Bayerische Staatsregierung, Regierungspräsident Dr. Hölzl, Regierungsvizepräsident Dr. Bayer, Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer, Dr. Bolza, Präsident der Industrie- und Handelskammer Würzburg, Herr Euler, Präsident der Industrie- und Handelskammer Aschaffenburg, Herr Philipp Schrepfer, Präsident der Handwerkskammer für Unterfranken, Bundestagsabg. Fuchs, Präsident des Bezirksverbands Unterfranken im Bayer. Bauernverband, Kreisverbandsvorsitzender des DGB Albert, Bundesoberverwaltungsrat Probst, Direktor des Arbeitsamtes Würzburg, Oberbürgermeister Dr. Weiß, Bad Kissingen, Präsident des Bezirkstags von Unterfranken.
Regierungspräsident Dr. Hölzl begrüßt den Herrn Ministerpräsidenten und die übrigen Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung und drückt seine Freude aus, daß der Ministerrat zum erstenmal eine Sitzung in Würzburg abhalte.
Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, die Staatsregierung habe beschlossen, im Laufe des Jahres die bayerischen Regierungsbezirke zu besichtigen und sich an Ort und Stelle ein Bild von den kulturellen und wirtschaftlichen Fragen zu verschaffen. Sie lege besonderen Wert darauf, enge Fühlung mit den Wirtschaftskreisen und allen Schichten der Bevölkerung zu gewinnen.
Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer gibt dann einen Überblick über den Stand des Wiederaufbaues der in den letzten Kriegstagen fast völlig zerstörten Stadt Würzburg.
Im einzelnen führt Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer folgendes aus:
a) Die Wiederaufbauhilfe an die am meisten zerstörten Städte in Bayern müsse in der bisherigen Form solange weiter gewährt werden, bis der Anschluß an die weniger oder gar nicht betroffenen Städte erreicht sei. Infolgedessen müsse das Sondernotkontingent für die sogenannten Großnotstädte beibehalten werden. Er bitte dringend, die Beihilfen als Zuschüsse weiter zu gewähren und eine Laufzeit von mindestens 25 Jahren bei einem Zinsfuß von 4% einzuräumen, falls die Hingabe von Darlehen in Frage komme.
b) Die Trümmerräumung in Würzburg sei noch immer eine höchst wichtige Aufgabe, es werde deshalb gebeten, den Zuschuß für die Trümmerräumung im Rahmen der Wiederaufbauhilfe noch eine Reihe von Jahren zu geben.
c) in dem für die Verteilung der Wohnungsbaumittel geltenden Schlüssel dürfe keine Änderung zum Nachteil der Großstädte eintreten, zumal die Schäden auf dem flachen Land allmählich beseitigt worden seien.
d) Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer bezeichnet dann die Zuschüsse für die Berufsschulen als unzureichend und betont, das gleiche gelte für die höheren Schulen.
e) Die augenblicklichen Bedingungen auf dem Kapitalmarkt seien sehr ungünstig und gefährdeten den sozialen Wohnungsbau. Schon jetzt sei es nicht mehr möglich, beim Bau von Wohnungen für Minderbemittelte angemessene Mietzinsen festzusetzen.
f) Von besonderer Bedeutung für die Stadt Würzburg ebenso wie für ganz Unterfranken sei die Sicherung des städtischen Theaters.1 Mehr und mehr zeige sich die Neigung, die sogenannten Provinztheater verarmen zu lassen mit der Folge, daß der auch für die großen Staatstheater notwendige künstlerische Nachwuchs nicht mehr herangebildet werden könne. In diesem Zusammenhang verweist Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer auf die Pläne für einen Neubau des Theaters in Würzburg und unterstreicht die Notwendigkeit, dafür entsprechende Staatszuschüsse zur Verfügung zu stellen.
g) Dringend erforderlich sei auch die Förderung des Weiterbaues der Bundesstraße 3. Er bitte die Staatsregierung, soweit wie irgend möglich, bei diesen Plänen mitzuwirken.
h) Außerordentlich ungünstig sei nach wie vor die Lage derjenigen Hauseigentümer, deren bisher durch die Besatzungsmacht beschlagnahmten Häuser nun freigemacht würden; die Auszahlung der ihnen zustehenden Beträge werde in nicht zu verantwortender Weise verzögert.
j) Anschließend behandelt Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer das Problem der Obdachlosenunterbringung, das jetzt völlig anders gelagert sei als früher und mit den hergebrachten Verwaltungsmaßnahmen nicht gelöst werden könne.
k) Die Polizeikostenzuschüsse müßten im Hinblick auf die überörtliche Bedeutung der Organisation der städtischen Polizei erhöht werden.
l) Was das Gebiet der Gesetzgebung betreffe, so empfehle er, aus städtebaulichen Gründen eine geeignete Möglichkeit zur Enteignung, insbesondere zur Umlegung von Grundbesitz, zu schaffen. Es sei in der Tat so, daß ein Einzelner durchaus in der Lage sei, jahrelang den Aufbau einer ganzen Straße zu verhindern, weil das Enteignungsverfahren viel zu schwierig und zeitraubend sei. Auch eine einwandfreie Rechtsgrundlage für den Erlaß von Vorschriften zum Schutz der Trinkwasserversorgung müsse sobald als möglich geschaffen werden. Das im Entwurf vorliegende Bayer. Landesstrafgesetz2 sehe darüber zwar eine Bestimmung in Art. 12 vor, sie sei aber nicht ausreichend.
Abschließend unterstreicht Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer die Notwendigkeit, mit der Verwaltungsvereinfachung ernst zu machen.
Präsident Dr. Bolza geht zunächst auf die Geschichte der Industrie- und Handelskammer nach dem Ende des Krieges ein und führt anschließend folgendes aus:
a) Gewerbesteuer:
Durch die Steuerreform seien für die Wirtschaft gewisse Erleichterungen eingetreten, die größere Gewinne erwarten ließen, damit werde sich aber auch die Gewerbesteuer erhöhen. Infolgedessen werde in der Wirtschaft der Wunsch laut, daß die Hebesätze durch die Gemeinde fühlbar gesenkt würden. Andererseits erhielten jedoch die Gemeinden Staatszuschüsse nur dann, wenn die Gewerbesteuer in voller Höhe erhoben werde. Er empfehle deshalb, die Koppelung von Hebesatz der Gewerbesteuer und Staatszuschüsse zu beseitigen. Insbesondere müßten die kriegsgeschädigten Betriebe, die auf die Aufnahme von Fremdkapital angewiesen seien, begünstigt werden. Die Industrie- und Handelskammer Würzburg werde noch weitere Schritte in dieser Angelegenheit unternehmen.
b) Die Wirtschaft wünsche ferner eine bessere Pflege der Straßen, die über Gebühr in Anspruch genommen würden und in diesem Frühjahr durch Frostschäden sehr schwer gelitten hätten. Von allergrößter Wichtigkeit sei der Bau der Autobahn Nürnberg-Würzburg-Frankfurt.3
c) Präsident Dr. Bolza betont dann die Wichtigkeit der Berufsausbildung der gewerblichen Jugend, die im internationalen Wettbewerb ein starkes Aktivum darstelle. Die Industrie- und Handelskammern befürchteten, daß die Ausbildung beeinträchtigt werde, wenn sie aus der Befugnis der Kammern herausgenommen werde.
d) Abschließend dürfe er noch feststellen, daß die Industrie- und Handelskammern keine politischen, sondern Wirtschaftsorganisationen seien, die sich immer von der Politik ferngehalten hätten. Ihre Aufgabe liege in der Förderung aller Maßnahmen zur Erleichterung der Gütererzeugung und ihrer Verteilung. Damit leisteten sie dem ganzen Volk wertvolle Dienste.
Präsident Euler greift besonders die Fragen auf, die Aschaffenburg und das Untermaingebiet betreffen.
Von größter Wichtigkeit sei der Bau der zweiten Mainbrücke in Aschaffenburg, der bisher über Planungen noch nicht hinausgelangt sei.4 Er bitte auch das Augenmerk auf die Erschließung des Kahlgrundes zu lenken, vor allem darauf, daß das Berufsverkehrsnetz in diesen Gebiet ausgebaut werde. Gerade aus dieser Gegend kämen täglich zahlreiche Arbeiter in die Betriebe in Aschaffenburg und Umgebung, die leider durch die Mängel im Eisenbahnverkehr erhebliche Zeit auf der Bahn zubringen müßten.
Im Namen aller Kreise der Stadt Aschaffenburg dürfe er die schon früher geäußerten Bitten wiederholen, das Justizgebäude wieder aufzubauen, Zuschüsse für die Wiederherstellung der Gewerbeschule und für das Humanistische Gymnasium zu gewähren und vor allem den Wiederaufbau des Schlosses zu beschleunigen.
Die Aschaffenburger Bürger brächten zwar sehr große Opfer für die Wiederherstellung des Schlosses, ohne fühlbare Hilfe des Staates könne aber der Aufbau nicht durchgeführt werden.5
Präsident Schrepfer schildert die schwierige Lage der Nostandsgebiete in der Rhön, die sich besonders beim Holzhandwerk auswirke. Er bitte dringend, bei dem zukünftigen Bau der Autobahn soweit nur irgend möglich orts- und bezirksansässige Betriebe zu berücksichtigen und auch bei sonstigen Aufträgen der öffentlichen Hand das unterfränkische Handwerk nicht zu vergessen.
Die Vcrwaltungsvereinfachung werde zwar auch vom Handwerk begrüßt, er warne aber davor, die Vereinfachung auf Kosten der kleinen Ämter vorzunehmen; insbesondere bitte er darum, das Amtsgericht Arnstein nicht aufzuheben.
Abschließend drückt Präsident Schrepfer seine Sorge über den Abzug der Arbeitskräfte aus dem Handwerk durch die Industrie aus und fordert die weitere Förderung der Berufsschulen.
Bundestagsabgeordneter Fuchs erwähnt zunächst das dem Bundestag im Entwurf vorliegende Landwirtschaftsgesetz und bittet darum, daß der Bundesrat diese Gesetzesvorlage unterstütze.6
Was die unterfränkischen Fragen selbst betreffe, so handle es sich hier um ein Gebiet mit Klein- und Kleinstbetrieben.
51 000 Landwirte (62%) bearbeiteten einen Besitz bis zur Größe von 5 ha; dagegen fehle weitgehend der gesunde bäuerliche Mittelbetrieb. Im Gegensatz z.B. zu Oberbayern, wo es 33,8% derartige Betriebe gebe, sei die entsprechende Prozentzahl in Unterfranken nur 12,4%. Unter diesen Umständen sei gerade in Unterfranken die Flurbereinigung besonders wichtig.7 Allerdings werde sie nur zum Ziel führen, wenn die so unheilvolle Realteilung hier aufhöre. Die Flurbereinigung müsse deshalb mit der Aufstockung der Kleinbetriebe und der Auflockerung der Dörfer verbunden worden. Bekanntlich gebe es gerade in Unterfranken unzählige kleine Grundstücke, die Eigentümern gehörten, die schon längst nicht mehr in den Dörfern wohnten.
Von größter Wichtigkeit sei die sogenannte Anlieger-Siedlung. Man könne in Unterfranken keine neuen Bauernstellen mit 12 bis 15 ha errichten, wenn die einheimischen Bauern nur über 5–6 ha im Durchschnitt verfügten. Infolgedessen müsse die Anlieger-Siedlung den Vorrang vor der Neusiedlung haben.
Als besonders bedenklich bezeichnet Präsident Fuchs die Landflucht in Unterfranken. Immer wieder beobachte man, daß junge arbeitsfähige Leute sich weigerten, in der Landwirtschaft zu arbeiten und statt dessen Arbeitslosenunterstützung bezögen. Hier seien strenge Maßnahmen am Platz, er bitte die Staatsregierung, ihren ganzen Einfluß geltend zu machen.
Was den Obst- und Gartenbau betreffe, so gefährde die Einfuhr aus dem Ausland die Existenz zahlreicher Betriebe. Eine bessere Abstimmung zwischen der saisonbedingten Eigenerzeugung und den Importen müsse gefunden werde. Der Weinbauverband bitte um Förderung der Zusammenlegung der Weinberge und des Genossenschaftswesens.
Arbeisverbandsvorsitzender Albert stellt zunächst fest, daß immer noch zahlreiche Verstöße gegen die Unfallvorschriften, das Arbeitszeitgesetz usw. vorkämen, während von den Gerichten viel zu geringe Strafen ausgesprochen würden. Der Personalstand der Gewerbeaufsichtsbehörden sei zu gering, sie könnten deshalb ihre Aufgaben nicht in der erforderlichen Art und Weise durchführen.
Die Gewerkschaften wünschten seit langem ein neues Berufsausbildungsgesetz, das im Entwurf bereits vorliege. Er bitte die Staatsregierung, ihrerseits auf möglichst baldige Verabschiedung dieses Gesetzes zu drängen. Im übrigen stimmt Herr Albert verschiedenen Forderungen, die schon Herr Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer aufgestellt hat, zu, insbesondere was das Theater in Würzburg und den sozialen Wohnungsbau betrifft.
Bundesoberverwaltungsrat Probst gibt dann einen eingehenden Bericht über die Arbeitsrmarktlage in Unterfranken. Während in den Bereichen der Arbeitsämter Würzburg und Schweinfurt etwa 39% der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft und 33 bezw. 36% in Industrie und Handwerk beschäftigt seien, beziffere sich die entsprechende Prozentzahl im Bereich des Arbeitsamtes Aschaffcnburg auf 27 bzw. 51%. Die Unterschiede innerhalb Unterfrankens seien demnach sehr erheblich. Im übrigen sei der Regierungsbezirk ein Gebiet der Klein- und Mittelbetriebe, während insgesamt nur neun Betriebe mit über 1000 Beschäftigten vorhanden seien.
Als bedenklich bezeichnet Bundesoberverwaltungsrat Probst die immer noch vorhandene strukturelle Arbeitslosigkeit, die durch Notstandsmaßnahmen allein nicht behoben werden könne; erforderlich sei vor allem eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse.
Abschließend dankt Ministerpräsident Dr. Hoegner allen Herren für ihre eingehenden und aufschlußreichen Vorträge und bittet sie, mittags als Gäste der Bayerischen Staatsregierung an einem Essen teilzunehmen.