Nähe Wald ist, diesen Wald selbst ausnützen müssen. Mit Zuweisungen können nur Gemeinden in waldarmen Gegenden rechnen. Es ist dabei selbstverständlich, daß wir uns um das flache Land überhaupt nicht kümmern können. Den Evakuierten auf dem Land muß man sagen, daß sie selbst Holz lesen müssen. Dies geht aber nicht für die Städte, abgesehen von den anderen Problemen, die die Umstellung der Heizung auf Holz dort verursacht.

[III. Nahverkehr]

Bürgermeister Dr. Ott: Etwa 1/3 der Augsburger lebt noch auf dem Land. Es wäre schon viel geschehen, wenn Vorortszugverbindungen bestünden, weil dann der Drang nach der Stadt eingedämmt würde, wenn die Leute eine Verbindungsmöglichkeit zwischen Arbeitsstätte und Wohnort haben.

Ministerpräsident Schäffer. Wie es in Augsburg ist, weiß ich nicht. Jedenfalls hat mir der Präsident der Reichsbahndirektion München vorgestern wieder telefonisch versichert, daß nächste Woche der Vorortsverkehr München läuft. Ich bin auch überzeugt, daß dies Wesentliches ausmacht, wenn die Leute etwa in einem Radius von 20–25 km um die Großstadt herum weiter wohnen können.

[IV. Flüchtlinge]

Bürgermeister Dr. Ott: Ich möchte hier noch überörtliche Probleme der Rückwanderung anschneiden, namentlich solche von Volksdeutschen aus der Tschechei und Schlesien nach Bayern. Der Stadt Augsburg ist es unmöglich, diese Leute aufzunehmen. Sie müssen eben ähnlich wie die Evakuierten aus Bombengebieten auf dem Lande untergebracht werden.

Ministerpräsident Schäffer: Ich glaube z.B. nicht, daß mit größeren Ausweisungen aus der Tschechei zu rechnen ist.35 Die Amerikaner werden sich wohl überzeugt haben, daß entgegen den bisherigen Erörterungen die Städte Pilsen, Eger usw., seit Jahrhunderten deutsch sind. Sie werden wohl geneigt sein, solche Massenausweisungen zu verhindern. Anders verhält es sich mit den Deutschen, die erst seit 1938 dort zugewandert sind. Ich betone aber, daß ich nichts Sicheres weiß. Die letzte diesbezügliche Anfrage ist von den Amerikanern übergangen worden. Scheinbar ist ihnen diese Frage unangenehm.36

[V. Evakuierte]

Bürgermeister Dr. Ott: Anscheinend ebenso unangenehm wie die zur Erörterung kommende Rückwanderung unserer Brüder aus dem Norden.

Ministerpräsident Schäffer: Wie sie aus der Radio-Durchsage entnommen haben werden, brauchen wir eine Aufstellung dieser evakuierten Personen, um ihre Heimbeförderung einzuleiten.37 Sie sehen also, daß die Sache in Vorbereitung ist. Es dürfen nun nicht z.B. die Städte in Norddeutschland38 ähnliche Aufrufe wie die Stadt München39 usw. erlassen, daß niemand in die Stadt zurückkehren darf.

Bürgermeister Dr. Ott: Wenn diese Leute auch nicht in ihre Städte zurückkehren, dann sollte man sie wenigstens in ihre Landkreise abbefördern.

Stadtrat Weinkamm 40: Ich bitte, daß von der Landesregierung aus eine Weisung an die Landräte und Bürgermeister hinausgegeben wird, daß das ständige Drängen auf die Evakuierten,41 in die Stadt Augsburg zurückzukehren, eingestellt wird, da die Leute hier nicht ohne weiteres sogleich alle wieder aufgenommen werden können.42

Ministerpräsident Schäffer: Ich hoffe, daß wir, wenn die Unterlagen gesammelt sind, mit dem Rücktransport der Evakuierten nach Norddeutschland nach Zusammenstellung von Transporten und Schaffung von Fahrgelegenheiten43 beginnen können. Diese Aktion kann sich aber nur auf nicht-bayerische Evakuierte ausdehnen. Für unsere bayerischen Volksgenossen müssen wir selbst sorgen.

[VI. Ernährung]

Bürgermeister Dr. Ott: Auf dem Gebiet der Ernährung werden wir hier in Augsburg im großen ganzen Anschluß an das neue Jahr gewinnen. Wenn die Amerikaner immer wieder behaupten, daß sie ihre gesamte Ernährung selbst beibringen, so ist zu beachten, daß sie auf verschiedenen Gebieten, z.B. Versorgung mit Frischgemüse, immer wieder in unsere Ernährung eingreifen bezw. Lieferungen wegnehmen. Wenn sie bei ihrer Behauptung bleiben, müssen sie uns diese Lebensmittel in anderer Form ersetzen.

Ministerpräsident Schäffer: Ich bitte, mir hier eine schriftliche Anregung zu geben. Die Amerikaner stehen auf dem Standpunkt, daß sie der deutschen Bevölkerung kein Gramm Nahrungsmittel geben dürfen. Wir müssen insbesondere auch wissen, in welchem Umfang Nahrungsmittel an die Amerikaner abgegeben bezw. von diesen beschlagnahmt werden.

Stadtrat Weinkamm: Wir bekommen z.B. Frischgemüse in LKW aus Unterfranken. Wiederholt schon und nun neuerdings wurde ein Wagen, noch bevor er beim Markt eintraf, von den Amerikanern beschlagnahmt.

[VII. Schulangelegenheiten]

Bürgermeister Dr. Ott: Wie steht es mit den Lehrbüchern für die Volksschulen?

Studienprofessor Dr. Feller 44: Bekommen wir sie aus München ganz?

Ministerpräsident Schäffer: Ich weiß nur, daß die Bücher für die Volksschulen tatsächlich fertiggestellt sind. Es handelt sich im wesentlichen um die alten vor 1933 gebrauchten Bücher. Wenn ich Abschrift des Protokolls bekommen habe, werde ich mit dem Kultusminister wegen der Bücher sprechen.

Studienprofessor Dr. Feller: Wir haben hier für Augsburg vom Kultusminister die Aufforderung bekommen, die Sache wegen der Bücher selbst zu betreiben.

Bürgermeister Dr. Ott: Hinsichtlich der Oberschulen erklärt man uns hier, daß vor dem nächsten Jahr mit der Wiedereröffnung nicht zu rechnen ist.

Ministerpräsident Schäffer: Bei der Landesregierung war ein Wechsel im Referat. Etwas Bestimmtes liegt noch nicht vor.

[VIII. Städtisches Orchester]

Bürgermeister Dr. Ott: Unser Erziehungsreferent ist gleichzeitig Kunstreferent, und ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß wir unser städtisches Orchester verlieren, zum einen, weil es sich um lauter Parteimitglieder handelt, zum anderen, weil die Stadt kaum mehr in der Lage wäre, es zu bezahlen.

Ministerpräsident Schäffer: Das ist sehr schade. Man sollte diese kulturelle Einrichtung nicht verlieren. Konzerte stehen doch nicht unter Preisüberwachung, so daß man mit entsprechender Preisgestaltung wohl den wesentlichen Teil der Kosten decken könnte.

Bürgermeister Dr. Ott: Kaum, das Orchester ist 45 Mann stark. Man hätte schon länger das Orchester aufgelöst, wenn es früher nicht wegen der bestehenden Dienstverträge für die Orchestermitglieder und der Bindung an das Theater unmöglich gewesen wäre. Nun ist das Stadttheater ja auch zerstört.

Ministerpräsident Schäffer: Es ist nicht Aufgabe des Finanzreferenten, bloß zu sparen.

Bürgermeister Dr. Ott: Wir würden selbstverständlich das Orchester gerne behalten, wenn Sie uns die finanziellen Möglichkeiten gäben.45 Unser Archiv und die Bibliothek sind gerettet, auch die Brunnen.46 Bei der Gemäldesammlung sind Diebstähle vorgekommen. Die neue Gemäldesammlung wird im Schätzlerpalais47 untergebracht. Wir werden das Land Bayern bitten, uns von seinen Kunstschätzen hiefür noch etwas zu überlassen.48

Ministerpräsident Schäffer: Man müßte erst feststellen, was an Kunstschätzen noch vorhanden ist.

[IX. Bekenntnisschulen und Berufsschulen]

Studienprofessor Dr. Feller: Beim Schulwesen wird es schwer fallen, Schulhelfer auszubilden. Man hofft, doch noch welche von den früheren Lehrkräften halten zu können. Die Einrichtung von Bekenntnisschulen scheitert hier in Augsburg an der Raumfrage.

Ministerpräsident Schäffer: Man wird eben wie früher beide Konfessionen in den Klassen belassen.

Studienprofessor Dr. Feller: Wegen der für Augsburg besonders wichtigen Wiedereröffnung der Berufsschulen laufen schon Anträge.

Ministerpräsident Schäffer: Sie wünschen also eine möglichst rasche Einrichtung.

[X. Fürsorgeleistungen]

Direktor Dr. Seiler 49: Mit der Fürsorge sind die Gemeinden nun nach Wegfall der Leistungen des Reiches auf dem Gebiet des Familienunterhalts schwer belastet.50 Es erhebt sich nun die Frage, wie die untragbare Belastung der Fürsorgeverbände der Aufnahmeorte abgewälzt werden kann. Besteht hier die Aussicht einer Entlastung? Familienunterhalt und Räumungsunterhalt in der bisherigen Höhe müssen ohnehin aufhören, und die Unterstützungssätze sich auf das Existenzminimum beschränken. Bei der Kriegsopferfürsorge, Sozial- und Kleinrentnerfürsorge ergeben sich weitere Belastungen durch Wegfall der Renten, und durch Einstellung der Zahlungen des Reiches auf Kriegsschäden.51 Der Druck auf die Umquartierten, der seitens der Landbürgermeister immer noch ausgeübt wird, muß aufhören, weil er nur zu einer neuen Belastung der Städte führt.

Ministerpräsident Schäffer: Das, was wir wieder in der Stadt brauchen, sind die gelernten Handwerker. Viele gehen nicht zurück, weil sie auf dem Land bessere Verpflegung haben oder irgend eine Scheinarbeit leisten und von ihrem ersparten Geld leben können. Hier kann die Einstellung von Unterstützung auch erzieherisch wirken. Selbstverständlich können FU und RU52 nicht mehr gezahlt werden,53 sondern nur die notwendige Wohlfahrtsunterstützung. Der Staat kann hier den Gemeinden schon helfen. Zu diesem Zweck ist im Staatshaushalt ein Posten untergebracht, der unter dem Titel „Fürsorge für Versehrte“ läuft und eigentlich zur Auffüllung der Wohlfahrtspflege gedacht ist. Technisch ist es also so, daß die Gemeinden zunächst die Ausgabe zu leisten haben und wenn sie nicht mehr in der Lage hiezu sind, rechtzeitig einen Antrag um Beihilfe beim Finanzministerium einreichen müssen. Die Kriegsbeschädigten des neuen Krieges werden ihre Renten in Höhe des Existenzminimums von der alten Kasse erhalten. Die Ausgaben für Familienunterhalt müßten eigentlich nach Rückkehr der Soldaten vollkommen zusammenschmelzen. Die Angehörigen von Gefangenen können auch nur Wohlfahrtssätze erhalten. Ich erwarte hier den ersten Kassenbericht einer Gemeinde, etwa mit folgenden Angaben: frühere Kassenlage, heutige Belastung, Dauer des Anspruches und Erklärung, daß bei Gewährung der Unterstützung ein strenger Maßstab angelegt wurde. Nächstens wird mit Genehmigung der Militärregierung eine Entschließung des Staatsministeriums betreffend Räumungs- und Familienunterhalt erscheinen. In Ihrem Rückbericht können Sie dann die entsprechende Antwort geben und Ihre Sorgen niederlegen.

[XI. Wiederaufbau der Krankenhäuser]

Direktor Dr. Seiler: Der Wiederaufbau der städtischen Krankenhäuser ist im Gange. 7 Krankenhäuser in Augsburg sind ganz bezw. teilweise in Betrieb. 5 auswärtige Ausweichkrankenhäuser müssen geräumt werden. Unsere Pläne gehen dahin, die stationäre Behandlung schon wegen der besseren Möglichkeiten in einem großen Komplex mit etwa 1.000 Betten zusammenzufassen. Gedacht ist hier an die Einrichtung einer Kaserne.

Bürgermeister Dr. Ott: Wer vertritt nun eigentlich das Deutsche Reich?

Ministerpräsident Schäffer: Das Land Bayern. Bezüglich des Eigentums an den Kasernen ist es aber so, daß alles Wehrmachtseigentum von der Militärregierung beschlagnahmt ist.54 Wir bemühen uns, die treuhänderische Verwaltung dieses Eigentums zu bekommen. Es ist mir durchaus erwünscht, daß von einer Gemeinde ein Bericht betreffend Überlassung einer solchen Kaserne eingeht und ich teile auch die Auffassung, daß es höchste Zeit ist, solche Kasemenbeschlagnahmen aufzuheben.

[XII. Fürsorgeverbände]

Direktor Dr. Seiler: Ich komme nochmals auf die Fürsorge zurück. Durch den Ausfall der Zahlungen des Reiches auf Kriegsnutzungsschäden geraten die Fürsorgeverbände sehr in Not. Selbst wenn wir in Augsburg zur Sicherung des Existenzminimums der Betroffenen nur das Notwendigste bezahlen (also von 800.000 RM monatlichen Ansprüchen etwa nur 3 – 350.000 RM), erwächst hier diese untragbare Mehrbelastung.

Bürgermeister Dr. Ott: Hiezu kommt noch, daß z.B., was für die Kleinrentnerfürsorge ausschlaggebend ist, z.Zt. kein Hypotheken- und Pfandbriefzins bezahlt wird.

Ministerpräsident Schäffer: Das ist ein Problem, das wir leider nicht regeln können, sondern das nur im großen Hauptquartier entschieden werden kann. Vielleicht muß der alte Hausbesitz noch weiter belastet werden, um den zerstörten Hausbesitz wieder aufzubauen.

[XIII. Kriegssachschäden]

Bürgermeister Dr. Ott: Die Kriegsschäden in Augsburg betragen 1.000.000.000 RM. Die Stadt hat 40% ihres Wohnraumes verloren.

Ministerpräsident Schäffer: Seien Sie froh, München hat einen Verlust von 80%!

Baudirektor Beblo 55:

Augsburg hatte vor dem Kriege 52.500 Wohnungen, 35.000 hievon sind leicht und mittel beschädigt, 10.000 total beschädigt.56 Ein Sofortplan sieht die Wiederherstellung von 13.100 leicht- und mittelbeschädigten Wohnungen vor. Die Beibringung der nötigen Baustoffe ist hiebei Grundbedingung.

Es sind benötigt:

Dachpappe 13.000 qm
Kalk 900.000 kg
Glas 150.000 qm
Holz 26.900 cbm
Zement 2.000 to
Schweres Segeltuch 20.000 qm
Nägel und Eisen 135.000 kg
Dachplatten 8.000.000 Stück
Mauersteine 8.000.000 Stück
Gips 450.000 kg.

(Zwischenrede Dr. Ott: Das Werk Oggenhof bei Augsburg kann hievon 300.000–400.000 Stück Ziegel hersteilen, vorausgesetzt, daß das Werk die nötige Kohle erhält).

Von den angeführten Baumaterialien stehen außer Kleinstmengen z.Zt. nur rd. 4.000 cbm Bauholz zur Verfügung. Die Ziegeleien, Zementfabriken usw. brauchen Kohlen für ihre Fabrikation. Schwaben allein kann den Baustoffbedarf nicht decken. Die Stadt muß also auch auf Fabriken außerhalb des Gaues z.B. Ziegelwerke in Lochhausen, Zementfabrik Blaubeuren zurückgreifen.

Ministerpräsident Schäffer: Sie werden hier bei der Militärregierung etwas erreichen, wenn Sie darauf hinweisen, daß der Winter bei schlechter Ernährung, fehlender Heizung und ungenügendem Wohnraum Seuchengefahr bringt.

Baudirektor Beblo: Wir lassen in Augsburg Schäden im Umfang von etwa 5 bis 10.000 RM beheben und geben aus den bewirtschafteten Baustoffen geringe Mengen an die Bauherren hiefür ab. Was an Kleinwohnraum instandgesetzt wird, können wir nicht kontrollieren, da Bauvorhaben unter 500, – RM nicht genehmigungspflichtig sind.

Wirtschaftsminister Lange: Klammern Sie sich in diesen Sachen nicht an behördliche Vorschriften, sondern lassen Sie alles zu, was mit eigenem oder sonst irgendwie zu beschaffendem Material irgendwie erledigt werden kann.

[XIV. Baustoffbewirtschaftung und Kohlenmangel]

Bürgermeister Dr. Ott: Ist mit dem Aufbau einer Baustoffbewirtschaftung für das Land Bayern zu rechnen?

Wirtschaftsminister Lange: Die Bewirtschaftung wird dann eintreten, wenn Baustoffe vorhanden sind.57 Zunächst muß das Kohleproblem58 als Hauptproblem gelöst werden. Von der Tschechoslowakei sind durch Gegenleistungsvertrag 20.000 Tonnen Kohle gesichert. Die Verträge mit dem mitteldeutschen Kohlengebiet sind wegen Besetzung dieses Gebietes durch Russen hinfällig geworden. Wegen der Ruhrkohle wird noch verhandelt.59 Auch mit den Saargruben besteht ein Vertrag. Als Gegenleistung liefern wir wöchentlich 100 Stück Vieh. Diese Kohlen sind aber vorwiegend für Molkereien benötigt. Weiter besteht das Projekt, die nordbayerischen Gruben60 besser auszubauen. Die Leistungsfähigkeit der Bergarbeiter wird durch Gewährung von Nahrungsmitteln in Höhe von 3.000 Kalorien und noch mehr gefördert.

Ministerpräsident Schäffer: Wenn das Bestreben der Amerikaner, ihre Kohle aus dem Ruhrgebiet zu bekommen, Erfolg hat, dann wird die bayerische Lieferungsquote für das Peißenberger Revier herabgesetzt.

Wirtschaftsminister Lange: Von der Peißenberger Kohle sind 80% von den Amerikanern beschlagnahmt.

[XV. Bauwesen]

Baudirektor Beblo: Ich komme auf das Bauwesen zurück. Die Stadt selbst kann an größeren Bauinstandsetzungen z.Zt. nur die an Krankenhäusern und Schulen durchführen.

Baudirektor Hett 61: Im Tiefbau erheben sich die gleichen Probleme wie im Hochbau. Es fehlen insbesondere zur Wiederherstellung der zerstörten Kanalisationsanlagen die nötigen Fachkräfte. Es ist weiter hemmend, daß die Züge der Reichsbahn z.Zt. für Arbeiterverkehr nicht freigegeben sind.

Bürgermeister Dr. Ott: In dieser Angelegenheit habe ich etwa vor 14 Tagen mit der Militärregierung verhandelt wegen Einführung des Vorortsverkehrs im Umkreis von 35 km. Die Militärregierung hätte gerne über das Ausmaß dieses Verkehrs Unterlagen gehabt (Zugsdichte, Zugslänge), die ihr sicher die Reichsbahn verschaffen könnte.

Baudirektor Hett: Wie im Kanalbau, so besteht auch auf den anderen Gebieten des Tiefbaues, wie Straßenbau usw. das Problem: Fachkräfte, Fahrzeuge, Treibstoff. Die Amerikaner haben uns versprochen, hiefür Autos bereitzustellen. Als endlich die nötigen Leute beisammen waren, rückte die Truppe mit ihren Fahrzeugen ab.

Bürgermeister Dr. Ott: Das Arbeitsamt hat eben auch mit der Einführung der Diestverpflichtung zu lange gezögert.

Baudirektor Hett: Sehr dringend sind für uns Zementlieferungen (Werk Haarburg). Leider sind von den Amerikanern riesige Mengen für die Betonierung der Startbahnen auf Flugplätzen beschlagnahmt.

Oberbaurat Moosi62: Die Sicherstellung der Energieversorgung und der Verkehrsleistungen hängt wesentlich davon ab, wie Ersatz für die ausscheidenden Fachkräfte beschafft werden kann. Die Einarbeitung neuer Kräfte beansprucht bei den Stadtwerken wesentlich mehr Zeit als bei anderen Betrieben und Ämtern. Die ordnungsgemäße Betriebsführung und Instandhaltung der Anlagen, insbesondere die rasche Beseitigung von Störungen, setzt erfahrene, netzkundige Leute voraus.

Ministerpräsident Schäffer: Verlängerung der Einarbeitungszeit muß unter diesen Voraussetzungen wohl möglich sein.

[XVI. Entnazifizierungspraxis]

Regierungspräsident Dr. Kreisselmeyer: Ich hatte den Auftrag, den Leiter des Arbeitsamtes zu entfernen. Auf meine Vorstellungen bei Major Cromwell, daß das nicht ohne weiteres ginge und dieser bleiben müsse, solange, bis ein passender Nachfolger gefunden und eingearbeitet sei, wurde folgende Formel gefunden: Der zu Entlassende hat in Augsburg zu verbleiben und sich bereitzuhalten, seinem Nachfolger auf Anfordem bereitzustehen. Als ich dann eigene Referenten entlassen mußte, habe ich die gleiche Formel gewählt. Angemessene Vergütung wird gewährt. Es wurde hierüber jeweils an die Militärregierung berichtet.

Ministerpräsident Schäffer: Dieses Verfahren ist richtig, darf jedoch nicht zu häufig angewandt werden, weil es sonst gefährdet wird.

Bürgermeister Dr. Ott: Ich danke für Ihren Besuch und das Interesse, das Sie unseren Sorgen entgegen gebracht haben.63

Ministerpräsident Schäffer: Ich danke für die wertvollen Informationen.64

Ausgefertigt: Feile