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Nr. 176MinisterratssitzungDienstag, 6. Oktober 1953 Beginn: 9 Uhr Ende: 11 Uhr 15
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Justizminister Weinkamm, Kultusminister Dr. Schwalber, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Ministerialdirektor Schwend (Bayer. Staatskanzlei), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium).

Tagesordnung:

I. Verlängerung des Staatsabkommens zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen vom 30./31.3.1949 (sog. Königsteiner Staatsabkommen). II. Entwurf eines Verwaltungsabkommens zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Bayer. Staatsministerium der Finanzen über die Erledigung der Bauaufgaben des Bundes im Freistaat Bayern; hier: Fortbestand der Finanzbauämter. III. Übernahme der eisenbahntechnischen Aufsicht über die nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Lande Bayern durch die Deutsche Bundesbahn. IV. Erstattung der Kosten des Schwerbeschädigtenurlaubs. V. Polizeiaufgabengesetz. VI. Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. VII. Flurbereinigungsamt Bamberg. VIII. Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalts in Bamberg gegen Karl Dannhäuser. IX. Erhöhung der Realsteuerhebesätze in Bamberg. X. Ableben des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Nordbayern, Wilhelm Jakob. XI. Beisetzung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter.

Zu Beginn des Ministerrats spricht Ministerpräsident Dr. Ehard Herrn Staatssekretär Dr. Brenner die Glückwünsche zum 65. Geburtstag aus.

I. Verlängerung des Staatsabkommens zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen vom 30./31.3.1949 (sog. Königsteiner Staatsabkommen)1

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, das Staatsministerium für Unterricht und Kultus habe den Entwurf eines Staatsabkommens über die Verlängerung des sogenannten Königsteiner Staatsabkommens vom 30./31.3.1949 vorgelegt.2 Das Königsteiner Abkommen sei zunächst auf fünf Jahre abgeschlossen worden. Durch den neuen Entwurf solle es mit Wirkung vom 1. April 1954 um weitere fünf Jahre verlängert werden. Wichtige Änderungen seien nicht vorgenommen worden, auch die Finanzierung solle künftig in der bisherigen Weise erfolgen, so daß der Anteil Bayerns weiterhin 16,72% betrage, das sind rund 6 Millionen DM.

Ministerialrat Dr. Gerner fügt hinzu, bei der Aufzählung der Länder in der Präambel werde auch Berlin genannt, das staatsrechtlich gegenwärtig aber noch nicht ein Land der Bundesrepublik sei. Es frage sich also, ob noch eine entsprechende Änderung vorgeschlagen werden solle.

Der Ministerrat beschließt, dem vorliegenden Entwurf des Staatsabkommens zuzustimmen und es dann dem Landtag zur Erteilung seiner Zustimmung gemäß Art. 72 Abs. 2 der Bayer. Verfassung3 zuzuleiten.

Ferner wird beschlossen, keinen Abänderungsvorschlag wegen der Aufnahme Berlins zu machen, in dem Schreiben an den Landtag aber darauf hinzuweisen, daß Berlin eigentlich gesondert hätte erwähnt werden müssen.

Staatsminister Dr. Schwalber äußert dann grundsätzliche Bedenken gegen das Königsteiner Abkommen, da das Übergewicht des Bundes immer größer werde. Er halte es für notwendig, zu betonen, daß die Länder nach wie vor Träger der kulturellen Forschung seien, die übrigens ein Vielfaches der vom Stifterverband zur Verfügung gestellten Mittel aufbrächten.

Ministerialrat Dr. Gerner meint, es wäre auch zweckmäßig, in dem Schreiben an den Landtag kurz auf die Gründe aufmerksam zu machen, die zum Abschluß des seinerzeitigen Staatsabkommens und zu seiner jetzigen Verlängerung geführt hätten.

Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht abschließend den Herrn Staatsminister für Unterricht und Kultus, ihm einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.4

II. Entwurf eines Verwaltungsabkommens zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Bayer. Staatsministerium der Finanzen über die Erledigung der Bauaufgaben des Bundes im Freistaat Bayern; hier: Fortbestand der Finanzbauämter5

Ministerpräsident Dr. Ehard führt aus, das Bundesfinanzministerium und das Bayer. Staatsministerium der Finanzen beabsichtigten, die Wahrnehmung der Bauaufgaben des Bundes in Bayern durch ein Verwaltungsabkommen zu regeln, wonach diese Aufgaben in der Mittelstufe durch die bei den Oberfinanzdirektionen errichteten Landesvermögens- und Bauabteilungen und in der Unterstufe durch die örtlichen Finanzbauämter wahrgenommen werden sollten. Das Staatsministerium des Innern habe gegen die Regelung in der Mittelstufe keine Einwendungen erhoben, wohl aber gegen die Beibehaltung der Finanzbauämter.6 Es sei der Auffassung, besonders im Hinblick auf das Gesetz Nr. 112 vom 9. April 1948,7 daß die bestehenden Finanzbauämter den Landbauämtern eingegliedert und diesen die Bundesaufgaben übertragen werden sollten. Das Finanzministerium erkläre demgegenüber, das Bundesfinanzministerium bestehe auf seinem Vorschlag und stütze sich dabei auf § 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950,8 durch welches die örtlichen Aufgaben der Bundesbauverwaltung durch Landesbehörden wahrzunehmen seien, die der Bundesminister der Finanzen im Einvernehmen mit der für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde bestimme. Nachdem das Bundesfinanzministerium einer anderen Regelung nicht zustimmen werde, bleibe wohl nichts anderes übrig, als dem Verwaltungsabkommen zuzustimmen.

Er habe aber noch folgendes Bedenken:

Wenn man den Landbauämtern Bundesaufgaben übertrage, so würde das dazu führen, daß eine unmittelbare Weisungsbefugnis des Bundes an Landesbehörden möglich oder gar notwendig werde.

Dies halte er für sehr bedenklich, weshalb er das Innenministerium ersuche, seinen Widerstand aufzugeben.

Staatssekretär Dr. Ringelmann verweist nochmals auf § 6 Abs. 5 des erwähnten Gesetzes vom 6. September 1950 und stellt ebenfalls fest, daß bei der Übertragung der Aufgaben an die Landbauämter diese unmittelbar Weisungen bekommen könnten, von denen die Bayerische Staatsregierung nichts erfahre.

Das Bundesfinanzministerium wäre in der Lage, in diesem Falle z.B. die Weisung zu geben, daß Anordnungen der Bayerischen Regierung nicht zu beachten seien.

Staatsminister Zietsch fügt hinzu, bei 80% der von den Finanzbauämtem durchgeführten Bauten handle es sich um solche des Bundes.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner hält es für nachteilig, daß zwei Behörden, nämlich die Finanzbauämter und die Landbauämter, nebeneinander arbeiteten. Besonders die Oberste Baubehörde spreche sich mit Nachdruck gegen die vorgeschlagene Regelung aus und erkläre, die Landbauämter seien durchaus in der Lage, diese Bauaufgaben durchzuführen, zumal ja die Besatzungswohnbauten auch über die Landbauämter errichtet würden, eine Regelung, die sich sehr gut bewährt habe. Es handle sich doch um einen Eingriff in das Gesetz Nr. 112.

Wenn allerdings das Finanzministerium der Meinung sei, die in dem Verwaltungsabkommen vorgesehene Regelung sei für Bayern günstiger, so halte er den Einspruch nicht aufrecht,

Staatssekretär Dr. Ringelmann teilt dazu mit, es bestehe die Gefahr, daß der Bund für den Fall, daß die Landbauämter eingeschaltet würden, den Umweg gehe, daß die Baumaßnahmen durch die Oberfinanzdirektionen mit Amtshilfe der Finanzverwaltung durchgeführt würden, ein Weg, gegen den von bayerischer Seite aus nichts unternommen werden könne.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt sich daraufhin bereit, seine Bedenken zurückzustellen.

Dar Ministerrat beschließt, dem vorliegenden Entwurf zuzustimmen.

Ministerialrat Dr. Gerner kommt dann auf Ziff. 3 des Entwurfs zu sprechen und schlägt vor, in Satz 1 dieser Ziffer nach den Worten „gemäß § 6 Abs. 4 letzter Satz“ die Worte „und Abs. 5“ einzufügen.

Staatssekretär Dr. Ringelmann stimmt diesem Vorschlag zu. Der Ministerrat beschließt, diese Einfügung vorzunehmen.

Abschließend erklärt Staatsminister Zietsch, wenn die Frage der Finanzverwaltung endgültig geklärt werde, sei es durchaus möglich, das Verwaltungsabkommen ebenfalls zu überprüfen,

Wenn nicht zugestimmt werde, bestehe – wie gesagt – die Gefahr, daß die Bayerische Staatsregierung jeden Einfluß verliere.

Staatssekretär Dr. Ringelmann meint dazu, Bayern gebe unter Umständen dem Ruf nach einer Bundesfinanzverwaltung9 neue Nahrung, wenn es hier Widerstand leiste.

Bauverwaltung, Staatl.

III. Übernahme der eisenbahntechnischen Aufsicht über die nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Lande Bayern durch die Deutsche Bundesbahn

Staatsminister Dr. Seidel stellt fest, daß dieser Punkt der Tagesordnung zurückgestellt werden müsse, da die Vorlage des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr den Kabinettsmitgliedern noch nicht zugestellt worden sei. Man könne ihn wohl in der nächsten Sitzung des Ministerrats behandeln.10

IV. Erstattung der Kosten des Schwerbeschädigtenurlaubs11

Ministerpräsident Dr. Ehard nimmt Bezug auf die Note des Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge vom 24. September 1953, in der um Entscheidung des Ministerrats darüber ersucht werde, ob eine Erstattung der Kosten des Schwerbeschädigtenurlaubs auch künftig gewährt werden solle.12 Nach § 1 Abs. 1 des bayerischen Gesetzes über die Erstattung der Kosten des Schwerbeschädigtenurlaubs vom 18. Mai 1951 [GVBl. S. 71]13 würden Arbeitgebern, die über die Pflichtanstellungsquote hinaus Schwerbeschädigte beschäftigten, auf Antrag Lohn- und Gehaltsaufwendungen für den zusätzlich gewährten Urlaub ersetzt. Demgegenüber sehe das Bundesgesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 16. Juni 195314 keine Erstattung der Kosten des zusätzlichen Urlaubs vor.15

Staatsminister Dr. Oechsle betont, daß gegen eine Aufhebung des Gesetzes erhebliche Bedenken bestünden, sofern es nicht gelinge, den Arbeitgebern die Kosten des Schwerbeschädigtenurlaubs aus anderen Mitteln zu ersetzen. Es bestehe nämlich die Gefahr, daß über die gesetzliche Quote hinaus beschäftigte Schwerbeschädigte dann entlassen oder daß zumindest beim Freiwerden von Arbeitsplätzen diese nicht mehr mit Schwerbeschädigten besetzt würden. Es handle sich um 3 – 4 000 Arbeitsplätze. Die angesetzten Mittel hätten in den letzten Jahren 400 000 DM betragen, davon seien rund 240 000 DM in Anspruch genommen worden.

Das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge habe in der Sorge um die Arbeitsplätze der Schwerbeschädigten das Staatsministerium des Innern um Prüfung gebeten, ob die Kosten für den Schwerbeschädigtenurlaub nicht aus der Ausgleichsabgabe, die nach § 9 des Bundesgesetzes vom 16. Juni 1953 erhoben werde, bezahlt werden könnten. Das Staatsministerium des Innern, das an sich die Aufhebung des Gesetzes vom 18. Mai 1951 ebenfalls für sehr mißlich halte, vertrete die Ansicht, daß eine Verwendung der Ausgleichsabgaben rechtlich unzulässig sei. Vielleicht sei es aber doch zweckmäßig, wenn sich die Referenten der beiden Ministerien noch einmal zusammensetzten, um einen Ausweg zu finden.

Ministerialrat Dr. Gerner hält es nicht für unbedingt sicher, daß eine Verwendung der Ausgleichsabgabe nach § 9 des Schwerbeschädigtengesetzes zur Deckung der Kostenerstattung für den Schwerbeschädigtenurlaub rechtlich unzulässig sei.

Staatssekretär Dr. Ringelmann hält es für notwendig, die Sonderposition nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 18. Mai 1951 zu beseitigen, nachdem z.B. bei den Beratungen über den Finanzausgleich der Länder Bayern wiederholt besondere soziale Leistungen vorgehalten worden seien.

Staatsminister Dr. Seidel schlägt deshalb vor, an sich die Erstattung der Kosten beizubehalten, durch Besprechungen der beteiligten Ministerien aber eine Etatregelung zu finden, die diese Sonderposition beseitige.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt abschließend fest, es sei die Meinung des Ministerrats, daß nach wie vor Lohn- und Gehaltsaufwendungen für zusätzlich gewährten Urlaub von Schwerbeschädigten durch den Staat ersetzt werden sollten.16

Schwerbeschädigte

V. Polizeiaufgabengesetz17

Ministerpräsident Dr. Ehard erinnert an den Beschluß des Ministerrats vom 29. September 1953, den Entwurf eines Polizeiaufgabengesetzes dem Landtag vorzulegen. Es seien nun Einwendungen des Staatsministeriums der Justiz gekommen, die im wesentlichen besagten, die Polizei habe nur die Aufgabe, Straftaten zu verfolgen oder schon greifbare strafbare Handlungen zu verhüten. Das Staatsministerium des Innern legt demgegenüber besonderes Gewicht auf die vorbeugende Tätigkeit der Polizei. Wenn erklärt werde, durch das Polizeiaufgabengesetz werde der Willkür der Polizei zu viel Raum gelassen, so könne dem entgegengehalten werden, die Polizei müsse sich immer im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen halten und einen angemessenen und verhältnismäßigen Gebrauch ihres Ermessens machen. Die Rechtssprechung habe eindeutig die Grenzen des polizeilichen Ermessens festgesetzt.

Der Ministerrat habe sich in den Sitzungen vom 22. und 29. September 1953 eingehend mit diesen Fragen befaßt und beschlossen, die vorbeugende Tätigkeit der Polizei zuzulassen und sie nicht auf strafbare Tatbestände zu beschränken; diese beziehe sich auch auf die Bestimmungen der Verfassung. Er erinnere dabei an die Entwicklung vor 1933, eine Zeit, in der allzu große Rücksichtnahme das Anwachsen des Nationalsozialismus begünstigt habe.

Staatsminister Weinkamm erklärt, das Justizministerium sei der Meinung, es gehe nicht an, die Polizei gegen Tatbestände einzusetzen, die verfassungswidrig, aber nicht strafbar seien. In den Vorbesprechungen habe man sich dahin geeinigt, vorbeugende Maßnahmen nur dann zuzulassen, wenn eine verbotene Tätigkeit verbotener Organisationen verhindert werden solle.

Ministerpräsident Dr. Ehard wirft ein, diesem Vorschlag habe Herr Staatsminister Dr. Hoegner aber nicht zugestimmt.

Das Kabinett habe sich sehr eingehend mit den Bedenken des Justizministeriums auseinandergesetzt, es sei aber dann doch zu dem Ergebnis gekommen, daß es nicht zweckmäßig sei, die vorbeugende Tätigkeit der Polizei allzu sehr einzuschränken.

Staatssekretär Dr. Koch begründet dann im einzelnen die Bedenken des Justizministeriums und stellt fest, dieses sei keineswegs gegen jede Präventivmaßnahme der Polizei eingestellt und behaupte auch nicht, die Polizei habe sich nur darum zu kümmern, daß die Strafgesetze nicht verletzt würden. Man sei aber der Überzeugung, daß die jetzt in Art. 5 Abs. 2 Ziff. 3a vorgesehene Generalklausel zu einer nicht unbeträchtlichen Gefahr für den Rechtsstaat werden könne.

Er halte es für sehr bedenklich, wenn es der Polizei, also den einzelnen Polizeibeamten überlassen bleibe, zu beurteilen, ob eine die Verfassung verletzende oder bedrohende Handlung vorliege. Im übrigen könne man sagen, ein solcher Fall sei gegeben, wenn ein Verfassungsschutzgesetz verletzt werde. Dann brauche man aber die Generalklausel nicht, weil die Polizei ja an sich schon berechtigt sei, einzugreifen.

Auch wenn Verfassungswidrigkeiten vorlägen, die in der Verfassung ausdrücklich niedergelegt seien, handle es sich um ganz konkrete Tatbestände, für die die Polizei ihrer Natur nach gar nicht zuständig sei.

Ministerpräsident Dr. Ehard verweist demgegenüber auf Art. 99 der Bayer. Verfassung.

Staatssekretär Dr. Koch fährt fort, neben den durch das 1. Strafrechtsänderungsgesetz18 eingeführten Straftatbeständen könne es vielleicht noch Handlungen geben, die zwar verfassungswidrig aber nicht unter Strafe gestellt seien. Hier handle es sich um höchst diffizile Fragen, so daß man fragen müsse, ob hier wirklich die Polizei sie beurteilen und eingreifen könne. Wenn Herr Staatsminister Dr. Hoegner als Beispiel den geplanten Film über Hitler gebracht habe,19 so sei dem entgegenzuhalten, daß sich in diesem Fall die Polizei ohne weiteres auf eine Verletzung des § 92 des Strafgesetzbuches20 berufen könne. Gerade dieses Strafrechtsänderungsgesetz biete eine Fülle von Tatbeständen, so daß kaum ein Fall denkbar sei, der nicht darunter falle. Zusammenfassend müsse er sagen, daß diese Generalklausel in einem Gesetz, das an sich versuche, die Generalklausel zu vermeiden, eine Gefährdung der Rechtssicherheit darstelle. S.E. könne man auch nicht auf Art. 99 der Bayer. Verfassung verweisen, der ganz allgemein vom Schutz der Verfassung gegen Angriffe handle und zwar nach innen durch die Gesetze, die Rechtspflege und die Polizei.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner entgegnet, schon im Polizeiorganisationsgesetz sei eine Bestimmung enthalten, daß die Polizei auch verfassungsfeindliche Handlungen abzuwehren habe.21

Dies sei geltendes Recht, Art. 102 des Ausführungsgesetzes zur Strafprozeßordnung erstrecke sich auch auf verfassungsfeindliche Handlungen. Das Justizministerium stehe auf dem Standpunkt, daß einzig und allein strafbare Handlungen zu verfolgen seien und die Polizei nur berechtigt sei, diesen vorzubeugen. Die Verfolgung von strafbaren Handlungen sei aber nur eine Art der Abwehr von Gefahren, die dem Staat drohten.

Es gehe nicht an, in das Polizeiaufgabengesetz nur den einzigen Fall der Fortsetzung verbotener Organisationen aufzunehmen. Er halte es für unmöglich, die verschiedensten strafbaren Handlungen in einem solchen Gesetz aufzuführen, weshalb diese Generalklausel notwendig sei. Art. 99 der Bayer. Verfassung, dessen Wortlaut man sich damals sehr genau überlegt habe, könne nicht eingeschränkt werden. Der Herr Ministerpräsident habe völlig recht, wenn er sage, daß der Schutz der Weimarer Verfassung durchaus ungenügend gewesen sei. Deshalb hätten die Väter der Bayerischen Verfassung Vorsorge getroffen, um den Schutz der Verfassung dieses mal besser zu gewährleisten.

Er könne sich auch kaum vorstellen, daß die Polizei Mißgriffe begehen könne, zumal ja bei größeren strafbaren Handlungen gar nicht der einzelne Polizist sondern seine Behörde entscheide. Er halte die Bedenken des Staatsministeriums der Justiz für nicht begründet, man könne eben nicht nur den einzigen Spezialfall der Fortsetzung verbotener Organisationen nehmen, sondern müsse den Schutz der Verfassung überhaupt der Polizei übertragen.

Staatssekretär Dr. Koch erklärt, er fühle sich nicht widerlegt.

Ministerpräsident Dr. Ehard erinnert nochmals an den Beschluß des Ministerrats vom 29. September 1953, den Gesetzentwurf dem Landtag zuzuleiten und meint, dort werde es wahrscheinlich sowieso zu einer Auseinandersetzung kommen.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, der Sicherheitsausschuß des Landtags habe den Gesetzentwurf bereits besprochen, mit Ausnahme der Abgeordneten der FDP haben sich alle Mitglieder des Ausschusses mit dem Entwurf einverstanden erklärt.

Der Ministerrat beschließt, seinem Beschluß vom 29. September 1953 entsprechend, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form dem Landtag zuzuleiten.22

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern (Polizeiaufgabengesetz – PAG –) vom 16. Oktober 1954

VI. Verleihung des Bundesverdienstkreuzes23

Eine längere Aussprache über die Art und Weise wie das Bundesverdienstkreuz verliehen werden soll, faßt Ministerpräsident Dr. Ehard dahin zusammen, daß in erster Linie durch einen Ausschuß Vorschläge gemacht werden sollten, wobei eine bestimmte Zahl von Verleihungen im Jahr nicht überschritten werden dürfe. Er beabsichtige, in der nächsten Zeit Ministerialrat Frhrn. von Brand nach Bonn zu schicken und bitte, ihm Vorschläge zu machen, welcher Verleihungsmodus für zweckmäßig angesehen werde.

Staatsminister Dr. Oechsle kommt auf das Bayer. Verdienstkreuz zu sprechen und stellt die Frage, ob nicht neue Schwierigkeiten auftreten würden, wenn auch eine bayerische Auszeichnung verliehen würde.

Ministerpräsident Dr. Ehard betont die Notwendigkeit, das Bayer. Verdienstkreuz zu schaffen, allerdings müsse ein Weg gefunden werden, um die Verleihung möglichst zu beschränken.24 Ein anderes Problem sei, ob man wieder Titel einführen solle.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner weist darauf hin, daß die Verfassung (Art. 118 Abs. 4) die Verleihung von Titeln zulasse, wenn sie mit einem Amt oder einem Beruf in Verbindung stünden.

Der Ministerrat vereinbart, zu prüfen, ob und in welcher Weise Titel wieder eingeführt werden könnten.

Bundesverdienstkreuz

VII. Flurbereinigungsamt Bamberg25

Staatssekretär Dr. Ringelmann teilt mit, das Staatsministerium der Finanzen habe jetzt einen Antrag an den Landtag ausgearbeitet, wonach dieser die Vorweggenehmigung von Mitteln für den Neubau des Flurbereinigungsamtes beschließen wolle. Der Antrag werde in diesen Tagen dem Herrn Ministerpräsidenten zugehen, er schlage vor, der Ministerrat möge heute den Herrn Ministerpräsidenten ermächtigen, diesen Vorgriffsantrag dem Landtag zuzuleiten, damit keine Zeit verloren werde. Insgesamt seien 1 715 000 DM vorgesehen, zunächst müsse der Landtag aber nur beschließen, daß für dieses Jahr noch 25 000 DM zur Verfügung gestellt würden.

Der Ministerrat erklärt sich mit diesem Vorschlag einverstanden.26

Flurbereinigungsämter

VIII. Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalts in Bamberg gegen Karl Dannhäuser

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet über ein Schreiben des Oberstaatsanwalts in Bamberg, in dem gebeten werde, eine Entschließung der Staatsregierung darüber herbeizuführen, ob gegen Karl Dannhäuser in Mühlbach, der beschlagnahmte Flugblätter verteilt habe, Strafantrag gestellt werden solle.

Der Ministerrat beschließt, nach § 97 Abs. 2 StGB, die Ermächtigung zur Anklageerhebung gegen Dannhäuser und die sonst für die Herausgabe, den Druck und die Verteilung der Flugblätter verantwortlichen Personen zu erteilen. Dagegen wird beschlossen, Strafantrag gemäß § 194 StGB nicht zu stellen.

IX. Erhöhung der Realsteuerhebesätze in Bamberg

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, er sei aus Bamberger Kreisen verschiedentlich auf eine gemeinsame Entschließung des Finanz- und Innenministeriums angesprochen worden, wonach die Realsteuerhebesätze in Bamberg erhöht werden sollten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann erklärt, die beiden Ministerien stünden auf dem Standpunkt, daß die Gemeinden zunächst selbst alle Möglichkeiten, Einnahmen zu beschaffen, ausschöpfen müßten, bevor der Finanzausgleich zwischen Staat und Gemeinden durchgeführt werde.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner fügt hinzu, er habe die Abschrift eines Briefes des Herrn Finanzministers an den Oberbürgermeister der Stadt München erhalten, in dem die Frage der Hebesätze behandelt werde.

Ministerpräsident Dr. Ehard bittet, ihm eine Abschrift dieses Briefes zuzuleiten, damit er den Oberbürgermeister von Bamberg 27 verständigen könne.

X. Ableben des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Nordbayern, Wilhelm Jakob

Staatsminister Dr. Oechsle teilt mit, daß der Präsident des Landesarbeitsamts Nordbayern, Dr. Wilhelm Jakob,28 gestern plötzlich verstorben sei.

XI. Beisetzung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter29

Staatsminister Dr. Seidel berichtet über die Beisetzung des verstorbenen Oberbürgermeisters von Berlin, Dr. Reuter.

Die Beteiligung der Bevölkerung Berlins, auch aus dem Ostsektor, sei außerordentlich groß gewesen, die Feierlichkeiten seien in höchst würdiger Form durchgeführt worden.30

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Hans Ehard
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Karl Schwend Ministerialdirektor