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Nr. 31MinisterratssitzungDienstag, 31. Mai 1955 in Würzburg Beginn: 12 Uhr Ende: 13 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Herr Pfefferkorn (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Kultusminister Rucker, Staatssekretär Vetter (Innenministerium).

Tagesordnung:

I. Gesetz über den Bayerischen Kreis Lindau. II. Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligen-Gesetz). III. Neubeschilderung der Kraftfahrzeuge. IV. Tag der deutschen Einheit – 17. Juni 1955. V. Personalangelegenheiten. VI. Ferienaktion der Zentralen Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder“. VII. Sitzung des Vermittlungsausschusses am Donnerstag, den 26. Mai 1955. VIII. Fronleichnams-Prozession in München 1955. IX. Staatsbesuch des Herrn Ministerpräsidenten in Hessen.

I.Gesetz über den Bayerischen Kreis Lindau1

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, daß er in einer Unterredung mit Herrn Kreispräsidenten Zwisler dessen grundsätzliches Einverständnis zu dem jetzt vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über den Bayerischen Kreis Lindau erhalten habe. Am 26. Mai 1955 seien dann in einer interministeriellen Besprechung, an der auch die Vertreter des Kreises Lindau teilgenommen hätten, die Einzelheiten festgelegt worden.2

Der Herr Kreispräsident habe zu dem Entwurf bereits telegrafisch sein Einverständnis erklärt.

Ministerialrat Dr. Gerner fügt hinzu, auch gegen die vorgesehene Aufhebung des Landgerichts Lindau würden seitens Lindaus keine Einwendungen mehr erhoben, wenn dies auch nicht öffentlich erklärt werden wolle.3

Ministerpräsident Dr. Hoegner weist noch darauf hin, daß Art. 29 GG auf den Bayerischen Kreis Lindau, der nie von Bayern getrennt gewesen sei, nicht angewendet werden könne.

Staatsminister Bezold wirft die Frage auf, ob auch über den Weiterbestand der Industrie- und Handelskammer Lindau gesprochen worden sei.4 Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Augsburg, Herr Vogel,5 fordere nämlich die Übernahme des Lindauer Gebiets in seine Kammer; er habe sogar mit der Niederlegung seines Amtes gedroht, wenn dies nicht alsbald geschehe.

Die Industrie- und Handelskammer Lindau sei im Gegensatz zu den bayerischen Kammern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der frühere Wirtschaftsminister Dr. Seidel habe ihr wiederholt zugesichert, sie werde als eigene Einrichtung aufrecht erhalten bleiben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, die Rechtslage sei die, daß nach bayerischem Recht die Industrie- und Handelskammer keine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei. Die Frage sei nun, ob sich der Status der Kammer eo ipso ändere oder ausdrücklich aufgehoben werden müsse.

Ministerialrat Dr. Gerner meint, wenn der Status der Industrie- und Handelskammer Lindau nur auf einem Verwaltungsakt beruhe, könne er aufgehoben werden, wenn er aber durch Gesetz begründet sei, werde der Bund zuständig sein.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths bemerkt, seines Wissens hätten die Franzosen als Besatzungsmacht das alte Kammerrecht nicht aufgehoben.

Ministerialrat Dr. Gerner stellt fest, daß es sich in diesem Fall wohl um Bundesrecht handle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt abschließend, eine Aufhebung durch Gesetz sei entweder nicht erforderlich oder nicht möglich. Es brauche also über die Industrie- und Handelskammer Lindau in den vorliegenden Gesetzentwurf nichts aufgenommen zu werden. In der nächsten Zeit werde die Staatskanzlei aber in Verbindung mit dem Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr die Rechtslage prüfen.

Der Ministerrat beschließt, den Gesetzentwurf dem Bayerischen Landtag und gleichzeitig dem Bayerischen Senat zuzuleiten.6

Gesetz über den bayerischen Kreis Lindau vom 23. Juli 1955

II.Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligen-Gesetz)7

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung sei am Pfingstsamstag eingelaufen; die Bundesregierung wünsche, daß er schon im Bundesrat vom 3. Juni 1955 behandelt werde.8 Einem Wunsche des Herrn Ministerpräsidenten Arnold entsprechend, habe er mit Minister Dr. Sträter von Nordrhein-Westfalen am 28. Mai eine eingehende Besprechung über die Wehrfragen gehabt. Man habe sich über eine Reihe von Punkten geeinigt, die er jetzt bekanntgeben wolle.

Anschließend verliest Ministerpräsident Dr. Hoegner die in der Besprechung zwischen ihm und Minister Dr. Sträter erörterten Punkte.9

Er bitte den Ministerrat, mit diesen Vorschlägen einverstanden zu sein. Ministerpräsident Arnold werde die Angelegenheit weiter betreiben und versuchen, die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Niedersachsen sowie den Bürgermeister von Hamburg dafür zu gewinnen. Er selbst werde sich an Ministerpräsident Zinn und Bürgermeister Kaisen wenden.10 Zunächst bitte er aber die Herren Kabinettsmitglieder, die Sache vertraulich zu behandeln und abzuwarten, bis Ministerpräsident Arnold weitere Schritte ergreife.

Der Ministerrat erklärt sich mit den Vorschlägen einverstanden.

In diesem Zusammenhang macht Staatsminister Stain darauf aufmerksam, daß im Bereich des Arbeitsministeriums eine Reihe von Angestellten abgebaut werden müßten, die aktive Wehrmachtsbeamte gewesen seien. Er bitte nach Möglichkeit darauf Einfluß zu nehmen, daß diese Angestellten für die künftige Wehrmachtsverwaltung vorgeschlagen würden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner sichert zu, entsprechende Schritte zu unternehmen.11

Gesetz über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligengesetz) vom 23. Juli 1955

III.Neubeschilderung der Kraftfahrzeuge12

Ministerpräsident Dr. Hoegner nimmt Bezug auf ein an das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr gerichtetes Schreiben des Staatsministeriums des Innern vom 12. Mai 1955, in dem mitgeteilt werde, daß das Bundesverkehrsministerium beabsichtige, demnächst die Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge neu zu regeln.13 Geplant sei, hinter der Erkennungsnummer lediglich die Anfangsbuchstaben der jeweiligen Zulassungsstellen aufzuführen (z.B. 1912 - M = München). In einem Gegenvorschlag empfehle der Ausschuß für wirtschaftliche Verwaltung in Frankfurt, die Bundesrepublik ohne Rücksicht auf die Grenzen der einzelnen Bundesländer in fünf Gebietsräume einzuteilen und mit einheitlichen Raumnummern zu versehen.

Das Staatsministerium des Innern wende sich entschieden gegen beide Vorschläge, die darauf abzielten, die Länderbezeichnungen in Zukunft zu beseitigen. Dabei werde auf das Beispiel anderer Länder wie die Schweiz, Italien, Frankreich usw. verwiesen. Außerdem werde in der erwähnten Note das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr gebeten, sich für eine Lösung einzusetzen, welche die Beibehaltung der Länderbezeichnung auf den neuen Kennzeichen ermögliche.

Er selbst stimme der Auffassung des Staatsministeriums des Innern zu, das sich mit Recht gegen die Abschaffung der Länderbezeichnungen wende, die auch sachlich völlig unbegründet sei.

Staatsminister Bezold erklärt, das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr habe selbst Vorschläge für eine neue Beschriftung der Kraftfahrzeugschilder gemacht, er habe aber wenig Hoffnung, daß sie angenommen würden.14

Der Ministerrat beschließt, das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr entsprechend der Note des Staatsministeriums des Innern vom 12. Mai 1955 zu beauftragen, gegen die jetzt vorliegenden Vorschläge Vorstellungen beim Bundesverkehrsministerium zu erheben.15

KfZ-Kennzeichen

IV.Tag der deutschen Einheit – 17. Juni 195516

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt ein Schreiben des Bundesministers des Innern vom 20. Mai 1955 bekannt, in dem die Ministerpräsidenten gebeten werden, am Tag der deutschen Einheit in den Ländern Feiern zu veranstalten und die Beflaggung der öffentlichen Gebäude anzuordnen. Die Bundesregierung begrüße es insbesondere, wenn am 17. Juni 1955 oder am Vortage Schulfeiern abgehalten würden, in denen auf die Bedeutung der Erhebung vom 17. Juni 1953 hingewiesen werde.17

Ein Erlaß über die Beflaggung der Gebäude sei nicht notwendig, da bereits in den Vollzugsvorschriften zur Bekanntmachung der Bayer. Staatsregierung über die bayerische Staatsflagge und die Dienstflaggen für Kraftfahrzeuge vom 15. Januar 1954 der 17. Juni (Tag der deutschen Einheit) als regelmäßiger Beflaggungstag erklärt worden sei (vergl. BGVB1. Nr. 2/1954).18

Dagegen bitte er das Staatsministerium für Unterricht und Kultus – ebenso wie im vergangenen Jahr – im Staatsanzeiger eine Bekanntmachung über Feierstunden in den Schulen zu erlassen.

Staatssekretär Dr. Meinzolt sichert zu, die erforderlichen Anordnungen zu treffen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, es sei angeregt worden, am Samstag, den 18. Juni 1955 allgemeine Dienstbefreiung zu gewähren und dafür den freien Samstag im Monat Juni ausfallen zu lassen.

Staatsminister Dr. Baumgartner und Staatsminister Bezold äußern Bedenken, am Samstag, den 18. Juni 1955 sämtliche Behörden zu schließen, da dies in der Öffentlichkeit mißverstanden werden könne. Vielleicht könne man mit einem Jourdienst in den einzelnen Ministerien zurecht kommen.

Staatsminister Zietsch entgegnet, das werde zu Schwierigkeiten in den Ministerien führen, er empfehle, dem Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten zu folgen. Jeder Angehörige des öffentlichen Dienstes habe bekanntlich einen freien Samstag im Monat. Er halte es für zweckmäßig, wenn dieser einheitlich am 18. Juni 1955 eingebracht werde.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß eine Bekanntmachung im Staatsanzeiger unnötig sei.

Der Ministerrat beschließt, den freien Samstag im Juni allgemein auf den 18. Juni 1955 zu verlegen.

V.Personalangelegenheiten

Ernennung des Senatspräsidenten Dr. Bruno Mauder zum Präsidenten des Bayerischen Landessozialgerichts

Auf Wunsch von Staatsminister Zietsch wird beschlossen, die Behandlung dieses vom Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge vorgelegten Antrags bis zur Ministerratssitzung vom 7. Juni 1955 zurückzustellen.19

VI.Ferienaktion der Zentralen Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder“20

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt ein Schreiben des Westdeutschen Arbeitslosen-Ausschusses Frankfurt vom 17. Mai 1955 bekannt, das an eine Reihe von Bundesministern und an sämtliche Ministerpräsidenten gerichtet sei und in dem in unverschämtem Tone Beschwerde darüber geführt werde, daß die Ferienaktion „Frohe Ferien für alle Kinder“ behindert werde.21 Bekanntlich handle es sich bei dem Westdeutschen Arbeitslosen-Ausschuß um eine kommunistische Organisation, die auch in diesem Jahr alles versuche, um möglichst viele Kinder aus der Bundesrepublik in den Ferien in die Sowjetzone zu verschicken.

Er werde dieses Schreiben dem Staatsministerium des Innern zuleiten, damit die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere zur Aufklärung der Eltern, eingeleitet würden. Es empfehle sich wohl auch, in dieser Sache die Verbindung mit den übrigen Ländern in der Bundesrepublik herzustellen.

Staatsminister Dr. Geislhöringer sichert zu, das Erforderliche veranlassen zu wollen.22

Erholungsfürsorge

VII.Sitzung des Vermittlungsausschusses am Donnerstag, den 26. Mai 1955

Staatsminister Zietsch berichtet über diese Sitzung des Vermittlungsausschusses, auf der ein Kompromiß gefunden worden sei. Die Länder übernähmen demnach die Garantie für ein Aufkommen bis zu 2600 Mio DM im Jahr. Ursprünglich sollte dieser Betrag erst im Jahre 1957 erreicht werden, die Länder hätten sich aber bereiterklärt, die Garantie in der Höhe von 2,6 Milliarden DM schon von Anfang an zu übernehmen.

Die Garantie sei begrenzt auf das Aufkommen aus der Vermögenssteuer und zwar auf 90% dieser Steuer.

Der Vorschlag habe die einmütige Zustimmung der Bundestagsabgeordneten gefunden, auch die Mehrzahl der Länder habe sich dafür ausgesprochen mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Niedersachsen sei im Hinblick auf die derzeitige Regierungsbildung nicht vertreten gewesen.

Das Finanzverfassungsgesetz23 sei an einen Unterausschuß verwiesen worden, in dem Bayern vertreten sei. Die finanzstarken Länder wendeten sich vorläufig noch gegen die Vorschläge der finanzschwachen Länder.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bezeichnet es als erfreulich, daß in der Frage des Lastenausgleichs ein Einvernehmen erzielt worden sei.

Übrigens tage der Sicherheitsausschuß des Bundesrats zum erstenmal am kommenden Freitag in Bonn. Mit Rücksicht auf den Besuch des amerikanischen Botschafters Mr. Conant könne er an der Sitzung nicht teilnehmen.24 Er bitte Herrn Staatssekretär Dr. Haas zusammen mit Herrn Staatsminister Rucker die Vertretung zu übernehmen.

VIII.Fronleichnams-Prozession in München 1955

Es wird vereinbart, daß an der diesjährigen Fronleichnamsprozession die Herren Staatsminister Dr. Baumgartner, Dr. Geislhöringer und Rucker, sowie die Herren Staatssekretäre Eilles, Dr. Panholzer und Weishäupl teilnehmen.

IX.Staatsbesuch des Herrn Ministerpräsidenten in Hessen25

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, daß er einer Einladung des Herrn Ministerpräsidenten Zinn folgend am 18. Juni 1955 zu einem Staatsbesuch nach Wiesbaden fahren und sich dort bis 20. Juni aufhalten werde. Herr Ministerpräsident Zinn habe auch die anderen Mitglieder des Kabinetts mit ihren Damen eingeladen. Er bitte in der nächsten Ministerratssitzung mitzuteilen, wer von den Herren Ministern und Staatssekretären an dem Besuch teilnehmen wolle.26

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär