Ministerpräsident Dr. Hoegner, Arbeitsminister Roßhaupter, Innenminister Seifried, Kultusminister Dr. Fendt, Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Verkehrsminister Helmerich, Staatssekretär Dr. Kraus (Bayerische Staatskanzlei), Staatssekretär Ficker (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Ehard (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium).
Finanzminister Dr. Terhalle, Wirtschaftsminister Dr. Erhard, Staatsminister für Sonderaufgaben Dr. Pfeiffer, Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Staatssekretär Waldhäuser (Verkehrsministerium).
I. Bericht über Bremen und Stuttgart. [II. Sozialversicherung]. [III.] Personalangelegenheiten. [IV. Termin der Landtagswahl]. [V. Sachverständigenkammern]. [VI. Eingliederung der Regierungsforstämter in die Kreisregierungen]. [VII. Kloster Reisach am Inn der unbeschuhten Karmeliter]. [VIII. Flüchtlingsgesetz]. [IX. Landesidentifizierungsbüro]. [X. Wahlen zu den Ärztekammern]. [XI. Richtlinien zur Wiedereinstellung von Beamten]. [XII. Bergarbeiter]. [XIII. Genossenschaften]. [XIV. Bevollmächtigter für den Nahverkehr]. [XV. Brennstoffzuteilung für Regierungsmitglieder]. [XVI. Vorfälle in Neunburg vorm Wald]. [XVII. Vorsitz im kommissarischen Aufsichtsrat der Baywa und der landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft]. [XVIII. Synagoge in der Reichenbachstraße]. [XIX. Entlassung von Ministerialrat Dünschede]. [XX. Ankauf von Hotels durch den Staat]. [XXI. Sabotage der Entnazifizierung durch Alfred Loritz].
Dr. Hoegner eröffnet die Sitzung und erstattet zunächst Bericht über die Tagung der Ministerpräsidenten in Bremen.1 Es seien nur die Ministerpräsidenten der amerikanischen und britischen Zone erschienen. Der Zweck der Tagung, daß sämtliche deutschen Ministerpräsidenten ihre Erfahrungen ausgetauscht hätten, sei nicht erreicht worden. Trotzdem sei auf der Tagung eine erfreuliche Übereinstimmung der beiden Zonen erzielt worden. Es seien einmütig eine Reihe von Entschließungen gefaßt worden, über die das Nähere bereits in den Zeitungen enthalten sei.2 Wichtig sei vor allem gewesen eine Entschließung über die Angleichung der Denazifizierung und ein Beschluß über die Behandlung derjenigen Staatsverbrecher, die nicht von den alliierten Militärgerichten abgeurteilt würden. Es seien eine Reihe bedeutsamer Vorträge gehalten worden, an die sich gemeinsame Entschließungen angeschlossen hätten, so ein Referat über die Währungsreform und über wirtschaftliche Fragen. Die Regierungschefs seien einmütig der Auffassung gewesen, daß auch die britische Zone künftig in den Ausschüssen durch politisch verantwortliche Fachminister vertreten sein solle. Darüber hinaus sei es als geboten erschienen, daß die fünf gemeinsamen Verwaltungsausschüsse einer parlamentarischen Überwachung unterstehen sollten. Diese müßte durch Beiräte ausgeübt werden, die sich aus Mitgliedern der Landtage zusammensetzten. Diesem Wunsch sei jedoch von der Militärregierung nicht entsprochen worden. Es hätte für ganz Deutschland ein Länderrat aus sämtlichen Ministerpräsidenten und daneben ein Volksrat aus Vertretern der Länderparlamente gebildet werden sollen. General Clay habe aber in Stuttgart mitgeteilt, daß dies nicht möglich sei, weil dadurch der künftigen Gestaltung Deutschlands vorgegriffen werde oder der Anschein eines solchen Vorgriffs erweckt werde. Die Verhandlungen seien in äußerst freundschaftlichem Geist geführt worden. Der Eindruck sei durchaus erfreulich gewesen, insbesondere habe sich gezeigt, daß die neuen Länderchefs der britischen Zone3 in der Wahrung der Rechte der Länder gegenüber den Zentralinstanzen ohne Unterschied auf ihre Parteizugehörigkeit es uns mindestens gleich tun.
Ministerpräsident4 General Clay habe zunächst über eine Reihe von Zuständen seine Mißbilligung ausgedrückt, insbesondere über die ungenügende Lage der Nahrungsmittelversorgung, über die Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Vereinigung mit der britischen Zone und über die ungenügende Durchführung des Denazifizierungsgesetzes. Er habe dann weiter über die drei Verfassungsentwürfe gesprochen. Es seien zwar noch kleinere Abänderungen erforderlich, die Verfassungen seien jedoch ein guter Grundstock für den Wiederaufbau der Demokratie. Für diese Arbeit habe er seine Glückwünsche übermittelt. Er habe auch zum einjährigen Bestehen des Länderrats gratuliert und damit den Wunsch verbunden, daß auch das deutsche Volk einmal die bis jetzt geleistete Arbeit anerkennen werde. Bei einer späteren Besprechung habe General Clay zur Sozialversicherungsgesetzgebung5 erklärt, daß diese jetzt beim Kontrollrat liege. Es solle ein einheitliches Gesetz für ganz Deutschland herauskommen. Er werde jedoch keine endgültige Stellungnahme treffen, bevor er nicht unsere Meinung angehört habe. Wenn er unsere Meinung kenne, werde er alles tun, um einen Kompromiß auf ein Minimum zu beschränken. Bei der Einrichtung der gemeinsamen Ausschüsse der beiden Zonen dürfe nicht der Anschein erweckt werden, als ob bereits eine neue Reichshauptstadt bestimmt würde. Deshalb sollten diese Ausschüsse nicht in eine einzige Stadt verlegt werden. Auch bezüglich der Währungsfrage habe Clay den Wunsch ausgedrückt, unsere Ansicht zu hören. Am Nachmittag habe Reichsminister Dietrich einen sehr eingehenden Vortrag über die Ernährungslage gehalten, von dem er das Wichtigste bekanntgebe.6 Als sehr wichtig sei auch die Holzausfuhr nach England bezeichnet worden.7 Hier sei noch nichts geschehen, das hänge aber mit dem Fehlen der Verkehrsmittel zusammen.
Hierauf berichtet Ministerpräsident Dr. Hoegner über die Länderratssitzung vom 8. Oktober 1946, die durch die Anwesenheit von General Clay eine ziemliche Bedeutung bekommen habe.über die Verfassungsentwürfe abgehalten und gewisse Wünsche der Militärregierung unterbreitet.8 Bezüglich des bayerischen Entwurfs habe er insbesondere gewünscht, daß die Wahl der Gemeindebeamten (Bürgermeister und Gemeinderäte) in der Verfassung ausdrücklich festgelegt werde.9 Bezüglich des Ausschlusses der Öffentlichkeit bei den Verhandlungen des Landtags wünsche die Militärregierung ebenfalls eine Abänderung. Nach dem bayerischen Entwurf müsse die Öffentlichkeit auf Verlangen der Staatsregierung ausgeschlossen werden. Dem gegenüber stehe die Militärregierung auf dem Standpunkt, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit immer Sache des Landtags sei. Ein Zwang zum Ausschluß der Öffentlichkeit könne nur für den Fall anerkannt werden, daß die Regierung ihre Gründe darlege, warum sie den Ausschluß der Öffentlichkeit verlange. Im übrigen müsse der Landtag entscheiden, ob er nach Darlegung der Gründe die Öffentlichkeit ausschließen wolle. Es müsse noch eine Bestimmung aufgenommen werden, daß die Öffentlichkeit nicht allgemein, sondern nur für einen bestimmten Gegenstand ausgeschlossen werde. Eine ganz einschneidende Änderung werde bezüglich des Staatsgerichtshofes verlangt. In diesem dürften keine Parlamentarier vertreten sein, weil die Abgeordneten, die ein Gesetz angenommen hätten, nachher nicht als Richter über die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes entscheiden könnten. Es werde daher gewünscht, daß der Verfassungsgerichtshof sich nur aus Berufsrichtern zusammensetze, die aber vom Landtag gewählt werden könnten. Eine weitere Abänderung betreffe die Verbindlichkeitserklärung von Schiedsverträgen in Arbeitsstreitigkeiten. Mit Art. 177 Abs. 2 sei die Militärregierung nicht einverstanden. Dieser müsse dahin abgeändert werden, daß Schiedsverträge gemäß den bestehenden Gesetzen für allgemein verbindlich erklärt werden könnten. In den Art. 34, 36 und 154, 155 und 164 der Verfassung seien Körperschaften des öffentlichen Rechts, Verwaltungsorgane der Wirtschaft, Organisationen der Erzeuger, Verteiler und Verbraucher erwähnt. Bezüglich dieser verlange die Militärregierung, daß durch eine ausdrückliche Bestimmung festgelegt werde, daß sie keine staatlichen Einrichtungen seien und keine staatlichen Befugnisse haben dürften, sondern nur privaten Charakter hätten. Dies betreffe den Bauernverband, die Gewerkschaften, aber auch sonstige Körperschaften. Es dürfe keine Zwangsorganisation mehr geben.10 Art. 179, der auf ausdrücklichen Wunsch von Professor Wells,11 des Verfassungsreferenten für Bayern, aufgenommen worden sei, sei von General Clay für „funny“ erklärt worden. Diese Bestimmung müsse gestrichen werden. Nach Ansicht von General Clay habe es keinen richtigen Sinn, neben der bayerischen Staatsangehörigkeit noch eine Reichsangehörigkeit einzuführen. Es genüge vollkommen die Bestimmung, daß die Staatsangehörigen der übrigen deutschen Länder in Bayern die gleichen Rechte und Pflichten hätten. Es ergebe sich aber daraus, daß die bayerische Staatsangehörigkeit anerkannt werde. General Clay habe ausdrücklich gewünscht, daß diese Änderungen möglichst rasch erledigt werden sollten, damit sie noch in den Entwurf hineinkämen. Zu Art. 178 habe General Clay erklärt, er verstehe ihn folgendermaßen, daß damit nicht etwa ein Vetorecht bayerischer Vertreter einer etwaigen künftigen deutschen Nationalversammlung gegenüber stipuliert werde. In einer solchen Nationalversammlung werde die Mehrheit entscheiden. Eine Abänderung des Art. 178 sei aber nicht notwendig. Eine Abschrift der Verfassung sei nach Washington geschickt worden. General Clay glaube aber nicht, daß von dort noch Hemmungen kämen. Die Abänderungswünsche müßten nun dem Verfassungsausschuß übermittelt werden.
General Clay habe auch mit den einzelnen Ministerpräsidenten und den Präsidenten der Verfassunggebenden Landesversammlungen eine BesprechungRoßhaupter erklärt, daß bei der letzten Hauptausschuß-Sitzung in Stuttgart die Grundzüge des neuen Kontrollratsgesetzes über Sozialversicherung bekanntgegeben worden seien.12 Über die endgültige Fassung solle noch verhandelt werden. Wenn das Gesetz so zustandekomme, wie es jetzt vorgesehen sei, so werde es in den weitesten Kreisen die schlimmste Enttäuschung hervorrufen. Sozialversicherungspflichtig bleibe die Landwirtschaft, das Handwerk und die Beamten. Die Freigrenze sei auf RM 7.200.- festgesetzt worden. Die Beamten bleiben auch mit einem Einkommen von über RM 7.200.- Zwangsmitglieder, aber nicht mit dem überschießenden Gehalt. Die Leistungen der Sozialversicherung seien geradezu verheerend. Eine Witwenrente solle nicht mehr gewährt werden, wenn die Witwe nicht mindestens 60 Jahre alt oder arbeitsunfähig sei. Die Arbeitsunfähigkeit sei für Invaliden- und Angestelltenversicherung auf 66 2/3% festgesetzt worden. Das Gesetz solle ein halbes Jahr nach seiner endgültigen Annahme in Kraft treten. Innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten müßten sämtliche Renten umgestellt werden auf die neuen Bestimmungen. Bisher habe man uns zugesagt, daß die schon gewährten Renten bestehen bleiben könnten. Die Umstellung der alten Renten sei eine glatte Unmöglichkeit. In Bayern allein würden hiervon 500.000 Renten betroffen. Bei dem Personal, das der Landesversicherungsanstalt zur Verfügung stehe, sei es heute unmöglich, die laufenden Renten zu berechnen. Wenn die Ärzte heute schon gegen die Verordnung Nr. 66 Sturm liefen,13 so hätten sie nach dem neuen Gesetz überhaupt nichts mehr zu sagen. Die Bestimmungen würden ausschließlich von der Verwaltung der Rentenanstalten getroffen. Er sei bisher immer der Meinung gewesen, man solle am besten warten, bis wieder eine gesicherte Grundlage für unsere Währung und eine bessere Übersicht über das Flüchtlingsproblem gewonnen sei. Gerade die Flüchtlinge belasteten uns schwer. Es werde nicht möglich sein, die Renten weiter zu gewähren, wie sie bisher z.B. in der Tschecho-Slowakei gezahlt worden seien. Dort betrügen sie ungefähr das Dreifache wie bei uns. Man sei übereingekommen, hier eine Höchstgrenze von RM 200.- einzuführen. Weiter sei noch in Betracht zu ziehen, daß auch die Kriegsbeschädigten in die neue Sozialgesetzgebung eingebaut werden sollten. Nun habe der Länderrat schon ein Versorgungsgesetz angenommen. Dieses habe jedoch keine Bedeutung, weil die Angelegenheit in der Sozialversicherungsordnung geregelt werden müsse. Erwähnen wolle er noch, daß ihm in Stuttgart mitgeteilt worden sei, daß der württembergische Ärzteverband gegen die Stellung der Ärzte in der neuen Sozialversicherung Einspruch erhoben habe, und daß sich die württembergische Militärregierung bereit erklärt habe, bei OMGUS hierwegen Vorstellungen zu erheben. Der Vertreter von OMGUS, der in Stuttgart an den Beratungen teilgenommen habe, solle gesagt haben, das Sozialversicherungsgesetz komme vielleicht in zwei oder drei Jahren zustande. Es scheinen auch in Berlin die Meinungen sehr weit auseinander zu gehen. Wenn nun auch noch die Kabinette vorher gehört werden sollen und der Länderrat sich damit beschäftigen müsse, sei auch er der Meinung, daß das endgültige Zustandekommen noch in weite Ferne gerückt sei, wogegen er selbst nichts einzuwenden habe.
StaatsministerDr. Hoegner ist der Meinung, daß, nachdem wir nun die Möglichkeit hätten, Stellung zu nehmen, der Ministerrat sich noch einmal mit der Angelegenheit befassen müsse. Er bitte den Arbeitsminister um Vorschläge bezüglich der Punkte, an denen eine Abänderung von uns angestrebt werden solle.
MinisterpräsidentSeifried führt aus, er habe sich bereits mit dem Arbeitsministerium in Verbindung gesetzt, da gegenwärtig innerhalb der Ärzteschaft eine große Revolte organisiert werde, nicht nur gegen die Auswirkungen der Verordnung Nr. 66, sondern auch gegen die Neuwahlen bei den Ärztekammern.14 Die Dinge sollten möglichst gemeinsam wieder in Ordnung gebracht werden. Er müsse feststellen, daß die Ärzte bereits organisatorisch eine Sache aufgezogen hätten, wie wir sie vom Gesichtspunkt der Staatsautorität unter keinen Umständen dulden könnten.15
StaatsministerRoßhaupter erklärt hiezu, die viel angefochtene Verordnung Nr. 66 sei auf ausdrücklichen Wunsch der Militärregierung erlassen worden.
StaatsministerDr. Hoegner stellt abschließend fest, daß wenn möglich in der nächsten Kabinettssitzung die Sozialversicherungsordnung behandelt werden solle.
MinisterpräsidentHier liegen keine Anträge vor.
Dr. Hoegner gibt bekannt, daß als Wahltermin der 17. November 1946 vorgesehen sei. Nun hätten sich die Parteien gegen diesen Termin als zu früh gewandt. Als Wahltermin sei von der Militärregierung jetzt der 1. Dezember 1946 in Aussicht genommen.16
MinisterpräsidentDr. Hoegner ersucht, daß die Frage der Bildung von Sachverständigenkammern möglichst bald behandelt werden solle.17 Das Wirtschaftsministerium habe hierzu schon ziemlich zustimmend Stellung genommen.
MinisterpräsidentDr. Hoegner wirft die Frage der Eingliederung der Regierungsforstämter in die Kreisregierungen auf.18
MinisterpräsidentDr. Baumgartner erwidert, daß er sich hierzu aus dem Stegreif nicht äußern könne.
StaatsministerDr. Kraus führt aus, die Frage der Wiedereingliederung der Regierungsforstämter hänge auch mit der Wiedererrichtung der Restbestandteile der früheren Finanzkammern, der Zweigstellen für bayerische Angelegenheiten als Finanzkammern bei den Kreisregierungen zusammen. Oberfinanzpräsident Prugger, mit dem er eine Rücksprache gehabt habe, habe sich nicht grundsätzlich ablehnend verhalten. Man müsse in dieser Sache nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, Vereinfachung und Billigkeit vorgehen. Bei den Regierungsforstkammern seien diese Voraussetzungen ohne weiteres gegeben. Der Grundsatz, daß die allgemeine und innere Verwaltung weitgehend zusammengefaßt werde, müsse wieder verwirklicht werden. Wie man es bei den Finanzkammern mache, sei noch zu überlegen. Entweder müsse man sie näher an die Oberfinanzpräsidenten heranbringen oder sie als Mittelstellen wieder aufmachen und zwar in engster Berührung mit den Forstkammern und unter Wahrung des Grundsatzes der Einheit der Verwaltung.19
StaatssekretärDr. Müller erklärt, er habe diese Frage auch schon mit Prugger besprochen. Seiner Meinung nach sollten sie stärker den Oberfinanzpräsidenten angegliedert werden, nachdem diese jetzt auch Landesstellen seien.
StaatssekretärDr. Kraus meint, dies könne man nicht ohne weiteres bejahen. Diese Zweigstellen hätten doch besondere Aufgaben, die mit den Regierungspräsidenten und Forstkammern in engster Beziehung stünden.
StaatssekretärDr. Müller erklärt sich damit einverstanden, daß diese Frage noch einmal geprüft werde.
StaatssekretärDr. Hoegner bringt eine Anregung des Provinzialrats der unbeschuhten Karmeliter vor. Es handle sich hier um die Niederlassung des Ordens im Kloster Reisach am Inn. Das Kloster sei seinerzeit säkularisiert worden. Der Orden wolle das Kloster nun zurück haben, da es sich um das einzige fast unversehrte Haus des Ordens in Bayern handle. Dadurch sollten dann die Kriegsschäden abgegolten werden und das durch die Säkularisation zugefügte Unrecht wieder gutgemacht werden. Das Finanzministerium habe festgestellt, daß das Kloster seit 1835 von dem Orden benützt werde. Eine Mietzahlung sei nie erfolgt, die Baulasten würden auch vom Kloster getragen. Das Finanzministerium stehe auf dem Standpunkt, daß kein Anlaß zur Rückübereignung bestehe, da den Zwecken des Klosters dieser uneingeschränkte Besitz wohl genüge. Die Sachlage sei nun die, daß der bayerische Staat von seinem Eigentum gar nichts habe. Er sehe keinen Grund, warum man dieses Scheineigentum aufrechterhalten solle. Ein Bedenken bestehe allerdings darin, daß sich, wenn man jetzt anfange, das 1803 säkularisierte Kirchengut zurückzugeben, sich dann Konsequenzen ergeben könnten.
MinisterpräsidentDr. Kraus hat diese Bedenken nicht, denn in den anderen Fällen bestehe ja kein solches Nutzungsrecht.
StaatssekretärDr. Müller möchte vor der Geldumstellung keine solchen Transaktionen vornehmen.
StaatssekretärDr. Hoegner meint, der Orden wolle ja nichts dafür zahlen.
MinisterpräsidentDr. Müller schlägt vor, die Sache zurückzustellen und noch einmal zu prüfen.
StaatssekretärDr. Baumgartner spricht sich dafür aus, daß, nachdem der Orden das andere Eigentum verloren habe, man ihm das Kloster unter diesen besonderen Umständen gebe, wenn die Gewähr dafür bestehe, daß die Ordensangehörigen auf schulischem Gebiet oder in der Seelsorge tätig seien.
StaatsministerDr. Hoegner setzt hinzu, er habe grundsätzlich auch keine Bedenken, aber das Finanzministerium müsse sich noch eingehend äußern.
MinisterpräsidentDr. Müller erwidert, die Rückgabe könne man nicht damit begründen, daß der Orden an anderen Stellen Kriegsschäden gehabt habe. Für die Regelung der Kriegsschäden seien besondere Grundsätze vorgesehen. Sie sei auch mit der Neuregelung der Währung verknüpft. In 3/4 Jahren sehe man vielleicht klarer.
StaatssekretärDr. Kraus erklärt, ohne nähere Kenntnis der Akten sei es schwer, ein Urteil zu fällen. Nachdem das Kloster alle Lasten trage, handle es sich um einen für den Staat nutzlosen Besitz. Man solle schon erwägen, ob man dem Kloster nicht entgegenkommen könne. Mit der Währungssanierung werde diese Sache nicht sehr viel zu tun haben, da wohl nur eine unentgeltliche Überlassung in Frage komme.
StaatssekretärDr. Hoegner macht darauf aufmerksam, daß dann unter Umständen eine sehr hohe Schenkungssteuer anfallen könne.
MinisterpräsidentDr. Müller schlägt vor, die ganze Sache noch einmal eingehend nachzuprüfen.
StaatssekretärDr. Hoegner erklärt sich hiermit einverstanden. Man müsse auch über die bisherigen Ausgaben des Staates eine genaue Aufstellung besitzen. Grundsätzlich sei er geneigt, Eigentum, das in Wirklichkeit nur Scheineigentum sei, nicht aufrecht zu erhalten. Da es sich aber um Veräußerung von Grundstockvermögen handle, müsse noch eine genaue Prüfung stattfinden.
MinisterpräsidentDr. Meinzolt hält die Verweisung auf die Säkularisation für sehr gefährlich. Dieser Gesichtspunkt müsse ausscheiden, sonst komme eine Lawine ins Rutschen. Auch die Begründung mit den Kriegsschäden könne man nicht gelten lassen, sondern dürfe nur von wirtschaftlichen Überlegungen ausgehen.
StaatssekretärDr. Kraus weist darauf hin, daß die Benediktiner in den Jahren 1920 bis 1933 früheres Klosterbesitztum zurückerhalten hätten. Konsequenzen seien nicht zu befürchten. Es herrscht allgemeines Einverständnis damit, daß die Angelegenheit noch einmal vom Finanzministerium genau überprüft wird.20
StaatssekretärDr. Hoegner erklärt, es müsse unbedingt das Flüchtlingsgesetz behandelt werden.21 Dieses habe auf der Tagesordnung des Länderrats in Stuttgart gestanden, sei aber auf Wunsch Hessens abgesetzt worden, weil es dort dem Parlament vorgelegt werden solle. Politisch sei dies ziemlich unangenehm, weil seit langem auf dieses Gesetz hingewiesen worden sei.22 Er habe gegen die Absetzung Bedenken geäußert. Es sei dann vereinbart worden, daß das Gesetz in den einzelnen Kabinetten behandelt und schriftlich genehmigt werden solle.23 Deshalb müsse das Gesetz heute durchberaten werden.
Ministerpräsident24
Auf die Präambel des Gesetzes wolle er nicht eingehen, sondern sofort die einzelnen Paragraphen behandeln.§ 1:
Seifried hat Bedenken gegen Absatz 1 Nr. 3, weil hierdurch der Flüchtlingskommissar verankert werde, während doch das Wort „Flüchtling“ überhaupt verschwinden solle.25
StaatsministerDr. Hoegner hat ein anderes Bedenken. Dem Staatskommissar könne ein solches Recht nicht gegeben werden. Der Personenkreis müsse im Gesetz selbst bestimmt werden. Er schlage vor, Nr. 3 überhaupt zu streichen.
MinisterpräsidentSeifried hat an sich nichts dagegen, hält aber die Möglichkeit für gegeben, daß eine Lücke auftreten könne.26
StaatsministerDr. Baumgartner hat Bedenken gegen Nr. 2, ob man schon hinsichtlich der Personen östlich der Oder und Neiße eine Feststellung treffen könne.27
StaatsministerDr. Hoegner erwidert, diese Feststellung müsse getroffen werden. Es seien schon 600.000 Schlesier in Bayern. Die Befugnisse nach Nr. 3 könne man auf keinen Fall dem Staatskommissar übertragen, sondern nur dem Ministerrat.
MinisterpräsidentAn die Stelle der Worte „den Staatskommissar für das Flüchtlingswesen ganz oder teilweise“ in Nr. 3 träten die Worte „Beschluß der Landesregierung“. Im übrigen wird § 1 unverändert angenommen.
§ 2 wird unverändert angenommen.
28
§ 3:Dr. Hoegner bemerkt hiezu, daß ihm der Entwurf eines Einbürgerungsgesetzes vom Kontrollrat zur Stellungnahme zugegangen sei. Darin heiße es, daß alle die Personen, die aus dem früheren Polen, der Tschecho-Slowakei, Rußland und Ungarn ausgewiesen worden seien, die sogenannten Umsiedler, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben sollen. Dem einzelnen sei eine Frist von sechs Monaten eingeräumt, in der er erklären könne, daß er die frühere Staatsangehörigkeit behalten wolle. Hier bestehe aber die Gefahr, daß der Heimatstaat erkläre, daß er ihn nicht mehr wolle. Die Leute würden dann aber staatenlos. Die Angelegenheit werde also durch den Kontrollrat bestimmt. Er glaube aber, daß man – bis diese Regelung komme – es bei dem § 3 belassen könne. Eine Einzeleinbürgerung von Zwei Millionen Menschen allein in Bayern sei sowieso unmöglich.
Ministerpräsident§ 3 wird unverändert angenommen, ebenso die §§ 4 und 5.
§ 6:
29
Absatz l:Roßhaupter weist darauf hin, daß nicht nur die Unterkünfte wichtig seien, sondern daß auch wirtschaftliche Dinge berücksichtigt werden müßten. Er denke vor allem an den Bau von Werkstätten, die notwendig sein könnten, um einen bestimmten Zweig von Flüchtlingen unterzubringen.
StaatsministerDr. Hoegner schlägt vor, zu sagen: „Die Inanspruchnahme, Erstellung und Einrichtung der Unterkünfte ist eine vordringliche öffentliche Aufgabe“.
MinisterpräsidentIn dieser Fassung wird Abs. 1 angenommen.
30
Absatz 2:Dr. Hoegner bezeichnet diese Bestimmung als unhaltbar.
MinisterpräsidentRoßhaupter erklärt, diese Fragen seien doch schon im Wohnungsgesetz geregelt. Seiner Ansicht nach müßten diese Bestimmungen auch für die Flüchtlinge genügen. Wenn der Flüchtling eine Wohnung bekomme, dann könnten für ihn wie für die sonstigen Wohnungslosen auch Einrichtungsgegenstände in Anspruch genommen werden.
StaatsministerDr. Hoegner schlägt folgende Fassung vor: „Die Behörden sind verpflichtet, für die Einrichtung solcher Unterkünfte zu sorgen“.
MinisterpräsidentIn dieser Fassung wird Absatz 2 angenommen.
31
Absatz 3:Dr. Hoegner bezeichnet auch diesen Absatz als unmöglich.
MinisterpräsidentRoßhaupter schließt sich dem an. Es gebe sehr viele Arbeiter, die nicht beschäftigt werden könnten, weil sie keine Kleider und Schuhe hätten. Vor allem sei dies in der Baustoffindustrie der Fall. Ein nichtarbeitender Flüchtling könne nicht gegenüber einem arbeitenden Menschen den Vorzug haben.
StaatsministerDr. Ehard weist darauf hin, daß die Ausgebombten auch nichts mehr hätten.
StaatssekretärDr. Hoegner erklärt, daß es sich hier um eine Aufgabe handle, die uns auferlegt sei, gewissermaßen eine Reparationsleistung.
MinisterpräsidentEr schlägt folgende Fassung des Abs. 1 vor:
„Die Flüchtlinge sind hinsichtlich der Versorgung mit den notwendigen Bekleidungs-, Gebrauchs- und Einrichtungsgegenständen den bevorzugten Einheimischen gleichzustellen“.
Der zweite Satz „Die Versorgung wird durch Eintragung in den Flüchtlingsausweis überwacht“, sei zweckmäßig und solle stehen bleiben.
Nach diesem Vorschlag wird Absatz 3 angenommen.
§§ 7 und 8 werden unverändert angenommen.
32
§ 9:Dr. Hoegner bezeichnet den letzten Satz von Abs. 2 als unhaltbar und politisch undurchführbar,33 genau so wie man die Beamten nicht im Verhältnis z. B. der Konfession aufteilen könne. Er schlage vor, Satz 1 zu streichen, von Satz 2 nur den ersten Halbsatz stehen zu lassen und den Rest wieder zu streichen, so daß Absatz 2 nunmehr laute: „Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, die Eingliederung der Flüchtlinge mit allen Mitteln zu fördern“.
MinisterpräsidentEr bemerke hiezu, daß er seiner Stellungnahme zum Gesetz über die Einbürgerung hinzugefügt habe, daß die Umsiedler bei der Eingliederung den gleichen Prüfungen unterworfen werden sollten, wie die Einheimischen.
Dr. Ehard weist darauf hin, daß dies die Umsiedler gerade nicht wollten.
StaatssekretärDr. Hoegner erwidert, daß die Emigranten in den Jahren 1933 bis 1934 im Ausland alle nochmals die Prüfungen hätten ablegen müssen.34
MinisterpräsidentDr. Ehard erwidert, die Umsiedler weigerten sich sogar, einen kurzen Probedienst abzuleisten.
StaatssekretärDr. Baumgartner erklärt hiezu, er habe bei den Landwirtschaftslehrem scharfe Prüfungen durchgeführt.
StaatsministerDr. Hoegner ist dafür, daß man die Prüfungen nicht zu schwer machen solle, aber eine gewisse Garantie müsse man doch haben. Es entspreche auch dem neuen Beamtengesetz, daß sich jeder über seine Fähigkeiten ausweisen müsse.35
Ministerpräsident§ 9 wird in der abgeänderten Fassung angenommen.
§ 10:
36
Absatz 1:Dr. Hoegner weist darauf hin, daß durch diese Bestimmung der Staatskommissar für die Flüchtlinge als dauernde Einrichtung verankert werde. Es könne sich als notwendig erweisen, daß für die Eingliederung der zwei Millionen Flüchtlinge ein eigener Minister bestellt werden müsse.37 Er schlage folgende Fassung vor: „Die Staatsregierung kann einen Sonderbeauftragten für das Flüchtlingswesen ernennen“.
MinisterpräsidentDiese Fassung wird einstimmig gebilligt.
Dr. Hoegner beantragt, Abs. 2 als überflüssig zu streichen, da sich dies alles selbst verstehe.
Ministerpräsident38
Abs. 2 wird gestrichen.39
§ 11:Dr. Hoegner bezeichnet auch ihn als überflüssig, nachdem der Staatskommissar nicht ins Gesetz eingebaut werde.
Ministerpräsident§ 11 wird gestrichen.
40
§ 12 wird nunmehr § 11. Abs. 1 erhält folgende Fassung: „Zur Unterstützung und Beratung des Sonderbeauftragten kann die Staatsregierung einen Beirat berufen“.41 von Abs. 2 werden abgeändert in „ihm sollen in der Regel angehören“.
Die Eingangsworte42 „Personen, die auf Grund ihrer Tätigkeit, ihrer Kenntnisse und besonderen Eignung durch die Staatsregierung in den Beirat berufen werden. Die Flüchtlinge müssen im Beirat angemessen vertreten sein“.
Nr. 1 bis 3 bleibt unverändert, Nr. 4 erhält folgende Fassung:43
In Abs. 3 wird das Wort „Staatskommissar“ durch „Sonderbeauftragten“ ersetzt.44 wird nunmehr § 12 und erhält folgende Fassung:
§ 13 wird mit § 14 zusammengezogen,„Bei den Regierungspräsidenten sowie bei den Stadt- und Landkreisen können gleichfalls Beiräte in entsprechender Zusammensetzung gebildet werden“.
45
§ 15 wird § 13, Satz 2 wird gestrichen.46
§ 16 wird § 14 und erhält folgende Fassung: „Alk öffentlichen Stellen und Behörden sind verpflichtet, bei der Durchführung dieses Gesetzes mitzuwirken“.§ 17 wird § 15. Abs. 1 erhält folgende Fassung:
47
„Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erläßt das Staatsministerium des Innern“.Abs. 2 und 3 bleiben unverändert.
48
Mit den im einzelnen aufgeführten Änderungen wird das Gesetz in seiner Gesamtheit angenommen. Es soll sofort dem Länderrat als bayerischer Vorschlag zugeleitet werden.Seifried teilt mit, daß der Leiter der Kriminalabteilung der Militärregierung, Capt. Pandergass, das Landeserkennungsbüro in ein Landesidentifizierungsbüro umbauen wolle.49 Mit der Leitung solle ein Dr. Heindl betraut werden, nach dessen System die gesamte Kriminaltechnik in Amerika eingerichtet worden sei. Dieser habe seinen Lebensabend in Bayern verbracht und sei nun von den Amerikanern entdeckt worden. Heindl sei zur Übernahme bereit, verlange aber die Stelle eines Ministerialdirektors und RM 2.400.- pensionsfähige Zulage. Er (Seifried) habe auf den amerikanischen Vorschlag erwidert, daß er Weisungen nur befolgen könne, wenn sie von General Muller unterschrieben seien. Eine solche Unterschrift habe anscheinend Pandergass nicht erhalten können, deshalb sei er zu ihm gekommen und habe ihm zu verstehen gegeben, er solle diesen Antrag stellen, dann werde ihn der General schon genehmigen. Er habe sich vorerst etwas zurückhaltend verhalten, könne aber die Amerikaner auch nicht vor den Kopf stoßen. Diese verträten den Standpunkt, das Ansteigen der Verbrechenskurve komme daher, weil noch kein solches Amt eingerichtet sei.50 Die Einrichtung mache sich bezahlt durch den Rückgang der Straftaten und die damit verbundene Erhöhung der Ablieferungsfreudigkeit der bäuerlichen Bevölkerung. Die Bekämpfung des Verbrechens sei nicht eine Frage der Zahl der Polizei, sondern der Verfolgung und Aufdeckung der Verbrechen. Allerdings müsse er sagen, das beste Mittel, die Verbrechen einzudämmen, sei die Wegschaffung der Ausländer.
StaatsministerDr. Müller erklärt, das Finanzministerium habe sich mit dieser Sache schon eingehend befaßt. Heindl sei ein anerkannter internationaler Kriminalist,51 aber seine Forderungen gingen zu weit. Das Finanzministerium sei bereit, ihm eine Ministerialratsstelle zuzugestehen.
StaatssekretärDr. Hoegner erklärt, der Zustand der öffentlichen Sicherheit sei derart schlecht, daß jedes Mittel zur Besserung benutzt werden müsse. Am durchschlagendsten wäre allerdings die Entfernung der Ausländer.
MinisterpräsidentDr. Ehard meint, der Erkennungsdienst dürfe doch nicht an die Ausländer heran.
StaatssekretärSeifried erwidert, Pandergass habe zugesichert, daß, wenn Heindl die Stelle übernehme, die Amerikaner auch den Zugriff auf die Ausländer ermöglichen würden.
StaatsministerDr. Hoegner erklärt, nachdem es sich nicht um die Schaffung eines neuen Amtes, sondern nur um seinen Ausbau handle, müsse man eigentlich schon zugreifen.
MinisterpräsidentSeifried schließt sich dem an, schon damit man nicht den Vorwurf bekomme, daß man nicht alles zur Minderung der Kriminalität getan habe.
StaatsministerDr. Kraus schlägt vor, man solle schon von vorneherein ins Auge fassen, die Einrichtung auf eine breitere Grundlage (Länderrat) zu stellen.
StaatssekretärDr. Hoegner erwidert, man müsse die Sache zuerst in Bayern in Angriff nehmen. Später könne man an eine Ausdehnung denken.
MinisterpräsidentFicker bezweifelt nicht die Fähigkeiten von Dr. Heindl, glaubt aber, daß auch er nicht in der Lage sei, das soziale Übel, das der Begehung der Verbrechen zugrunde liege, zu beseitigen. Das beste Mittel wäre der Abtransport der Ausländer.
StaatssekretärDr. Hoegner stellt das grundsätzliche Einverständnis der Kabinettsmitglieder fest. Am Finanziellen solle man die Sache nicht scheitern lassen. Das Finanzministerium möge insoweit seine Bedenken zurückstellen.
MinisterpräsidentDr. Müller bittet darum, Heindl auf Privatdienstvertrag einzustellen, dann könne man ihm auch etwas mehr geben.
StaatssekretärDr. Hoegner bezweifelt, daß Heindl darauf eingehen werde. Den Versuch müsse man jedenfalls unternehmen.
MinisterpräsidentSeifried bittet aber noch um die Vollmacht, daß er Heindl, wenn er diesen Vorschlag ablehne, als Beamten einstellen könne.
StaatsministerSchließlich wird folgender Beschluß gefaßt:
Der Innenminister versucht, Dr. Heindl auf Privatdienstvertrag zu gewinnen. Wenn dieser nicht darauf eingeht, solle er sich mit dem Finanzministerium neuerdings in Verbindung setzen und im nächsten Ministerrat wieder berichten.
Seifried berichtet über die Wahlen zu den Ärztekammern.52 Es sei ein Vorschlag ausgearbeitet gewesen, nach dem die Bezirksärzteschaften vier Vertreter wählten, die dann die Landesärztekammern wählten. Mit diesem Vorschlag seien die übrigen Ärzte nicht einverstanden gewesen, weil er nicht demokratisch sei. Nachdem die Ärzte zu 80% belastet seien, werde mit diesem System den Nazis Tür und Tor geöffnet. Infolgedessen hätten sie gewünscht, daß die Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen ähnlich wie in den bisherigen Wahlgesetzen53 vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen seien, ebenso diejenigen, die irgendeine Vertrauensstellung innerhalb der nazistischen Organisationen inne gehabt hätten. Die Spitze solle auch von unten herauf gewählt werden. Er habe diese Wahlordnung überprüft und glaube, daß man sie annehmen solle.
Staatsminister54
Hiermit herrscht allseitiges Einverständnis.Dr. Müller berichtet über die Richtlinien zur Wiedereinstellung der Beamten. Er habe mit der Militärregierung verhandelt und erfahren, daß die Richtlinien in den nächsten Tagen mit ganz kleinen Änderungen genehmigt werden sollen.55
StaatssekretärDr. Müller teilt mit, daß den Bergarbeitern für die sieben Sonntagsschichten Freistellung von der Lohnsteuer gewährt werde. Auch die Sonderzuweisungen an Schnaps und Tabak erfolgten unter Übernahme der Steuer auf die Staatskasse.
StaatssekretärSeifried führt aus, auf dem Gebiet des Genossenschaftswesens56 müsse unbedingt einmal etwas geschehen, damit man die Produktivgenossenschaften der Flüchtlinge aufziehen könne.
StaatsministerDr. Hoegner erwidert, hiefür sei ein besonderes Referat im Wirtschaftsministerium auf sein Verlangen eingerichtet worden.57
MinisterpräsidentSeifried bringt das Verhalten des Bevollmächtigten für den Nahverkehr zur Sprache. Er habe in der Sache Neunburg vorm Wald, über die er dann berichten werde, eine besondere Untersuchungskommission notgedrungen einsetzen müssen. Als ein Vertreter des Innenministeriums in dieser höchst eiligen Sache die Fahrgenehmigung beim NBV58 habe holen wollen, sei ihm gesagt worden, der NBV habe keine Zeit. Sein Vertreter müsse sich genau so anstellen wie alle anderen. So gehe die Sache auf gar keinen Fall. Es müsse ein Ausweis für die Vertreter der Ministerien geschaffen werden, daß sie bevorzugt abgefertigt würden. Überhaupt herrsche beim NBV ein Ton, angefangen vom kleinsten Mädchen bis zum ersten Beamten, der unerträglich sei.
StaatsministerDr. Hoegner möchte den Namen des Mannes beim NBV festgestellt wissen.
MinisterpräsidentHelmerich bestätigt das Vorbringen von Staatsminister Seifried. Er könne aber nichts machen, da er wegen dieser Sache selbst Schwierigkeiten mit der Militärregierung habe, die den NBV stütze. Ehe er dort Ordnung machen könne, werde er selbst abgeschossen. Wie er ein Exempel habe statuieren wollen, habe man ihm gesagt, dann werde der Spieß umgedreht.
StaatsministerDr. Hoegner fügt hinzu, ein Dolmetscher der Militärregierung sei zu ihm mit einem Herrn gekommen, den er ihm als Verkehrsminister empfohlen habe, obwohl dieser Mitglied der NSDAP gewesen sei. Der Name des Mannes, der den Vertreter des Innenministeriums derart behandelt habe, müsse festgestellt werden. Die beiden Minister sollten sich dann ins Benehmen setzen.
MinisterpräsidentSeifried bringt die Brennstoffzuteilung für die Regierungsmitglieder zur Sprache. Bisher habe man über die Stadt München eine kleine Zuweisung bekommen. Es sei aber zweckmäßig, die Sache generell zu regeln.
StaatsministerDr. Hoegner meint, nachdem der Wirtschaftsminister nicht anwesend sei, könne man heute nichts machen.
MinisterpräsidentSeifried berichtet über die Vorfälle in Neunburg vorm Wald.59 Dort seien zwei Juden aufgetaucht und hätten in der Nähe ein Massengrab entdeckt.60 Sie seien sofort zum Landrat gelaufen,61 da es sich um ein Grab von Kz.-lern, die aus Flossenbürg62 abtransportiert worden seien, handle, ebenso zum Chef der Militärregierung.63 Dieser habe dem Bürgermeister64 zur Auflage gemacht, die Ausgrabung vorzunehmen. Zunächst sollten ehemalige Pg's aufgefordert werden. Es seien dann immer mehr Juden und Ausländer hinzugekommen. Es sei dann bei der Ausgrabung65 auch die übrige Bevölkerung herangezogen worden, gleichgültig, ob es sich um Antifaschisten, alte Leute oder Kinder gehandelt habe. Dabei sei ein Verfahren an den Tag gelegt worden, das von Unmenschlichkeit strotze. 150 Einwohner von Neunburg seien gezwungen worden, die halb verwesten Leichen mit bloßen Händen zu reinigen; die Arbeit habe kniend verrichtet werden müssen. Wer sich nicht eifrig genug gezeigt habe, sei von den Juden, Polen und Konstablern mißhandelt worden.66 Der Hauptschuldige sei der Public Safety Officer von Neunburg vorm Wald.67 Die gesamte Bevölkerung von Neunburg vom sechsjährigen Kind bis zum 80jährigen Greis habe an den Leichen vorbeidefilieren müssen ohne Rücksicht auf Krankheit oder Schwangerschaft.68 Am Montag sei der Landrat von Neunburg vorm Wald mit Bürgern von dort zu ihm gekommen und habe folgende Wünsche geäußert:
Staatsminister1. sofortige gründliche Untersuchung des Falles durch die Militärregierung in Regensburg;
2. sofortige Abstellung dieser Ausschreitungen durch eine entsprechende Anweisung;
3. Verhütung weiterer Ausschreitungen aus Anlaß der bevorstehenden Beerdigung durch Sperrung des Zustroms etwaiger Juden und Polen;
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4. möglichst baldige Entfernung des schuldigen Offiziers.70 mit einem Vertreter des Staatskommissars Auerbach und einem Vertreter der Gesundheitsabteilung nach Neunburg abreise und dort eine Untersuchung vornehme. Die Abreise dieser Kommission sei durch das Verhalten des NBV allerdings verzögert worden. Außerdem laufe noch eine Untersuchung durch den Präsidenten der Landpolizei, weil der Chef der Landpolizei in Regensburg nicht rechtzeitig Meldung erstattet habe. Auch die Militärregierung untersuche die Angelegenheit und wolle ein militärgerichtliches Verfahren einleiten.71 Er wolle nun abwarten, bis der Bericht dieser Kommission vorliege, damit ein einwandfreies Bild gegeben sei. Auch den Regierungspräsidenten in Regensburg habe er aufgefordert, sofort Bericht zu erstatten. Die Militärregierung versichere, daß sie alles tue, um eine Bereinigung herbeizuführen. Nach den letzten Meldungen bestehe keine große Gefahr mehr, man müsse aber auf die strengste Bestrafung der Schuldigen drängen, damit sich diese Dinge nicht wiederholen.
Auf Grund dieses Berichtes sei auch Staatskommissar Auerbach bei ihm gewesen und habe versucht, die Sache so darzustellen, als ob eine neue Judenhetze inszeniert werden solle. Die Sperrung des Zuzugs werde bei den Juden eine sehr große Mißstimmung auslösen. Er habe nun angeordnet, daß sofort eine Kommission unter Führung von Ministerialrat SchimmelDr. Hoegner erklärt, diese Sache zeige, daß unsere Behörden nicht funktionierten. Der Bürgermeister und Landrat hätten selbstverständlich sofort dem Regierungspräsidenten und dem Innenminister Mitteilung machen müssen. In dem Bericht, den er erhalten habe, sei die Sache noch viel grauenvoller geschildert worden. Er habe am Montag noch schriftlich angeordnet, da er nach Stuttgart habe abreisen müssen, daß der Innenminister sofort zur Militärregierung gehen und auf schärfste Bestrafung der Schuldigen drängen müsse. Er habe selbst dann auch mit der Militärregierung gesprochen und Major Schweizer erklärt, wir ließen uns derartige Dinge 11/2 Jahre nach der Besetzung nicht gefallen; die Schuldigen müßten bestraft werden, sonst ziehe er daraus die Konsequenzen. Gerade die Bevölkerung von Neunburg v. Wald habe beim Durchzug der Kz.-ler ihnen unter Lebensgefahr Lebensmittel und Kleider zugesteckt. Ihnen könne kein Vorwurf gemacht werden. Schweizer habe zugesichert, daß unserem Verlangen unbedingt Rechnung getragen werde, das Ansehen der Militärregierung hänge ebenso daran wie das der deutschen Behörden.72 Er sei gewillt, die letzten Konsequenzen zu ziehen, wenn nicht Genugtuung geleistet werde. Die Regierung solle dann geschlossen zurücktreten.
MinisterpräsidentDiese Ausführungen werden mit allgemeiner Zustimmung begrüßt.
Seifried führt weiter aus, daß anzunehmen sei, daß es sich überhaupt um kein Judengrab handle. Es könne auch ein Grab von Gefallenen sein, da deutsche Uniformstücke darin gefunden worden seien. Er wolle aber erst den einwandfreien Bericht abwarten. Unter allen Umständen müsse man vermeiden, daß das Verhältnis zu den Juden, das zur Zeit durch Auerbach eine verhältnismäßig gute Basis gefunden habe, in Gefahr gerate.
StaatsministerDr. Hoegner empfiehlt zunächst, in dieser Sache Schweigen zu bewahren.
MinisterpräsidentHelmerich erklärt hiezu, in der ganzen Oberpfalz sei die Sache schon bekannt.
StaatsministerSeifried führt aus, er habe angeordnet, daß die Presse vorerst nichts bringe. Die Militärregierung habe zugesichert, daß die Schuldigen vor ein Gericht gestellt würden.
StaatsministerDr. Hoegner bezeichnet es als einen Skandal, daß die Sache nicht rechtzeitig gemeldet worden sei. Im übrigen gehe es nicht, daß jetzt von dieser Seite 1 1/2 Jahre nach Einstellung der Kämpfe das Gleiche gemacht werde, wie es die Nazis getan hätten. Daß so etwas unter Beteiligung der amerikanischen Polizei vorkomme, sei eine Schande.
MinisterpräsidentDr. Baumgartner ersucht den Ministerrat um seine Ermächtigung in folgender Angelegenheit: Bei der Baywa und der landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft bestehe ein kommissarischer Aufsichtsrat, zu dessen Vorsitzenden sich Staatsrat Rattenhuber selbst gemacht habe. Im November sei die erste Generalversammlung, in der der neue Aufsichtsrat gewählt werden solle.73 Nun sei er darauf aufmerksam gemacht worden, daß er als Landwirtschaftsminister und nicht Rattenhuber diese Generalversammlung leiten müsse. Er werde also Rattenhuber zum Rücktritt auffordern und selbst bis zur Wahl kommissarisch dem Aufsichtsrat vorstehen, dann werde er abtreten. Mit dem Staatskommissar für das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen74 habe er die Sache schon besprochen.
StaatsministerDr. Hoegner stellt allgemeines Einverständnis mit dem Vorschlag fest.
MinisterpräsidentDr. Müller erklärt, für den Aufbau der Synagoge in der Reichenbachstraße würden 250.000.- RM benötigt, welche der bayerische Staat bevorschussen solle. Später werde dieser Betrag mit dem Amt für Vermögensverwaltung verrechnet.
StaatssekretärDr. Hoegner erwidert, man müsse in solchen Sachen großzügig sein.76
MinisterpräsidentDr. Kraus hat ebenfalls keine Bedenken gegen die Bevorschussung durch das Finanzministerium.
StaatssekretärDr. Müller legt klar, daß der Staat in diesem Falle gewissermaßen nur als Bankier auftrete. Er empfehle aber, die Bauabteilung des Innenministeriums einzuschalten, damit man eine Kontrolle über die Verwendung des Geldes ausüben könne. Als Architekten-Honorar werde z.B. 25% der Bausumme verlangt, das seien allein RM 41.000.-. Seiner Ansicht nach sei das viel zu hoch.
Staatssekretär77
Mit dieser Anregung herrscht allgemeines Einverständnis.Roßhaupter teilt mit, daß der Chef seiner Verwaltungsabteilung, Ministerialrat Dünschede, unter bezeichnenden Umständen „abgeschossen“ worden sei. Er werde beschuldigt, daß er seinen Fragebogen falsch ausgefüllt habe.
StaatsministerHelmerich gibt zu erwägen, ob das Hotel „Roter Hahn“,79 das für das Verkehrsministerium ausgebaut werde, nicht vom Staat käuflich erworben werden solle.
StaatsministerDr. Hoegner meint, von der Militärregierung sei uns überhaupt nahegelegt worden, einige Hotels zur Unterbringung auswärtiger Gäste zu kaufen.
MinisterpräsidentDr. Müller erkundigt sich, ob denn überhaupt ein Angebot da sei.
StaatssekretärDr. Kraus meint, jedes Hotel in öffentlicher Hand sei ein Bankrott-Betrieb. Das Wirtschaftsministerium beabsichtige, in nächster Zeit sechs bis acht Hotels instand zu setzen. Der Ankauf von Hotels sei dann nicht mehr notwendig.
StaatssekretärHelmerich erklärt, im „Roten Hahn“ werde das ganze Verkehrsministerium untergebracht. Der Ausbau erfolge auf Kosten des bayerischen Staates, die Kosten würden zwar im Mietvertrag abgegolten, zweckmäßigerweise sei es aber vielleicht, das Haus gleich zu kaufen.
StaatsministerDr. Hoegner bezeichnet die Sache als noch nicht reif zur Behandlung im Ministerrat. Hier könnten nur endgültige Vorschläge besprochen werden. Finanz- und Verkehrsministerium sollten zunächst noch verhandeln.
MinisterpräsidentDr. Baumgartner führt aus, seinerzeit hätten sich doch sämtliche Parteiführer verpflichtet, das Denazifizierungsgesetz richtig durchzuführen.80 Nunmehr betreibe aber Loritz geradezu eine Sabotage dieses Gesetzes. In seinen Versammlungen behaupte er z.B. unter riesigem Beifall der Teilnehmer, anstelle von Mitläufern müsse es „Hineingepreßte“ oder „Hineingezwungene“ heißen.81 Die WAV sabotiere aber auch die Ernährungswirtschaft, indem alle Redner von ihm [Baumgartner] behaupteten, er habe Vieh in die Tschecho-Slowakei verschoben.82 Dadurch komme es, daß die Bauern nichts mehr abliefern wollen. Es müsse nun endlich einmal etwas gegen Loritz unternommen werden.
StaatsministerDr. Hoegner erwidert, der Minister für Sonderaufgaben habe vielleicht die Möglichkeit, auf Grund des Gesetzes vom 5. März 1946 gegen Loritz vorzugehen. Man könne sich mit ihm in Verbindung setzen, wenn man wolle, daß vor einer zuständigen Spruchkammer das Verfahren eingeleitet werde.83 Im übrigen könne man straf- und zivilrechtlich gegen Beleidigungen des Herrn Loritz vorgehen, so z. B. einstweilige Verfügungen auf Unterlassung von Behauptungen erwirken.84 Das Staatsschutzgesetz85 sei von der Militärregierung abgelehnt worden.
Ministerpräsident