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Nr. 46MinisterratssitzungDienstag, 20. September 1955 Beginn: 9 Uhr Ende: 11 Uhr 15
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Kultusminister Rucker, Wirtschaftsminister Bezold, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium). Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Herr Pfefferkorn (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Finanzminister Zietsch, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium).

Tagesordnung:

I. Dringlichkeitsantrag der Landtagsfraktion der Christlich Sozialen Union vom 15. September 1955. II. Entwurf einer Verordnung über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. III. Finanzierung des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge. IV. Entwurf eines Bundesleistungsgesetzes; hier: Bestimmung der Anforderungsbehörden und der Festsetzungsbehörden in den Ländern. V. Ausbau des Lechs bei Schongau. VI. Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge. VII. a) Neufassung des bayerischen Forstgesetzes. b) Individuelle Privatwaldbetreuung. VIII. Schiedsverfahren in Sachen Richard-Pflaum-Verlag gegen den Freistaat Bayern wegen Kündigung des Vertrags vom 29. April 1955 über den Ausbau des Staatsanzeigers zu einer Staatszeitung. I X. Vergnügungssteuer für Amateur-Sportveranstaltungen. X. Personalangelegenheiten. XI. Umbenennung der „Ordensburg Sonthofen. XII. Institut für Atomforschung. XIII. Milchpreisfrage. XIV. Spielbanken. XV. Einladungen, Veranstaltungen usw..

I.Dringlichkeitsantrag der Landtagsfraktion der Christlich Sozialen Union vom 15. September 19551

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß dieser Punkt der Tagesordnung bereits in der gestrigen Sondersitzung2 erledigt worden sei und heute nicht mehr erörtert werden müsse.3

II.Entwurf einer Verordnung über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft4

Ministerpräsident Dr. Hoegner erkundigt sich, ob nunmehr eine endgültige Einigung zwischen den Herren Staatsministern Dr. Koch und Dr. Baumgartner zustande gekommen sei.

Staatsminister Dr. Baumgartner erklärt, im Hinblick auf die von Herrn Staatsminister Dr. Koch in Aussicht gestellte Neuregelung des Forststrafrechts ziehe er seine Bedenken zurück und stimme der Verordnung in der vom Staatsministerium der Justiz vorgelegten Form zu.

Staatsminister Dr. Koch kommt dann nochmals auf die Präambel der Verordnung zu sprechen, in der es heiße, daß auf Grund des § 152 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG )5 und des § 29 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten6 die Bayerische Staatsregierung im Einvernehmen mit dem Bayer. Staatsministerium der Justiz die Verordnung erlasse. Im Ministerrat vom 6. September 1955 sei beschlossen worden, aus der Präambel die Worte „im Einvernehmen mit dem Bayer. Staatsministerium der Justiz“ zu streichen. Im Hinblick auf § 152 Abs. 2 GVG habe er aber doch ernstliche Bedenken gegen diese Streichung und rege deshalb an, entweder dem Beispiel der übrigen Länder zu folgen und das Einvernehmen doch wieder aufzunehmen oder am Schluß der Verordnung einen Satz aufzunehmen, der besage, daß das Einvernehmen vorliege.

Ministerpräsident Dr. Hoegner meint, an sich habe der Ministerrat am 6. September 1955 vereinbart, in die Begründung aufzunehmen, daß dem Erfordernis des § 152 Abs. 2 GVG Genüge getan sei; er könne sich aber auch damit einverstanden erklären, wenn ein entsprechender Satz am Schluß der Verordnung beigefügt werde.

Der Ministerrät faßt daraufhin folgenden Beschluß:

Der Verordnung über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft wird folgender Satz am Schluß angefügt:

„Das nach § 152 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes erforderliche Einvernehmen mit dem Bayer. Staatsministerium der Justiz liegt vor.“

Staatsminister Dr. Koch erinnert dann daran, daß der Ministerrat ebenfalls am 6. September 1955 beschlossen habe, den Eingangssatz des Abs. 2 des § 4 des Entwurfs abzuändern. Ursprünglich habe er wie folgt geheißen:

„Gleichzeitig treten alle Vorschriften außer Kraft, welche die Bestellung von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zum Gegenstand haben, insbesondere …“

während es jetzt nur laute:

„Gleichzeitig treten außer Kraft“, worauf dann die einzelnen Verordnungen und Bekanntmachungen aufgezählt würden. Die anderen Länder hätten darauf verzichtet, die außerkraft tretenden Vorschriften einzeln aufzuführen, sondern sich mit einem allgemeinen Satz begnügt. Wenn man so verfahre, sei es Sache der Richter, festzustellen, welche Vorschriften wegfielen. Das Bayer. Staatsministerium der Justiz habe sich sorgfältig bemüht, die außer Kraft tretenden Vorschriften erschöpfend aufzuzählen, eine völlige Sicherheit bestehe aber nicht. Dies könne den Nachteil mit sich bringen, daß die Verordnung später nochmals abgeändert werden müsse. An sich sei es durchaus möglich, in § 4 Abs. 2 nur eine Generalklausel aufzunehmen und die Bereinigung der Kommission zur Gesetzesbereinigung zu überlassen.

Das Wort „insbesondere“ bringe zweifellos eine gewisse Unsicherheit in die Rechtssprechung, da der einzelne Richter über die Liste der 27 aufgehobenen Vorschriften hinaus weiter prüfen müsse, ob evtl. noch andere Vorschriften außer Kraft getreten seien. Wenn aber das Wort „insbesondere“ wegfalle, müsse eine andere Formulierung des § 4 Abs. 2 gefunden werden, etwa folgendermaßen:

„Gleichzeitig treten alle Vorschriften außer Kraft, welche die Bestellung von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zum Gegenstand haben. Folgende Vorschriften werden aufgehoben:“

Ministerpräsident Dr. Hoegner empfiehlt auf alle Fälle das Wort „insbesondere“ zu streichen, da es den Grundsätzen der Gesetzesbereinigung widerspreche, wenn man die außerkrafttretenden Vorschriften aufzähle und doch noch die endgültige Überprüfung dem Richter überlasse. Aller Wahrscheinlichkeit nach sei das Verzeichnis des § 4 Abs. 2 erschöpfend, wenn dies nicht der Fall sei, könnte kein besonderer Schaden entstehen. Er sei deshalb nach wie vor dafür, das Wort „insbesondere“ zu streichen, vielleicht könne man aber dem Vorschlag des Herrn Staatsministers Dr. Koch folgen.

Nach kurzer Aussprache faßt der Ministerrat folgenden Beschluß:

§ 4 Abs. 2. erhält folgende Fassung:

„Gleichzeitig treten folgende Vorschriften außer Kaft:“

worauf dann die in dem Entwurf enthaltene Aufzählung im einzelnen folgt.7

VO über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft vom 22. September 1955

III.Finanzierung des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge

Ministerpräsident Dr. Hoegner weist darauf hin, daß die Bundesregierung, vertreten durch den Herrn Bundeskanzler und die Herren Bundesminister Schäffer, Dr. Preusker und Dr. Oberländer, den Vertretern der Länder, u.a. den Herren Ministerpräsidenten Altmeier und Dr. Müller, eine Vereinbarung hinsichtlich der Finanzierung des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge vorgeschlagen und um die Zustimmung der Länder gebeten habe.

Zweck der Vereinbarung sei, die seit langem zwischen dem Bund und den Ländern strittigen Finanzierungsfragen zu lösen.

Gegenüber der bisherigen Läge ergäben sich nach der Vereinbarung folgende Änderungen:

1. Für die alleinstehenden Jugendlichen bis zu 24 Jahren werden Wohnungsbaumittel des Bundes rückwirkend etwa ab 1. Februar 1955 nicht zur Verfügung gestellt.

2. Bei der Zuweisung der Mittel wird nicht mehr unterschieden zwischen Sowjetzonenflüchtlingen, die auf Grund eines Rechtsanspruchs in die Bundesrepublik gekommen sind oder im Wege des Ermessens übernommen wurden und solchen, die sich illegal in Berlin aufhalten und von den Ländern übernommen werden (insofern werde die bisher bestehende Streitfrage zu Gunsten der Länder entschieden).

3. Mit der sofortigen Bereitstellung des Restbetrags aus dem Haushalt 1955/56 von 68,6 Mio DM sollen alle Forderungen der Länder bis zum 31. März 1955 abgegolten sein. Für die Zeit vom 1. April 1955 bis 31. März 1956 sollen die Mittel im Haushaltsplan 1956/57 – also nachträglich – veranschlagt werden.

4. Die Frage der sog. Aussiedler (Südost-Deutsche) wurde ausgeklammert.

In einer Sitzung der zuständigen Länderminister am 29. August 1955 sei empfohlen worden, dem Vorschlag grundsätzlich zuzustimmen, der gleichen Auffassung seien auch die Staatsministerien des Innern, der Finanzen und für Arbeit und soziale Fürsorge. Das Staatsministerium des Innern schlage allerdings noch vor, der Ministerrat möge einen inhaltlich gleichen Beschluß wie die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen fassen, der dahin gehe, daß als Voraussetzung der in Ziff. 4 der Vereinbarung vorgeschlagenen Verhandlungen eine Klärung des Begriffs der „Rückwanderer und in die sowjetische Besatzungszone Umziehenden“ erforderlich sei.

Staatssekretär Weishäupl bittet um Zustimmung des Ministerrats, da der Entwurf insofern eine Klarstellung bringe, als der Bund nunmehr anerkenne, daß er für jeden Sowjetzonenflüchtling einen Wohnungsbaubeitrag zu leisten habe. Dies sei bekanntlich bisher vom Bundesfinanzministerium bestritten worden. Wenn das Staatsministerium der Finanzen meine, es werde immer strittig sein, ob die angegebene Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge zutreffe oder nicht, so sei dies richtig, um diese Tatsache komme man aber nicht herum.

Die Vereinbarung sei für die Länder zweifellos günstig, wenn sie auch einen gewissen Nachteil für die alleinstehenden Jugendlichen bis 24 Jahre bringe. Diese seien mehr oder weniger auf sich allein gestellt, in einem ganz anderen Maße, als es bei Jugendlichen aus der Bundesrepublik der Fall sei.

Von den Mitteln in Höhe von 68,6 Mio DM werde auf Bayern ein Anteil von etwa 7 Mio DM entfallen, womit 1190 Wohnungen zusätzlich gefördert werden könnten.

Die Vereinbarung stelle alles in allem einen großen Fortschritt dar, da mit ihr die Leistungspflicht des Bundes festgestellt und ein langwieriger Streit beendet werde.

Der Ministerrat faßt daraufhin folgenden Beschluß:

1. Die Bayerische Staatsregierung erklärt ihre Zustimmung zu der am 7. Juli 1955 vorgeschlagenen Vereinbarung.

2. Der von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gefaßte Beschluß hinsichtlich der in Ziff. 4 der Vereinbarung vorgeschlagenen Verhandlungen wird von der Bayer. Staatsregierung unterstützt.

IV.Entwurf eines Bundesleistungsgesetzes; hier: Bestimmung der Anforderungsbehörden und der Festsetzungsbehörden in den Ländern8

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, im Regierungsentwurf des Bundesleistungsgesetzes sei vorgesehen, daß die Anforderungsbehörden (§ 5) sowie die Festsetzungsbehörden (§ 49) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bestimmt würden, wobei aber nicht ausgeschlossen werde, daß auch Bundesbehörden bestimmt werden könnten. Der Bundesrat habe demgegenüber in seiner Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG vorgeschlagen, daß diese Behörden durch Rechtsverordnung der Landesregierungen bestimmt würden, womit gewährleistet sei, daß nur Landesbehörden in Betracht kämen.9

Für die Weiterbehandlung des Entwurfs sei es notwendig, daß schon jetzt grundsätzlich beschlossen werde, welche Behörden der Länder zu Anforderungs- und Festsetzungsbehörden bestimmt würden. Keine Meinungsverschiedenheit bestehe in Bayern darüber, daß Anforderungsbehörden die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung sein sollten. Dagegen sei keine Einigung zwischen den Staatsministerien des Innern und der Finanzen hinsichtlich der Festsetzungsbehörden zustande gekommen.

Staatsminister Dr. Geislhöringer tritt dafür ein, daß die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung als Festsetzungsbehörden bestimmt würden, in erster Linie im Hinblick auf den Grundsatz der Einheit der Verwaltung. Im einzelnen verweise er auf die Note des Staatsministeriums des Innern vom 2. August 1955.10

Staatssekretär Vetter fügt hinzu, es sei nicht zweckmäßig, wenn zwei verschiedene Behörden in der gleichen Sache tätig würden.

Staatssekretär Dr. Panholzer entgegnet, das Finanzministerium halte die Trennung der Aufgaben der Anforderungs- und der Festsetzungsbehörden im Interesse der Finanzgebarung für zweckmäßig, ganz abgesehen davon, daß die 15 Besatzungskostenämter in Bayern gleichmäßig und reibungslos die Festsetzung durchführen könnten. Die Besatzungslastenverwaltung in Bayern arbeite ausgezeichnet und könne aller Voraussicht nach die Aufgaben der Festsetzungsbehörden rasch und zweckmäßig erfüllen.

Ministerialrat Dr. Gerner macht darauf aufmerksam, daß das fiskalische Interesse dadurch gewährleistet sei, daß bei den Verhandlungen vor den Festsetzungsbehörden ein Vertreter des Finanzministeriums beteiligt sein müsse.

Nach kurzer Aussprache faßt der Ministerrat gegen eine Stimme folgenden Beschluß:

Der Ministerrat ist damit einverstanden, daß Festsetzungsbehörden die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung sein sollen.11

Bundesleistungsgesetz vom 19. Oktober 1956

V.Ausbau des Lechs bei Schongau12

Ministerpräsident Dr. Hoegner nimmt Bezug auf die Besichtigung des Lechs bei Schongau durch den Ministerrat und erklärt, er neige für seine Person dazu, dem Ausbau der Stufe 6 unmittelbar oberhalb Schongaus den Vorzug zu geben. Seiner Meinung nach sei die Stufe 5 landschaftlich schöner und schutzwürdiger; auf den Ausbau der Stufe 5 solle daher verzichtet werden.13

Bei der Besichtigung habe es sich als notwendig herausgestellt, noch ein Gutachten der Obersten Baubehörde einzuholen, zumal Ministerialdirigent Krauss eine Senkung des von der BAWAG beantragten Aufstaues des Lechs um 3 Meter vorschlage.

Staatsminister Dr. Geislhöringer bezweifelt, ob diese Senkung sich durchführen lasse. Der sofortige Ausbau der Wasserkraftwerke am Lech sei unbedingt erforderlich, da der jährliche Zuwachs beim Energieverbrauch sich auf 10–12% belaufe und Bayern nicht ständig so viel Strom von außerhalb des Landes einführen könne. Dazu kämen noch die Rechtsfragen, die sich aus dem zweifellos bestehenden Vertrag zwischen der BAWAG und dem Bayerischen Staat ergeben;14 bekanntlich seien an der BAWAG die VIAG, das RWE und der Bayerische Staat zu je ⅓ beteiligt.

Die geplanten Lechstufen seien auch preislich am günstigsten, der Strom werde dort zu einem erheblich niedrigeren Preis als bei anderen Werken abgegeben werden können. Auch wirtschaftlich gesehen müsse deshalb der Ausbau möglichst beschleunigt werden. Den geplanten Aufstau um 3 Meter zu senken, halte er nicht für zweckmäßig, da dies für die Landschaft nicht viel bedeute, wirtschaftlich aber sehr ins Gewicht falle und den beabsichtigten Zweck in Frage stelle.

Staatsminister Bezold erklärt, keine Einwendungen gegen ein Gutachten der Obersten Baubehörde erheben zu wollen. Allerdings könne ein solches Gutachten dem Ministerrat die Entscheidung und Verantwortung nicht abnehmen. Die bayerische Wirtschaft benötige dringend zusätzlichen Strom, der keinesfalls verteuert werden dürfe. Es sei Aufgabe der Staatsregierung, mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß billiger Strom produziert werde. Die Staustufe 6 sei dazu nur dann in der Lage, wenn der Aufstau, so wie er vorgesehen und geplant sei, durchgeführt werde. Er halte es für unzweckmäßig, nicht alle technischen Möglichkeiten des Roßhauptener Speichers auszuschöpfen, dazu gehöre aber auch ein möglichst hoher Aufstau.

Der vielfach gebrauchte Hinweis auf kommende Atomkraftwerke greife nicht durch, da mit ihrer Hilfe jedenfalls kein Spitzenstrom erzeugt werden könne. Außerdem sei nicht abzusehen, was der Strom aus Atomkraftwerken kosten werde, zumindest nicht in den ersten Jahren und Jahrzehnten. Die Lechstufen aber erzeugten auf alle Fälle billigen Strom, deshalb müsse es auch der BAWAG überlassen bleiben, welche Staustufe sie zunächst errichten wolle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner entgegnet, der Ministerrat habe in der ersten Sitzung, in der der Ausbau des Lechs besprochen worden sei, allein gegen die Stimme des Herrn Innenministers beschlossen, die Gesichtspunkte des Naturschutzes in den Vordergrund zu stellen und vereinbart, das Gebiet an Ort und Stelle zu besichtigen. Zweifellos handle es sich hier um das letzte Stück bayerischer Urlandschaft, also um ein ideelles Gut, das durch die Verfassung geschützt sei und unbedingt erhalten werden müsse.15 Bayern verfüge in seinen landschaftlichen Schönheiten über ein Kapital, das andere Länder nicht hätten. Im übrigen habe er schon betont, daß er die Erhaltung der Stufe 5 für wichtiger halte als die der Stufe 6. Allerdings hätten sich die Vertreter Naturschutzes auf den gegenteiligen Standpunkt gestellt. Bei seiner Auffassung spielten die wirtschaftlichen Fragen eine ausschlaggebende Rolle, vor allem sei auch zu berücksichtigen, daß die Zukunft der Haindl’schen Papierfabrik bei Schongau davon abhängig sei. Um so notwendiger sei es aber, das andere Naturschutzgebiet bei der Stufe 5 zu erhalten.

Er bitte nun, die Aussprache aufzuschieben, bis das Gutachten der Obersten Baubehörde vorliege; auch die Behandlung der Rechtsfragen müsse wohl zurückgestellt werden.

Auf Frage von Ministerpräsident Dr. Hoegner spricht sich die Mehrheit der Herren Kabinettsmitglieder, die an der Besichtigung teilgenommen haben, für den Ausbau der Stufe 6 aus.

Staatssekretär Dr. Haas meint, vielleicht genüge es, den Staudamm um zwei Meter niedriger zu halten, damit das Lechknie erhalten bleibe.

Staatsminister Dr. Geislhöringer wendet ein, wenn die Staumöglichkeit nicht ausgenützt würde, verliere der Ausbau wesentlich an Wert. Gerade im Hinblick auf die Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung werde es dringend notwendig, den Strom für die Wintermonate durch Aufstauung der Flüsse im Sommer zu schaffen.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten faßt der Ministerrat daraufhin folgenden Beschluß:

Der Ministerrat beschließt, die Oberste Baubehörde um ein Gutachten über den Ausbau der Lechstufen oberhalb Schongaus zu ersuchen. Das Gutachten ist innerhalb eines Monats zu erstellen.16

In diesem Zusammenhang bemerkt Ministerpräsident Dr. Hoegner, wie er höre, sei beabsichtigt, in der Festschrift der Obersten Baubehörde zu deren 125jährigen Jubiläum17 unter den Namen der Leiter dieser Behörde auch Ministerialdirektor Arno Fischer aus der nationalsozialistischen Zeit aufzunehmen. Dagegen habe er größte Bedenken, zumindest halte er es für notwendig, diesen Namen nur mit einer entsprechenden Bemerkung aufzunehmen.18

Staatsminister Dr. Geislhöringer sichert zu, diese Angelegenheit nochmals überprüfen zu lassen.19

VI.Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge20

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, einem Beschluß des Ministerrats vom 31. Mai 1955 entsprechend habe das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr am 26. Juli 1955 nochmals die Vorschläge des Bundesministeriums für Verkehr zur Neukennzeichnung der Kraftfahrzeuge abgelehnt und den früheren bayerischen Vorschlag vom 13. September 1951 erneuert.21 Das Bundesverkehrsministerium halte nach wie vor an der Ablehnung der bayerischen Vorschläge fest und teile mit, es prüfe zur Zeit die Möglichkeit einer Verbesserung seiner eigenen Pläne und werde in Kürze eine Neufassung der Kennzeichenverordnung dem Bundeskabinett vorlegen.22 Das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr hält es in Übereinstimmung mit der Abt. III der Bayer. Staatskanzlei für aussichtslos, die bayerischen Vorschläge weiter zu verfolgen. Dagegen könne ein Verordnungsentwurf, der bei Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge auf die Länder überhaupt keine Rücksicht mehr nehme, vom Bundesrat abgelehnt werden. Zu überlegen wäre auch, ob der bayerische Vorschlag aus dem Jahre 1951, der tatsächlich nicht frei von Mängeln sei, überarbeitet und neu vorgelegt werden könne.

Der Ministerrat faßt daraufhin folgenden Beschluß:

Das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr wird ersucht, die vom Bundesministerium für Verkehr gerügten Mängel im bayerischen Vorschlag vom 13. September 1951 abzustellen und dem Ministerrat einen endgültigen Vorschlag zu unterbreiten, der gegenüber dem Bundesverkehrsministerium zu vertreten ist.

In der anschließenden Aussprache beantwortet Ministerpräsident Dr. Hoegner eine Anfrage des Herrn Staatsministers Dr. Baumgartner dahin, daß das Bundesverkehrsministerium die Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge nach seinen Vorschlägen vornehmen könne, wenn entsprechende Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats vorliegen. Wenn Bayern im Bundesrat überstimmt werden sollte, bestehe keine Möglichkeit mehr, gegen die Verordnung anzukämpfen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner verweist dann auf das Vorbild der Schweiz bei der Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge, das er für ausgezeichnet halte. Allerdings bitte er noch festzustellen, was die Anbringung von Wappen nach Schweizer Muster kosten werde.

Auch Staatsminister Dr. Baumgartner spricht sich für eine Regelung nach Schweizer Muster aus.

Das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr wird beauftragt, die Kosten für ein Kennzeichen nach Schweizer Muster zu ermitteln.23

KfZ-Kennzeichen

VII.a) Neufassung des bayerischen Forstgesetzes. b) Individuelle Privatwaldbetreuung24

Staatsminister Dr. Baumgartner ersucht, diesen Punkt der Tagesordnung bis zur nächsten Ministerratssitzung zurückzustellen.

Ursprünglich habe er bebsichtigt, die Behandlung des Forstrechtsgesetzes25 im Landtag abzuwarten, die Entscheidung verzögere sich aber dadurch, daß der Bund Einspruch eingelegt habe.26 Was die Privatwaldbetreuung betreffe, so werde demnächst ein Entwurf fertiggestellt sein.

Der Ministerrat beschließt, die Angelegenheit bis zur nächsten Sitzung vom 27. September 1955 zurückzustellen.

Staatssekretär Dr. Haas führt dann Klage darüber, daß die Ausarbeitung eines neuen Forstgesetzes, das unbedingt notwendig sei, nachdem das jetzt gültige aus dem Jahre 1852 stamme,27 von der Ministerialforstabteilung immer wieder hinausgezögert werde.

Staatsminister Dr. Baumgartner stimmt zu und weist darauf hin, daß dies zum Teil damit zusammenhänge, daß sich die Bayer. Staatskanzlei nicht an das Landwirtschaftsministerium, sondern nur an die Forstabteilung wende. Jedenfalls sei aber auch er der Auffassung, daß das Forstgesetz des Jahres 1852 neu gefaßt werden müsse.28

VIII.Schiedsverfahren in Sachen Richard-Pflaum-Verlag gegen den Freistaat Bayern wegen Kündigung des Vertrags vom 29. April 1955 über den Ausbau des Staatsanzeigers zu einer Staatszeitung29

Staatssekretär Dr. Haas berichtet, in der ersten Verhandlung am 13. September 1955 vor den vereinbarten Schiedsgericht habe der Vertreter des Richard-Pflaum-Verlags einen Vergleichsvorschlag gemacht, wonach der Vertrag vom 29. April 1950 bis zum 30. Juni 1956 aufrecht erhalten werden solle.30 Zunächst habe er diesem Vorschlag ablehnend gegenüberstanden, dann aber festgestellt, daß der Pflaum-Verlag insofern in einer günstigen Lage sei, als er nicht verpflichtet werden könne, die sogenannte Abonnentenkartei, der größte Bedeutung zukomme, unentgeltlich herauszugeben. Eine Anfrage bei der Post habe ergeben, daß auch die Post die Abonnenten der Staatszeitung dem Staat oder einem neuen Verlag nur mit Zustimmung des Pflaum-Verlags bekanntgeben könne.

Unter diesen Umständen sei es doch vielleicht richtig, einen Vergleich anzustreben, allerdings in der Weise, daß der Vertrag mit dem Richard-Pflaum-Verlag zum 1. Januar 1956 ende. Der Münchner Merkur und die Süddeutsche Zeitung seien bereit, eine GmbH zu errichten und die Staatszeitung gemeinsam herauszugeben. Beide Verlage seien auch damit einverstanden, bis zu einem Betrag vom 15 000 DM den Bayerischen Staat von seinen Verpflichtungen freizustellen, falls dieser eine Ablösungssumme an den Pflaum-Verlag zahlen müsse; vielleicht lasse sich erreichen, daß die Summe auf 20 000 DM erhöht werde.

Er schlage deshalb vor, einen Beschluß zu fassen, wonach bei Abschluß eines Vergleichs mit dem Richard-Pflaum-Verlag eine Ablösungssumme bis zu 20 000 DM bezahlt werden könne, vorausgesetzt, daß der Vertrag am 31. Dezember 1955 ende. Wenn auf dieser Grundlage keine Einigung zustande komme, müsse eben das Schiedsgericht entscheiden, das bekanntlich um eine Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der Kündigung per 1. Januar 1956 angegangen worden sei.

Der Ministerrat erklärt sich mit diesem Vorschlag einverstanden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß damit Herr Staatssekretär Dr. Haas die Möglichkeit habe, im Vergleichsweg einen Betrag bis zu 20 000 DM zuzugestehen, wobei 15 000 DM dieses Betrags von den künftigen Herausgebern der Staatszeitung getragen werden.31

Bayerische Staatszeitung

IX.Vergnügungssteuer für Amateur-Sportveranstaltungen32

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, daß sich der Bayer. Landessportverband darüber beschwere, daß nach dem neuen Entwurf des Vergnügungssteuergesetzes auch für Amateur-Sportveranstaltungen Vergnügungssteuer verlangt werde.33

Nach kurzer Aussprache wird folgender Beschluß gefaßt:

Der Ministerrat ist damit einverstanden, daß in Bayern wie in den übrigen deutschen Ländern Amateur-Sportveranstaltungen nicht unter die Vergnügungssteuer fallen. Der dem Bayer. Senat bereits vorliegende Entwurf eines Vergnügungssteuergesetzes34 ist entsprechend abzuändern.35

Vergnügungssteuergesetz vom 11. Juni 1958

X.Personalangelegenheiten

1. Ernennung des Ministerialdirigenten Ludwig Wambsganz zum Ministerialdirektor

Der Ministerrat beschließt einstimmig, den Leiter der Obersten Baubehörde, Ministerialdirigent Ludwig Wambsganz, mit Wirkung vom 1. Oktober 1955 zum Ministerialdirektor zu ernennen.

2. Versetzung des Ministerialdirigenten Dr. Kääb (Staatsministerium des Innern) in den Ruhestand36

Staatsminister Dr. Geislhöringer teilt mit, Ministerialdirigent Dr. Kääb werde im Oktober 1955 65 Jahre alt, so daß sich die Frage der Verlängerung seiner Dienstzeit ergebe. Er persönlich habe grundsätzlich Bedenken gegen jede Verlängerung. Als sein Nachfolger sei übrigens Ministerialrat Dr. Alexander Mayer vorgesehen.

Der Ministerrat beschließt mit Mehrheit, die Verlängerung der Amtszeit des Ministerialdirigenten Dr. Kääb abzulehnen.

XI.Umbenennung der „Ordensburg Sonthofen

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, das Bundesministerium für Verteidigung bitte die Bayer. Staatsregierung um ihre Zustimmung, daß die sogenannte „Ordensburg Sonthofen“ in „Generaloberst-Ludwig-Beck-Kaserne“ umbenannt werde.

Der Ministerrat beschließt, der vorgeschlagenen Umbenennung zuzustimmen.

XII.Institut für Atomforschung37

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, der Wiederaufbaureferent der Stadt München, Herr Stadtrat Helmut Fischer, habe ihm einen eingehenden Bericht über das geplante Institut für Atomforschung in München übersandt. Stadtrat Fischer empfehle übrigens im Hinblick auf die Bedenken der Industrie- und Handelskammer, deren Präsidenten Pfülf in die Atomkommission zu berufen. Er habe nun die Frage zu stellen, wann mit den Vorschlägen der Staatsministerien für Unterricht und Kultus und für Wirtschaft und Verkehr für die Zusammensetzung der Kommission gerechnet werden könne.

Staatsminister Rucker erwidert, er halte es für notwendig, in die Kommission 15–20 Persönlichkeiten zu berufen, von denen etwa zehn Wissenschaftler sein sollten.

Ministerpräsident Dr. Hoegner ersucht, die Vorschläge bald einzureichen und erklärt, das Schreiben des Herrn Stadtrats Fischer werde er an das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr herübergeben.

Übrigens werde vom 17. Oktober bis 9. November 1955 in München eine Ausstellung über Atomkraft stattfinden, er selbst könne an der Eröffnung nicht teilnehmen und würde den Herrn Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr bitten, die Vertretung der Staatsregierung zu übernehmen.

Staatsminister Bezold erklärt sich damit einverstanden.38

XIII.Milchpreisfrage39

Auf Vorschlag von Staatsminister Dr. Baumgartner wird beschlossen, die Besprechung dieser Angelegenheit vorerst zurückzustellen.40

XIV.Spielbanken41

Staatsminister Dr. Geislhöringer teilt mit, am nächsten Donnerstag werde im Wirtschaftsausschuß des Bayer. Landtags in Antrag des Abg. Meixner betr. Vorlage des Vertrags mit den Spielbanken behandelt. Er habe nichts dagegen, wenn die Konzessionen eingesehen würden.

Auch Staatsminister Dr. Baumgartner spricht sich für die Vorlage an den Ausschuß aus.

Ministerpräsident Dr. Hoegner und Staatssekretär Dr. Guthsmuths halten es für nicht möglich, den Inhalt der Konzessionsurkunden ohne Zustimmung der anderen Vertragspartner bekanntzugeben, zumal kein Beschluß des Plenums des Landtags oder eines Untersuchungsausschusses vorliege.

Auf Vorschlag des Ministerpräsidenten Dr. Hoegner wird beschlossen, im Wirtschaftsausschuß lediglich den Inhalt der Verträge unter der Voraussetzung bekanntzugeben, daß die Sitzung als geschlossene Sitzung abgehalten werde.42

Spielbanken

XV.Einladungen, Veranstaltungen usw.

a) Einladung des Bayer. Rundfunks zum 65. Geburtstag des Herrn Intendanten von Scholtz

Ministerpräsident Dr. Hoegner bittet Herrn Staatsminister Rucker, an diesem Abendessen zu Ehren des Herrn von Scholtz als Vertreter der Staatsregierung teilzunehmen.

Staatsminister Rucker erklärt sich damit einverstanden.

b) Tagung der Verbaost am 16. Oktober 1955

Staatssekretär Weishäupl erklärt sich bereit, an der Veranstaltung der Verbaost, einer Flüchtlingsorganisation für Beamte, teilzunehmen.

c) Internationale Kraftsportmeisterschaften in München 12.–16. Oktober 195543

Staatsminister Dr. Baumgartner teilt mit, er sei gebeten worden, für diese Veranstaltung einen Ehrenpreis zu stiften.

Es wird vereinbart, daß das Staatsministerium für Unterricht und Kultus einen Ehrenpreis gibt, die Unterlagen werden Herrn Staatsminister Rucker übergeben.

d) Einweihung der Berufsschule in Dingolfing

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert auf Frage des Herrn Staatsministers Rucker, er habe sich bereit erklärt, an der Feier teilzunehmen, gleichzeitig aber mitgeteilt, daß er nicht sprechen werde.

Der Ministerrat stellt fest, daß an der Feier in Dingolfing der Herr Ministerpräsident, Herr Staatsminister Dr. Baumgartner und Herr Staatssekretär Dr. Meinzolt teilnehmen.

In diesem Zusammenhang ergibt sich eine längere Aussprache über die ständig zunehmenden Einladungen an Mitglieder des Kabinetts.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird dann folgender Beschluß gefaßt:

Die Bayer. Staatskanzlei wird beauftragt, einen Entwurf über die Einschränkungen der repräsentativen Verpflichtungen der Staatsregierung auszuarbeiten. Darin ist festzulegen, an welchen Veranstaltungen die Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung in Zukunft noch teilnehmen sollen. Die Ausarbeitung ist in die Form von Richtlinien zu kleiden.44

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär