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Nr. 54MinisterratssitzungMontag, 31. Oktober 1955 Beginn: 18 Uhr Ende: 19 Uhr 15
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Kultusminister Rucker, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei).

Tagesordnung:

I. Entwurf einer Verordnung über die Bildung einer bayerischen staatlichen Kommission zur friedlichen Nutzung der Atomkräfte. II. Vertrag zwischen dem Erzbistum München und Freising und dem Bayerischen Staat vom 28. September 1955. III. Besprechung der Beschlüsse des Sicherheitsausschusses des Bundestags vom 28. Oktober 1955 betr. Aufstellung der deutschen Streitkräfte. IV. Staatsvereinfachung; hier: Die Gesetzgebung und das Vorschriftenwesen. V. Bayerische Staatszeitung. VI. Drei Gutachten der Obersten Baubehörde. VII. Polizeilicher Schutz für die Königin von Afghanistan während ihres Aufenthalts in München.

Zu Beginn der Sitzung beglückwünscht Ministerpräsident Dr. Hoegner im Namen des Kabinetts Herrn Staatssekretär Dr. Meinzolt zum 68. Geburtstag.

I.Entwurf einer Verordnung über die Bildung einer bayerischen staatlichen Kommission zur friedlichen Nutzung der Atomkräfte1

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß zu diesem Entwurf des Herrn Staatsministers Rucker, der auch im Staatsministerium für Unterricht und Kultus noch nicht behandelt worden sei, noch keine Stellungnahmen der Ministerien vorliegen. Er bitte, bis zur nächsten Ministerratssitzung den Entwurf zu überprüfen und sich dann zu äußern.2

Staatsminister Zietsch macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß inzwischen auch der Bundesminister für Atomfragen erklärt habe, er wolle eine Kommission bilden; angeblich wolle Herr Bundesminister Strauß in diese Kommission auch zwei Herren aus Bayern berufen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, die Atomkommission des Bundes könne mit der geplanten bayerischen Kommission nicht verglichen werden, deshalb halte er eine gleichzeitige Mitgliedschaft auch für durchaus möglich. Der Zweck der bayerischen Kommission bestehe ausschließlich darin, Vertreter der Wissenschaft und der Wirtschaft zusammenzubringen und Vorträge, Anregungen usw., die aus deren Kreis kämen, prüfen und auf ihre Verwirklichung untersuchen zu lassen. Beabsichtigt sei, eine gelehrte Gesellschaft, aber keine Behörde zu bilden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest dann die Vorschläge, die Herr Staatsminister Rucker für die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission gemacht habe. Im einzelnen handle es sich u.a. um die Universitätsprofessoren Gerlach, Joos, Maier-Leibnitz, Heisenberg, Trendelenburg, Lynen, Wagner (Präsident der Akademie der Wissenschaften), Braunbehrens usw.

Staatsminister Bezold bemerkt, er habe sich noch nicht endgültig entschieden, er denke aber u.a. an die Herren von Siemens, Otto Meyer, Rodenstock, Enzensberger oder Wolf usw.

In Übereinstimmung mit Staatsminister Bezold betont Staatsminister Dr. Baumgartner, man solle nur Einzelpersönlichkeiten, aber nicht Vertreter von Organisationen berufen.

Abschließend ersucht Ministerpräsident Dr. Hoegner Herrn Staatsminister Bezold, seine Vorschläge schriftlich einzureichen.

Staatsminister Bezold sichert zu, die Listen in den nächsten Tagen herübersenden zu wollen.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths hält es für zweckmäßig, auch eine Arbeitsgruppe aus Vertretern aller Ministerien zu bilden, ein Vorschlag, der auch von Staatsminister Stain unterstützt wird.

Ministerpräsident Dr. Hoegner wiederholt dann seine Bitte, bis zum nächstenmal zu dem Verordnungsentwurf Stellung zu nehmen.

In diesem Zusammenhang erinnert Ministerpräsident Dr. Hoegner daran, daß der Ministerrat am 30. August 1955 beschlossen habe, für die Veranstaltung: Internationales Kolloquium 1956 über Halbleiter und Phosphore einen Zuschuß von 30 000 DM, d.i. ⅓ der Gesamtkosten, zur Verfügung zu stellen.3 Er habe nun ein Schreiben des Internationalen Kolloquiums, unterzeichnet von Professor Dr. Joos erhalten in dem der Dank für den Zuschuß ausgesprochen werde.

Der Ministerrat nimmt diese Mitteilung zur Kenntnis.4

Bekanntmachung über die Bildung einer Bayerischen staatlichen Kommission zur friedlichen Nutzung der Atomkräfte vom 22. November 1955

II.Vertrag zwischen dem Erzbistum München und Freising und dem Bayerischen Staat vom 28. September 19555

Zwischen dem Erzbistum München und Freising und dem Bayerischen Staat, vertreten durch die Herren Staatsminister für Unterricht und Kultus und der Finanzen, wurde am 28. September 1955 ein Vertrag zum Vollzug des Art. 10, § 1 Buchstabe e und g des Konkordats vom 29. März 1924 abgeschlossen.6 Der Vertrag sehe vor, daß der Bayerische Staat an das Erzbistum einen Betrag in Höhe von 1 850 000 DM leiste. Damit sollen die Verpflichtungen des Bayerischen Staates gegenüber dem Erzbistum aus Art. 10 § 1 Buchstabe e und g des Konkordats, den Dignitären, den fünf älteren Kanonikern und drei älteren Vikaren eine entsprechende Wohnung anzuweisen und für das Erzbischöfliche Ordinariat ein geeignetes Gebäude zu überlassen, endgültig und für alle Zukunft erfüllt sein. Auf den genannten Betrag werden einige Grundstücke in der Max-Burgstraße angerechnet. Nach § 4 des Vertrags werde das Erzbistum München-Freising das Anwesen Promenadeplatz 2 dem Bayerischen Staat zurückgeben.

Der Vertrag sei – wie gesagt – bereits am 28. September 1955 unterschrieben worden, § 7 bestimme aber, daß die Vereinbarung erst rechtskräftig werde, wenn eine gegenseitige Zustimmung zum Vertragsinhalt zwischen der Bayerischen Staatsregierung und der Apostolischen Nuntiatur durch einen Notenwechsel erfolge.

Staatsminister Zietsch unterstreicht die Vorteile dieser Regelung und bemerkt, der Vertrag hätte an sich schon Ende August abgeschlossen werden können, die Unterzeichnung habe sich nur durch die Südamerikareise des Herrn Kardinals Wendel verzögert.

Der Ministerrat beschließt mit Mehrheit, dem Vertrag zuzustimmen.

III.Besprechung der Beschlüsse des Sicherheitsausschusses des Bundestags vom 28. Oktober 1955 betr. Aufstellung der deutschen Streitkräfte

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet über die Sitzung des Sicherheitsausschusses vom 28. Oktober 1955, bei der vor allem folgende Punkte behandelt worden seien:

a) Landsmannschaftliche Gliederung der Streitkräfte,

b) Wehrverwaltung,

c) Wehrmachtsgerichte,

Zu a) sei zu bemerken, daß die bayerische Forderung, an der landsmannschaftlichen Gliederung festzuhalten, sich durchgesetzt habe.

Zu b) Hier sei bedauerlicherweise festzustellen, daß Art. 87 Abs. l Satz 27 und Art. 87 a GG in der Fassung der Drucksachen 124 und 125 unverändert einstimmig angenommen worden seien, also eine für die Länder sehr ungünstige Lösung. Die Artikel lauteten wie folgt:

Art. 87 Abs. 1 Satz 2:

„Die Wehrverwaltung und das Wehrersatzwesen werden in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt, soweit nicht ein Gesetz nach Artikel 87 a etwas anderes bestimmt.“

Art. 87 a:

„Gesetze, die der Durchführung der militärischen Verteidigung oder des zivilen Luftschutzes dienen, können bestimmen, daß sie durch die Länder im Aufträge des Bundes ausgeführt werden.“

Man müsse dagegen einwenden, daß also unbestimmte Begriffe, nämlich „Wehrverwaltung“ verwendet würden, eine Sache, gegen die sich Bayern schon 1953 gewandt habe. Schon damals habe man gefordert, daß die Entscheidung nicht allein in das Belieben des Bundestags gestellt werden dürfe, sondern auch der Bundesrat mitzubestimmen haben müsse.

Infolgedessen sei zu überlegen, ob nicht der Bundesrat von sich aus einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen sollte und zwar gemäß Art. 76 Abs. 1, 3 GG.8 Dieser Entwurf könne sich bei der derzeitigen Lage der Gesetzgebung darauf beschränken an geeigneter Stelle des 8. Abschnittes des Grundgesetzes, vielleicht als Art. 87 a, etwa folgende Bestimmung vorzusehen:

Art. 87 a:

„Die der Durchführung des Art. 73 Nr. 19 dienenden Bundesgesetze können mit Zustimmung des Bundesrats auch vorsehen, daß sie in bundeseigener Verwaltung oder durch die Länder im Auftrag des Bundes ausgeführt werden.“

Das entscheidende sei demnach, daß immer die Zustimmung des Bundesrats vorliegen müsse.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt zunächst mit Befriedigung fest, daß die landsmannschaftliehe Gliederung in der ersten Lesung des Sicherheitsausschusses beschlossen worden sei.

Was die Wehrverwaltung betreffe, so sei vor allem das Wehrersatzwesen von Bedeutung, das unter allen Umständen bei den Ländern bleiben müsse. Er frage den Ministerrat, ob Einverständnis damit bestehe, daß mindestens das Wehrersatzwesen bei den Ländern liegen solle und ferner, ob die Wehrverwaltung, sei es nun als bundeseigene Verwaltung oder Auftragsverwaltung des Bundes, nur mit Zustimmung des Bundesrats ausgeführt werden dürfe. Man könne zusammen mit Nordrhein-Westfalen zu erreichen versuchen, daß man diese beiden Forderungen durchsetze.

Der Ministerrat erklärt sich einstimmig damit einverstanden.

Zu c) Wehrmachtsgerichte, erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, diese Frage sei noch in der Schwebe. Er selbst sei der Auffassung, daß man keine eigenen Wehrmachtsgerichte brauche, sondern an den ordentlichen Gerichten wie in der Weimarer Zeit festhalten solle. Ob sich diese Forderung durchsetzen lasse, stehe allerdings dahin.

Der Ministerrat spricht sich mit Mehrheit gegen die Wiederherstellung einer Militärgerichtsbarkeit aus.

Abschließend teilt Ministerpräsident Dr. Hoegner noch mit, gegen den Wunsch Nordrhein-Westfalens und Bayerns sei Minister FarnyBaden-Württemberg – zum stellv. Vorsitzenden des Sicherheitsausschusses gewählt worden. Übrigens habe nach der Sitzung des Sicherheitsausschusses eine Aussprache mit Bundesminister Blank stattgefunden, die recht befriedigend verlaufen sei.

IV.Staatsvereinfachung; hier: Die Gesetzgebung und das Vorschriftenwesen10

Ministerpräsident Dr. Hoegner erkundigt sich, ob die Herren Staatsminister und Staatssekretäre mit den von der Bayer. Staatskanzlei ausgearbeiteten Grundsätzen für die Gesetzgebung und das Vorschriftenwesen einverstanden seien, so daß man in Zukunft entsprechend verfahren könne.11

Staatsminister Dr. Koch erwidert, das Staatsministerium der Justiz habe keinerlei Bedenken, auch die anderen Herren Kabinettsmitglieder erklären sich einverstanden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt abschließend nochmals ausdrücklich die Zustimmung des Ministerrats zu den Vorschlägen fest.12

V.Bayerische Staatszeitung13

Ministerpräsident Dr. Hoegner nimmt Bezug auf die Besprechung im Ministerrat vom 25. Oktober 1955, nach der er Herrn Helmut Bauer die Bedenken des Verlags Bayerische Staatszeitung GmbH mitgeteilt habe; Herr Bauer habe nun in dem Sinne geantwortet, daß er glaube mit den Übergangsschwierigkeiten fertig werden zu können. Gegen eine Zusammenarbeit mit Herrn Mauerer habe Herr Bauer nichts einzuwenden.

Es sei also notwendig, sowohl mit den Vertretern der GmbH als mit Herrn Mauerer zu sprechen. Er bitte um das Einverständnis des Ministerrat.

Der Ministerrat erklärt sich einstimmig mit diesem Vorschlag einverstanden.14

VI.Drei Gutachten der Obersten Baubehörde

a) Ausbau der Lechstufen oberhalb Schongau15

Staatsminister Dr. Geislhöringer teilt mit, das Gutachten16 sei jetzt fertiggestellt und könne im nächsten Ministerrat behandelt werden.

Es wird beschlossen, die Angelegenheit auf die Tagesordnung des Ministerrats vom 8. November zu setzen.17

b) Bau eines Kraftwerks der Innwerk AG bei Rosenheim18

Staatsminister Zietsch führt aus, bei den Besprechungen über den geplanten Bau dieses Kraftwerks seien noch keine endgültigen Ergebnisse herausgekommen; eine weitere Aussprache werde am kommenden Freitag stattfinden.

Der Ministerrat beschließt, die Angelegenheit vorerst noch zurückzustellen.19

c) Eingliederung der Landesstelle für Gewässerkunde in die Oberste Baubehörde20

Staatsminister Dr. Geislhöringer bemerkt, der Eingliederung stünden recht erhebliche Schwierigkeiten entgegen, ein Gutachten der Obersten Baubehörde werde in den nächsten Tagen fertiggestellt sein.21

VII.Polizeilicher Schutz für die Königin von Afghanistan während ihres Aufenthalts in München

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, die Königin von Afghanistan befinde sich seit längerer Zeit in München und zwar sei sie zuerst in einem Hotel gewesen und befinde sich jetzt in einem Krankenhaus. Im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt habe die Staatskanzlei die Polizeidirektion München ersucht, den Schutz der Königin durch Kriminalbeamte in der üblichen Weise zu übernehmen. Wenn die Kosten auch nicht übermäßig hoch seien, so werde doch im Laufe der Zeit ein Betrag von mehreren hundert Mark zusammenkommen.

Er sei der Auffassung, daß diese Kosten eigentlich von der Stadt München übernommen werden müßten, die ja auch in erster Linie die Vorteile aus Besuchen hochgestellter Personen ziehe.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden, daß mit der Stadt München wegen der Übernahme der Kosten verhandelt wird.

Anschließend werden noch kurz die Vorwürfe des Abg. Dr. Lippert gegen Beamte und Angestellte der Ministerien besprochen.22

Zum Schluß der Sitzung bittet Staatssekretär Eilles, nach Möglichkeit im Ministerrat vom 8. November 1955 keine Angelegenheiten zu behandeln, an denen das Staatsministerium der Justiz unmittelbar beteiligt sei, weil sowohl Herr Staatsminister Dr. Koch wie er an einer Konferenz außerhalb Münchens teilnehmen müßten.

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei verreist gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär