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Nr. 19Außerordentliche MinisterratssitzungDienstag, 15. März 1955 Beginn: 18 Uhr 35 Ende: 19 Uhr 05
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Kultusminister Rucker, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Besprechung der Pariser Verträge.

I.Besprechung der Pariser Verträge1

1. Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland2

2. Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland3

3. Entwurf eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag4

4. Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar5

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt einleitend fest, daß von diesen vier Gesetzen lediglich das erste, das den sogenannten Souveränitätsvertrag zum Gegenstand habe, der Zustimmung des Bundesrats bedürfe.

Ministerialrat Dr. Gerner fügt hinzu, die Zustimmungsbedürftigkeit sei sowohl vom Bundestag wie auch von der Bundesregierung anerkannt worden. Es handle sich um eine Fortsetzung des früheren Deutschland-Vertrages, in den noch Teile des Truppenvertrages und zahlreiche andere Änderungen und Ergänzungen eingearbeitet worden seien.

Der Ministerrat beschließt mit Mehrheit, dem Gesetzentwurf zuzustimmen,

Zu Punkt 2) und 3) erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, dass diese beiden Gesetzentwürfe wohl zusammen behandelt werden könnten.

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet, die Gesetzentwürfe unter Punkt 2) und 3) seien ebenso wie das Saarstatut (Punkt 4) nicht zustimmungsbedürftig.

Was das Verfahren zur Anrufung des Vermittlungsausschusses betreffe, so könne der Bundesrat entweder innerhalb einer bestimmten Frist den Vermittlungsausschuß anrufen oder auf die Anrufung verzichten oder auch ohne Erklärung die Frist verstreichen lassen.

Der Ministerrat beschließt mit Mehrheit, den Gesetzentwürfen unter Punkt 2) und 3) zuzustimmen.

4. Saarstatut

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, was das sogenannte Saarstatut betreffe, so seien in jüngster Zeit folgende beiden neuen Gesichtspunkte aufgetaucht:

1. Der Herr Bundeskanzler behaupte, die britische und die amerikanische Regierung hätten bekanntgegeben, daß ihre früheren Zusicherungen hinsichtlich des Saargebiets zu Gunsten Frankreichs weggefallen seien. Frankreich habe daraufhin widersprochen, während die beiden anderen Länder ausweichend geantwortet hätten. Dieser Punkt sei also jedenfalls nicht völlig klargestellt;

2. habe der Herr Bundeskanzler behauptet, der frühere französische Ministerpräsident, Mendès France, habe ihm zugesichert, daß auch nach der Annahme des Saarstatuts noch die Möglichkeit bestehe, im Saargebiet für Deutschland Propaganda zu machen. Diese Behauptung habe sich jedoch nicht bestätigt, da Frankreich diese Propaganda nur noch vor Beginn der Friedensverhandlungen zulassen wolle.6

Anschließend gibt Ministerpräsident Dr. Hoegner ein Schreiben des hessischen Bevollmächtigten in Bonn, Staatsrat Apel, bekannt, das den Wortlaut des Antrags des Landes Hessen zur Anrufung des Vermittlungsausschusses enthalte.

Ministerialrat Dr. Gerner macht darauf aufmerksam, daß der Bundestag diese hessische Erklärung zum Teil übernommen habe, allerdings nur in einer Entschließung.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bestätigt, daß es sich hier nur um eine einseitige Feststellung des Bundestags handle, die den anderen Vertragspartner nicht binde.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt dann die Frage an das Kabinett, welche Herren sich für die Unterzeichnung eines solchen Antrags auf Anrufung des Vermittlungsausschusses aussprächen.

Der Ministerrat bestimmt einstimmig, einen derartigen Antrag zu unterstützen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt abschließend nochmals fest, daß ein Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses von Bayern unterstützt werde; werde jedoch kein Antrag gestellt, so empfehle er, nicht von Bayern aus die Initiative zu ergreifen.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

Auf eine Anfrage von Ministerialrat Dr. Gerner erwidert Ministerpräsident Dr. Hoegner mit Zustimmung des Ministerrats, wenn überhaupt kein Antrag gestellt werde, sollten die bayerischen Vertreter keine Erklärung abgeben.

Staatssekretär Dr. Panholzer erkundigt sich, ob die Bundesregierung eine Mitteilung über Zusatzprotokolle zu den Verträgen gemacht habe. Daß solche Zusatzprotokolle bestünden, habe Staatssekretär Globke zugegeben.

Staatssekretär Dr. Haas bemerkt, dies habe sich nur auf Zusatzprotokolle zum EVG-Vertrag bezogen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, auch ihm sei davon nichts bekannt, allerdings seien heute noch sogenannte Punktationen vom 22. Oktober 1954 gekommen, diese seien aber bereits überholt. Es handle sich auch nur um Aufzeichnungen, die sich der Bundeskanzler für die Unterredung mit Ministerpräsident Mendès France zurechtgelegt und mit den Vertretern der Fraktionen des Bundestags bei seinem Aufenthalt in Paris besprochen habe. Im übrigen heiße es, diese Punktationen seien nicht erschöpfend.

Staatssekretär Dr. Panholzer gibt noch folgende persönliche Erklärung ab:

Er, für seine Person, halte die Pariser Verträge und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik für sinn- und zwecklos.

Die Wiederbewaffnung bedeute eine Verschärfung der Lage auf dem Kontinent, er befürchte, daß sich die Verträge besonders für Bayern verhängnisvoll auswirkten und daß sie der Anfang vom Ende der Demokratie werden könnten.

Er sei fest überzeugt, daß mit diesem Vertrag für Deutschland und Bayern ein sehr schweres Schicksal hereinbreche.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, über die möglichen Auswirkungen der Verträge und der Wiederbewaffnung seien sich wohl alle Mitglieder des Kabinetts klar. Aufgabe der Bayerischen Regierung sei es aber, diese Auswirkungen abzuschwächen, soweit es in ihren Kräften stehe.

Der Besuch des Sicherheitsbeauftragten der Bundesregierung in der nächsten Woche biete Gelegenheit, die bayerischen Forderungen anzumelden,7 insbesondere, was die staatsbürgerliche Erziehung in der künftigen Wehrmacht betreffe. Mit Nachdruck müsse man auch darauf hinwirken, daß jenes Element zurückgedrängt werde, das in der nationalsozialistischen Zeit die Offizierskariere ergriffen und fanatisch an Hitler festgehalten habe.8

Er mache kein Hehl daraus, daß er nicht verstehe, warum man nicht auf die alte Forderung der SPD, eine Miliz aufzustellen, zurückgekommen sei, zumal die Schweiz anerkanntermaßen mit diesen Wehrsystem die günstigsten Erfahrungen gemacht habe. Die Bayerische Regierung habe darauf freilich keinen Einfluß, sie müsse sich aber bemühen, die künftige Wehrmacht so demokratisch wie möglich zu gestalten, Es sei zu hoffen, daß die Furcht vor dem Atom-Krieg in aller Welt so groß sei, daß es nicht mehr zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit all ihren Verhängnissen kommen werde.

Staatsminister Dr. Baumgartner spricht sich noch für die Notwendigkeit, einen Beitrag zur europäischen Verteidigung zu liefern, aus.

Zum Schluß empfiehlt Ministerpräsident Dr. Hoegner, keine Pressemitteilung über die heutige Sitzung herauszugeben, zumal die letzte Verantwortung im Bundesrat diejenigen Herren hätten, die für Bayern ihre Stimme abgeben. Vielleicht könne man folgenden Beschluß mitteilen:

Der Bayerische Ministerrat hat beschlossen, über das Abstimmungsergebnis in der heutigen Sitzung nichts bekannt zugeben. Es ist nicht üblich, daß das Ergebnis von Beratungen über die Abstimmung im Bundesrat der Presse mitgeteilt wird.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

Es wird noch festgestellt, daß an der nächsten Bundesratssitzung die Herren Staatsminister Dr. Baumgartner und Zietsch sowie die Herren Staatssekretäre Dr. Haas und Weishäupl teilnehmen.9

Pariser Verträge
Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär