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Nr. 51MinisterratssitzungDienstag, 18. Oktober 1955 in Regensburg Beginn: 15 Uhr Ende: 16 Uhr 50
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Kultusminister Rucker, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr).

Tagesordnung:

I. Entwurf einer Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesvertriebenengesetzes. II. Entwurf einer Verordnung zum Vollzug des Bundesfernstraßengesetzes. III. Antrag der Landtagsfraktion der FDP vom 27. September 1955 betr. Verkauf der Beteiligung der Bayernwerk AG an bayerischen Überlandwerken. IV. Elektrifizierung der Bahnstrecke RegensburgPassau und Autobahnbau in Bayern. V. Personalangelegenheiten. VI. Miete eines Egerländer Zimmers im Neuen Schloß Bayreuth. VII. Änderung des Grundgesetzes. VIII. Strafgerichtliche Verfahren. IX. Beschlüsse der Bezirkstage Schwaben und Niederbayern zur Neubestellung eines Regierungspräsidenten bzw. eines Regierungsvizepräsidenten. X. Interpellation wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit der Personalveränderungen im Kultusministerium. XI. Offener Brief des Rechtsanwalts Besold an den Herrn Ministerpräsidenten. XII. Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund im kommenden Haushaltsjahr. XIII. Dinkelsbühler Schulfall. XIV. Rücksprache des Landesvorsitzenden der CSU, Dr. Seidel, beim Herrn Ministerpräsidenten. XV. Verhandlungen im Ausschuß für die Staatsvereinfachung im Bayerischen Landtag.

I.Entwurf einer Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesvertriebenengesetzes1

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, eine Überprüfung der Rechtsgrundlage der Verordnung habe ergeben, daß ein Gesetz zur Regelung der Materie nicht erforderlich sei, sondern eine Verordnung ausreiche. Es empfehle sich allerdings, in der Einleitung der Verordnung Art. 77 Abs. 1 Satz 2 BV2 als zusätzliche Ermächtigungsgrundlage anzuführen.

Auch schlage die Staatskanzlei vor, § 5 Satz 2 zu streichen, da es nicht zweckmäßig erscheine, die Verpflichtung der Staatsregierung zur Auskunftserteilung ausdrücklich in der Verordnung niederzulegen. Schließlich sollten in § 5 die Worte „die Staatsregierung“ jeweils durch die Worte „das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge“ ersetzt werden, da der Beirat bei diesem Ministerium und nicht bei der Staatsregierung gebildet werde.

Staatsminister Zietsch erklärt hierauf, er habe gegen die Verordnung keine Bedenken, doch wolle er klargestellt wissen, daß der Fortbestand des Hauptausschusses durch die Fassung des § 4 nicht für alle Zukunft festgelegt werde.

Staatsminister Stain erklärt hierauf, er teile die Auffassung des Herrn Staatsministers der Finanzen und beabsichtige, dem § 4 eine Fassung zu geben, die die Häufigkeit der Sitzungen beschränke.

Der Ministerrat stimmt hierauf der Verordnung nach Maßgabe der vom Herrn Ministerpräsidenten vorgeschlagenen Änderungen und mit der Einschränkung zu, daß § 4 bezüglich der Einberufung zu Sitzungen elastischer gefaßt wird.3

II.Entwurf einer Verordnung zum Vollzug des Bundesfernstraßengesetzes4

Ministerpräsident Dr. Hoegner berichtet kurz über den Inhalt der Verordnung. Er schlägt vor, in § 5 an die Stelle der Worte „mit dem Tage der Veröffentlichung“ den Tag des Inkrafttretens selbst zu setzen.

Der Ministerrat stimmt hierauf der Verordnung zu mit der Maßgabe, daß in § 5 an die Stelle, der Worte „mit dem Tage der Veröffentlichung“ gesetzt wird: „1. November 1955“.5

III.Antrag der Landtagsfraktion der FDP vom 27. September 1955 betr. Verkauf der Beteiligung der Bayernwerk AG an bayerischen Überlandwerken6

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, der Antrag der Landtagsfraktion der FDP betreffend den Verkauf der Beteiligung der Bayernwerk AG an bayerischen Überlandwerken werde voraussichtlich zurückgezogen werden.7 Eine Behandlung des Antrags erübrige sich daher.

Staatsminister Bezold bestätigt die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten, wonach eine Zurückziehung des Antrags wahrscheinlich sei.

IV.Elektrifizierung der Bahnstrecke RegensburgPassau und Autobahnbau in Bayern8

Staatsminister Zietsch berichtet bezüglich der Besprechungen mit der Bundesbahn, diese seien noch nicht zum Abschluß gekommen.

Bayern sei bereit, für die Elektrifizierung der Strecke RegensburgPassau einen Betrag von 20 bis 22 Mio DM vorschußweise zur Verfügung zu stellen, jedoch mit der Einschränkung, daß dieser Betrag nur zur Errichtung der Anlagen, nicht aber zur Beschaffung von rollendem Material verwendet werden dürfe. Die Besprechungen hätten noch nicht abgeschlossen werden können, da die Bundesbahn nur 5%ige Schuldscheine geben wolle, während das Land Bayern auf 5 ½%igen Schatzanweisungen bestehen müsse, um seine Forderung gegen die Bundesbahn bei Bedarf flüssig machen zu können.

Am 20. Oktober soll eine weitere Besprechung stattfinden.

Der Präsident der Bundesbahndirektion Regensburg habe ihn heute bereits auf die Angelegenheit hin angesprochen. Er habe ihm zugesichert, von sich aus beim Vorstand der Bundesbahn vorstellig werden zu wollen, daß dieser nachgebe und dem Land Bayern Schatzanweisungen zur Verfügung stelle. Wenn der für die Bundesbahn verhandelnde Vizepräsident von Amon auch bei der Besprechung am 20. Oktober nicht bereit sei, Schatzanweisungen zu geben, so beabsichtige er, der Finanzminister, auf dem Weg über Bundestagsabgeordnete eine Verwirklichung des Vorhabens herbeizuführen.

Der Ministerrat nimmt von den Ausführungen des Herrn Staatsministers der Finanzen zustimmend Kenntnis.

Staatsminister Zietsch fährt fort, was den Autobahnbau betreffe, so sei im Haushaltsplan des Bundes für 1956 ein entsprechender Betrag für den Beginn der Strecke WolnzachRegensburg vorgesehen. Auch hier sei das Land Bayern zur Vorfinanzierung bereit, so daß die beabsichtigte Maßnahme frühestens in zwei und spätestens in drei Jahren zu Ende geführt werden könne. Da für einen Kilometer durchschnittlich 1 Mio DM benötigt werde und im Jahr etwa 10 km gebaut werden sollten, so benötige man je Jahr 10 Mio DM.

Auch insoweit stimmt der Ministerrat den Ausführungen des Herrn Staatsministers der Finanzen zu.9

V.Personalangelegenheiten

1. Staatsminister Dr. Geislhöringer teilt mit, daß Vizepräsident Bayer von der Regierung von Unterfranken am l. April des nächsten Jahres in den Ruhestand trete. Er habe bereits jetzt um eine Verlängerung seiner Amtszeit mit der Begründung nachgesucht, er sei politisch Verfolgter.

Der Ministerrat stellt hierauf fest, daß bei Vizepräsident Bayer eine politische Verfolgung nicht vorliegt und daß daher eine Verlängerung seiner Amtszeit nicht in Betracht kommt.

2. Neubesetzung der Stelle des Direktors des Juliusspitals10

Staatsminister Dr. Geislhöringer berichtet, daß der Direktor des Juliusspitals demnächst in den Ruhestand trete. Er habe als Nachfolger einen Beamten seines Ministeriums in Aussicht genommen.

Der Ministerrat beschließt hierauf, die Amtszeit des jetzigen Inhabers der Stelle nicht zu verlängern, jedoch über die Neubesetzung der Stelle heute noch keinen Beschluß zu fassen.11

VI.Miete eines Egerländer Zimmers im Neuen Schloß Bayreuth12

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt dem Ministerrat Kenntnis von einem Schreiben des Bundesministers Seebohm. In diesem Schreiben werde über die Schlösserverwaltung Klage geführt, weil sie das Egerländer Zimmer im Neuen Schloß Bayreuth, das zu einem Egerländer Museum ausgestaltet worden sei, gekündigt habe.13

Staatsminister Zietsch, dem Ministerpräsident Dr. Hoegner das Schreiben übergibt, sichert eine wohlwollende Überprüfung der Angelegenheit zu.

VII.Änderung des Grundgesetzes

Ministerpräsident Dr. Hoegner berichtet über Bestrebungen, die landsmannschaftliche Gliederung und das Erfordernis der Zustimmung der Landesregierungen bei der Ernennung der Wehrbereichskommandeure im Grundgesetz zu verankern und eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zu beantragen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner weist darauf hin, daß auch die Weimarer Verfassung bereits entsprechende Bestimmungen enthalten habe. Er bitte die Staatsregierung um eine grundsätzliche Stellungnahme zu der Frage, ob von Bayern aus eine solche Änderung des Grundgesetzes unterstützt werde.

Der Ministerrat beschließt hierauf mit Mehrheit, eine Änderung des Grundgesetzes dahingehend zu unterstützen, daß die landsmannschaftliche Gliederung der Streitkräfte, ähnlich wie in der Weimarer Verfassung, und das Zustimmungsrecht der Landesregierungen bei der Ernennung der Wehrbereichskommandeure verfassungsrechtlich festgelegt wird.

VIII.Strafgerichtliche Verfahren

a) Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, Landgerichtsdirektor Schmidt habe als Vorsitzender einer Strafkammer des Landgerichts Ansbach in einem Strafverfahren gegen die Mitglieder eines rechtswidrigen Standgerichts geäußert, die von dem Standgericht zum Tode Verurteilten hätten ihre Erschießung dadurch selbst verschuldet, daß sie Angehörige der Hitlerjugend entwaffnet hätten.14

Staatsminister Dr. Koch erklärt hierzu, der Fall sei ihm bekannt, bei Schmidt handle es sich um einen früheren Ludendorff-Anhänger,15 dessen politische Einstellung ihm schon wiederholt aufgefallen sei. Doch sei Schmidt ein unabhängiger Richter und ein Dienststrafverfahren wegen dieser Äußerung verspreche keinen Erfolg. Er beabsichtige, mit Schmidt in der gebotenen Form selbst zu sprechen.

Der Ministerrat billigt die Ausführungen des Herrn Staatsministers Dr. Koch und bittet ihn, eine Überprüfung zu veranlassen.16

b) Ministerpräsident Dr. Hoegner erwähnt, in dem neuen Huppenkothen-Prozeß17 habe einer der Verteidiger18 eine neue Dolchstoß-Legende aufgestellt.19 Es frage sich, ob über die Anwaltskammer gegen ihn in irgendeiner Weise vorgegangen werden solle.20

Staatsminister Dr. Koch erwähnt hierzu, der Staatsanwalt sei der Äußerung des Verteidigers sofort in überzeugender Weise entgegengetreten. Er halte es nicht für empfehlenswert, in der Angelegenheit irgendetwas zu unternehmen, da der Vorfall sonst erst in weiten Kreisen bekannt werde.

Der Ministerrat erklärt hierauf sein Einverständnis dazu, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

IX.Beschlüsse der Bezirkstage Schwaben und Niederbayern zur Neubestellung eines Regierungspräsidenten bzw. eines Regierungsvizepräsidenten21

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest die Schreiben, die der Vorsitzende des Bezirkstages Schwaben zur Frage der Ernennung des Ministerialrats Dr. Fellner zum Regierungspräsidenten in Augsburg und der Bezirkstag in Regensburg zur Frage der Bestellung des Ministerialrats Dr. Hopfner zum Regierungsvizepräsidenten von Niederbayern an ihn gerichtet haben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt hierzu, was den Fall Niederbayern betreffe, so könne dem Bezirkstag überhaupt ein Recht nicht zugestanden werden, da die Bezirksordnung eine Äußerung des Bezirkstags nur bei der Ernennung des Regierungspräsidenten, nicht aber auch des Vizepräsidenten vorsehe.

Was den Fall Augsburg betreffe, so lege der Bezirkstag den Begriff des „Benehmens“ falsch aus. Das Wort „Benehmen“ bedeutet nur, daß der Bezirkstag gehört werden müsse, dagegen bedeute es nicht das Erfordernis seiner Zustimmung. Vollständig abwegig sei die Meinung des Bezirkstages, die Staatsregierung hätte mehrere Vorschläge zu unterbreiten, von denen der Bezirkstag einen auswählen könne.22

Staatsminister Dr. Geislhöringer berichtet über die Vorgeschichte dieser Schreiben und die politischen Hintergründe. Er weise insbesondere daraufhin, daß er in Augsburg bereits vor dem offiziellen Schreiben der Staatsregierung mit dem Vorsitzenden und einzelnen Mitgliedern des Bezirkstages Fühlung aufgenommen und die Herren von der Absicht der Staatsregierung unterrichtet habe, Dr. Fellner zum Regierungspräsidenten zu ernennen.

Staatsminister Bezold erklärt, seine Partei sei nunmehr der Auffassung, daß die Stellen der Regierungspräsidenten mit Berufsbeamten zu besetzen seien; der Vorschlag Meyer-Falkenberg werde daher zurückgezogen.

Der Ministerrat faßt hierauf folgende Beschlüsse:

a) Der Herr Staatsminister des Innern wird beauftragt, dem Bezirkstag von Schwaben mitzuteilen, daß nach Art. 31 der Bezirksordnung die Staatsregierung nicht verpflichtet ist, dem Bezirkstag drei Vorschläge zu unterbreiten, aus denen der Bezirkstag einen auswählen könne.23 Der Ausdruck „im Benehmen“ in Art. 31 der Bezirksordnung bedeutet vielmehr, daß die Entscheidung über die Ernennung allein der Staatsregierung zukommt und die Zustimmung des Bezirkstages nicht erforderlich ist. Der Bezirkstag wird aufgefordert, bis zum 1. Dezember 1955 sich über die sonstigen Gründe zu äußern, aus denen Ministerialrat Dr. Fellner als Regierungspräsident für Augsburg abgelehnt wird.24

b) Der Herr Staatsminister des Innern wird beauftragt, dem Bezirkstag von Niederbayern eine Rechtsbelehrung zu erteilen, wonach dem Bezirkstag bei der Ernennung des Regierungsvizepräsidenten keinerlei Rechte zustehen. Im übrigen überläßt es der Ministerrat dem Herrn Staatsminister des Innern, den Ministerialrat Dr. Hopfner in eigener Zuständigkeit zum Regierungsvizepräsidenten von Niederbayern zu ernennen.

Ernennung

X.Interpellation wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit der Personalveränderungen im Kultusministerium25

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt dem Ministerrat mit, daß die Interpellation wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit der Personalveränderungen im Staatsministerium für Unterricht und Kultus eingelaufen sei.26

XI.Offener Brief des Rechtsanwalts Besold an den Herrn Ministerpräsidenten

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest den offenen Brief, den Rechtsanwalt Besold an ihn gerichtet hat, weil er bei einer CSU-Versammlung von Mitgliedern der Bayernpartei belästigt worden sei.27

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt hierauf dem Ministerrat mit, er überlege sich, ob er den Brief überhaupt beantworten solle, wenn er ihn beantworte, so werde er Rechtsanwalt Besold lediglich mitteilen, daß weder der Ministerpräsident noch die Staatsregierung über Abgeordnete irgendein Aufsichtsrecht ausüben könnten, und daß er seine Beschwerde wegen des angeblich unzulänglichen polizeilichen Schutzes bei der fraglichen Versammlung an die Stadtverwaltung München richten müsse, welche für den polizeilichen Schutz der Versammlung ausschließlich zuständig gewesen sei.

Der Ministerrat billigt die Auffassung des Herrn Ministerpräsidenten.

Der Herr Ministerpräsident übergibt das Schreiben des Rechtsanwalts Besold dem Herrn Staatsminister des Innern.

XII.Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund im kommenden Haushaltsjahr

Staatsminister Zietsch berichtet, im nächsten Finanzausschuß des Bundesrats werde die Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund im Haushaltsjahr 1956 behandelt. Nach seiner Überzeugung sollte Bayern auf jeden Fall daran festhalten, daß der Bund auch im neuen Haushaltsjahr nur 33⅓ % des Steueraufkommens der Länder erhalte.

In einer Sitzung des Unterausschusses des Vermittlungsausschusses sei die endgültige Verteilung der Steuern nach Art. 107 behandelt worden. In der Sitzung sei beschlossen worden, die Einkommen- und Körperschaftsteuer für Bund und Länder getrennt zu erheben, so daß die Zustimmungspflicht der Länder bezüglich der Bundeseinkommensteuer nicht mehr erforderlich sei, eine solche Lösung widerspreche den Interessen der Länder. In der erwähnten Sitzung seien nun vom Vertreter des Bundesjustizministeriums verfassungsrechtliche Gedankengänge vorgetragen worden, die die Rechtslage in einem neuen Lichte erscheinen ließen. Danach würde dann, wenn eine besondere Bundeseinkommen- und Körperschaftsteuer erhoben werde, Art. 108 Abs. 3 GG nicht mehr anwendbar sein.28 Ebenso könne bei einer solchen gesetzlichen Regelung die vom Bundesfinanzminister erstrebte Revisions- und Sicherungsklausel nicht mehr aufgenommen werden, vielmehr sei dann eine Revision nicht mehr möglich. Auf Grund dieser Ausführungen des Vertreters des Bundesjustizministeriums seien die Bundestagsabgeordneten in ihrer Auffassung wankend geworden.

Ein Abgeordneter habe dann die Frage aufgeworfen, was geschehe, wenn das Gesetz nicht bis zum 31. Dezember 1955 verabschiedet werde. Man habe dazu festgestellt, daß ein Weg darin bestehe, die Frist durch qualifizierte Mehrheit des Bundestags im Wege der Verfassungsänderung zu verankern; geschehe das nicht, so könne nach dem 31. Dezember 1955 im Wege eines einfachen Bundesgesetzes der endgültige Finanzausgleich nicht mehr geregelt werden, vielmehr werde dann der bisherige Zustand weiter andauern.

Der Vertreter des Bundesfinanzministeriums habe einer Verlängerung der Frist um vier Jahre zugestimmt. Für die Länder sei es wohl das beste, von einer ausdrücklichen Verlängerung der Frist abzusehen und diese verstreichen zu lassen, ohne etwas zu tun. Denn mit der gegenwärtigen Regelung fahre man immer noch am besten, da die vom Bundestag angestrebte Regelung länderfeindlich sei und daher ein endgültiges Gesetz nach Art.107 gegenüber der jetzigen Regelung nur immer eine Verschlechterung bringen könne.

Der Ministerrat billigt hierauf die Auffassung des Herrn Staatsministers der Finanzen und ermächtigt ihn, im Finanzausschuß des Bundesrats im Sinne der von ihm vorgetragenen Vorschläge zu verhandeln.

XIII.Dinkelsbühler Schulfall29

StaatsministerBezold berichtet, in dieser Woche finde in Dinkelsbühl eine Elternversammlung statt. Es empfehle sich daher, die Behandlung dieses Punktes noch zurückzustellen, bis das Ergebnis der Elternversammlung vorliege.

Der Ministerrat beschließt hierauf Zurückstellung.30

Bekenntnisschule

XIV.Rücksprache des Landesvorsitzenden der CSU, Dr. Seidel, beim Herrn Ministerpräsidenten

Ministerpräsident Dr. Hoegner berichtet dem Ministerrat von einer Besprechung, die er mit dem Landesvorsitzenden der CSU, Staatsminister a.D. Dr. Seidel, geführt hat. Die Besprechung habe der Klarstellung der Haltung der Opposition in der Pfalzfrage,31 der Wehrfrage und der Verwaltungsvereinfachung32 gedient. Der Verlauf der Besprechung habe ergeben, daß die Opposition in den beiden ersten Fragen mit der Regierung einig gehe und sowohl in Bayern als auch in Bonn die Politik der Bayerischen Staatsregierung unterstützen werde. Dagegen habe Dr. Seidel zu erkennen gegeben, daß die CSU in der Frage der Verwaltungsvereinfachung ihren eigenen Weg gehen wolle.33

XV.Verhandlungen im Ausschuß für die Staatsvereinfachung im Bayerischen Landtag

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, er mißbillige den Beschluß des Vereinfachungsausschusses, die Legislaturperiode des Landtags von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Er trage grundsätzliche Bedenken gegen eine Verfassungsänderung; hinzu komme, daß Bayern damit eine Regelung treffen würde, die im Widerspruch zu den Regelungen aller anderen Bundesländer stehen würde; schließlich bestehe bei einer Verfassungsänderung, die die Wahlperiode des Landtags zum Gegenstand habe, die Gefahr der Einführung des Mehrheitswahlrechts. Dagegen bestünden keine Bedenken, wenn das Wahlgesetz geändert werde.

Der Ministerrat nimmt die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten zustimmend zur Kenntnis,

für Verwaltungsvereinfachung

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt dem Ministerrat mit, daß er für 31. Oktober 1955, 18 Uhr, einen ao. Ministerrat über politische Fragen anberaumt.

Zur Sitzung sollen die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien um 19 Uhr zugezogen werden.

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats in Vertretung gez.: Kellner Reierungsdirektor
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei verreist gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär