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Nr. 43MinisterratssitzungDienstag, 30. August 1955 Beginn: 9 Uhr Ende: 12 Uhr 15
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Finanzminister Zietsch, Abeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatsekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Kultusminister Rucker, Wirtschaftsminister Bezold, Staatssekretär Eilles (Justizministerium).

Tagesordnung:

I. Sonderleistungsprogramm der Koalitionsregierung; hier: Bau von 8000 Wohnungen für Minderbemittelte, Kinderreiche und Evakuierte. II. Lindauer Angelegenheiten: l. Entwurf einer Verordnung über die Verlängerung der Geltungsdauer einzelner Vorschriften im Bereich des bisherigen Bayerischen Kreises Lindau; 2. Entwurf einer Verwaltungsanordnung über die Wirtschaftsführung und die Verwaltungstätigkeit im Bereich des bisherigen Kreises Lindau; 3. Ausbau der Straßenverbindung Lindau–Kempten–München; 4. Einführung der Schulgeldfreiheit. III. Bayerisches Grenzhilfeprogramm 1955. IV. Vereinbarung zur Durchführung des Art. 6 Teil I des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen. V. Bayerische Staatszeitung. VI. Aufbau der atomwissenschaftlichen Forschung in Bayern. VII. Internationales Kolloquium 1956 über Halbleiter und Phosphore. VIII. Beschluß des Bundesrats zur Änderung des § 31 des Entwurfs der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1955. IX. Personalangelegenheiten. X. Kosten des Staatsbegräbnisses des Kronprinzen Rupprecht von Bayern. XI. Kongress der Internationalen Konferenz für Sozialarbeit in München 1956. XII. Valka-Lager Nürnberg. XIII. Aufsatz in der illustrierten Zeitschrift „Der Stern“ unter der Überschrift „Wir müssen's zahlen!“. XIV. Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalts in Bamberg gegen Willi Wolf u.a. wegen Verunglimpfung von Staatsorganen. XV. Wiedererrichtung des Stresemann-Ehrenmals in Mainz. XVI. Unterbringung von Truppenteilen, Stäben und Dienststellen. XVII. Veranstaltungen, Einladungen usw..

I.Sonderleistungsprogramm der Koalitionsregierung; hier: Bau von 8000 Wohnungen für Minderbemittelte, Kinderreiche und Evakuierte1

Ministerpräsident Dr. Hoegner verweist auf die Note des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 18. August 1955, mit der der Entwurf einer Bekanntmachung über das Sonderbauprogramm der Bayerischen Staatsregierung vorgelegt worden sei. Darin werde mit Recht erklärt, die Vorbereitung eines solchen Programms erfordere auch unter den günstigsten Verhältnissen zwei bis drei Monate. Das Innenministerium halte es daher für unerläßlich, daß die Bauträger sofort mit den Vorarbeiten anfingen. Dies setze aber voraus, daß die Oberste Baubehörde und die ihr nachgeordneten Bewilligungsbehörden ermächtigt würden, die notwendigen Einzelheiten bekanntzugeben, die erforderlichen Planungen einzuleiten und die benötigten Darlehen unverbindlich in Aussicht zu stellen.

Das Staatsministerium des Innern bitte, im heutigen Ministerrat folgenden Beschluß zu fassen:

„Um den im Sonderleistungsprogramm der Regierungskoalition verkündeten Bau von zusätzlich 8000 Wohnungseinheiten raschestmöglich wirksam werden zu lassen, wird das Bayer. Staatsministerium des Innern ermächtigt, die zur Durchführung der Wohnungsbauten erforderlichen Anordnungen unverzüglich zu treffen.

Dabei ist jedoch vorzubehalten, daß verbindliche Darlehenszusicherungen erst möglich sind, wenn der Nachtragshaushalt 1955 vom Bayer. Landtag genehmigt ist oder ein Beschluß des Haushaltsausschusses des Landtags über ein vorgriffsweise Bereitstellung der erforderlichen Mittel vorliegt.“

Staatsminister Zietsch stellt fest, daß das Staatsministerium der Finanzen im allgemeinen mit den Vorschlägen einverstanden sei, jedoch den Wunsch habe, daß in Abs. 1 des Beschlusses nach dem Wort „unverzüglich“ folgende Worte angefügt würden:

„im Einvernehmen mit dem Bayer. Staatsministerium der Finanzen”.

Was Abs. 2 betreffe, so habe er gegen dessen Wortlaut an sich keine Bedenken, er glaube aber, daß es ausreiche, nur die Genehmigung des Nachtragshaushalts 1955 durch den Bayer. Landtag vorauszusetzen, nicht aber auch einen Beschluß des Haushaltsausschusses.

Auf Frage von Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert Staatsminister Dr. Geislhöringer mit der Einfügung „im Einvernehmen mit dem Bayer. Staatsministerium der Finanzen“ sei er an sich grundsätzlich einverstanden, dieses Einvernehmen müsse sich aber auf die finanzielle Seite beschränken.

Staatssekretär Vetter regt an, als Satz 2 dem Abs. 1 folgend anzufügen:

„Soweit der Geschäftsbereich des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen berührt wird, ist das Einvernehmen mit diesem Ministerium herzustellen.“

Praktisch bedeute dies das gleiche, was der Herr Finanzminister vorgeschlagen habe, die Verantwortung werde aber klarer ausgedrückt.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stimmt Herrn Staatssekretär Vetter zu, worauf beschlossen wird, Abs. 1 des Beschlusses durch einen zweiten Satz mit dem Wortlaut, den Herr Staatssekretär Vetter formuliert hat, zu ergänzen.

Ferner wird beschlossen, Abs. 2 folgende Fassung zu geben:

„Dabei ist jedoch vorzubehalten, daß verbindliche Darlehenszusicherungen erst gegeben werden dürfen, wenn der Nachtragshaushalt 1955 vom Bayer. Landtag genehmigt istoder ein Beschluß des Haushaltsausschusses des Landtags über eine vorgriffsweise Bereitstellung der erforderlichen Mittel vorliegt.“

Anschließend wird der Entwurf der Bekanntmachung im einzelnen besprochen.

Zu Ziff. 9 des Entwurfs wird beschlossen, vor den Worten „5 Millionen DM für die Grenzgebiete“ die Worte „und außerdem“ anzufügen, damit klar ersichtlich wird, daß von den allgemeinen Baumaßnahmen abgesehen, noch besondere Mittel für die Grenzgebiete bereitgestellt werden.

Staatsminister Zietsch kommt dann auf Abs. 1 der Präambel zu sprechen und empfiehlt, Satz 2 des ersten Absatzes in der Weise abzuändern, daß das Bewilligungsrecht des Landtags in Erscheinung tritt.

Der Ministerrat beschließt daraufhin, Abs.1 Satz 2 der Präambel wie folgt zu fassen:

„Es werden hiefür, vorbehaltlich der Bewilligung durch den Bayerischen Landtag, bis zu 60 Mio DM als öffentliche Baudarlehen in Aussicht genommen".

Staatsminister Stain macht darauf aufmerksam, daß bereits ein interministerieller Ausschuß für die innerbayerische Umsiedlung bestehe und empfiehlt, diesen Ausschuß, der sich aus Vertretern der Staatsministerien des Innern, der Finanzen und für Arbeit und soziale Fürsorge zusammensetze, einzuschalten.

Ministerpräsident Dr. Hoegner entgegnet, in Ziff. 10 sei vorgesehen, daß die Einhaltung der Richtlinien im Benehmen mit dem interministeriellen. Ausschuß überprüft werde,

Staatssekretär Vetter fügt hinzu, der Ausschuß sei also eingeschaltet. Er glaube nicht, daß es zweckmäßig sei, noch weiter zu gehen.

Staatsminister Stain erklärt sich damit einverstanden, regt aber an, Ziff. 10 etwas genauer zu fassen.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird daraufhin beschlossen, Satz 3 der Ziff. 10 wie folgt abzuändern:

„Das Bayer. Staatsministerium des Innern wird diese Übersichten im Benehmen mit dem interministeriellen Ausschuß für Sonderprogramme auf die Einhaltung der vorstehenden Richtlinien überprüfen und bei Nichteinhaltung den notwendigen Ausgleich bei späteren Mittelzuweisungen für den sozialen Wohnungsbau herstellen.“

Staatsminister Zietsch meint, ein genauer Schlüssel für die Verteilung könne jetzt sowieso noch nicht festgelegt werden, da zunächst die Meldungen abgewartet werden müßten.

Abschließend betont Ministerpräsident Dr. Hoegner, dieses Sonderbauprogramm der Staatsregierung finde überall im Lande die größte Aufmerksamkeit. Es sei zu hoffen, daß mit dem Bau der Wohnungen für Minderbemittelte so rasch wie möglich begonnen werden könne.2

Sonderleistungsprogramm

II.Lindauer Angelegenheiten3

1.Entwurf einer Verordnung über die Verlängerung der Geltungsdauer einzelner Vorschriften im Bereich des bisherigen Bayerischen Kreises Lindau4

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, durch Art 3. Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den bayerischen Kreis Lindau vom 23. Juli 1955 sei die Staatsregierung ermächtigt worden, zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten die Geltungsdauer einzelner Vorschriften des Kreispräsidenten von Lindau durch Rechtsverordnung bis längstens 30. September 1956 zu verlängern. Der allen Herren Kabinettsmitgliedern zugegangene Entwurf der Bayer. Staatskanzlei enthalte die Vorschriften, die bis zum 31. März bezw. 30. September 1956 verlängert worden seien.5

Bedenken gegen den Entwurf seien von keinem Ministerium erhoben worden.

Der Ministerrat beschließt, der Verordnung in der vorgesehenen Form zuzustimmen.6

2.Entwurf einer Verwaltungsanordnung über die Wirtschaftsführung und die Verwaltungstätigkeit im Bereich des bisherigen Kreises Lindau7

Ministerpräsident Dr. Hoegner bemerkt dann, der Entwurf der Bayer. Staatskanzlei für diese Verwaltungsanordnung8 gehe auf ein Schreiben des Herrn Kreispräsidenten von Lindau vom 11. August 1955 zurück, in dem dieser bitte, in den Durchführungsvorschriften zum Gesetz vom 23. Juli 1955 anzuordnen, daß dem Kreispräsidenten bis zum Abschluß des Rechnungsjahres 1955 die Wirtschaftsführung zum Vollzug des laufenden Haushaltsplanes und eines evtl. Nachtragshaushaltes obliege und daß er bis zum gleichen Zeitpunkt die auf die zuständigen bayerischen Behörden übergegangenen Aufgaben in deren Auftrag durchführe.9

Auch gegen diesen Entwurf seien keine Bedenken geltend gemacht worden.

Staatsminister Dr. Koch meint, wenn der Kreispräsident die Geschäfte bis 31. März 1956 weiterführe, habe er auch gewisse Hoheitsaufgaben auszuüben und zwar in verpflichtender Weise für die Ministerien, in deren Auftrag er handle. Daraus könnten sich, z.B. bei Ernennungen von Beamten, gewisse Schwierigkeiten ergeben. Er beabsichtige deshalb, Herrn Kreispräsidenten Zwisler schon jetzt entsprechende Weisungen zu geben und er empfehle auch den anderen Ministerien, gegebenenfalls in gleicher Weise vorzugehen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner hält diesen Ausweg für möglich und zweckmäßig.10

Staatssekretär Dr. Haas empfiehlt, statt einer Verwaltungsanordnung eine Verordnung zu erlassen.

Der Ministerrat beschließt einstimmig, diesem Vorschlag zu entsprechen, im übrigen aber den Wortlaut der Verordnung nicht abzuändern.11

VO über die Wirtschaftsführung und die Verwaltungstätigkeit im Bereich des bisherigen Kreises Lindau vom 30. August 1955

3.Ausbau der Straßenverbindung LindauKempten–München

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt anschließend bekannt, der Beratende Ausschuß des Kreispräsidenten Lindau habe den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß nach der Wiedereingliederung der Stadt und des Kreises Lindau eine den modernen Verkehrserfordernissen entsprechende Straßenverbindung zwischen Lindau und München ausgebaut werden soll. Es handle sich dabei zunächst um den Ausbau der fehlenden Teilstücke der Queralpenstraße von Oberstaufen nach Immenstadt. Diese sei eine Bundesstraße ebenso wie die Bundesstraße 19 (Immenstadt–Kempten) und die Bundesstraße 12 ( Kempten–München), deren weiterer Ausbau notwendig sei.

Der Ministerrat beschließt, das Staatsministerium des Innern zu beauftragen, mit dem Bunde wegen des erforderlichen Ausbaues dieser Straßen in Verhandlungen einzutreten.

Der Ministerrat stellt fest, daß der Ausbau des fehlenden Teilstücks der Queralpenstraße besonders vordringlich ist.

4.Einführung der Schulgeldfreiheit12

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, bisher habe im Bayerischen Kreis Lindau noch keine Schulgeldfreiheit bestanden; seiner Meinung nach müsse die bayerischen Regelung trotz gewisser Bedenken, die aus Lindau geäußert werden, sofort eingeführt werden. Es sei Sache des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, gemeinsam mit dem Staatsministerium der Finanzen die notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Staatssekretär Dr. Meinzolt erklärt, das Staatsministerium für Unterricht und Kultus beabsichtige, die Schulgeldfreiheit in Lindau sofort einzuführen.13

III.Bayerisches Grenzhilfeprogramm 195514

Ministerpräsident Dr. Hoegner nimmt Bezug auf die Note des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr vom 4. August 1955, in der um die Zustimmung des Ministerrats zu der vorgesehenen Verteilung der im Haushalt 1955 enthaltenen Mittel für die Förderung der bayerischen Ostrandgebiete gebeten werde.15 Es handle sich dabei um insgesamt 11,2 Mio DM, wovon 10 Mio DM als Darlehen und 1,2 Mio DM als Zuschüsse gegeben werden sollten. Das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten habe sich allerdings nur unter der Voraussetzung mit der vorgesehenen Verteilung einverstanden erklärt, daß die für Zwecke der Land- und Wasserwirtschaft vorgesehenen Zuschüsse von 300 000 DM auf 600 000 DM erhöht würden.

Staatsminister Zietsch wendet sich gegen diesen Antrag und stellt fest, daß diese Zuschüsse häufig auf Jahre hinaus gewährt werden müßten, und zwar bis zu einer Laufzeit von 20 Jahren. Keinesfalls könne heute schon gesagt werden, ob sich für die Erhöhung der Zuschüsse eine Möglichkeit im Nachtragshaushalt finden lasse.

Auch Staatssekretär Dr. Guthsmuths wendet sich gegen den Antrag des Landwirtschaftsministeriums mit der Begründung, daß es unmöglich sei, das Zinsverbilligungsprogramm wieder umzuwerfen.

Nach kurzer Aussprache beschließt der Ministerrat, der vorgeschlagenen Verteilung der Mittel von 11,2 Mio DM für die Förderung der bayerischen Ostrandgebiete zuzustimmen.

Abschließend stellt Ministerpräsident Dr. Hoegner fest, daß sich die Herren Staatssekretäre Dr. Guthsmuths und Simmel noch über die Wünsche des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten besprechen mögen.16

Grenzlandhilfe

IV.Vereinbarung zur Durchführung des Art. 6 Teil I des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen17

Ministerpräsident Dr. Hoegner erinnert daran, daß sich der Ministerrat mit dieser Vereinbarung bereits in der Sitzung vom 26. Juli 1955 befaßt und damals die vom Auswärtigen Amt erbetene Zustimmung zum Abschluß der Vereinbarung noch nicht erteilt habe. Vielmehr habe er dem Auswärtigen Amt am 29. Juli 1955 eine Reihe von Fragen vorgelegt, auf die jetzt der Herr Bundesminister des Auswärtigen am 15. August 1955 geantwortet habe.

Die Stellungnahme des Auswärtigen Amts zu den einzelnen Fragen könne im allgemeinen befriedigen, insbesondere was den Punkt 5, die Einleitung von Fahndungsmaßnahmen, betreffe. Allerdings sei hinsichtlich der Kostentragung noch keine befriedigende Lösung zustande gekommen. Das Auswärtige Amt bitte aber, die Zustimmung der Bayerischen Staatsregierung nicht von der Kostenfrage abhängig zu machen.

Alles in allem stehe die Bayer. Staatskanzlei auf dem Standpunkt, daß keine unüberwindlichen Bedenken mehr gegen die Zustimmung der Bayerischen Staatsregierung zum Abschluß der Vereinbarung in der vorliegenden Fassung bestünden, zumal alle anderen Länder bereits zugestimmt hätten.

In längerer Aussprache erheben die Herren Staatsminister Dr. Koch und Stain schwerwiegende Bedenken gegen die Vereinbarung, da die Bayerische Staatsregierung nach wie vor keine Möglichkeit besitze nachzuprüfen, ob die Verurteilung der Gefangenen nach deutschem Recht überhaupt hätte erfolgen dürfen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner betont, Bayern übernehme die Häftlinge nicht in seine Verfügung, sondern stelle lediglich Gebäude, Bewachungspersonal usw. zur Verfügung. Übrigens sei ja ein Begnadigungsausschuß tätig gewesen, der alle Fälle überprüft habe.

Staatsminister Stain empfiehlt, diese Tatsachen in der Öffentlichkeit ausdrücklich festzustellen.

Staatsminister Dr. Koch bedauert die Auseinandersetzungen, die bereits in der Presse entstanden seien und weist dann darauf hin, daß die Bemühungen, die Freigabe der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion zu erreichen, zweifellos durch die Tatsache erschwert würden, daß die Westalliierten nach wie vor Gefangene in Deutschland festhielten. Er halte es nicht für gut, vor der Moskau-Reise des Bundeskanzlers,18 an dem Zustandekommen dieses Vertrags mitzuhelfen. Vielleicht könne doch erreicht werden, daß die Landsberger Häftlinge nicht in Bayern verbleiben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner meint, wenn dies möglich sei, schlage er vor, der Vereinbarung zunächst19 nicht zuzustimmen.

Der Ministerrat beschließt, heute noch keine endgültige Entscheidung zu fallen, sondern zunächst das Staatsministerium der Justiz zu beauftragen, die Gründe zusammenzustellen, auf die sich die Ablehnung der Vereinbarung durch den Ministerrat stützen könnte.20

V.Bayerische Staatszeitung21

Staatssekretär Dr. Haas erklärt, es sei wohl allmählich notwendig geworden, zu einem Abschluß hinsichtlich der Bayer. Staatszeitung zu kommen. Bekanntlich sei der Vertrag mit dem Pflaum-Verlag gekündigt worden,22 dieser habe nun das im Vertrag vorgesehene Schiedsgericht angerufen.23 Möglicherweise werde durch das Schiedsgericht das Vertragsende noch um sechs Monate hinausgeschoben, also bis 30. Juni 1956.24

1. Zunächst handle es sich darum, im Ministerrat zu beschließen, mit welchem Verlag ein neuer Vertrag abgeschlossen werden solle. Die Staatskanzlei habe ein Rundschreiben an eine Reihe von Verlagen hinausgegeben und darin die wesentlich erscheinenden Bedingungen niedergelegt, die dann in den Vertrag eingearbeitet werden könnten.25

Anschließend verliest Staatssekretär Dr. Haas die wichtigsten Bedingungen.26

Staatssekretär Dr. Haas fährt dann fort, das Ergebnis der Ablieferung des Pflaum-Verlags sei eigentlich stets unbefriedigend gewesen, der Rückgang auf durchschnittlich 35 000 im Jahr werde damit begründet, daß zwei Beilagen hinzugekommen seien.27 Es stehe aber fest, daß die Auflagenhöhe immer mehr zurückgegangen sei.

Jedenfalls müsse in Zukunft der Vertrieb und die Werbung für die Staatszeitung besser werden, die vielleicht auch gefälliger ausgestattet werden könne. Bisher sei mit fünf Interessenten verhandelt worden, jetzt sei noch ein sechster Verlag hinzugekommen.28 Rein wirtschaftlich gesehen, sei die Herausgabe der Staatszeitung für keinen Verlag ein besonderes Geschäft. In erster Linie kämen wohl die beiden großen Münchner Zeitungsverlage, nämlich der Süddeutsche Verlag und der Münchener Zeitungsverlag in Betracht. Außerdem bewerbe sich noch das Münchner Buchgewerbehaus, an dem der Staat mit 40% beteiligt sei.29 Er halte diesen Betrieb jedoch nicht für sehr geeignet, da er über keine entsprechende Vertriebs- und Werbeorganisation verfüge. Die Zeitungsverlage würden sicherlich auf die ihnen gestellten Bedingungen eingehen wollen. Zunächst habe der Verlag des Münchner Merkur sofort seine Bereitschaft erklärt,30 später dann auch der Süddeutsche Verlag.31

Er bitte deshalb, heute im Ministerrat eine Entscheidung zu treffen.

Staatsminister Dr. Koch meint gleichfalls, daß eigentlich nur die Zeitungsverlage in Frage kämen; es sei allerdings nicht einfach, sich für einen der beiden zu entscheiden. Vielleicht könne eine Möglichkeit gefunden werden, mit beiden Verlagen gemeinsam einen Vertrag abzuschließen.

Staatsminister Zietsch wendet ein, die geringsten Schwierigkeiten würden entstehen, wenn man mit dem Münchner Buchgewerbehaus, an dem der Staat beteiligt sei, abschließe. Auch er glaube, einen Zeitungsverlag zu bevorzugen, werde zu Mißhelligkeiten führen. Sei mit dem Buchgewerbehaus bereit verhandelt worden oder liege von dort bereits ein Angebot vor? Jedenfalls handle es sich hier um ein sehr gutes, leistungsfähiges Unternehmen.

Staatssekretär Dr. Haas erwidert, das Buchgewerbehaus könne nur im bisherigen Format liefern, das nicht für zweckmäßig gehalten werde.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schlägt daraufhin vor, den Versuch zu machen, die beiden Münchner Zeitungsverlage, den Süddeutschen Verlag und den Münchener Zeitungsverlag, zu einem gemeinsamen Angebot zu bringen. Gelinge die Einigung der beiden Verlage nicht, könne auf das Buchgewerbehaus zurückgegriffen werden.

Der Ministerrat erklärt sich einstimmig mit diesem Vorschlag einverstanden.

2. Staatssekretär Dr. Haas fährt fort, die Staatszeitung beschäftige außer dem Chefredakteur Mauerer noch die Redakteure Dr. Hübscher und Sendtner, ferner zwei weibliche Angestellte. Es sei nun zu entscheiden, ob die Staatsregierung den neuen Verlag auffordern solle, die Redakteure zu übernehmen. Bedenken bestünden in erster Linie wegen des Chefredakteurs Mauerer, der unter einem Pseudonym am 1. August 1955 im Münchner Merkur einen Aufsatz über die Atomforschung in Bayern geschrieben und dabei schwere Vorwürfe gegen die Staatsregierung gerichtet habe.32

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß man deswegen33 zu Herrn Mauerer kein Vertrauen mehr haben könne.

Staatssekretär Dr. Haas bemerkt, den Ausschlag habe tatsächlich der Artikel vom 1. August 1955 gegeben, der noch dazu völlig unrichtige Behauptungen aufgestellt habe. Herr Mauerer habe sich nicht einmal die Mühe gegeben, sich vorher zu erkundigen.34

Der Ministerrat faßt nach kurzer Aussprache folgenden einstimmigen Beschluß:35

Der Ministerrrat empfiehlt nicht, den bisherigen Chefredakteur der Bayer. Staatszeitung in den neuen Verlag zu übernehmen. Dagegen soll das übrige Personal weiter beschäftigt werden.

Auf Frage von Herrn Staatssekretär Dr. Haas erwidert Ministerpräsident Dr. Hoegner, er halte es für richtig, Herrn Mauerer mündlich zu eröffnen, daß die Staatsregierung nach dem Artikel vom 1. August 1955 ihm kein Vertrauen mehr entgegenbringen könne. Er habe entweder leichtfertig oder böswillig gehandelt, beides schließe aber seine weitere Mitarbeit aus.

Abschließend erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, eine Entscheidung über den Nachfolger Mauerers könne heute noch nicht getroffen werden. Die Vorschläge werden aber dem Kabinett vorgelegt werden.36

Bayerische Staatszeitung

VI.Aufbau der atomwissenschaftlichen Forschung in Bayern37

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt ein Schreiben des Herrn Bundeskanzlers vom 15. August 1955 bekannt, in dem dieser das Ergebnis der bei ihm am 29. Juni 1955 stattgefundenen Besprechung dahin klarstelle, daß zwar der geplante Atom-Meiler in der Nähe von Karlsruhe errichtet werde, dafür aber das Institut der Max-Planck-Gesellschaft mit einer entsprechenden Reaktoranlage nach München kommen solle.

Er habe daraufhin dem Herrn Bundeskanzler geantwortet und ihm den Dank für seine eindeutigen Feststellungen ausgesprochen.38

Am 21. August 1955 habe er dann eine Besprechung mit Professor Dr. Heisenberg in Urfeld gehabt, der durch das Interesse der Bayerischen Staatsregierung für die Atomforschung sehr beeindruckt gewesen sei und wiederholt versichert habe, er werde alles tun, um das Max-Planck-Institut nach München zu bringen. Professor Dr. Heisenberg halte es für nicht allzu schwer, die noch bestehenden Widerstände zu überwinden.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths gibt dann einen Bericht über die Ergebnisse der Genfer Atomkonferenz,39 an der er zusammen mit Herrn Staatsminister Rucker teilgenommen habe und erklärt, er sei gegenwärtig damit beschäftigt, eine Denkschrift über die Konferenz abzufassen.

Abschließend berichtet Staatssekretär Dr. Guthsmuths über die Verhandlungen hinsichtlich des Ankaufs von englischen Reaktoren, die mit dem britischen Generalkonsulat in München geführt wurden.

Staatssekretär Dr. Meinzolt wirft die Frage auf, ob sich der Bund und die Studiengesellschaft an den Kosten eines großen Reaktors in München beteiligen würden. Eine solche Anlage erfordere etwa 13 Mio DM, die Staatsregierung habe bisher nur beschlossen, 6 Mio DM zur Verfügung zu stellen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner entgegnet, im Ministerrat sei beschlossen worden, 13–15 Mio DM bereitzustellen. Das Verhalten des Bundes hänge im wesentlichen vom Bundeskanzler ab. Er habe durchaus das Empfinden, daß dieser den bayerischen Plänen günstig gesinnt sei, zumal er ja von sich aus auf die Presseerklärungen hin in dem erwähnten Schreiben vom 15. August 1955 die Dinge richtiggestellt habe.

S.E. müßte das Kabinett zunächst zweierlei unternehmen, nämlich

1. unbedingt Maßnahmen zu Gunsten der technischen Hochschule und des Instituts des Professors Dr. Maier-Leibnitz ergreifen und

2. die Bayerische Atomkommission zusammenstellen.40

Was diesen Punkt anlange, so habe ihm Herr Staatsminister Rucker Unterlagen der französischen staatlichen Atom-Kommission übersandt. Die Bayerische Atom-Kommission müßte dann einen Sekretär erhalten, der wohl Wissenschaftler sein müsse.

Im Ausland einen Reaktor zu erwerben, bereite keine Schwierigkeiten, nachdem der Bund noch kein Atomgesetz erlassen habe.41

Auf Frage von Staatssekretär Dr. Guthsmuths wird festgestellt, daß der Ministerrat damit einverstanden ist, wenn im Wege des Pacht- und Leihsystems dem Vorschlag des britischen Generalkonsulats in München entsprechend, ein Reaktor im Ausland erworben werde.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths bittet mit der endgültigen Entscheidung jedoch zu warten, bis Herr Staatsminister Rucker aus dem Urlaub zurück sei.

Der Ministerrat beauftragt jedoch Staatssekretär Dr. Guthsmuths, sofort zu handeln.42

Atomenergie

VII.Internationales Kolloquium 1956 über Halbleiter und Phosphore

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt dann bekannt, einer Mitteilung des Herrn Staatsministers für Unterricht und Kultus zufolge, werde im Jahre 1956 in München oder Garmisch ein Internationales Kolloquium über Halbleiter und Phosphore stattfinden, an welchem etwa 1000 Personen, zum Teil aus dem Ausland, teilnehmen werden. Es handle sich hier um die erste Veranstaltung in Deutschland der Internationalen Union für Reine und Angewandte Physik. Die Gesamtkosten der Tagung würden auf 90 000 DM geschätzt, vom Bayerischen Staat werde ein Zuschuß von etwa 30 000 DM erbeten.

Staatsminister Zietsch empfiehlt, das Staatsministerium für Unterricht und Kultus solle diesen Betrag für 1956 in seinen Etat aufnehmen..

Staatssekretär Dr. Meinzolt erklärt sich damit einverstanden, bemerkt aber, das Ministerium müsse versuchen, die Mittel schon jetzt zu beschaffen, damit dem Vorbereitenden Komitee des Kolloquiums die Möglichkeit zur Arbeit gegeben werden könne.

Staatssekretär Dr. Panholzer meint, vielleicht könne das Staatsministerium für Unterricht und Kultus auch einen Beitrag von der Stadt München bekommen, die ja von diesen internationalen Tagungen erhebliche Vorteile habe, ohne sich an der Kostentragung zu beteiligen.

Der Ministerrat beschließt, daß der erbetene Zuschuß von 30 000 DM gegeben wird.

VIII.Beschluß des Bundesrats zur Änderung des § 31 des Entwurfs der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 195543

Staatssekretär Dr. Haas führt aus, der Bundesrat habe am 22. Juli 1955 dem Entwurf der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1955 mit der Maßgabe zugestimmt, daß § 31 des Entwurfs, der sich mit den steuerbegünstigten Kapitalansammlungsverträgen befasse, einen Abs. 2 erhalte, nach dem Verträge mit Wohnungs- und Siedlungsunternehmen und für die öffentliche Förderung des sozialen Wohnungsbaues vorgeschriebene Musterverträge den in § 31 Abs. 1 genannten Sparverträgen gleichgestellt werden.44

Der Bundesminister der Finanzen habe nun seine Bedenken gegen diesen Beschluß den Ministerpräsidenten der Länder mit Schreiben vom 11. August 1955 dargelegt und um Stellungnahme gebeten. Der Sinn dieser Anfrage sei wohl der, festzustellen, ob die Länder geneigt seien, einer Änderung des Beschlusses vom 22. Juli 1955 zuzustimmen.

Das Staatsministerium der Finanzen, das sich schon früher gegen die Ergänzung des § 31 durch einen Abs. 2 gewandt habe, teile die Bedenken des Bundesministeriums der Finanzen, während das Staatsministerium des Innern an sich gegenteiliger Meinung sei. Auch dieses Ministerium habe aber feststellen müssen, daß dem Abs. 2 keine allzu große Bedeutung zukomme, nachdem die Festlegungsfristen für steuerbegünstigte Verträge mit Wohnungs- und Siedlungsbauten nach § 31 auf 7–10 Jahre festgesetzt seien und nicht wie beim Wohnungsbauprämiengesetz vom 21. Dezember 195445 auf 3–6 Jahre.

Er selbst sei der Auffassung, daß die vom Bundesrat eingefügte Klausel keine praktische Bedeutung habe und deshalb Bayern bei einer nochmaligen Beratung im Bundesrat seinen früheren Standpunkt aufgeben könne.

Staatsminister Zietsch empfiehlt, zunächst nichts zu unternehmen, sondern sich erst zu entscheiden, wenn das Bundesfinanzministerium einen offiziellen Antrag an den Bundesrat richte.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird dann folgender Beschluß gefaßt:

Die weitere Behandlung dieser Angelegenheit wird zurückgestellt, bis ein ausdrücklicher Antrag der Bundesregierung gestellt und dann im Bundesrat behandelt wird.

Von diesem Beschluß des Ministerrats ist das Bundesministerium der Finanzen (Dr. Oeftering) zu verständigen.46

Einkommensteuer-DVO (EStDV 1955) vom 21. Dezember 1955

IX.Personalangelegenheiten

Ernennung des Oberstudiendirektors Dr. Ernst Höhne in Erlangen zum Ministerialrat im Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus

Staatsminister Zietsch stellt zu diesem Antrag des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus fest, daß Dr. Höhne bisher noch nicht im Ministerialdienst beschäftigt gewesen sei, der bisherigen Übung entsprechend also eigentlich erst nach einjähriger Dienstzeit im Ministerium befördert werden könne.

Staatssekretär Dr. Meinzolt bittet, im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse in der höheren Schulabteilung des Kultusministeriums hier eine Ausnahme zuzulassen. Dr. Höhne habe sich im übrigen seit vielen Jahren im bayerischen Staatsdienst bestens bewährt und sei als Ministerialbeauftragter auch mit Verwaltungsaufgaben sehr gut vertraut.

Staatsminister Zietsch erklärt daraufhin, grundsätzlich müsse an der bisherigen Übung festgehalten werden, in diesem Falle stelle er aber seine Bedenken zurück.

Der Ministerrat beschließt daraufhin, Oberstudiendirektor Dr. Höhne zum Ministerialrat im Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus zu ernennen.

X.Kosten des Staatsbegräbnisses des Kronprinzen Rupprecht von Bayern47

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, er habe bisher Rechnungen im Gesamtbetrag von 2 033,32 DM vorgelegt bekommen, die anläßlich des Staatsbegräbnisses entstanden seien. Nun sei der Beschluß des Ministerrats, ein Staatsbegräbnis zu veranstalten, nicht so aufzufassen, daß die Kosten auf Tit. 300 der Bayer. Staatskanzlei übernommen werden sollen.

Staatsminister Zietsch erwidert, hier liege offenbar ein Mißverständnis vor, das Staatsministerium der Finanzen sei durchaus bereit, die Kosten auf Einzelpl. XIII zu übernehmen. Er bitte den Herrn Ministerpräsidenten, seinen Haushaltsreferenten zu beauftragen, mit dem Haushaltsreferenten des Staatsministeriums der Finanzen die Einzelheiten zu klären.

Der Verwaltung der Staatl. Schlösser, Gärten und Seen seien allein über 5000 DM Kosten entstanden; hier müsse noch mit dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds verhandelt werden.

XI.Kongress der Internationalen Konferenz für Sozialarbeit in München 195648

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, im nächsten Jahr werde in München dieser internationale Kongress, der alle zwei Jahre stattfinde (zuletzt in Kanada) abgehalten werden. Die Kosten beliefen sich auf etwa 190 000 DM, von denen bereits 40 000 DM gedeckt seien, so daß der Bund und Bayern noch 50 000 DM übernehmen müßten. Auf Bayern entfalle ein Anteil von 50 000 DM, wozu noch eine Einladung im Schloß Schleißheim komme. Auch dieser Betrag könne unmöglich aus Tit. 300 bestritten worden.

Staatsminister Zietsch empfiehlt, daß das Staatsministerium des Innern diesen Betrag in seinen Haushalt aufnehme; es handle sich tatsächlich nur um eine Frage der Verbuchung.49

XII.Valka-Lager Nürnberg50

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest ein Schreiben des Herrn Bundesministers des Auswärtigen, in dem darauf hingewiesen werde, daß das Bundessammellager für ausländische Flüchtlinge in Nürnberg, das sogenannte Valka-Lager, nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch in weiten Kreisen des Auslands ein Gegenstand wachsender Beunruhigung geworden sei. U.a. habe Botschafter Conant am 8. Juni 1955 dem Bundesminister des Auswärtigen mitgeteilt, daß die finanzielle Beteiligung amerikanischer Stellen am Bundessammellager in Frage gestellt werde, wenn die Frage der Verlegung des Lagers nicht befriedigend gelöst werden könne. Weiter werde erwähnt, das Bundesministerium des Äußeren habe die Herren Bundesminister Schröder, Schäffer und Storch gebeten, für eine bessere Tätigkeit der Aufnahmeausschüsse im Lager Sorge zu tragen und weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Kriminalität zu treffen.

Bundesminister von Brentano bedauere, daß die Stadtverwaltung in Nürnberg die Freigabe des Lagers „Alte Regensburgerstraße“ abgelehnt habe und bitte ihn als Ministerpräsident, seinen Einfluß geltend zu machen.

Er habe am 26. August 1955 geantwortet, daß für eine etwaige Vorlegung des Valka-Lagers das Bayer. Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge zuständig sei. Er selbst werde sich bemühen, für das Lager einen geeigneten Standort zu finden, müsse aber die Frage aufwerfen, ob dieser Standort unbedingt in Bayern sein müsse, das ohnehin am stärksten von allen Bundesländern mit Ausländern belegt sei.

Staatsminister Stain betont, daß Bayern sein Valka-Lager aufgelöst habe, es sich also hier ausschließlich um das Bundeslager handle und Bayern keine Verantwortung treffe.

Die Errichtung eines Durchgangslagers mitten in der Stadt Nürnberg bedeute keine Lösung. Jedenfalls habe das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge keine Veranlassung, besonders tätig zu werden.

Staatssekretär Dr. Haas weist ebenfalls auf die außerordentliche Belastung der Stadt Nürnberg durch das Valka-Lager hin.

Abschließend übergibt Ministerpräsident Dr. Hoegner Herrn Staatsminister Stain einen Abdruck des Briefes des Herrn Bundesministers des Auswärtigen vom 10. August 1955.51

Valka/Langwasser

XIII.Aufsatz in der illustrierten Zeitschrift „Der Stern“ unter der Überschrift „Wir müssen's zahlen!“

Ministerpräsident Dr. Hoegner macht auf einen in Heft Nr. 33 der illustrierten Zeitschrift „Der Stern“ vom 14. August 1955 erschienenen Aufsatz aufmerksam, der unter der Überschrift „Wir müssen’s zahlen“ schärfste Angriffe gegen den föderativen Aufbau der Bundesrepublik enthalte.52 Der Bericht bringe an der Spitze die Aufnahme eines Knaben, der sich angeblich erhängt habe, weil sein Vorrücken in der Schule infolge der Übersiedlung seiner Eltern in ein anderes Bundesland gefährdet gewesen sei. Dieser Selbstmord werde dem Föderalismus zur Last gelegt. Anschließend werde dann mit völlig willkürlich zusammengestellten Zahlen behauptet, daß der Föderalismus dem Deutschen Volk unzählige Milliarden koste.53

Das Bundesministerium für Bundesratsangelegenheiten sei auf diesen Bericht aufmerksam gemacht worden, der übrigens auch von der Zeitung „Rheinischer Merkur“ vom 26. August 1955 als bösartig, unsachlich und demagogisch bezeichnet werde.54 Leider bestehe aber keine Möglichkeit, gegen derartige Presseerzeugnisse irgend etwas zu unternehmen.

XIV.Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalts in Bamberg gegen Willi Wolf u.a. wegen Verunglimpfung von Staatsorganen55

Ministerpräsident Dr. Hoegner erinnert daran, daß im Ministerrat von 25. Januar 1955 beschlossen worden sei, die Ermächtigung zur Strafverfolgung eines Willi Wolf zu erteilen, der in einem Mitteilungsblatt der Kommunistischen Partei Staatsorgane, vor allem die Polizei, in schwerster Weise verunglimpft habe. Die Strafkammer des Landgerichts Bamberg habe jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Begründung abgelehnt, die Ausführungen in dem Mitteilungsblatt der KPD bedeuten eine Kritik an einem Verwaltungsakt eines Regierungsorgans, die in einem demokratischen Staatswesen als erlaubt angesehen worden müsse, insbesondere dann, wenn es sich um eine Maßnahme handle, deren Rechtmäßigkeit nicht von vornherein außer jeden Zweifel gestanden habe.56 Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluß sei dann am 28. Juli 1955 vom Strafsenat des Oberlandesgerichts Bamberg als unbegründet verworfen worden.57

An diesem Fall sei wieder festzustellen, daß die Gerichte nicht durchgreifen. Vielleicht hätte man aber zweckmäßiger Strafantrag nach § 196 StGB für die Polizei stellen sollen.

Staatsminister Dr. Koch bedauert, daß dieser Vorfall einen solchen Ausgang genommen habe. In diesem Zusammenhang sei aber noch folgendes wichtig:

Der Beschuldigte Wolf habe das Flugblatt vor der Verteilung dem Amt für öffentliche Ordnung in Hof zur Kenntnis vorgelegt, es sei dann von dem zuständigen Beamten mit einem Stempelaufdruck versehen worden. Infolgedessen hätte an sich das Gericht bei einer Eröffnung des Hauptverfahrens aller Voraussicht nach feststellen müssen, daß es am subjektiven Tatbestand gefehlt habe. Er empfehle, durch das Innenministerium überprüfen zu lassen, welche Bedeutung die Vorlage von Flugblättern vor der Verteilung bei den Polizeibehörden habe. Jedenfalls müßte von der Polizei ein Vorbehalt gemacht werden, daß mit dem Abstempeln keine Genehmigung verbunden sei.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stimmt zu und ersucht, die Angelegenheit möglichst bald unter den beteiligten Ministerien zu besprechen.

XV.Wiedererrichtung des Stresemann-Ehrenmals in Mainz58

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt ein an alle Ministerpräsidenten der Länder gerichtetes Schreiben des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz vom 20. August 1955 bekannt, in dem mitgeteilt werde, daß der Arbeitsausschuß für die Wiedererrichtung des Stresemann-Ehrenmals in Mainz beabsichtige, das ehemalige Zeughaus in Mainz als Europahaus wieder auf- und umzubauen,59 um dem Ehrenmal wieder einen würdigen Rahmen zu geben. Herr Ministerpräsident Altmeier berufe sich dabei darauf, daß sämtliche Länderchefs dem Ehrenausschuß angehörten.60

In dem Schreiben werde nun angefragt, ob die einzelnen Länder bereit und in der Lage seien, einen „angemessenen Beitrag“ zur Errichtung des Ehrenmals beizusteuern. Der Gesamtaufwand belaufe sich auf 2,2 Mio DM, wovon der Bund etwa 1,2 Mio DM übernehmen solle, während sich die Länder in den Betrag von 800 000 DM nach einem noch näher festzulegenden Schlüssel teilen sollten. Der Bundesfinanzminister, an den sich Herr Altmeier ebenfalls gewandt habe, habe bis jetzt noch keine Antwort erteilt.

Er sei der Auffassung, daß es den Ländern nicht zugemutet werden könne, sich am Wiederaufbau des ehemaligen Zeughauses in Mainz zu beteiligen. Er werde Herrn Ministerpräsident Altmeier deshalb mitteilen, daß Bayern durchaus bereit ist, zur Wiedererrichtung des Stresemann-Ehrenmals beizutragen, aber nicht in der Lage sei, weitergehende Verpflichtungen hinsichtlich des Zeughauses zu übernehmen.

Der Ministerrat nimmt zustimmend Kenntnis.61

XVI.Unterbringung von Truppenteilen, Stäben und Dienststellen62

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest Auszüge aus einem vertraulichen Schreiben des Bundesministeriums für Verteidigung vom 26. August 1955, in dem u.a. ausgeführt werde, daß über die sogenannte Dislozierung, die großräumige Verteilung der Verbände, wichtige Entscheidungen bisher noch ausstünden. Es werde dann eine Übersicht über den derzeitigen Stand der Planungen gegeben mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß das Verteidigungsministerium keine Bedenken erhebe, wenn die Länder entsprechende Veröffentlichungen in der Presse veranlaßten.

In dem Schreiben seien dann folgende fünf Gruppen von Streitkräften, die untergebracht werden müßten, angeführt:

1. Mobile Streitkräfte, die SHAPE oder NATO zur Verfügung gestellt werden (Grundverbände, Verstärkungstruppen und Versorgungstruppen des Heeres; taktische Luftwaffe; Seestreitkräfte).

2. Bodenständige Organisation der mobilen Streitkräfte (Schulen, Lehrtruppen usw.).

3. Militärische Territorial-Organisation ( Militärbereichskommandos, Standortkommandanturen, Truppenübungsplatz-Kommandanturen, Annahme-Organisation usw.).

4. Zivile Verteidigungsverwaltung (Militärbereichsverwaltungen, Standortverwaltungen, Bekleidungs-, Verpflegungs- und Materialdepots sowie eine zentrale Gebührnisstelle).

5. Einheiten der bodenständigen Verteidigung (Art und Umfang noch nicht entschieden).

Die Aufstellung werde mehrere Jahre in Anspruch nehmen, so daß die Frage der endgültigen Unterbringung zunächst offen bleiben müsse. Das Verteidigungsministerium betone aber, daß es auf eine ständige enge Zusammenarbeit mit den Regierungen der Länder größten Wert lege.

Ferner werde mitgeteilt, im Rahmen der militärischen Territorial-Organisation soll Bayern den Militärbereich VI mit einem Militärbereichskommando VI in München bilden; in größeren Standorten seien Standortkommandanturen vorgesehen. Die Dienststellen der Verteidigungsverwaltung sollte sich eng an die militärische Territorial-Organisation und damit an die staatliche Gliederung anlehnen. Als oberste Verwaltungsdienststelle im Militärbereich VI werde gleichrangig neben dem Militärbereichskommando die Militärbereichsverwaltung VI in München stehen.

Das Verteidigungsministerium teilt ferner mit, daß etwa im Spätherbst 1955 das erste militärische Personal in München eintreten werde, die entsprechende gesetzliche Grundlage vorausgesetzt. Im Frühjahr 1956 könne dann voraussichtlich die Arbeit der Annahmeorganisation beginnen. Schließlich werde noch berichtet, daß als Sitz höherer Führungsstäbe außer München einstweilen die Städte Nürnberg, Würzburg, Augsburg und Ingolstadt in Aussicht genommen seien, ferner in München, Murnau und Sonthofen die Einrichtung von Waffenschulen für bestimmte Truppengattungen des Heeres vorgesehen sei.

Dem Schreiben vom 26. August 1955 seien zwei Anlagen beigegeben, deren erste die vorgesehenen Unterbringungsorte für vorbereitende militärische Gruppen in der ersten Zeit enthalte, z.B. München, Nürnberg, Hammelburg, Augsburg, Regensburg, Erding, Lechfeld, Sonthofen usw., während die zweite die Orte angebe, deren Belegung in unterschiedlicher Stärke vorbehaltlich noch zu führender Verhandlungen im ersten Aufstellungsjahr geplant sei. Unter diesen Orten befänden sich Berchtesgaden, Breitengüßbach, Grafenwöhr, Kempten, Memmingen, Mittenwald, Neubiberg, Rosenheim, Traunstein, Wildflecken usw.

Abschließend stellt Ministerpräsident Dr. Hoegner fest, daß eine Stellungnahme zu diesem Schreiben vorerst nicht veranlaßt sei, er habe es aber für notwendig gehalten, das Kabinett zu unterrichten. Vordringlich sei jetzt, in der Bayer. Staatskanzlei ein Wehrreferat zu errichten und die notwendigen Stellen zu schaffen.

Der Ministerrat nimmt Kenntnis.63

XVII.Veranstaltungen, Einladungen usw.

a) Ministerratssitzung in Regensburg

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, aus Wirtschaftskreisen sei der Wunsch an ihn herangetragen worden, die Ministerratssitzung in Regensburg erst Anfang Oktober abzuhalten, da sich während des Monats September der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Herr Seitmann, auf dessen Anwesenheit großer Wert gelegt werde, auf einer Auslandsreise befinde. Er schlage als Termin den 4. Oktober 1955 vor, vorausgesetzt daß nicht in dieser Woche eine Plenarsitzung des Landtags stattfinde.

Der Ministerrat erklärt sich mit diesem Vorschlag einverstanden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bemerkt noch, die Staatskanzlei werde den Termin dem Regierungspräsidenten von Regensburg mittteilen.

b) Besichtigung des Naturschutzgebiets bei Schongau am Lech64

Ministerpräsident Dr. Hoegner erinnert daran, daß der Ministerrat bereits vor längerer Zeit vereinbart habe, im Hinblick auf die Pläne der BAWAG das Naturschutzgebiet bei Schongau zu besichtigen, Als Termin schlage er den 14. September 1955, nachmittags 15 Uhr, vor. Er bitte das Staatsministerium des Innern, über die Oberste Baubehörde die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.65

c) Tagung der Industriegewerkschaft Bau, Steine und Erden

Es wird vereinbart, daß die Vertretung bei dieser Veranstaltung durch das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge übernommen wird.

d) Tagung der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt am 13. Oktober 195566

Staatssekretär Dr. Guthsmuths teilt mit, an dieser Tagung, die heuer in Augsburg stattfinde, habe bisher immer der Bayerische Ministerpräsident teilgenommen. Er bitte deshalb den Herrn Ministerpräsidenten, nach Möglichkeit auch in diesem Jahr anwesend zu sein.67

Staatssekretär Dr. Guthsmuths wird dem Herrn Ministerpräsidenten die Unterlagen übergeben.

e) Kongress der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e.V. in Düsseldorf, 16.–20. September 195568

Ministerpräsident Dr. Hoegner erkundigt sich, ob das Staatsministerium des Innern die Vertretung bei dieser Veranstaltung übernehmen könne.

Staatsminister Dr. Geislhöringer erwidert, er werde einen Vertreter der Gesundheitsabteilung seines Ministeriums entsenden.69

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär