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EinleitungD

I. Quellenlage

Für das Kabinett Ehard II (20. September 1947 bis 18. Dezember 1950) sind insgesamt 137 Ministerratssitzungen belegt. In diesem Band werden 38 Sitzungen des Jahres 1949 dokumentiert.1 Für 35 Sitzungen existieren Protokolle.2 Der Verlauf von drei – vermutlich außerordentlichen3 – Sitzungen Anfang Mai 1949,4 also zum Zeitpunkt, als die Frage einer Zustimmung oder Ablehnung des Grundgesetzes in Bayern ihren Kulminationspunkt erreichte, wurde offenbar bewußt nicht durch ein Protokoll dokumentiert. Ihr Inhalt kann durch Communiqués, Korrespondenz, Presseberichte etc. jedoch rekonstruiert und zumindest teilweise ersetzt werden.

Ein weiterer „Außerordentlicher Ministerrat“ fand möglicherweise am 18. Mai 1949 statt. Im Unterschied zu den drei oben genannten Sitzungen sind die Hinweise auf diese Zusammenkunft und ihren Inhalt noch spärlicher. Vor allem gibt es kein eindeutiges Indiz dafür, daß sie tatsächlich stattfand, weshalb sie nicht als eigenes Dokument in die Edition aufgenommen wurde. In der maschinenschriftlichen Einladung Ministerpräsident Ehards vom 18. Mai an die Kabinettsmitglieder hieß es: „Ich beehre mich, Sie zu einem dringenden außerordentlichen5 Ministerrat für heute, Mittwoch, den 18. Mai, nachmittags 18 Uhr,6 im Sitzungssaal der Bayerischen Staatskanzlei, Prinzregentenstr. 7, einzuladen. Ihre Anwesenheit bei diesem Ministerrat ist dringend notwendig.“7 Abweichend vom sonstigen Verfahren lud der Ministerpräsident am selben Tage und persönlich zur Sitzung ein. Da eine reguläre Ministerratssitzung, in deren Verlauf laufende Angelegenheiten beraten worden waren, am vorangegangenen Tag erst um 19.30 Uhr endete,8 muß er erst im Verlauf des 18. Mai beschlossen haben, diese Sitzung einzuberufen. Dazu ging den Kabinettsmitgliedern nicht, wie üblich, jeweils eine hektographierte Einladung zu. Vielmehr diente dazu das handschriftliche Verbesserungen des Ministerpräsidenten tragende Schreiben – was besonders ungewöhnlich ist – im Umlaufverfahren. Ihre Kenntnisnahme bestätigten einige Kabinettsmitglieder, teilweise unter Hinzufügung des Datums „18.5.“, durch ihre Unterschrift auf der Einladung.9

Wind von diesem Termin bekam zumindest die Münchner Abendzeitung, die, in gewohnt dramatischem Ton eine Meldung betitelte „Hundhammer- Frage im Kabinett. Geheimer Ministerrat – Entscheidungen von weittragender Bedeutung“. Weiter hieß es darin, da Hundhammer sich am 18. Mai bei einer Probeabstimmung in der CSU-Fraktion zur zweiten Frage, die die Staatsregierung dem Landtag vorgelegt hatte, der Zustimmung zur Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes bei mehrheitlicher Annahme in den übrigen Ländern, Stimmenthaltung geübt habe, „wurde für gestern ein außerordentlicher Ministerrat einberufen, der sich mit dieser Frage befaßte; ein Communiqué wurde nicht ausgegeben.“10 Unklar bleibt, ob die Sitzung, bei der man offensichtlich noch mehr als bei den übrigen außerordentlichen Mai-Sitzungen um Geheimhaltung bemüht war, stattgefunden hat, da die Einladung offenbar auch nur einen kleinen Teil der Kabinettsmitglieder erreichte. Sicher ist der Analogieschluß zutreffend, daß im Falle einer Zusammenkunft des Kabinetts kein Protokoll geführt wurde. Auch der Inhalt ist klar. Der Ministerpräsident dürfte in der Sitzung bemüht gewesen sein, eine Regierungskrise zu vermeiden und sein Kabinett, vor allem Kultusminister Hundhammer, auf Linie zu bringen, möglicherweise indem er die Vertrauensfrage stellte; dies hatte er bereits am 13. Mai im Landtag angedeutet.11

Ort aller Ministerratssitzungen war der Sitzungssaal in der Bayerischen Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7 in München, dem Gebäude der ehemaligen preußischen Gesandtschaft. Der Ministerpräsident berief die Sitzungen ein. Die Einladungen wurden in seinem Auftrag vom Generalsekretär des Ministerrats, Claus Leusser, oder seinen Stellvertretern gezeichnet.12 Sie enthielten vorläufige Tagesordnungen, die in den Sitzungen ergänzt wurden. Zum Ministerrat am 20. Juni 1949 (Nr. 69) hieß es in der Einladung vom 17. Juni 1949: „Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Tagesordnung wird um vollzähliges Erscheinen gebeten“.13 Einziger Tagesordnungspunkt war die Beratung des Wahlgesetzes für die Wahlen zum 1. Bundestag. Das Einladungsschreiben zur Sitzung am 4. Juli 1949 (Nr. 71) enthielt die Mahnung: „Im Auftrag des Herrn Ministerpräsidenten darf um möglichst pünktliches Erscheinen gebeten werden.“ Beides deutet darauf hin, daß es die Kabinettsmitglieder mit ihrer Teilnahme und der Pünktlichkeit nicht so genau nahmen. Ob dies als Symptom schwindender Autorität des Ministerpräsidenten zu werten oder den wachsenden Aufgaben der Kabinettsmitglieder geschuldet ist, ist kaum mit letzter Sicherheit zu bestimmen.

Tatsächlich war das Kabinett Ehard II im Jahr 1949 zu keiner Ministerratssitzung vollzählig versammelt.14 Der Ministerpräsident war im Unterschied zu 194815 trotz seiner hohen Beanspruchung durch Reisen nach Bonn immer präsent. Lediglich am 28. Juli 1949 war er offenbar gezwungen, die Ministerratssitzung wegen eines Termins bei der Militärregierung vorzeitig zu verlassen.16 Ansonsten wies die Präsenz der Kabinettsmitglieder aber erhebliche Lücken auf. Von den 21 Kabinettsmitgliedern fehlten 12 häufiger als zehnmal. Die höchsten Abwesenheitsraten hatten – in Bezug auf die 35 Sitzungen, zu denen Protokolle und damit auch Angaben über die An- und Abwesenheit vorliegen – Staatsminister Pfeiffer, der in 24 Sitzungen fehlte, sowie die Staatssekretäre Sühler (21 Sitzungen) und Jaenicke (19). Erneut war die Teilnahmefrequenz der Staatsminister grundsätzlich höher als die der Staatssekretäre. Nur in vier Sitzungen fehlte der stellvertretende Ministerpräsident und Justizminister Müller. Mit Ausnahme Ehards und Müllers waren erstaunlicherweise gerade diejenigen Kabinettsmitglieder am häufigsten anwesend, die nach den Niederschriften nur selten das Wort ergriffen, etwa die Minister Krehle und Frommknecht oder Staatssekretär Sedlmayr. Die Abwesenheit von Staatsminister Pfeiffer und Staatssekretär Schwalber erklärt sich bis zum Mai 1949 durch ihre Mitgliedschaft im Parlamentarischen Rat in Bonn; Staatssekretär Müller fehlte unter anderem in vier Sitzungen, weil er am amerikanischen Kulturaustauschprogramm teilnahm und sich für mehrere Monate in den USA aufhielt.17 Der am 20. Juli verstorbene Staatsminister für Sonderaufgaben Hagenauer war bereits zuvor längere Zeit erkrankt.

Grundsätzlich wurde darauf geachtet, daß alle Ressorts in den Ministerratssitzungen zumindest mit einem Kabinettsmitglied vertreten waren. In Ausnahmefällen vertrat auch 1949 der jeweils ranghöchste Beamte des Ressorts das Ministerium in der Kabinettssitzung, ohne jedoch stimmberechtigt zu sein. Am 20. April 194918 und am 9. und 23. September19 vertrat Ministerialdirektor Ringelmann das Finanzministerium, am 17. Mai übernahm diese Aufgabe Geheimrat Hepp.20 Zweimal vertrat Ministerialdirigent Adam bei der Beratung von Flüchtlingsangelegenheiten den abwesenden Staatssekretär Jaenicke.21

Trotz des vielen Fehlens wurde nur in der Sitzung vom 23. September 194922 die Beschlußunfähigkeit des Kabinetts festgestellt, erstaunlicherweise aber erst bei der Beratung des Tagesordnungspunktes IV. Im Ministerrat vom 20. April23 und vom 6. August24 besaßen die Staatssekretäre eine Mehrheit. Als das Kabinett in außerordentlichen Sitzungen am 3. und 5. Mai 194925 die bayerischen Mindestforderungen für eine Zustimmung zum Grundgesetz und am 17. August 194926 die politische Lage nach der Bundestagswahl beriet, wurde, wie bereits mehrfach im Jahr 1948,27 Landtagspräsident Michael Horlacher hinzugezogen.

Neben den Kabinettsmitgliedern nahm der Generalsekretär des Ministerrats teil. Im Jahr 1949 war dies in der Regel Leussers Stellvertreter von Gumppenberg.28 Der bereits im ersten Band des Kabinetts Ehard II (1947/1948) erkennbare Trend, zu Sachfragen Fachleute und vor allem zu komplizierteren Gesetzgebungsmaterien die jeweiligen Fachreferenten der verschiedenen Ressorts hinzuzuziehen, setzte sich verstärkt fort. Nur in acht der 35 protokollierten Sitzungen waren keine Referenten dabei, sonst regelmäßig einer oder mehrere, zumeist höhere Ministerialbeamte.

Neu war das Verfahren, das vor allem die Sitzung vom 6. Dezember29 prägte, daß Ministerialrat Leusser in seiner Eigenschaft als Leiter der Rechts- und Verfassungsabteilung der Staatskanzlei und Vorsitzender der Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten,30 im Kabinett zum Tagesordnungspunkt Bundesangelegenheiten insgesamt vortrug.31 Da es sich hierbei oft um zahlreiche thematische Unterpunkte handelte, die auch vom Umfang her die Sitzung dominierten, veränderte sich, das wird dann 1950 in seinem ganzen Ausmaß sichtbar, der Charakter der Ministerratssitzungen teilweise deutlich.

Die Frequenz der Ministerratssitzungen stieg nach der Gründung der Bundesrepublik im September signifikant an. Hatten von Januar bis August in acht Monaten 22 Sitzungen stattgefunden, davon im Mai und Juli jeweils vier, so kam der Ministerrat von September bis Dezember in nur vier Monaten 16 mal zusammen. Im Dezember tagte das Kabinett am häufigsten, insgesamt sechsmal. Ein fester Wochentag bürgerte sich nicht ein, am häufigsten tagte das Kabinett allerdings bereits 1949 dienstags (9 Sitzungen). Erst in der konstituierenden Sitzung des Kabinetts Ehard III, am 20. Dezember 1950, beschloß der Ministerrat, grundsätzlich den Dienstag Vormittag als Sitzungstermin des Ministerrats festzulegen, da die Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten am Montag stattfinden müßten und die Ausschußsitzungen des Bundesrates im allgemeinen Mitte der Woche begännen.32 Diese, bereits 1949 in Ansätzen erkennbare Orientierung am Bonner Zeitplan macht die mit der Gründung der Bundesrepublik eingetretene Verschiebung der Gewichte im Ministerrat evident.

Der Generalsekretär des Ministerrats, Ministerialrat Claus Leusser,33 verfaßte 1949 nur ein Protokoll.34 Leusser hielt sich seit Tagungsbeginn des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 in Bonn auf und berichtete Ministerpräsident Ehard detailliert über den Gang der Grundgesetzberatungen.35 Anschließend vertrat er in Überleitungsgremien36 und beim Aufbau der Verfassungsorgane des Bundes in Bonn die bayerischen Interessen. Im September 1949 bot Bundestagspräsident Köhler ihm an, Direktor des Bundestags zu werden.37 Schließlich lag in der konstituierenden Phase der Bundesrepublik die Koordination des bayerischen Auftritts im Bundesrat und bei der Bundesgesetzgebung in seinen Händen – dazu weiter unten mehr -,38 weshalb er auch im zweiten Halbjahr des Jahres 1949 sehr eingespannt und immer wieder in Bonn war. Als Koordinator der Bundesratsangelegenheiten nahm er ab September 1949 zwar wieder am Ministerrat teil, um zur Tages- ordung der jeweils nächsten Bundesratssitzung vorzutragen, ohne jedoch das Protokoll zu führen. Die Tatsache, daß er formal weiterhin Generalsekretär des Ministerrats blieb, deutet darauf hin, daß seine weitere dauerhafte Verwendung zu dieser Zeit wohl offen war. Die Bonner Tätigkeit Leussers hatte zur Folge, daß die Mehrzahl der Protokolle, nämlich 31, sein „erster“ Stellvertreter, Regierungsdirektor Levin von Gumppenberg39 verfaßte. In drei Fällen40 wurde er von Oberregierungsrat Wilhelm Henle41 bei der Protokollierung der Ministerratssitzungen vertreten, der diese Aufgabe, ebenfalls in drei Sitzungen, auch schon 1948 übernommen hatte. Beide protokollierten merklich knapper als Leusser. Eine geplante Ministerratssitzung ausschließlich zur Flüchtlingsproblematik, an der der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings, der vom Papst zum Protektor der Flüchtlinge in Deutschland ernannt worden war, als Gast teilnehmen sollte, kam schließlich doch nicht zustande.42

Die Protokollentwürfe des im Bayerischen Hauptstaatsarchiv liegenden Registraturexemplars43 tragen auch 1949 mit wenigen Ausnahmen handschriftliche Vermerke, denen zu entnehmen ist, wann den Teilnehmern das Protokoll jeweils zugesandt wurde. Teilweise verschickte die Staatskanzlei mehrere Protokolle nach der Redaktion zusammen. Der zeitliche Abstand zum Sitzungstermin betrug im Durchschnitt zwei bis drei Wochen, manchmal war er auch noch größer.44 Dies hatte zur Folge, daß den Kabinettsmitgliedern die Protokolle in den meisten Fällen nicht bis zur nächsten Sitzung vorlagen.

Vermutlich seit September, nachweislich ab November 1949,45 erhielt Ministerialrat Leusser ein Exemplar des hektographierten Protokolls zur Leitung der Koordinierungsbesprechungen sowie zum Vortrag über Bundesangelegenheiten in den jeweils folgenden Kabinettssitzungen.46 Analog zu der bekannten Praxis, dem bayerischen Bevollmächtigten beim Stuttgarter Länderrat ein Protokoll zuzuleiten,47 darf davon ausgegangen werden, daß auch der Bevollmächtigte Rattenhuber ein Exemplar erhielt, um die bayerische Politik in Bonn zu vertreten.48 Dagegen ist in der Regel auszuschließen, daß die Militärregierung einen Abdruck der Protokolle erhielt, da sie in den Ministerratssitzungen teilweise offen kritisiert bzw. das Vorgehen ihr gegenüber im Rahmen einzelner Gesetzgebungsverfahren eingehend besprochen wurde.

Alle Ministerratsprotokolle sind in indirekter Rede gehalten. Es handelt sich dem Charakter nach um ausführliche Verlaufsprotokolle. Aus früheren Beispielen ist bekannt, daß auch Verlaufsprotokolle den Beratungsverlauf nur in gestraffter Form wiedergeben.49 Ein Brief Staatssekretär Müllers an den Ministerpräsidenten belegt, daß wichtige Personalangelegenheiten wie die Besetzung der Bayerischen Vertretung in Bonn erst nach einer Sitzung besprochen wurden, und daher vom Protokoll nicht wiedergegeben werden.50 Immer wieder lassen Formeln wie „nach längerer Debatte“51, „nach eingehender Aussprache“52, „nach kürzerer Debatte“53 oder nach „kurzer Aussprache“54 erkennen, daß zu einem Tagesordnungspunkt nicht der detaillierte Diskussionsverlauf wiedergegeben wird, um den offenbar erheblichen Dissens im Kabinett nicht allzu deutlich zu dokumentieren. Ebenso kann sich teilweise auch hinter der Formulierung, der Ministerpräsident „berichtet“, eine sehr geraffte Form dieser Berichterstattung55 oder sogar der Verzicht auf die Wiedergabe des Inhalts seines Berichts verbergen.56

Die Korrekturen in den Protokollentwürfen im Registraturexemplar stammen in den meisten Fällen von der Hand des Generalsekretärs Leusser oder seiner Stellvertreter. Bei ihren Berichtigungen handelt es sich in der Regel um Schreib- und Übertragungsfehler aus den während der Sitzungen verfaßten stenographischen Mitschriften. In zahlreichen Fällen liegen auch Korrekturen von der Hand Ehards vor.57 Seine Eingriffe verfolgten zwei Zielsetzungen: Zum einen wird immer wieder das Bemühen des Juristen Ehard erkennbar, ungenaue Formulierungen sprachlich zu präzisieren. Ferner glättete der Ministerpräsident – allerdings 1949 deutlich seltener als im Jahr zuvor -,58 Passagen, die Schärfen enthielten. So mäßigte er unter anderem seine eigenen Ausführungen über die Amtsführung eines Beamten59 und über die Vorgehensweise von Ministerpräsident Arnold vor der Wahl des Bundesratspräsidenten.60 Damit trug er zur nüchternen und sachlichen Diktion der Protokolle bei.

Es ist von der Praxis auszugehen, daß Gumppenberg und die anderen Protokollführer die Reinschrift nach eigener Durchsicht dem Ministerpräsidenten als Vorsitzenden des Ministerrats zur Genehmigung vorlegten. Nachdem er das Protokoll durchgesehen, korrigiert und freigegeben hatte, konnte es vervielfältigt und verteilt werden. Da weiterhin keine Geschäftsordnung des Ministerrats existierte, die verbindliche Aussagen über das Verfahren der Niederschrift der Ministerratssitzungen traf, ist davon auszugehen, daß den übrigen Teilnehmern an den Sitzungen kein Entwurf des Protokolls vorlag und sie auch kein Einspruchsrecht besaßen.61 Dem Ministerpräsidenten kam damit die alleinige Entscheidung über den Protokolltext zu.

In einem Fall ist einem hektographierten Ministerratsprotokoll eine Anlage62 beigeheftet, die ebenfalls zum Abdruck kommt. In der Süddeutschen Zeitung ist verschiedenen Meldungen zu entnehmen, daß das Informations- und Presseamt der Bayerischen Staatsregierung in knapper Form ausgewählte Informationen über die Beratungen und Beschlüsse des Ministerrats in Form von Communiqués veröffentlichte. Besonderes Gewicht kam den Communiqués über die nicht protokollierten Sitzungen am 5. und 10. Mai 1949 zu.63 Im Unterschied zu früheren Jahren veröffentlichte der „Bayerische Staatsanzeiger“ 1949 kaum noch „Communiqués“ über die Ministerratssitzungen.64

Es war Aufgabe der Minister und Staatssekretäre, die Beschlüsse auf der Basis der Ministerratsprotokolle an die ihnen nachgeordneten Behörden und Referenten zur Bekanntgabe und zum Vollzug weiterzuleiten. In vielen Fällen wurden zu diesem Zweck maschinenschriftliche Auszüge angefertigt, die dem Referenten den zur Erledigung eines Beschlusses nötigen Abschnitt des Protokolls zur Kenntnis brachten.

II. Personelle Veränderungen und Struktur des Kabinetts Ehard II 1949

Im Jahr 1949 gab es nur wenige personelle Veränderungen in dem von September 1947 bis Dezember 1950 amtierenden Kabinett Ehard II.1 Am 20. Juli 1949 verstarb der für die Entnazifizierung zuständige Staatsminister für Sonderaufgaben, Ludwig Hagenauer, im Alter von 66 Jahren im Amt. Die Staatsregierung kam zum Gedenken am Nachmittag des 20. Juli 1949 zu einem außerordentlichen Ministerrat zusammen.2 Da die Auflösung des Sonderministeriums unmittelbar bevorstand, wurde kein Nachfolger mehr für Hagenauer berufen. Verfassungsrechtlich bedenklich war es, daß Ministerpräsident Ehard es jedoch unterließ, wie es die Bayerische Verfassung in Art. 50 vorsieht, den Geschäftsbereich des Staatsministers für Sonderaufgaben einem anderen Staatsminister zuzuweisen oder ihn sich offiziell selbst vorzubehalten. Beides hätte in jedem Fall in schriftlicher Form dem Landtag angezeigt werden müssen. Aus einem Brief des Ministerialdirektors im Sonderministerium und Staatssekretärs a.D. Camille Sachs geht hervor,3 daß Ehard die Aufgaben des Staatsministers für Sonderaufgaben stattdessen seit Sommer 1949 stillschweigend übernommen und Sachs mit seiner Vertretung und der Wahrnehmung der Geschäfte des Ministers für politische Befreiung beauftragt hatte. Auch der Hinweis von Sachs, Art. 23 des BefrG4 sehe die Ernennung eines Ministers für politische Befreiung zwingend vor,5 bewog Ehard zunächst nicht zur Änderung seiner Haltung. Vielmehr hieß es in dem vom Ministerpräsidenten am 16. November 1949 dem Landtagspräsidenten zugeleiteten Antrag zur Auflösung des Staatsministeriums für Sonderaufgaben, den der Ministerrat am 15. November 1949 beschlossen hatte:6 „Nach Art. 23 des Befreiungsgesetzes hat der Ministerpräsident einen Minister für politische Befreiung zwecks Durchführung dieses Gesetzes zu ernennen. Die Bestellung eines Ministers ist nach dem Umfang der Geschäftsaufgabe nicht mehr erforderlich. Im Rahmen der mir nach Art. 23 zustehenden Verpflichtung werde ich den Ministerialdirektor Camille Sachs mit der Durchführung der Geschäfte eines Ministers für politische Befreiung beauftragen.“7

Gegen diesen Antrag machte der Rechts- und Verfassungsausschuß des Bayerischen Landtags am 22. November wegen der Nichtbesetzung der Ministeriumsspitze verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Entweder übernehme der Ministerpräsident die Weiterführung und Abwicklung der politischen Befreiung verantwortlich oder er übertrage sie verantwortlich einem anderen Ministerium.8 Ehard bemühte sich darum, den Landtagsausschuß auf informellem Wege über dessen Vorsitzenden Hoegner zur Aufgabe seiner Bedenken zu bewegen.9 Der Ausschuß gab jedoch nicht nach. Daraufhin leitete Ehard dem Landtagspräsidenten am 7. März 1950 einen am 6. März 1950 vom Ministerrat beschlossenen Antrag10 zu, wonach die Auflösung des Ressorts zum 31. März erfolgen sollte und es nunmehr unter 2. hieß: „Der Ministerpräsident übernimmt in seiner Eigenschaft als Staatsminister der Finanzen die Geschäfte des Ministers für die politische Befreiung nach Art. 23 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946.“11

Der Widerstand des Rechts- und Verfassungsausschusses des Bayerischen Landtags zwang Ministerpräsident Ehard zu einer Korrektur und zur formalrechtlichen Beachtung der Verfassung sowie des Art. 23 des Befreiungsgesetzes. De facto leitete der erfahrene Sachs das Ressort. Aus der informell getroffenen Regelung resultierte die Teilnahme von Staatssekretär a.D. Sachs nach dem Tode von Hagenauer an fünf Ministerratssitzungen, in denen er sich vor allem an der Beratung über ein Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung maßgeblich beteiligte.12 Trotz seines Titels war Sachs im Kabinett Ehard II kein Kabinettsmitglied und besaß daher auch kein Stimmrecht im Ministerrat.

Nach fast einjähriger Vakanz13 berief Ministerpräsident Ehard mit Anton Konrad14 den bisherigen Ministerialdirektor und Amtschef am 15. Dezember 1949 zum Staatssekretär im Justizministerium.15 Der Landtag stimmte seiner Berufung am 15. Dezember einstimmig zu, also auch mit den Stimmen der Opposition.16

Im Jahr 1949 trat zwar kein Mitglied des Kabinetts Ehard II zurück. Allerdings gab es ein taktisches Rücktrittsangebot und ein Rücktritt kündigte sich an.

Justizminister Josef Müller bot Ende Juli 1949 im Zusammenhang mit der Suspendierung des Gerichtsverfahrens gegen Alfred Loritz durch die amerikanische Militärregierung seinen Rücktritt an.17 Ministerpräsident Ehard machte von diesem Angebot, das Ausdruck des bayerischen Protests war, jedoch keinen Gebrauch. Nach der Beendigung der Krise zwischen Militärregierung und Staatsregierung war das Rücktrittsangebot dann kein Thema mehr.18

Im Zusammenhang mit der Hofbräuhaus-Affäre in Stuttgart, dem Fall Blum, der nur im Juli einmal auf der Tagesordnung des Ministerrats gestanden hatte,19 berichtete die Presse im November 1949 über Rücktrittsabsichten von Finanzminister Kraus.20 Die eigenmächtige Kreditvergabe durch Ministerialrat Blum aus dem Finanzministerium, für die sich die Presse sehr interessierte,21 hatte im Juli zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses geführt. Im August legte die Münchner Abendzeitung in der „Affäre Hofbräu“ nach.22 Diesmal ging es im Zusammenhang mit dem Sohn von Finanzminister Kraus, Heribert Kraus, der seit Ende 1948 als zweiter Braumeister beim Staatlichen Hofbräuhaus in München tätig war, um den Vorwurf der Ämterpatronage. Gegen den im Kabinett stets streitbar auftretenden Kraus, der eine streng fiskalische Finanzpolitik vertrat, gab es auch zunehmende Kritik, er nehme zu wenig Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft.23 Tatsächlich bat Kraus Ministerpräsident Ehard noch am 29. Dezember 1949 mündlich, ihn, wie es offiziell hieß, im Hinblick auf sein vorgerücktes Lebensalter (70) und seine gesundheitlichen Verhältnisse vom Amte des Staatsministers der Finanzen zu entbinden.24 Schriftlich wiederholte Kraus diese Bitte am 3. Februar 1950. Ehard trug diesem Wunsch Rechnung und am 8. Februar 1950 erteilte der Landtag seine Zustimmung zu dieser Entlassung.

Ministerpräsident Ehard strukturierte in der Regel die Verhandlungen klar.25 Allerdings gibt es auch Hinweise auf seine zumindest teilweise schwindende Autorität. Die mangelhafte Präsenz in den Ministerratssitzungen wurde bereits weiter oben angedeutet. Um seine Richtlinienkompetenz bei der Gesetzgebung, im Verkehr mit der Militärregierung und den bizonalen Organen durchzusetzen, mußte er zahlreichen Eigenmächtigkeiten der Ressorts entgegentreten, wovon verschiedene Rundschreiben zeugen.26 Daraus zog er jedoch Konsequenzen und schuf sich mit den in der Staatskanzlei angesiedelten Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten bei der Konstituierung der Bundesorgane ein wirkungsvolles Führungsinstrument.27

Auch im Jahr 1949 genoß Ministerpräsident Ehard vor allem wegen seiner erfolgreichen föderalistischen Verfassungspolitik in Bonn den Respekt seines Kabinetts.28 Erneut gab es allerdings an seiner Amtsführung auch Kritik. Diese artikulierte in bis dato ungewohnt direkter Form wiederum29 Wirtschaftsminister Seidel. Nachdem Ehard Anfang September 1949 bei der Wahl zum ersten Bundesratspräsidenten gescheitert war, erhob der Wirtschaftsminister den Vorwurf, der Ministerpräsident hätte im Verlauf der Entwicklung gut daran getan, „wenn er einige seiner Kollegen zusammenberufen und ihre Auffassungen angehört hätte. Die Beratung ausschließlich durch eine oder zwei Persönlichkeiten genüge nicht.“ Seidels Vorwurf lautete, der Ministerpräsident agiere eigenmächtig und binde das Kabinett nicht in seine föderalistische Politik ein. Ehard war tief betroffen von der Vehemenz dieser Kritik und hielt Seidel entgegen, das Kabinett doch stets über alles informiert zu haben. Dies trifft jedoch für seine föderalistische Politik, die er zur Prärogative des Ministerpräsidenten zählte, definitiv nicht zu. Indiz für die äußerst angespannte Situation im Ministerrat am 9. September 1949,30 – diese Niederschrift sticht im übrigen wie die Sitzung nach der Bundestagswahl31 durch ihren politischen Charakter aus den Protokollen heraus – ist die Tatsache, daß Ehard das Kabinett zweimal darum bat, die von ihm nach der Wahl im Namen Bayerns abgegebene Erklärung zu billigen. Das Protokoll verzeichnet keinen entsprechenden Beschluß.32 Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, daß Ehard zumindest zu diesem Punkt nicht das Vertrauen aller Mitglieder der Staatsregierung besaß, ohne daraus allerdings Konsequenzen zu ziehen.

Insgesamt bestätigen die Protokolle des Jahres 1949 den politischen Aufstieg Seidels, der sich bereits in dem vorangehenden Band angekündigt hatte.33 Er meldete im Kabinett deutlich seinen Führungsanspruch an, widersprach dem Ministerpräsidenten zum Beispiel auch in der im Rahmen der Föderalismuspolitik wichtigen Frage von Ressortministerkonferenzen,34 bemühte sich, die Stelle des Bayerischen Bevollmächtigten mit einem Beamten aus seinem Ressort zu besetzen35 und entwickelte sich teilweise zum Meinungsführer bei der grundsätzlichen Positionierung Bayerns im Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat.36 Dabei vertrat er einen entschieden föderalistischen Standpunkt und war bemüht, möglichst rasch an geeigneten Materien das ganze Spektrum auszuloten, das das Gesetzgebungsverfahren mit dem Einspruchsrecht des Bundesrates und der Anrufung des Vermittlungsausschusses bot. Ehard und das Kabinett verfolgten hier eine etwas zurückhaltendere Linie. Absteiger des Jahres war hingegen Staatsminister Pfeiffer. An ihm wird neben Ehard die deutlichste Kritik geübt. So warf ihm der stellvertretende Ministerpräsident Müller vor, sich als Leiter der Staatskanzlei nicht genug um die Koordination zwischen München und Bonn in der Übergangszeit nach dem Ende des Parlamentarischen Rates und vor der Konstituierung der Bundesorgane gekümmert zu haben.37 In der Tat lagen die Interessen Pfeiffers nach seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Parlamentarischen Rat wohl eher auf politischer Ebene als auf organisatorischer Arbeit. Interessanterweise hatten er und Seidel erfolglos für den Bundestag kandidiert. Anschließend machte sich Pfeiffer Hoffnungen auf einen Posten im Bundeskabinett. Durch die Berufung Rattenhubers an die Spitze der Bayerischen Vertretung in Bonn sowie die Anlage der Koordinierungsbesprechungen als Beamtenrunde wurde der Informationsfluß zwischen Bonn und München dann in einer Weise organisiert, die den Leiter der Staatskanzlei nicht zwingend einbezog.

Was das Klima im Kabinett betrifft, so lassen die grundsätzlich zurückhaltend formulierenden Protokolle nur vage Schlüsse zu. Daß die Mai-Sitzungen,38 in denen ausschließlich die Haltung Bayerns zum Grundgesetz auf der Tagesordnung stand, nicht durch Protokolle dokumentiert worden sind, ist jedoch ein deutlicher Hinweis auf ihren vermutlich äußerst kontroversen Charakter und den Dissens im Kabinett, nachdem sich Hundhammer stark exponiert hatte, was auf keinen Fall öffentlich werden sollte. Bezieht man in die Bewertung dieser Sitzungen die anschließend veröffentlichten einmütigen Communiqués ein, so gelang es dem Ministerpräsidenten, ein Auseinanderbrechen seines Kabinetts in der Verfassungsfrage zu verhindern und damit seine Autorität zu festigen. Führungsstärke zeigte der Ministerpräsident auch mit seiner entschlossenen Haltung in der Sitzung nach der für die CSU desaströsen Bundestagswahl39 sowie bei der Berufung von Rattenhuber zum Bevollmächtigten Bayerns beim Bund.40

In den protokollierten Sitzungen bleiben die beiden bedeutendsten Exponenten der CSU, die dem Kabinett angehörten, der CSU-Landesvorsitzende Müller und der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion Hundhammer, erneut relativ blaß.41 Für die meist nüchtern juristischen Beratungen im Kabinett waren ihre herausgehobenen parteipolitischen Positionen ohne Belang. Insofern ist es folgerichtig, daß die Abwahl Müllers, die unter anderem auf das Konto von Adenauer und Hundhammer ging, und die Wahl Ehards zum CSU-Landesvorsitzenden im Mai 1949 keine Spuren in den Protokollen hinterläßt. Weder gewann Ehard dadurch im Ministerrat an Autorität hinzu, noch schadete dies der Stellung Müllers oder dem Klima im Kabinett. Überhaupt gab es im Kabinett nur wenige, die sich äußerten, wenn sie nicht nur fachlich gefragt waren, in erster Linie waren dies neben Ehard Finanzminister Kraus und Seidel. Zu fachlichen Fragen hingegen führten, wie bereits angedeutet, vermehrt Ministerialbeamte im Ministerrat das Wort.

Im Widerspruch zur Mehrheit des Kabinetts befand sich erneut von Fall zu Fall der für die Flüchtlingsangelegenheiten zuständige Staatssekretär Jaenicke.42 Bei der Beratung des Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung bezog Staatssekretär a.D. Sachs gegenüber dem Entwurf des Justizministeriums scharf Position, was auch erneut ein Beleg für das Selbstbewußtsein der Fachleute in den Beamtenkabinetten Ehards ist.43 Ende September kam es im Kabinett zu einer Kontroverse zwischen Justizminister Müller und Staatssekretär Jaenicke über die Frage der Vollstreckung der Strafe gegen den früheren Leiter des Lagerausschusses Dachau, Herrmann.44 Pressemeldungen sprachen anschließend von einer Kabinettskrise. Justizminister Müller erklärte in der SZ beschwichtigend, die Auseinandersetzung mit Jaenicke sei wohl etwas heftig gewesen. Diese Qualität ist dem gewohnt nüchternen Protokoll jedoch nicht zu entnehmen.

Es drängt sich der Eindruck auf, daß 1949 die seit Kriegsende auch in den früheren bayerischen Koalitionskabinetten feststellbare starke Solidarität zu bröckeln begann, die angesichts der schweren Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit und der scharfen Frontstellung gegenüber der Besatzungsmacht geherrscht hatte. Das machte das Regieren für Ministerpräsident Ehard insgesamt nicht leichter. Anläßlich der Sondersitzung nach dem Tod von Staatsminister Hagenauer45 und in der letzten Sitzung des Jahres46 wird allerdings auch erneut die Geschlossenheit im Kreise des Kabinetts spürbar, die auf der intensiven sachlichen Zusammenarbeit beruhte.

Der deutlichste Ausdruck des rauheren Klimas im Ministerrat ist der signifikante Anstieg von Beschlüssen im Jahr 1949, die das Kabinett nicht – wie sonst üblich – einstimmig, sondern nur mit Mehrheit faßte.47 Auffällig ist dabei, daß der Ministerrat in den weitaus meisten Fällen gegen das Votum von Finanzminister Kraus entschied. Insofern muß die Demission von Kraus zum Jahreswechsel wohl auch als Reaktion auf seine wachsende Isolation im Kabinett bewertet werden.

Gleich in der ersten Sitzung wurde Kraus in einer Personalsache überstimmt.48 Im März folgte der Ministerrat nicht seinem Vorschlag für die Verwendung der erhöhten Notariatsgebühren.49 Besonders schmerzlich war seine Niederlage in der Frage einer Aufstockung der Landesgrenzpolizei gegenüber dem Innenministerium.50 Seine kategorische Wortwahl in dieser Frage Anfang Dezember kann auch als Rücktrittsdrohung gelesen werden. Besonders die harte und als offensiv zu beschreibende Haltung von Wirtschaftsminister Seidel führte zu vielen Mehrheitsentscheidungen, so zum Beispiel bei der Ressortzuteilung der Landesplanung.51 Dabei steckte Seidel Niederlagen weg,52 die allerdings auch durch seine eindrucksvollen Erfolge im Kabinett mehr als kompensiert wurden.53 Als in der Frage der Feiertagsregelung ebenfalls an der harten Haltung Seidels eine das Kabinett deutlicher als sonst spaltende Mehrheitsentscheidung drohte – ansonsten stimmten mit Ausnahme der weltanschaulich motivierten Ablehnung der Errichtung von Spielbanken54 wohl höchstens die Vertreter eines Ressorts nicht mit der Mehrheit schritt der Ministerpräsident ein und vermittelte vorab einen Kompromiß. 1949 erwies sich überhaupt die Ehard attestierte „Fähigkeit zum Ausgleich“55 als Grundlage seiner Autorität als Ministerpräsident.

Möglicherweise das Faß zum Überlaufen brachte für Kraus dann die Niederlage des Finanzressorts bei der Entscheidung des Kabinetts über die Erhöhung der Mineralölpreise auf Bundesebene im Dezember, bei der der Ministerrat erneut der Argumentation des Wirtschaftsministeriums folgte,56 nachdem sich das Kabinett aus politischen Gründen bereits in der vorangehenden Sitzung über seinen Widerspruch gegen die Erhöhung des Entlassungsgeldes für Kriegsheimkehrer hinweggesetzt hatte.57

III. Der (kommissarische) Land Commissioner for Bavaria, Clarence M. Bolds

Den größten Zeitraum des Jahres 1949 stand zwar formell weiterhin Murray D. Van Wagoner an der Spitze der für Bayern zuständigen amerikanischen Militärregierung, bis zum Inkrafttreten des Besatzungsstatuts am 21. September 1949 als Land Director des Office of Military Government for Bavaria, anschließend bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt am 27. Oktober 1949 als Land Commissioner.1

Mindestens die gleiche Bedeutung kam jedoch 1949 seinem Stellvertreter und seit 16. Oktober 1949 Nachfolger Clarence M. Bolds zu. Dieser übte das Amt des Landeskommissars bis zum 15. April 1950 zunächst kommissarisch („Acting“) aus, ehe er vom 16. April bis zum 15. Juli 1950 als Landeskommissar für Bayern amtierte. Bolds hatte jedoch bereits vor dem offiziellen Ausscheiden Van Wagoners, der 1949 auch mehrfach länger abwesend war, zunehmend die Vertretung grundsätzlicher Positionen in politisch brisanten Fragen übernommen.2

Clarence M. (Milton) Bolds, 1903 in Moundsville (West Virginia) geboren, war 1949 46 Jahre alt. Er hatte die Senior High School in Anderson, Indiana, und die Detroit Industrial School besucht. Von 1929 bis 1942 war er bei der „Kelsey-Hayes Wheel Company“ in Detroit (Michigan) als Industrial Engineer tätig gewesen.3 1942 ging er als Berater für Arbeiterfragen zum War Production Board nach Washington, übernahm jedoch noch im gleichen Jahr die Leitung des Arbeitseinsatzamtes des War Production Board in Detroit. 1943 trat Bolds dann als Hauptmann in die US-Army ein. Seine Ausbildungsstationen für den Einsatz in der Militärregierung waren im September/Oktober 1943 die Provost Marshal General's School in Fort Custer (Michigan) und anschließend für zwei Monate die Civil Affairs Training School der Boston University.4 1944 kam er nach Übersee und wartete in England und Frankreich auf seinen Einsatz in der Militärregierung in Deutschland.

Nach rund fünf Jahren in der bayerischen Militärregierung und zuletzt als Landeskommissar war Bolds noch bis Ende September 1950 als „Special Consultant to the US High Commissioner for Germany“5 wohl vor allem in Bayern tätig, ehe er in die USA zurückkehrte. Er verstarb im Jahre 1958 im Alter von 55 Jahren.

Bolds gelangte im Mai 1945 mit der amerikanischen Militärregierung nach Bayern. Seit Juni war er Leiter der Abteilung für Arbeitsfragen des für Bayern zuständigen Regional Military Government, seit Oktober 1945 mit dem Titel Branch Chief.6 In dieser Eigenschaft war er maßgeblich beteiligt an der Errichtung des Arbeitsministeriums durch Gesetz vom 20. Juni 1945 sowie an dessen Zuschnitt unter Einschluß der Bau- und Wohnungsangelegenheiten.7 Seit Juni 1946 Major, agierte der einflußreiche Abteilungsleiter der Manpower Division (OMGB)8 als Ansprechpartner des Arbeitsministeriums und war auch für den Aufbau der Gewerkschaften in Bayern verantwortlich. Besonders intensiv wachte Bolds darüber, daß die Kompetenzen des Arbeitsministeriums in Wohnungsangelegenheiten nicht geschmälert wurden.9 Die von der Staatsregierung betriebene Wiedererrichtung der Obersten Baubehörde und die damit verbundene Ausgliederung der Bau- und Wohnungsangelegenheiten aus dem Arbeitsministerium versuchte er 1947 mit allen Mitteln aufzuhalten,10 konnte sie jedoch schließlich nicht verhindern.11

In Personalunion war er seit Dezember 1947, also dem Amtsantritt Van Wagoners, stellvertretender Direktor der Militärregierung für Bayern und damit ihr zweiter Mann im Freistaat. Infolge der hohen Fluktuation in der Militärregierung muß Bolds, der 1949 als letzter aus der Erstbesetzung der bayerischen Militärregierung noch im Amt war,12 neben dem am 10. Oktober 1949 tödlich verunglückten Albert C. Schweizer als bester Kenner der bayerischen Verhältnisse und einflußreichster Militärregierungsoffizier bezeichnet werden. Ebenso wie dieser interpretierte Bolds den Demokratisierungsauftrag13 der Militärregierung bei aller prinzipiellen Solidarität mit Bayern auch 1949 noch sehr konsequent.14

Das Verhältnis zwischen Bolds sowie Ministerpräsident Ehard und seinem Kabinett war 1949/1950 zumindest punktuell erheblichen, auch atmosphärischen Schwankungen ausgesetzt.

Als sich im Februar 1949 andeutete, daß das bayerische Finanzministerium, wie in den vorangegangenen Jahren und im Unterschied zu den übrigen Ländern der US-Zone wieder nicht in der Lage war, fristgerecht einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, eine Kernforderung der Militärregierung, ergriff Bolds in Abwesenheit Van Wagoners die Initiative und ließ sich vormittags bei Ministerpräsident Ehard in der Staatskanzlei melden. Nach der Niederschrift dieser Unterredung vom 10. Februar 1949 äußerte er bei dieser Gelegenheit: „Vertraulich müsse er dem Herrn Ministerpräsidenten sagen, daß er sich des Eindrucks nicht erwehren könne, daß dieses Ministerium es an der nötigen Zusammenarbeit habe fehlen lassen und sich bis zu einem gewissen Grade der Obstruktion schuldig gemacht habe“.15 Dieser direkte Vorwurf, im Kern wohl nicht ganz unbegründet, unterschied sich von der Tonlage, welche die Militärregierung üblicherweise unter Van Wagoner angeschlagen hatte. Bolds trat sehr selbstbewußt auf16 und trug seine Kritik an der Staatsregierung sowie der bayerischen Gesetzgebung auch in anderen Fällen nicht gerade diplomatisch vor, was man auf bayerischer Seite vier Jahre nach Kriegsende nicht nur in diesem Fall als unangemessen empfand.

Das Verhältnis hatte jedoch auch andere Facetten. Als im Mai 1949 die Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung des Grundgesetzes anstand, hatte Ministerpräsident Ehard Mühe, einige Parteifreunde, vor allem Kultusminister Hundhammer, zu einer klaren Distanzierung von separatistischen und monarchistischen Gedankenspielen zu bewegen. In dieser Situation instrumentalisierte der Ministerpräsident Bolds sehr geschickt. Er sprach bei ihm vor und dieser erklärte – ganz im Sinne Ehards -, die Militärregierung sei erfreut zu hören, daß Bayern die demokratische Spielregel akzeptiere, den Willen der Mehrheit zu achten, und daher auch im Falle einer Ablehnung der Verfassung durch den Landtag das Grundgesetz anerkennen werde und keine separatistischen Manöver erwäge.17

Kurz vor dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts bot das Verhalten der Staatsregierung im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen den WAV- Vorsitzenden Alfred Loritz18 Bolds noch einmal Gelegenheit, der deutschen Seite eine Lektion in Sachen Demokratie zu erteilen19, und die Macht der Militärregierung zu demonstrieren. Die Ansetzung des Verfahrens mitten im ersten Bundestagswahlkampf gegen den Vorsitzenden einer politischen Partei und Bundestagskandidaten war nach Ansicht der Militärregierung mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar. Nachdem Justizminister Müller jedoch an dem Termin festhielt, suspendierte Bolds schließlich am 26. Juli 1949 das Verfahren gegen Loritz.20 Daraufhin drohte der Justizminister mit Rücktritt, Ministerpräsident Ehard stärkte ihm den Rücken und der Bayerische Landtag griff zu einem ungewöhnlichen Mittel und trat in Streik.21 Bolds begründete den Schritt der Militärregierung unter anderem auf einer Pressekonferenz. Dabei sprach er wörtlich davon, in der Angelegenheit liege die Vermutung einer „Prostitution der Justiz“ nahe.22 Durch die spektakuläre Aktion und seine deutliche Wortwahl gelangte Bolds in jenen Tagen auf viele Titelseiten, teilweise sogar mit Foto.

Die Militärregierung setzte sich durch. Nach der Bundestagswahl nahm sie die Suspendierung zurück, ein neuer Prozeßtermin wurde für Ende August 1949 anberaumt, das Verfahren gegen Loritz später eingestellt.23 Bolds hatte der Staatsregierung ein letztes Mal vor dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts ihre Grenzen aufgezeigt und ein demokratisches Exempel statuiert. Damit hatte er bei Ehard und seinem Kabinett allerdings auch viel Kredit verspielt. Der Ministerpräsident nutzte wenige Tage später eine Großkundgebung in Cham, um den „betonten Regierungseifer der Militärregierungen“ in der jetzigen Übergangsphase kurz vor ihrem Ende scharf zu kritisieren.24 Indiz für den Grad, in dem das Verhältnis zur Militärregierung Ende Juli 1949 gestört war, war die Tatsache, daß auch der ansonsten inzwischen recht rege gesellschaftliche Verkehr eine Eiszeit erlebte und Regierungsmitglieder, die etwa die Zusage zu einem Gartenfest beim Leiter der German Courts Branch der Legal Division gegeben hatten, von der Staatskanzlei veranlaßt wurden, sie wieder zurückzuziehen.25

Nach der Gründung der Bundesrepublik und dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts stand auch der Wechsel an der Spitze des Landeskommissariats an. Kurze Zeit wurde Guy J. Swope im September 1949 als potentieller Nachfolger Van Wagoners gehandelt.26 Noch bevor Van Wagoner Bayern Ende des Monats verließ, ernannte McCloy dann jedoch Bolds im Oktober zum kommissarischen Landeskommissar.27 Der neue erste Mann der Amerikaner stellte sich am 8. November 1949 in einer Rundfunkansprache der bayerischen Bevölkerung vor: „Da ich seit der letzten mehr als 41/2 Jahre Ihre Probleme gemeinsam mit Ihnen erlebt habe, glaube ich, daß ich, trotzdem ich kürzlich ein neues Amt übernommen habe, Ihnen nicht erst vorgestellt werden muß. Tatsächlich werde ich nämlich von vielen meiner neueren Mitarbeiter der Alte der bayerischen Besatzung genannt, und ich bin der Meinung, daß nicht wenige meiner recht zahlreichen grauen Haare durch die Sorgen hervorgerufen wurden, die ich mir in dieser Zeit gemacht habe.“28

Bolds Land Commissioner for Bavaria
Russel R. Lord Assistant Deputy Land Commissioner for Bavaria
James A. Clark Chief, Political Affairs Division
Schubert E. Smith Chief, Administrative Office
Paul S. Nevin Chief, Economic Affairs Division
Donald T. Shea Chief, Intelligence Division
Frantz G. Loriaux Chief, Labor Affairs Division
Leonard J. Ganse Chief, Legal Affairs Division
Dr. Charles D. Winning Chief, Public Affairs Division
Kenneth E. Van Buskirk Chief, Field Operations Division (StK 12594).

Er transportierte bei dieser Gelegenheit auch die Linie der Amerikaner für die neue Phase ihrer Politik in Deutschland, die der amerikanische Hohe Kommissar McCloy bei einer Ansprache vor dem amerikanischen Personal von HICOG in Frankfurt vorgegeben hatte: Mit der lange geplanten Entwicklung von der Militärregierung zum Amt des Land Commissioners, so Bolds, verbinde sich auch eine neue Einstellung. Mit Ausnahme einiger weniger Fälle werde es keine Befehle mehr geben. Wörtlich erklärte er: „Von jetzt an wollen wir versuchen, Ihre Regierungsvertreter nur durch Beratung und Anleitung und Unterstützung zur Durchführung ihrer Aufgaben zu veranlassen.“29 Damit war die im Vergleich zur Militärregierung zurückgenommene Rolle des Landeskommissariats klar definiert,30 die Grenzen für Interventionen waren eng gezogen. Um die Ziele der amerikanischen Politik zu erreichen, bediente sich Bolds zahlreicher Pressekonferenzen.31

Etwa gleichzeitig zu seiner Rundfunkrede schrieb er allerdings auch an Ministerpräsident Ehard, bei der Übernahme seines neuen Amtes habe er verschiedene Vorgänge vorgefunden, die bis jetzt von bayerischer Seite noch nicht beantwortet worden seien. Er bat ihn – wie zu Militärregierungszeiten – in den nächsten Tagen über den Stand der Dinge zu berichten.32 Als dann im November der Fund von Massengräbern auf dem Leitenberg bei Dachau Schlagzeilen machte, warf der kommissarische Landeskommissar den deutschen Behörden Gleichgültigkeit vor,33 gab der Staatsregierung jedoch auch die Möglichkeit, die Angelegenheit selbst zu bereinigen, und zeigte sich gegenüber McCloy erfreut über das Krisenmanagement Ministerpräsident Ehards und seines Kabinetts.34

Den nach dem Loritz-Prozeß eingeschränkten gesellschaftlichen Verkehr hielt die Staatsregierung nach der Ernennung von Bolds zum Landeskommissar offenbar aufrecht. Da Ministerpräsident Ehard zuvor mit Land Director Van Wagoner häufig gemeinsam aufgetreten war und zum Beispiel beim ersten friedensmäßigen Oktoberfest mit ihm für die Fotografen posiert hatte,35 war diese Zurückhaltung auffällig. Anfang November wandte sich das Büro von Bolds daher an die Staatskanzlei und teilte mit, „daß der neue Landeskommissar Mr. Clarence M. Bolds beabsichtige, möglichst bald an einer größeren offiziellen Veranstaltung zusammen mit Herrn Ministerpräsidenten Dr. Ehard teilzunehmen.“ Das Amt des Landeskommissars bitte um Bekanntgabe einer dafür geeigneten Veranstaltung.36 Am 14. November lud Bolds Ehard und seine Frau zu einer Vorstellung von „Mamba's Daughters“ ein, eines „serious drama of American negro folk life“,37 für den 21. Dezember „for coctails and an informal buffet supper“ ins Haus der Kunst (Director's Mess).38 Ob Ehard den Einladungen folgte, ist nicht nachweisbar. Es deutet aber alles darauf hin, daß der Ministerpräsident den Kontakt mit Bolds 1949 auf den dienstlichen Verkehr beschränkte. Dies – nur so lassen sich die Bemühungen von Bolds deuten – empfand dieser offensichtlich als Legitimationsdefizit. Als der Hohe Kommissar McCloy Anfang Januar 1950 nach München kam, drängte sich Bolds – die Abbildung zeigt dies sehr deutlich – selbstbewußt ins Bild.39

Gegenüber der Süddeutschen Zeitung zog er zum Jahresende 1949 eine ambivalente politische Bilanz.40 Positiv bewertete er die Einführung der Gewerbefreiheit. Negativ sei hingegen, daß es bislang nicht gelungen sei, das Beamtenwesen zu demokratisieren. Ferner verwies er auf Mangel an Toleranz im politischen und sozialen Leben Bayerns, vor allem gegenüber den Flüchtlingen. Als vordringlichste Aufgaben für 1950 bezeichnete er eine demokratische Gemeindeordnung41 sowie eine wirkliche Schulreform. Kurz zuvor hatte Bolds gemeinsam mit dem als Nachfolger von Schweizer zum Leiter der politischen Abteilung des Landeskommissariats ernannten James A. Clark das selbstbewußtere Auftreten des Landtags und seiner Ausschüsse in diesem Jahr gelobt. Die Volksvertretung habe Unabhängigkeit gegenüber der Ministerialherrschaft bewiesen und begonnen, aktiv an der Gesetzgebung mitzuwirken.42 Gerade was die scharfe Kritik der bayerischen Bürokratie betraf, stand Bolds als unbequemer Mahner ganz in der Tradition von Albert C. Schweizer.

Deutlich wird, daß Bolds, obwohl er die Botschaft von der neuen Linie amerikanischer Politik nach Inkrafttreten des Besatzungsstatuts in Bayern verkündet hatte, nicht bereit war, die demokratische Meßlatte niedriger zu legen,43 und offensichtlich auch nicht in der Lage, seinen in den Jahren seit Kriegsende entwickelten Führungsstil den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen.

Dies wurde schließlich 1950 bei der Schulreform ganz deutlich. Am 4. Februar 1950 bezeichnete sein Stellvertreter Winning als Bevollmächtigter des Landeskommissars in einer gemeinsamen Sitzung des kulturpolitischen sowie des Rechts- und Verfassungsausschusses des Landtags den Entwurf des Schulorganisationsgesetzes als tendenziell undemokratisch.44 Insbesondere Kardinal Faulhaber interpretierte diese Kritik als Gefahr für das Bekenntnisschulprinzip und die konfessionelle Lehrerbildung. Umgehend wandte er sich an den Hohen Kommissar McCloy, um ihn über die auf dem Bayerischen Konkordat von 1924 beruhende Rechtslage aufzuklären45 und intervenierte gleichzeitig bei Papst Pius XII.46 Bei einer Unterredung zwischen Faulhaber, Bolds und Winning am 14. April 1950 traten der Landeskommissar und sein Stellvertreter den Rückzug an und beteuerten, in keiner Weise hätten sie die Absicht gehabt, die Bekenntnisschule in Bayern abzuschaffen.47

Die unmittelbar darauf im April bekannt gegebene Abberufung des Protestanten Bolds zum 15. Juli 1950 von seinem Posten in Bayern – er wurde als Landeskommissar von dem bekannten amerikanischen Katholiken George N. Shuster abgelöst48 -, interpretierte schon die zeitgenössische Presse als Reaktion McCloys auf den Zusammenstoß der Spitzen des Landeskommissariats mit der katholischen Kirche in Bayern.

Im Mittelpunkt der Fragen auf der regelmäßigen Pressekonferenz von Bolds am 20. April 1950 standen dann auch die Gründe für seine Abberufung. Bolds erklärte zunächst, zwischen ihm und McCloy herrsche „in jeder Hinsicht völlige Übereinstimmung“. Auf die Frage: „Haben Sie von Gerüchten gehört, daß höchste kirchliche Stellen beim State Department und beim Hohen Kommissar interveniert haben wegen der Haltung des Landeskommissariats und der Neuen Zeitung?“ antwortete er: „Ich habe von solchen Gerüchten gehört, aber ich habe keine Informationen dieser Art und glaube auch nicht an solche Behauptungen“.49 Viel spricht jedoch dafür, daß McCloy Bolds wegen seines Vorgehens in der Frage des Schulorganisationsgesetzes und die dadurch ausgelösten diplomatischen Aktivitäten als Landeskommissar ablöste. Damit dies jedoch nicht als direkte Reaktion auf kirchliche Interventionen erschien, fand die Abberufung erst mit zeitlicher Verzögerung Mitte Juli statt.50 Auch wenn McCloy inhaltlich die Vorbehalte von Bolds und Winning gegenüber dem Gesetz teilen mochte, ihr Stil entsprach nicht mehr den Vorgaben für das amerikanische Auftreten in der Phase des Landeskommissariats. Insofern stellt die Abberufung von Bolds auch einen Wendepunkt für den amerikanischen Einfluß auf die bayerischen Verhältnisse insgesamt dar. Nach dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts war der zuvor praktizierte Stil nicht mehr opportun und stand im Widerspruch zum Anspruch der Amerikaner, den Deutschen nunmehr weitgehend die Verantwortung zu übertragen. Um die demokratische Entwicklung zu begleiten und in subtiler Form auch weiterhin zu steuern – diese Linie verfolgten die Amerikaner, sie zogen sich keineswegs vollständig zurück -, waren diplomatische Akteure gefragt. Bolds war dafür die denkbar falsche Besetzung, verkörperte er doch die Zeiten, in denen die Militärregierung noch regelmäßig mit Befehlen agiert hatte.

Letztlich war es nicht die Staatsregierung, sondern die katholische Kirche Bayerns, die Bolds 1950 seine Grenzen aufzeigte. Seine feierliche Verabschiedung durch die Staatsregierung fand am 4. August 1950 in der Schack-Galerie in der Münchner Prinzregentenstraße statt.51 Wie General Clay oder Van Wagoner erhielt Bolds wohl bei dieser Gelegenheit als Abschiedsgeschenk eine Figur aus Nymphenburger Porzellan.52 George N. Shuster schenkte Ministerpräsident Ehard übrigens bereits zur Feier seines „Einstandes“ als Landeskommissar als guten Schutzgeist eine Porzellanfigur der Madonna von Lorch.53 Die Formeln in der offiziellen Abschiedskorrespondenz zwischen dem scheidenden Landeskommissar und Ehard gingen über formelle Höflichkeiten nicht hinaus.54 1951 wirkte Bolds gemeinsam mit einer Reihe von Fachleuten im Auftrag des Stanford Research Institute als „Industrial Relations Consultant“ in Italien. Dabei ging es vor allem um das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Eisen- und Stahlindustrie. Vor der Rückkehr in die USA wollte er im November 1951 noch einmal Bayern und München besuchen.55 Als Hans Ehard 1953 die USA bereiste, traf er Clay, McCloy, Shuster und dessen Nachfolger Oron J. Hale; Bolds war nicht unter seinen Gesprächspartnern in den Vereinigten Staaten. Alle protokollarischen Aspekte zusammengenommen lassen den atmosphärischen Unterschied deutlich erkennen. Bolds, der sich wie die anderen Männer an der Spitze der Militärregierung oder des Landeskommissariats mit Bayern identifizierte und sich bei seinen Vorgesetzten für das Land einsetzte, hatte sich durch seine prinzipielle Haltung in Sachen Demokratie und sein autoritäres Auftreten im politischen Bayern keine Freunde gemacht.

IV. Die Bayerische Vertretung in Bonn

Die Besetzung der personellen Spitze der Bayerischen Vertretung in Bonn war höchst umstritten und erfolgte Mitte November 1949 erst zwei Monate nach der Konstituierung der Bundesorgane. Die Berufung des 63jährigen Ernst Rattenhuber war eine Überraschung. Bereits zeitgenössische Kommentatoren vermuteten, daß die eigentliche politische Koordination zwischen München und Bonn weiterhin von anderen geleistet werde.1 Rattenhuber, der 1945 als Direktor des Bayerischen Landesamtes für Ernährung und Landwirtschaft an Ministerratssitzungen des Kabinetts Schäffer teilgenommen und 1949 die CSU im Frankfurter Wirtschaftsrat vertreten hatte, waren in Bonn wohl eher Repräsentationsaufgaben zugedacht. Seine wenigen eigenen politischen Berichte2 zeugen mehr von der Begeisterung, mit dem Bundeskanzler zusammenzutreffen oder an der Sitzung der Unionsfraktion teilzunehmen, als von nüchternem juristischen Urteil oder politischem Gespür. Meist leitete er nur Berichte weiter, die andere Mitarbeiter der Vertretung verfaßt hatten. Als Rattenhuber im November 1951 plötzlich verstarb, übernahm das Amt des Bevollmächtigten mit Claus Leusser derjenige, in dessen Händen auch zuvor die politische und juristische Koordination zwischen Bonn und München gelegen hatte und auf dessen präziser Berichterstattung3 die föderalistische Politik der Staatsregierungen bis Anfang 1963 beruhte.

Wie wichtig Ministerpräsident Ehard die Besetzung des Bevollmächtigtenpostens war, belegen seine Ausführungen im Ministerrat am 3. September 1949: „Ein qualifizierter Mann müsse die Leitung dieser Vertretung haben, dem eine Reihe von Sachreferenten aus den einzelnen Ministerien beigegeben werden müßten. Auf die Zusammenarbeit dieser Leute mit dem Bundesrat, Bundestag und der Bundesregierung müsse ganz entscheidendes Gewicht gelegt werden. Wenn die Arbeit dieser Leute in Bonn und deren Verbindung mit den einzelnen Ministerien hier nicht absolut zuverlässig sei, kämen wir in die größten Schwierigkeiten und würden an die Wand gedrückt.“4

Zunächst war im Ministerrat zu klären, ob die Spitze der Vertretung mit einem Kabinettsmitglied, etwa dem Leiter der Staatskanzlei, oder einem Beamten besetzt werden sollte. Auch die Berufung eines Sonderministers für die Bonner Vertretung – erst 1962 wurde mit Franz Heubl ein Staatsminister für Bundesangelegenheiten ernannt5 – wurde erwogen6 und verworfen. Für diese Entscheidung spielte auch das Vorgehen der übrigen Länder eine Rolle; 1949 entschieden sich alle Länder außer Nordrhein-Westfalen für die Beamtenlösung.7 Auch Ehard favorisierte sie für Bayern am 3. September im Kabinett; personell dachte er spontan an Ministerialdirektor Ringelmann aus dem Staatsministerium der Finanzen. Dieser Personalvorschlag zerschlug sich jedoch sofort, da Finanzminister Kraus erklärte, er habe mit Ringelmann gesprochen, der nicht nach Bonn gehen wolle. Im weiteren Verlauf der Sitzung machte dann Wirtschaftsminister Seidel dezidierte Aussagen zum Profil des Bevollmächtigten: Er müsse ein hervorragender Verwaltungsbeamter sein, ferner über politisches Fingerspitzengefühl verfügen, ohne jedoch eigenen politischen Ehrgeiz zu entwickeln. Dies richtete sich gegen den politisch ambitionierten Bayerischen Bevollmächtigten beim Vereinigten Wirtschaftsgebiet Gebhard Seelos, der sich übrigens vor seinem Übertritt zur Bayernpartei selbst für den Posten ins Gespräch gebracht hatte.8 Wörtlich fügte Seidel hinzu: „Es müsse auch ein Mann sein, der über gewisse äußere Formen verfüge, die auch den Norddeutschen zusagten.“ Seidel schlug mit Ministerialdirigent Georg Heilmann einen Beamten aus seinem Haus für die Stelle vor. Brieflich begründete er seinen Vorschlag unter anderem mit dessen weitläufigem Auftreten und vielen Kontakten aus seiner Berliner Zeit zu Beamten in den Bundesministerien.9

Ende September erklärte Ministerpräsident Ehard, der Leiter der Bonner Vertretung müsse jetzt bestellt werden, allerdings könnten noch keine Personalvorschläge gemacht werden.10 Aus der Bemerkung Kultusminister Hundhammers, es erscheine ihm wichtig, auch über die Spitze der bayerischen Vertretung in Bonn im Ministerrat zu sprechen, ist die Sorge herauszuhören, der Ministerpräsident könnte eine einsame Personalentscheidung fällen. Hinter den Kulissen ging derweil die Personaldebatte ungebremst weiter. Aus einem Brief Staatssekretär Müllers11 geht hervor, daß man über die Personalie unter anderem im Anschluß an den Ministerrat vom 27. Oktober12 gesprochen hatte. Anschließend pries Müller gegenüber Ehard den auch nördlich der Mainlinie gut vermittelbaren Ministerialrat im Finanzministerium Hans Otto Hofmann. Im Gespräch war auch Otto Graf, der Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium wurde. Ende Oktober 1948 stand dann offenbar die Ernennung von Ministerialdirigent Heilmann kurz vor ihrer Realisierung.13 Woran sie dann doch noch scheiterte, ist nicht ersichtlich.

Am 15. November erklärte schließlich Ministerpräsident Ehard, „daß es hohe Zeit sei, einen Leiter zu benennen“14 und schlug mit Staatsrat a.D. Rattenhuber einen Mann vor, „der außerhalb der Bürokratie stehe.“ Die Minister Müller und Ankermüller unterstützten seinen Vorschlag und der Ministerrat stimmte ohne weitere Beratung zu. Mit Rattenhuber,15 der die Ministerialdirektorenstelle der Staatskanzlei erhielt, stand nur formal ein Beamter an der Spitze der Vertretung. Ein Laufbahnbeamter – wie zunächst beabsichtigt – war nicht berufen worden.16

Möglicherweise hätte Ehard, der anfangs Ringelmann genannt hatte, bereits 1949 gerne mit Leusser den anderen der beiden Spitzenbeamten berufen, auf denen sein Einfluß beim Parlamentarischen Rat beruht hatte. Daß er stattdessen Rattenhuber präsentierte, läßt verschiedene Interpretationen zu. Nach der Kritik Seidels im Anschluß an die Wahl Arnolds zum Bundesratspräsidenten, der Ministerpräsident führe eine einsame Politik aus der Staatskanzlei heraus,17 hätte eine Berufung Leussers Ehards schärfsten Kritiker bestätigt und wäre im Kabinett vielleicht auf Widerstand gestoßen. Andererseits behielt Ehard mit seinem Vorschlag die politische Initiative und ließ sich keinen Spitzenbeamten andienen, der wie Heilmann noch dazu aus dem Hause Seidels gekommen wäre. Rattenhuber, der seinen Monarchismus nicht verleugnete und zu den politischen Freunden Fritz Schäffers zählte,18 bot sich auch an, um den Schäffer-Hundhammer-Flügel der CSU nach der schwierigen Entscheidung über die Annahme des Grundgesetzes durch eine Personalentscheidung wieder enger einzubinden. So konnte sich ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen dem starken Mann der CSU-Landesgruppe19 und der Bayerischen Vertretung entwickeln, die nicht nur als verlängerter Arm Ehards betrachtet wurde.20 Angesichts der Unerfahrenheit Rattenhubers auf dem Bonner Parkett bedeutete die Berufung tatsächlich keine Schwächung der Position Ehards, die auf der Koordinationsleistung Leussers sowie der Berichterstattung der Beamten der Bonner Dienststelle beruhte.

Organisatorisch ging die Bayerische Vertretung in Bonn aus der Dependance hervor, die die Bayerische Staatskanzlei Anfang September 1948 mit dem Arbeitsbeginn des Parlamentarischen Rates in Bonn errichtet hatte.21 Die Leitung der Vertretung lag daher anfänglich 1949 in den Händen von Regierungsdirektor Hans Wutzlhofer, der seit über einem Jahr mit der Führung der Verwaltungsgeschäfte der Bonner Niederlassung der Münchner Staatskanzlei betraut war. Nachdem der Ministerrat sich mit der Berufung eines Bayerischen Bevollmächtigten bis zum 15. November 1949 Zeit ließ, war seine Tätigkeit in der Konstituierungsphase der Bundesrepublik über rein organisatorische Aufgaben hinausgegangen,22 womit Wutzlhofer wohl Hoffnungen verbunden hatte, selbst zum Bevollmächtigten berufen zu werden.23 Nach der Entscheidung zugunsten Rattenhubers war Wutzlhofer schwer enttäuscht24 und wechselte zum 1. April 1950 auf die Stelle des Staatlichen Badkommissars für Bad Kissingen und Bad Brückenau.

Sein Nachfolger als Leiter der Verwaltungsabteilung der Vertretung des Freistaates Bayern beim Bund wurde Alois Niederalt.25 Damals seit etwa zwei Jahren Regierungsrat und juristischer Nebenbeamter am Landratsamt Laufen, hatte er sich auf ein Rundschreiben von Ministerialrat Fritz Baer für die Verwendung im Bundesdienst beworben.26 Obwohl das Staatsministerium des Innern unter Hinweis auf seine Qualitäten und den generellen Mangel an fähigen Außenbeamten in der inneren Verwaltung Einwände gegen eine Abordnung erhoben hatte, wurde Niederalt am 27. August 1949 mit sofortiger Wirkung und nunmehr auch mit dem Einverständnis des Innenministeriums zur Dienstleistung an die Vertretung in Bonn abgeordnet.27 Er trat am 2. September 1949 seinen Dienst am Rhein an. Zum 1. April 1950 wurde er nach Bonn versetzt und Oberregierungsrat. Neben seiner Arbeit als Verwaltungsleiter verfaßte er auch zahlreiche Berichte über Sitzungen des Bundestags oder der CDU/CSU-Fraktion. Er machte später eine bemerkenswerte Karriere, avancierte 1953 zum Bundestagsabgeordneten der CSU und, gefördert von Bundeskanzler Adenauer, 1962–1966 zum Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder.28

Der einzige feste Referent der Bonner Vertretung neben Oberregierungsrat Niederalt war in den ersten Jahren ab 1. Februar 1950 Regierungsrat Wilhelm Kopf, 29 der dort mit Unterbrechungen als Pressereferent wirkte und ebenfalls viele politische Berichte unter anderem auch über Sitzungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der CSU-Landesgruppe30 oder politische Interna des Landes Nordrhein-Westfalen für die Staatskanzlei, teilweise auch speziell für Ministerialrat Schwend, schrieb, ehe er ins Auswärtige Amt wechselte. Kopf kannte unter anderem den 1949 als Staatssekretär in das Bundesinnenministerium gewechselten von Lex aus beider Bayernwachtzeit.

Am 3. September hatte Ministerpräsident Ehard im Ministerrat skizziert, wie er sich die weitere personelle Besetzung der Bayerischen Vertretung vorstellte. Neben dem Leiter und dem Stammpersonal sollten dort Fachreferenten aus den einzelnen Staatsministerien tätig sein, um bei den in ihr Ressort fallenden Gesetzgebungsmaterien mit den Verfassungsorganen des Bundes zusammenzuarbeiten. Dabei liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit der Fachreferenten in der Landesvertretung auf den Kontakten zur Bundesregierung sowie zum Bundestag und seinen Ausschüssen sowie den Arbeitskreisen der CDU/CSU-Fraktion. Nur teilweise sind sie auch in den Fachausschüssen des Bundesrates vertreten, für die Bayern als Beauftragte mehrheitlich höhere Beamte aus den Münchner Ministerien nominierte.31

Als Erstbesetzung dachte Ehard an die Referenten, die ähnliche Aufgaben schon in Frankfurt beim Länderrat des VWG übernommen hatten. Er bat auch um weitere Vorschläge. Nachdem bis Ende September nichts geschehen war, ersuchte Ehard die Ministerien nochmals darum, möglichst bald die sogenannten „Reisereferenten“ zu bestimmen.32 Er war gezwungen, diese Bitte am 10. Oktober und am 21. November zu wiederholen.33 Dabei dachte er keineswegs an alle Ressorts, sondern an die Ministerien für Wirtschaft, Landwirtschaft, Finanzen, Arbeit und Inneres. Bald wurde deutlich, daß auch ein Referent des Justizministeriums dringend benötigt wurde.34 Die Benennung eines Beamten aus dem Kultusministerium kam zunächst angesichts der prinzipiellen Position, die Bayern in der Frage der Kulturhoheit der Länder vertrat, nicht in Frage.35

Zuerst benannte wohl das Finanzministerium den Regierungsrat Konstantin von Dziembowski, dessen Tätigkeit in Bonn schon Anfang Oktober nachzuweisen ist.36 Am 29. Oktober betraute Landwirtschaftsminister Schlögl den Diplom-Landwirt Kaspar Seibold, der 1948/1949 für die CSU Mitglied des Parlamentarischen Rates gewesen war, vertretungsweise mit der Berichterstattung über sämtliche agrarpolitischen Vorgänge. Er ordnete ihn mit sofortiger Wirkung vom Bevollmächtigten Bayerns für das VWG in Frankfurt zur Vertretung Bayerns nach Bonn ab.37 Am 30. November hieß es in einem Schreiben von Ministerialrat Baer an das Innen-, Wirtschafts- und Arbeitsministerium, die seit längerer Zeit in Aussicht gestellte Abordnung eines Vertreters des Ministeriums an die Dienststelle des bayerischen Bevollmächtigten sei in allernächster Zeit unbedingt erforderlich.38 Daß sich auch Ministerpräsident Ehard am 6. Dezember39 im Kabinett erneut nach den Referenten erkundigte, macht deutlich, wie wichtig ihm die Besetzung dieser Stellen war, da die Vertretung ohne die Fachreferenten nicht wirklich arbeitsfähig war. Unmittelbar darauf ordneten Anfang Dezember das Innenministerium Oberregierungsrat Josef Hausner 40 und das Wirtschaftsministerium Regierungsrat Rudolf Crug41 ab, der bisher beim Länderrat des VWG in Frankfurt tätig gewesen war.42 Erster Vertreter des Arbeitsministeriums wurde Oberregierungsrat Philipp Hertel.43 Mit der Entscheidung Justizminister Müllers vom 9. Januar 1950, Oberlandesgerichtsrat Erich Gerner bis auf weiteres zur Dienstleistung beim Bevollmächtigten Bayerns beim Bund abzuordnen, war die personelle Erstbesetzung der Fachreferentenstellen der Bonner Vertretung komplett.44

Auch Rattenhuber berichtete am 16. Januar 1950, nachdem es zu Klagen über das mangelhafte Funktionieren der Dienststelle gekommen war, daß erst jetzt alle Referenten- und Hilfskraftstellen besetzt seien.45

Die zähe Nominierung der „Reisereferenten“ mag darauf zurückzuführen sein, daß man hierfür geeignete junge Beamte suchte, die Posten aber angesichts der keineswegs üppigen finanziellen Zulage46 und der schwierigen Wohnraumsituation im fernen Bonn47 nicht sonderlich attraktiv waren. Auch war – was heute erstaunt – die Abwesenheit von den Münchner Ministerien zumindest in den ersten Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik einer Karriere eher abträglich als förderlich.48 Auch in der Folgezeit blieb die Fluktuation hoch, was Ministerpräsident Ehard am 25. Februar 1952 zu einem Rundschreiben an Innen-, Justiz-, Finanz-, Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Arbeitsministerium veranlaßte.49 Darin hieß es: „Ich wäre dankbar, wenn der Wahrung der erforderlichen Kontinuität in der Arbeit der Dienststelle des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund auch dadurch Rechnung getragen würde, daß für die Folge Abordnungen grundsätzlich auf die Dauer von mindestens einem Jahr ausgesprochen bzw. grundsätzlich nicht vor Ablauf eines Jahres wieder aufgehoben werden.“50

Das System der Reisereferenten, die weiter Beamte ihres Ministeriums blieben,51 stellte anfänglich eine Besonderheit dar. Später kopierten einige Länder die bayerische Praxis.52 Von Anfang an nahm die bayerische Vertretung in Bonn bei der personellen Ausstattung einen der ersten Plätze unter den Ländern ein,53 dies, obwohl Finanzminister Kraus an das Vorbild des Reichsrats erinnert und gemahnt hatte, keinen zu großen Apparat aufzuziehen.54 Das Anforderungsprofil an die Referenten der Vertretung – Stammpersonal und Fachreferenten – ist hoch, die Aufgabe verlangt „Sachkenntnis, Phantasie, Kontaktfreudigkeit, politisches Urteilsvermögen, Beharrlichkeit und föderatives Engagement.“55

Das Tätigkeitsfeld der Bonner Vertretung, die insgesamt dem Motto Ministerpräsident Ehards folgte, die Geschicke des Föderalismus und Bayerns seien am besten durch aktive Mitwirkung zu fördern, erschöpfte sich nicht in der Berichterstattung an die Staatskanzlei56 und die Münchner Ministerien sowie darin, Bonner Dienststellen zuverlässig die bayerische Position zu erläutern. Die Koordination mit der CSU-Landesgruppe57 gehörte ebenso dazu wie die Mobilisierung aller – in der ersten Legislaturperiode – 78 bayerischen Abgeordneten für die Anliegen des Freistaates.58 Dazu dienten unter anderem die regelmäßigen Bierabende im Haus Bayern, die sogenannten „Bayernabende“.59 Als seine besondere Aufgabe betrachtet es Rattenhuber, den aus dem Konkurrenzverhältnis zwischen CSU und Bayernpartei60 im Bundestag resultierenden Schaden durch persönliche Fühlungnahme mit Vertretern beider Parteien für Bayern möglichst in Grenzen zu halten.61 Weiterhin waren der Landesvertretung ein Vertreter des Bayerischen Handwerkstages und des Landesausschusses der bayerischen Industrie zugeordnet.62

Da nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und der Konstituierung der Bundesorgane bis Anfang November 1949 noch nicht feststand, ob Bonn Bundessitz blieb, arbeitete Bayern zunächst mit Provisorien. Untergebracht war der Bayerische Bevollmächtigte mit seiner Handvoll Mitarbeiter zunächst bis Mitte der fünfziger Jahre im Block III der sogenannten „Pressehäuser“ (Görresstraße 11), nahe beim Bundeshaus, die unter der Adresse des Bundeshauses im Adreß- und Telefonverzeichnis firmierten. Die Möbel für die dortigen Büros stammten aus der aufgelösten bayerischen Vertretung beim Vereinigten Wirtschaftsgebiet in Frankfurt.63 Mitte Januar 1950 garantierte Rattenhuber der Staatskanzlei, die Dienststelle sei nunmehr über eine ihrer 16 Nebenstellen von morgens 8 bis 20 Uhr ununterbrochen erreichbar.64 Diese provisorische Unterbringung endete am 9. Februar 1956 mit dem Bezug des ersten neu errichteten Gebäudes für eine Landesvertretung in der Schlegelstraße 165 im Bonner Regierungsviertel. Bayern hatte dafür den bekannten Architekten Sep Ruf gewonnen, der in den sechziger Jahren auch den Kanzlerbungalow im Park des Palais Schaumburg bauen sollte.66 Mit dem modern gestalteten Flachbau besaß Bayern neben Büros nunmehr auch großzügige Konferenz-, Ausstellungs- und Empfangsräume, die man in den kommenden Jahrzehnten intensiv nutzte, um die Vielfalt des Kulturstaates Bayern sowie dessen Staatlichkeit am Rhein in repräsentativem Rahmen zu präsentieren.67

Daneben unterhielt der Freistaat Bayern ähnlich wie bei den Institutionen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in Frankfurt68 mit dem „Haus Bayern“ in der Koblenzer Straße (heute Adenauerallee) 121 a, ein „Vertrags-Gästehaus“,69 das in den ersten Jahren auch einen repräsentativen Rahmen für kleinere Empfänge und Bierabende sowie Übernachtungsmöglichkeiten für bayerische Bundesratsmitglieder, bayerische Beamte aber auch sonstige Reisende bot;70 ein Appartement war in der ersten Phase auch für den bayerischen Ministerpräsidenten reserviert gewesen.71 Bereits im März 1950 erwarb dann der Bevollmächtigte Rattenhuber am nördlichen Bonner Rheinufer einen 1948 errichteten Neubau aus rotem Backstein, mit gepflegtem, terrassenförmig angelegtem Garten inmitten eines alten Baumbestandes (Am Schänzchen 22), als Dienstwohngebäude,72 das die Schlaf-, Wohn- und Repräsentationsräume des Ministerpräsidenten sowie die Dienstwohnung des Bevollmächtigten enthielt. Wie Rattenhuber gegenüber der Staatskanzlei bemerkte, habe auch Ministerpräsident Ehard bei seinem letzten Aufenthalt in Bonn die Meinung geäußert, das Haus Am Schänzchen zu kaufen.73 Ferner erwarb er gleichzeitig für den Freistaat Bayern das Einfamilienhaus Ölbergstraße 34 in Bonn als Dienstwohngebäude für die beim Bevollmächtigten dauerhaft tätigen Beamten. Unter Leitung des Landbauamtes Aschaffenburg wurde es 1950 in ein Mehrfamilienhaus aus- und umgebaut.74 Bayern verfügte damit in der Frühzeit der Bundesrepublik über vier Stützpunkte in der Bundeshauptstadt.75 Im Sommer 1963 stimmte das Staatsministerium der Finanzen dem Verkauf des Anwesens Am Schänzchen an den Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder, Alois Niederalt, zu.76 Anstelle dieses Hauses erwarb der Freistaat im Mai 1963 als Dienstwohngebäude des Staatsministers für Bundesangelegenheiten, Franz Heubl, einen Bungalow in der Axenfeldstraße 7 in Bad Godesberg mit Blick auf Godesburg und Siebengebirge. Es war künftig als Dienstwohngebäude für den Ministerpräsidenten, den stellv. Ministerpräsidenten und Finanzminister sowie für den Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigten des Freistaates Bayern vorgesehen; ferner, so das Staatsministerium der Finanzen, „sollen zur Kontaktpflege in Bonn Empfänge für bis zu 16 Personen in einem entsprechenden Rahmen möglich sein.“77

V. Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten

Für eine erfolgreiche bayerische Politik in Bonn war nicht nur eine gut funktionierende Vertretung notwendig. Wichtig war ferner, daß die Kommunikation zwischen den Fachreferenten in Bonn und ihren Ministerien klappte. Dazu bürgerte sich ein, daß die „Reisereferenten“, daher der Begriff, jeweils montags zum Rapport in ihren Münchner Ministerien präsent sind.1

Ferner war und ist es erforderlich, die Aktivitäten der einzelnen Staatsministerien auf dem Gebiet der Bundesgesetzgebung in München zu koordinieren. Aus der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten ergibt sich, daß diese Clearing-Funktion in der Staatskanzlei angesiedelt ist.2 Die zu diesem Zweck 1949 etablierten Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten hatten einen institutionellen Vorläufer in den Besprechungen, die zur Koordination des Verkehrs zwischen den bayerischen Ministerien und den bizonalen Verwaltungen in Frankfurt Ende April 1948 eingeführt worden waren.3 An den Sitzungen hatten Referenten des Finanz-, Wirtschafts-, Arbeits-, Landwirtschafts-, und Verkehrsministeriums sowie der Obersten Baubehörde im Staatsministerium des Innern und der Staatskanzlei teilgenommen. Unregelmäßig nahmen auch Referenten des Bevollmächtigten Bayerns beim VWG oder der Bevollmächtigte Seelos selbst teil. Sie fanden alle 14 Tage in der Staatskanzlei am Montag um 10 Uhr statt. Anfang April 1949 erklärte die Staatskanzlei gegenüber Justiz- und Kultusministerium, es sei der Wunsch der Runde, „daß sich in Zukunft auch das Staatsministerium der Justiz und das Staatsministerium für Unterricht und Kultus vertreten lassen möchten, da in zunehmendem Maße Fragen zur Erörterung kommen, die auch deren Geschäftsbereich berühren.“4 Am 11. April 1949 konnte in der 40. Koordinierungsbesprechung je ein Referent aus beiden Ressorts begrüßt werden.5

Nachdem anläßlich der Gründung der Bundesrepublik im September 1949 im Ministerrat6 der Ruf nach einem abgestimmten Vorgehen der bayerischen Staatsministerien in Bonn, vor allem im Bundesrat, aber auch gegenüber Bundestag und Bundesregierung laut geworden war, wurde auf der Koordinierungsbesprechung in der Bayerischen Staatskanzlei am 17. Oktober 1949 das künftige Verfahren festgelegt, das die Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei institutionalisierte.7

Verantwortlich für die Bearbeitung der Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei war der Leiter der Rechtsabteilung (Gruppe D), Ministerialrat Leusser, der von Oberregierungsrat Henle und Regierungsrat Kellner unterstützt wurde.8 Jedes Staatsministerium hatte für seinen Geschäftsbereich einen Referenten für Bundesangelegenheiten zu bestimmen, der alle die Bundesrepublik betreffenden Fragen federführend bearbeitete und über den die Staatskanzlei in Bundesangelegenheiten ausschließlich mit dem Staatsministerium verkehrte.9 Der Sitzungsrhythmus war nunmehr wöchentlich, die Sitzungen fanden jeden Montag um 14.30 Uhr in der Staatskanzlei statt.10 Die Tagesordnung lieferte die Staatskanzlei.

Nicht alle Ressorts hielten es für notwendig, die Staatskanzlei bei allen Bundesangelegenheiten dazwischenzuschalten. So erklärte der selbstbewußte Finanzminister Kraus: „Er wisse wohl, daß in der Vergangenheit beim Staatsministerium des Äußern eifersüchtig darüber gewacht worden sei, daß politische Fragen dorthin kämen. Aber von dort sei nicht die Instruktion ausgegangen, sondern von den einzelnen Ministerien. In der Regel seien diese Instruktionen dem Staatsministerium des Äußern nur nachrichtlich zugegangen. Praktisch werde es auch gar nicht anders zu machen sein, weil die Dinge sehr eilten. Zum Finanzausgleich z.B. könne von der Staatskanzlei aus keine große Weisheit mehr dazugegeben werden.“11 Ministerpräsident Ehard erwiderte, es könne nicht davon die Rede sein, daß sich die Staatskanzlei in die Ressorts einmischen wolle.

Vorläufig galt bis zum Erlaß einer „Geschäftsordnung für die Bundesangelegenheiten“12 für den Schriftverkehr zwischen den Staatsministerien und den Bundesministerien, sonstigen Bundesbehörden, anderen Länderregierungen sowie dem Bayerischen Bevollmächtigten beim Bund § 30 der Geschäftsordnung des Wirtschaftsministeriums.13 Danach sollte der Verkehr mit dem Bevollmächtigten und den dortigen Reisereferenten zwar grundsätzlich über die Staatskanzlei laufen, jedoch war man sich einig, daß dieses Verfahren gerade mit Blick auf Mängel, die Ministerpräsident Ehard im Jahre 1949 mehrfach in Rundschreiben gerügt hatte,14 einer Präzisierung bedurfte und man in eiligen Fällen die Staatskanzlei lediglich gleichzeitig informierte.

Die in der Folge etablierten Koordinierungsbesprechungen leitete der Chef der Rechtsabteilung der Staatskanzlei, Claus Leusser. Eine Koordination durch den Leiter der Staatskanzlei, Staatsminister Pfeiffer, wie sie am 3. September im Ministerrat erwogen worden war,15 wurde nicht realisiert, möglicherweise weil es erhebliche Kritik im Kabinett an der Bonner Arbeit Pfeiffers nach dem Ende des Parlamentarischen Rates gegeben hatte.

Von Anfang an nahmen alle Ressorts außer dem auslaufenden Sonderministerium daran teil. Die über die Sitzungen gefertigten hektographierten Kurzprotokolle liegen in einer Serie vor und sind für die Kommentierung einschlägig.16 Sie gingen zum innerdienstlichen Gebrauch auch in zehnfacher Ausfertigung an die Bayerische Vertretung.

Aufgabe der Runde war die möglichst beschlußreife Vorbereitung der – zunehmend zahlreicher werdenden – Bundesangelegenheiten für die Ministerratssitzungen. Die Klärung von Dissens zwischen den Ressorts verlagerte sich bei den Bundesangelegenheiten mehrheitlich auf diese Ebene. Ministerialrat Leusser trug anschließend regelmäßig die Ergebnisse der Koordinierungsbesprechungen zum Tagesordnungspunkt Bundesangelegenheiten im Ministerrat vor17 und nutzte dabei verschiedentlich im Kabinett die Einmütigkeit in diesem Beamtengremium, um seiner Argumentation Gewicht zu geben.18 Entsprechend der politischen Bedeutung der Koordinierungsrunde in der Staatskanzlei nominierten die Ressorts in der Regel höhere Ministerialbeamte für diese Aufgabe, die den Freistaat Bayern auch als Beauftragte in den Ausschüssen des Bundesrates vertraten und in der Koordinierungsbesprechung häufig über diese Sitzungen berichteten.19 Die meisten Ministerien benannten auch mindestens einen Stellvertreter. Wirtschaftsminister Seidel nominierte am 18. Oktober 1949 Oberregierungsrat Otmar Emminger und stellvertretend die Verwaltungsangestellte Gundi Feilner. 20 Anstelle Emmingers, der nie an einer Besprechung teilnahm, vertrat das Wirtschaftsressort künftig neben Frau Feilner Ministerialrat Jakob Kratzer. Das Finanzministerium wurde 1949 von Regierungsdirektor Carl Wagenhöfer, das Arbeitsministerium von Oberregierungsrat Adolf Deyrer, das Landwirtschaftsministerium von Regierungsrat Hans Schlaffer 21 und das Verkehrsministerium von Regierungsrat Gerhard Finck 22 vertreten. Das Innenministerium vertraten Ministerialrat Gustav Böhm und die Regierungsdirektoren Hermann Feneberg und Friedrich von Teuchert, die Oberste Baubehörde Karl Weinisch, Oberbaurat Karl Rasp oder Ministerialrat Hermann von Miller. 23 Für das Kultusministerium nahm anfangs Ministerialdirigent Eugen Mayer, nach seiner Rückkehr nach München regelmäßig Ministerialrat Johannes von Elmenau teil. Das Justizministerium vertrat 1949 Oberstlandesgerichtsrat Eberhard Kuchtner. 24 Die Zusammensetzung wechselte 1950 teilweise, die Kontinuität in diesem Kreis war aber weitaus größer als bei den Reisereferenten der Bonner Vertretung. Zu einzelnen Fragen zog man Fachreferenten der jeweiligen Ministerien hinzu. Die Staatskanzlei war neben Leusser meist mit zwei oder drei weiteren Beamten vertreten. Der Bayerische Bevollmächtigte Rattenhuber nahm 1949 zweimal an Koordinierungsbesprechungen teil.25 Am 12. Dezember erklärte der Ausschuß ihm gegenüber, es sei empfehlenswert, Anträge, welche die Landesparteien im Bundestag beabsichtigten, vorher mit der Staatsregierung oder der Bayerischen Vertretung abzusprechen. Die Koordinierungsrunde in der Staatskanzlei machte sich auch sonst Gedanken über die Arbeit der Bonner Vertretung und schlug vor, die frühere Übung beim Wirtschaftsrat wieder aufzunehmen und an die bayerischen Bundestagsabgeordneten nach Bedarf Informationsblätter herauszugeben.26

Daß diese Konstruktion Verselbständigungstendenzen zu Ungunsten des Kabinetts in sich trug, wird an der Kritik von Innenminister Ankermüller deutlich, die dieser im Ministerrat am 15. November 194927 artikulierte. Danach hatte vor allem das Landwirtschaftsministerium in Bonn Erklärungen abgegeben, die auf dem Gesprächsergebnis der Koordinierungsbesprechungen beruhten, ohne das Kabinett darüber zu informieren. An einem Beispiel wird auch deutlich, daß die Auffassungen zwischen dieser Beamtenrunde und Kabinettsmitgliedern differieren konnten. Im Protokoll der Koordinierungsbesprechung vom 28. November hieß es zum Beispiel: „Die Bildung eines besonderen kulturpolitischen Ausschusses des Bundesrats wird allgemein abgelehnt.“28 Wenige Tage später teilte Kultusminister Hundhammer dann dem Kabinett mit, es habe sich die politische Notwendigkeit ergeben, doch einen eigenen Ausschuß für Kulturpolitik beim Bundesrat zu errichten.29

Die Schaffung der Beamtenrunde in der Staatskanzlei als Clearingstelle war einerseits die Voraussetzung dafür, weiterhin Ministerratssitzungen in gewohnter Form abhalten zu können. Ohne Vorklärung hätten sich die Sitzungen entweder sehr gedehnt oder man hätte die Bundesangelegenheiten möglicherweise einem Kabinettsausschuß zur Beratung überweisen müssen. Andererseits erhielt die Beamtenebene auf diese Weise einen eminenten Machtzuwachs. Im Kabinett wird dies an der Position Leussers ganz deutlich; der Ministerrat büßte bei Bundesangelegenheiten wesentlich an eigentlicher Entscheidungskompetenz ein. Andererseits bot die in der Staatskanzlei tagende und von Ehards engsten Mitarbeitern geleitete Runde die Gewähr für eine Führungsrolle des Ministerpräsidenten in allen Bundesangelegenheiten und die Voraussetzung für eine mit den verschiedenen Bonner Gremien abgestimmte einheitliche föderalistische Politik Bayerns.

VI. Schwerpunkte der Regierungstätigkeit

Rechtlicher Rahmen

Der staatsrechtliche Rahmen, in dem sich das Kabinett Ehard II 1949 bewegte, war erneut von dynamischem Wandel gekennzeichnet.1 Fundamentale Veränderungen brachten das Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai sowie des Besatzungsstatuts am 21. September 1949.2

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland beendete die bereits zuvor stark reduzierte Gesetzgebungstätigkeit auf der Ebene des Länderrats der US-Zone 3 sowie des bizonalen Wirtschaftsrates. 4 An deren Stelle traten die Konkurrenz zwischen Bundes- und Landesgesetzgebung sowie die Mitwirkung Bayerns im Bundesrat an der Bundesgesetzgebung. Mit dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts trat das Verhältnis zwischen der amerikanischen Besatzungsmacht und der Staatsregierung in eine neue Phase. Nur noch in ganz seltenen Fällen regelte die amerikanische Militärregierung bis September 1949 Materien durch Militärregierungsgesetz.5 Seit 21. September galt dann für die in der Bundesrepublik Deutschland aufgegangenen drei Westzonen die Gesetzgebung der Alliierten Hohen Kommission, welche die USA, Großbritannien und Frankreich gemeinsam im Rahmen des Besatzungsstatuts ausübten.6 Das bis dahin erlassene Besatzungsrecht sollte nach Art. 7 des Besatzungsstatuts einer grundsätzlichen Revision unterzogen werden.7

Auch 1949 brachte die Staatsregierung die meisten Landesgesetze ein.8 Bis zur Konstituierung der Bundesorgane im September 1949 besaß die amerikanische Militärregierung weiterhin umfassende Einflußmöglichkeiten auf die Landesgesetzgebung. Sie machte davon insgesamt in umfangreicher Weise und im Einzelfall unterschiedlich intensiv Gebrauch.9 Weil eine Geschäftsordnung der Staatsregierung weiterhin fehlte,10 hatte Ministerpräsident Ehard am 23. Januar 1947 ersatzweise Richtlinien über den Erlaß von Gesetzen und Verordnungen erlassen, die zumindest teilweise den Charakter einer vorläufigen Geschäftsordnung trugen.11 Unter Bezug auf diese Entschließung erinnerte er die Ressorts Mitte April 1949 in einem Rundschreiben daran, die damals festgelegten Verfahrensregeln zu beachten, weil die Ministerien, wie es eingangs hieß, „bei der Einbringung von Gesetzen und Verordnungen in den Ministerrat sowie bei den Vorlagen an die Militärregierung“ nicht einheitlich verführen.12 Damit sollte vor allem verhindert werden, daß die Militärregierung Gesetze und Verordnungen allein wegen formaler Mängel nachträglich wieder aufhob. Der wichtigste Punkt betraf daher die Vorlage von Gesetzentwürfen in 8-facher deutscher und englischer Ausfertigung beim OMGB, sobald sie im Ministerrat verabschiedet waren, und zwar unbedingt gleichzeitig mit der Vorlage an Landtag und Senat. Dies geschehe ebenso wie die Anfertigung der Abdrucke und Übersetzungen, so Ehard, ausschließlich durch die Staatskanzlei beim Landesdirektor der Militärregierung für Bayern. Ebenso mußten vom Ministerpräsidenten ausgefertigte Gesetze gleichzeitig mit der Anordnung ihrer Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt bei der bayerischen Militärregierung vorgelegt werden. Was mit der oben ebenfalls angesprochenen uneinheitlichen Praxis der Ministerien bei der Einbringung von Gesetzen und Verordnungen im Ministerrat gemeint war, wird nicht im einzelnen erläutert. Aus einer späteren Bemerkung Ehards im Ministerrat kann jedoch geschlossen werden, daß damit unter anderem auch die Handhabe einzelner Häuser gemeint war, dem Landtag Entwürfe zuzuleiten, ohne sie zuvor dem Ministerrat zur Beschlußfassung vorzulegen. Darüber war der Ministerpräsident empört und erklärte wörtlich: „Es sei zwar schon ein paarmal vorgekommen, daß Referentenentwürfe weitergegeben worden seien, man dürfe aber ein solches Verfahren nicht zur Gewohnheit werden lassen, da man sonst jede Kontrolle verliere.“13 Das Schreiben macht deutlich, wie mißlich das Fehlen einer Geschäftsordnung der Staatsregierung war und läßt erkennen, in welchem Maße der Ministerpräsident 1949 verstärkte Anstrengungen unternehmen mußte, um die Stellung des Ministerrats als Clearingstelle im Rahmen der Gesetzgebung sowie seine Richtlinienkompetenz zu wahren.

Durch Rundschreiben vom 26. September 194914 wurde den bayerischen Staatsministerien das Inkrafttreten des Besatzungsstatuts bekanntgegeben. Am 21. September hatte sich die Alliierte Hohe Kommission (HICOM) in Bonn konstituiert.15 HICOM folgte im übrigen institutionell auf das Bipartite Control Office (BICO). In den Ländern der ehemaligen US Zone traten an die Stelle der Landesmilitärregierungen sogenannte Landeskommissariate.16 Diese besaßen nunmehr eine Doppelstellung weiterhin als Mittelinstanz unter dem US High Commissioner for Germany (HICOG), John McCloy, sowie als Vertreter der Alliierten Hohen Kommission insgesamt.17 Daher standen dem amerikanischen Landeskommissar in Bayern nun auch jeweils sogenannte Beobachter Großbritanniens und Frankreichs zur Seite,18 die ihre Amtsräume auch in der Tegernseer Landstraße hatten. Der französische Beobachter, Louis Roché, bisher Botschaftsrat in London, traf im Dezember in München ein.19 Als britischer Beobachter beim amerikanischen Landeskommissar fungierte seit Anfang Januar 1950 Douglas McKillop, der in Personalunion auch britischer Generalkonsul in München war.20

Nur einer en passant hingeworfenen Bemerkung Ministerpräsident Ehards in der Ministerratssitzung vom 10. Oktober 1949 war zu entnehmen, daß zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, „wie die Praxis des Landeskommissars in Zukunft sein werde. Eine Abgrenzung der Zuständigkeiten müsse wohl erst kommen.“21 Im Unterschied zu früheren gravierenden Änderungen des rechtlichen Status der Besatzungsherrschaft durch die Proklamationen Nr. 5 oder Nr. 7 hatten die Amerikaner es offenbar versäumt, beim Inkrafttreten des Statuts einen Regelungskatalog mit Erläuterungen für das Verfahren auf Landesebene zu erstellen.

Die Kompetenzen der Besatzungsbehörden im Rahmen der deutschen Gesetzgebung regelte vor allem Absatz 5 des Besatzungsstatuts, der allerdings keine präzisen Aussagen zur Landesgesetzgebung machte. Daher publizierte die Alliierte Hohe Kommission am 22. November 1949 die Direktive Nr. 2.22 Darin wurde für die Landesgesetzgebung bestimmt, daß nunmehr ein Gesetz nicht mehr gleichzeitig mit der Vorlage an Landtag und Senat, sondern nur noch nach seiner Annahme durch das Landesparlament dem Landeskommissariat zur Begutachtung vorgelegt werden mußte. Damit endete die vorher praktizierte umfangreiche Beeinflussung während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens. Dies bedeutete die umfassendste qualitative Veränderung für die Landesgesetzgebung seit Kriegsende. Die amerikanische Besatzungsverwaltung war im Unterschied zu früher, um dieses Bild zu verwenden, nun kein Mitspieler mehr im Rahmen der Gesetzgebung, sondern nur noch gut informierter Zuschauer. Die vornehmste Aufgabe des Landeskommissariats war künftig, wie es in Artikel IV der Satzung der Alliierten Hohen Kommission hieß, „eine Vorprüfung der Landesgesetzgebung und ihre unverzügliche Übersendung an den Rat unter Beifügung seiner Stellungnahme“.23 Das Amt des Landeskommissars nahm also auch nicht mehr kraft eigener Kompetenz und direkt gegenüber dem Ministerpräsidenten und dem Landtag zu Landesgesetzen Stellung, sondern fungierte im wesentlichen als eine Art Postillon im Auftrag des Rats der Alliierten Hohen Kommission.24 Die Aufgabenreduzierung der Landeskommissariate begleitete im übrigen ein Personalabbau, der vor allem deutsches Personal betraf.25 Wie das Gesetzgebungsverfahren sich künftig gestaltete, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Im Widerspruch zu Artikel 5 des Besatzungsstatuts war das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde26 am 22. Oktober 1949 im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht worden, ohne es den Besatzungsbehörden vorzulegen. Am 27. Februar 1950 übermittelte daraufhin Landeskommissar Bolds Ministerpräsident Ehard die Entscheidung der Alliierten Hohen Kommission, das Gesetz nicht abzulehnen, obwohl seine Publikation vor der Vorlage bei den Besatzungsbehörden eine Verletzung des Besatzungsstatuts darstelle, „dies aber kein ausreichender Grund zur Ablehnung ist, da die Materie des Gesetzes nicht unzulässig ist.“27 Ferner bat die Alliierte Hohe Kommission den Landeskommissar, die Staatsregierung davon in Kenntnis zu setzen, künftig die Direktive Nr. 228 zu beachten. Das Beispiel zeigt, Bolds agierte nur als Medium. Außerdem wird die wesentlich größere Konzilianz der Alliierten Hohen Kommission erkennbar: Formale Mängel wogen gering, wenn keine inhaltlichen Bedenken bestanden. Zu früheren Zeiten hätte vermutlich bereits die formale Mißachtung zur Aufhebung geführt.

Gerade weil sich der Einfluß des Landeskommissars ganz überwiegend auf eine Mittlerfunktion reduzierte, war es für die Staatsregierung und Ministerpräsident Ehard um so wichtiger, rasch einen möglichst positiven persönlichen Kontakt zum amerikanischen Hohen Kommissar McCloy herzustellen. McCloy hatte am 2. Juli 1949 den Militärgouverneur der US-Zone General Lucius D. Clay, der am 15. Mai 1949 mit dem Dank Ministerpräsident Ehards und einem bayerischen Löwen aus Nymphenburger Porzellan im Gepäck in die USA zurückgekehrt war,29 als einflußreichsten amerikanischen Repräsentanten in der Bundesrepublik abgelöst. Bereits am 9. Juli, noch vor Inkrafttreten des Besatzungsstatuts, fand eine erste persönliche Begegnung mit dem amerikanischen Hohen Kommissar in München statt.30 Tatsächlich sollte Ministerpräsident Ehard den direkten Kontakt zu McCloy, der bis zum August 1952 amtierte, bereits 1950 dazu nutzen, die Errichtung einer Bundesbereitschaftspolizei zu verhindern.31 Dieser politische Kanal besaß also auch im Rahmen der Mitwirkung Bayerns an der Bundesgesetzgebung Bedeutung. Sitz des amerikanischen Hohen Kommissars und seines Apparates blieb bis November 1951 Frankfurt am Main.32 McCloys Stab rekrutierte sich offenbar teilweise aus leitenden Mitarbeitern der ehemaligen Landesmilitärregierungen; jedenfalls war Albert C. Schweizer hierfür vorgesehen gewesen. In einem Rundschreiben informierte die Staatskanzlei am 6. Oktober 1949 die Ressorts33 über die Organisation des amerikanischen Büros bei HICOG. Der amerikanische Hohe Kommissar, so hieß es darin, sei gleichzeitig ECA-Vertreter für Deutschland, sprich in Personalunion Chef der für die Abwicklung des besser als Marshall-Plan bekannten European Recovery Programs zuständigen amerikanischen Behörde. In dieser Funktion werde er vom Leiter der ECA-Sonderkommission für Deutschland, Norman H. Collisson, unterstützt, der auch Leiter der Wirtschaftsabteilung des amerikanischen HICOG-Büros sei. Die Wirtschaftsabteilung (Planung, Industrie, Ernährung und Landwirtschaft, Handel und Zahlungsverkehr, Vermögenskontrolle, Finanzen), so hieß es weiter, dürfte die bedeutendste Abteilung dieses Büros sein. Diese Bewertung zeigt den Wandel der Prioritäten. Angesichts des reduzierten Einflusses der Amerikaner dominierte nun das Ökonomische. Früher wäre vermutlich die für Politik und Gesetzgebung zuständige Abteilung am höchsten eingestuft worden.

Im Unterschied zur Landesgesetzgebung, bei der die Gesetzesinitiative überwiegend von der Staatsregierung ausging, lag die Befassung des Ministerrats mit der Bundesgesetzgebung nicht in ihrem Ermessen, sondern wurde von der Tagesordnung des Bundesrates und den für die Bundesgesetzgebung im Grundgesetz vorgesehenen Fristen diktiert. Hier gab es gleich zu Anfang intensive Bemühungen, das Zeitfenster für die Beratung der Bundesgesetze durch die Länder weiter zu öffnen. Am 11. Oktober 1949 hatte der Staatssekretär des Bundesjustizministeriums zugesagt, Gesetzentwürfe seines Hauses schon im Entstehungsstadium, also bevor sie dem Bundesrat gemäß Art. 76 Abs. 2  GG zugeleitet wurden, den Länderjustizministerien zur Kenntnis zu bringen, um sie in Referenten- bzw. Chefbesprechungen zu beraten. Daraufhin ersuchten der Innen- und Wirtschaftsminister die Staatskanzlei, Bemühungen anzustellen, diese Praxis für alle Ressorts zu erreichen. Am 3. Januar bat daraufhin Ministerialrat Leusser den Bevollmächtigten Rattenhuber, „mit den übrigen Ministerien Fühlung aufzunehmen, damit auch von diesen Gesetzentwürfe möglichst frühzeitig den Ländern zugänglich gemacht werden. Ein solches Verfahren könnte die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern nur fördern.“34

Wie bei Bundesgesetzen in Bayern verfahren wurde, zeigen die den Gesetzgebungsakten der Staatskanzlei (StK-GuV) vorgehefteten Laufzettel.35 Den Auftakt bildete stets die Beratung in einer Koordinierungsbesprechung für Bundesangelegenheiten.36 Erst danach gelangte die Angelegenheit in den Ministerrat. Gestützt auf die Informationen der Bayerischen Vertretung in Bonn verfolgte die Staatskanzlei anschließend die weitere Behandlung im jeweiligen Bundesratsausschuß und im Bundesratsplenum sowie analog in den Ausschüssen und im Plenum des Bundestages. Den Schlußpunkt bildete jeweils die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.

Eine ganze Reihe der in der ersten Phase nach der Gründung der Bundesrepublik vorgelegten Bundesgesetze regelte die Fortgeltung der Gesetzgebung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes.37 In einem Einzelfall, bei dem Entwurf eines Gesetzes über die Rechtswirkungen des Ausspruchs einer nachträglichen Eheschließung, stoppte die Staatsregierung die Landesgesetzgebung, nachdem eine bundeseinheitliche Regelung angekündigt worden war.38 Bei einigen der ersten Bundesgesetze erprobte die Staatsregierung, welche Möglichkeiten und Spielräume das Grundgesetz und dessen Auslegung boten, zum Beispiel indem man den Vermittlungsausschuß anrief.39

Die Staatsregierung nahm nicht nur in unterschiedlicher Weise zu Bundesgesetzen Stellung, sondern verfolgte auch intensiv die Bemühungen des Bundes auf den Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebung, neues Bundesrecht zu schaffen. Bayern bemühte sich unter Federführung von Leusser insbesondere, eine kombinierte Lesart der Art. 70, 72 und 125 des Grundgesetzes durchzusetzen,40 da eine isolierte Auslegung des Art. 125 die für den föderalistischen Charakter des Bundes entscheidende Zuständigkeitsverteilung geradezu umkehre.41 In der für Bayern prestigeträchtigen Biersteuerfrage – die Biersteuergesetzgebung ging allerdings dann an den Bund – hatte man im Kabinett überlegt, ob sich die Frage für einen Verfassungsstreit eigne.42 Da sich das Bundesverfassungsgericht erst 1951 konstituierte, fehlten allerdings vorerst noch die Voraussetzungen für eine Organklage. Auch die Auslegung anderer Artikel des Grundgesetzes war strittig.43

Die mit der Konstituierung der Bundesorgane einsetzende Bundesgesetzgebung steigerte die Arbeitslast der Staatsministerien enorm. Dies veranlaßte Innenminister Ankermüller Anfang Februar 1950 zu einer Intervention bei Ministerpräsident Ehard. Wörtlich erklärte er: „Auch bei Berücksichtigung des Umstandes, daß sich mit dem Inkrafttreten des Bundesgrundgesetzes der Zwang zu einer umfassenden Gesetzgebungstätigkeit des Bundes ergeben hat, sollte im Tempo das Maß des Menschenmöglichen nicht überschritten werden; dies gilt gleichermaßen von der Inanspruchnahme der Bundesregierung wie der Landesregierungen, des Bundesrats und auch des Bundestags selbst.“44 Am Ende bat er Ehard, sich um Abhilfe an das Bundeskanzleramt zu wenden. Eine Vormerkung der Staatskanzlei stimmte zwar dem Befund Ankermüllers zu,45 sah jedoch keine Aussicht auf Erfolg, auf einen ruhigeren Fluß der Bundesgesetzgebung hinzuwirken.

Wie gering der Stellenwert des Landtags weiterhin in der Wahrnehmung der Staatsregierung war,46 wird ganz deutlich im Kontrast zu dem Aufwand, den sie 1949 betrieb, um die verfassungsrechtlichen Mitwirkungsmöglichkeiten an der Bundesgesetzgebung in Bonn auszuschöpfen. Eine Ausnahme dieser Mißachtung, das sei gleich eingangs erwähnt, war allerdings die bemerkenswerte Solidarisierung zwischen Staatsregierung und Landtag im Konflikt mit der Militärregierung über das Strafverfahren gegen Alfred Loritz.47

Um die offenbar nach wie vor unzureichende Präsenz48 der Ministerien in den Plenar- und Ausschußsitzungen abzustellen und insgesamt zu erreichen, daß „die Verbindung mit dem Landtag klappe“, griff Ehard seinen Vorschlag aus dem Vorjahr auf,49 in den Ministerien wieder Landtagskommissare zu bestellen.50 Deren Aufgaben faßte ein Rundschreiben der Staatskanzlei vom Januar 1950 zusammen. Trotzdem wurde dem Wunsche des Ministerpräsidenten bis Ende 1950 jedoch nicht entsprochen.51 Den Kompetenzstreit zweier Ressorts in einem Unterausschuß des Landtags rügte Ministerpräsident Ehard. Er wünschte ausdrücklich, solche Differenzen nicht noch einmal öffentlich auszutragen.52 Dieser Fall warf generell die Frage nach einer Koordination des Auftritts der Staatsregierung im Landtag sowie der Instruktion der Referenten auf, die dort die Exekutive vertraten.

Ein auf Initiative des Landtagspräsidiums vorgelegter Gesetzentwurf über die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Landtagsgebäude, der sich am Reichsgesetz von 1920 orientierte, wurde zurückgestellt. Ministerpräsident Ehard hielt ihn politisch für nicht opportun und befürchtete auch dessen Ablehnung durch die Militärregierung.53 Mit dem Gesetz über die Gleichstellung der Friedensblinden54 mit den Kriegsblinden reagierte die Staatsregierung auf einen einstimmigen Landtagsbeschluß. Nur widerwillig leitete der Ministerrat dem Landtag einen Gesetzentwurf über die Wiederverleihung der Kreisunmittelbarkeit an eine Reihe weiterer bayerischer Städte zu, um damit entsprechende Beschlüsse von Landtag und Senat umzusetzen.55

Größere Beachtung als dem Landtag schenkte der Ministerrat den Meinungsäußerungen des Rechts- und Verfassungsausschusses des Landtags mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Hoegner als Vorsitzenden.56 Unter anderem setzte sich dieser Ausschuß mit seinen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vakanz an der Spitze des Sonderministeriums57 nach dem Tode Hagenauers durch.58 Den Versuch des Landtags, im Sinne eines imperativen Mandats Einfluß auf das bayerische Abstimmungsverhalten im Bundesrat zu nehmen, wies Staatssekretär Müller unter Hinweis auf das Grundgesetz zurück.59 Die Anregung Staatssekretär Jaenickes, wie im hessischen Landtag einen Vertreter der Flüchtlinge zu jedem Ausschuß beratend hinzuzuziehen, lehnte das Kabinett unter anderem unter Hinweis auf dessen Charakter als gewählte Volksvertretung ab.60

Mögliche Bedenken des Landtags gegen einen Gesetzentwurf spielten im Ministerrat nur bei dem Gesetz über die Tragung der Übergangsgelder für die nach dem Überführungsgesetz den Gemeinden zugewiesenen ehemaligen Spruchkammermitarbeiter eine Rolle. Finanzminister Kraus befürchtete, die vorgesehene Kürzung der Schlüsselzuweisungen an Gemeinden, Stadt- und Landkreise werde im Landtag keine Mehrheit finden, dem vor der Verabschiedung des Rechtsstellungsgesetzes (1966) zahlreiche Landräte und Oberbürgermeister angehörten.61

Nur in wenigen Fällen wird die SPD-Opposition im Ministerrat erwähnt. So spielte ihr Antrag auf Verstaatlichung der Bergwerke Penzberg und Hausham bei der Beratung eine Rolle, das Kohlenbergwerk sowie Kalk- und Zementwerk Marienstein durch den Staat zu übernehmen.62 Richtiger Druck der Opposition wird noch seltener spürbar: Als die Staatsregierung in der Sondersitzung anläßlich des Todes von Minister Hagenauer beriet, wer die Interpellation der SPD zur Arbeitslosigkeit beantworten solle63 und sie nach der für die CSU desaströsen Bundestagswahl beschloß, Forderungen der Landtagsopposition nach einer Parlamentsauflösung abzulehnen.64 Ferner veranlaßte der Antrag der SPD, die Heimkehrerentschädigung von 90 auf 200 DM zu erhöhen, die CSU-geführte Staatsregierung zum Handeln. Der Ministerrat folgte dem Vorschlag Kultusminister Hundhammers, der im übrigen nur bei diesem Tagesordnungspunkt so deutlich erkennbar als CSU- Fraktionsvorsitzender argumentierte, mit Rücksicht auf den SPD-Antrag das Entlassungsgeld auf 150 DM zu erhöhen.65 Auf die CSU-Fraktion bezog sich die Kabinettsrunde erstaunlicherweise nur im Zusammenhang mit der Finanzierung des Notparlaments der Flüchtlinge66 und als ein neuer Regierungspräsident in Augsburg zu berufen war; hier hatte der Ministerrat vor einer endgültigen Entscheidung Rücksprache mit den schwäbischen Abgeordneten genommen.67

Neben der oben erwähnten Interpellation der SPD zur Arbeitslosigkeit beriet das Kabinett nur noch vor der Abstimmung über das Grundgesetz am 19./20. Mai ein weiteres Mal, welches Mitglied der Staatsregierung im Plenum das Wort ergreifen sollte.68 Im Unterschied dazu war die personelle Vertretung der Staatsregierung im Bundesrat regelmäßig ein Thema. Die Tätigkeit der im Jahre 1949 eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschüsse erwähnen die Protokolle nur einmal marginal.69

Auch die von Senatspräsident Singer geforderte Aufwertung des Senats kam 1949 nicht voran.70 Ein Instrument dafür gab es mit Art. 40 BV, der die Möglichkeit bot, gutachtliche Äußerungen des Senats zu Gesetzesvorlagen der Staatsregierung einzuholen. Ehards Vorschlag, diesen Weg beim Gesetz über die Aufhebung des Verkehrsministeriums zu beschreiten, stieß im Ministerrat auf verfassungsrechtliche Bedenken.71 Vor dem Senat selbst rechtfertigte sich der Ministerpräsident für den häufigen Verzicht auf dieses Instrument mit Hinweis auf den Zeitmangel der Staatsregierung.72

Schwerpunkte

Neben dem nach wie vor zentralen Verhältnis zur Militärregierung dominierten weiterhin Themen die Tagesordnung des Ministerrats, die den Nachkriegsalltag prägten, wie Flüchtlingsfragen und die Regelung weiterer Kriegsfolgen, darunter der Lastenausgleich oder die Versorgung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, der Angehörigen von Kriegsgefangenen oder der Kriegsheimkehrer. Aufsteiger auf dieser Agenda waren Wohnungsbau- und Wiederaufbaufragen.

Von gleicher Bedeutung waren 1949 politische Themen. Dies betraf gleichermaßen die Entscheidungsphase der Grundgesetzberatungen, die Konstituierung der Bundesrepublik und den Arbeitsbeginn der obersten Bundesorgane in Bonn, hier vor allem des Bundesrates, sowie die Stellungnahme zu den ersten Bundesgesetzen.

Nicht mehr im Zentrum der Beratungen standen im Jahr nach der Währungsreform die Lebensmittel- und Energieversorgung. Beim Thema Entnazifizierung dominierte deren Abwicklung. Insgesamt herrschte eine starke thematische Kontinuität zum Vorjahr.

Im Verhältnis zu den Amerikanern 73 müssen zwei Phasen unterschieden werden, deren Trennlinie das Inkrafttreten des Besatzungsstatuts am 21. September 1949 markiert. Damit verbunden war der Wandel von der Militärregierung zu einer zivilen Besatzungsverwaltung, der auch in der Titulatur zum Ausdruck kam: Aus dem Office of Military Government for Bavaria (OMGB) wurde das Office of Land Commissioner for Bavaria (Amt des Landeskommissars für Bayern), aus dem an seiner Spitze stehenden Land Director der Land Commissioner.74

In der ersten Phase blieben die Interventionen der Militärregierung im Rahmen der Gesetzgebung häufig und intensiv. Dies wird auch 1949 noch einmal beim Thema Gewerbefreiheit exemplarisch deutlich, bei dem man sich sehr bemühte, die amerikanischen Richtlinien umzusetzen.75 Dies galt in demselben Maße auch für das Jagdgesetz. 76 Als Ministerpräsident Ehard sich am 26. August 1949 im Plenum des Senats dazu äußerte, warum dieser so wenig zu gutachtlichen Äußerungen herangezogen werde, ließ er am Beispiel des Jagdgesetzes seine Verärgerung über die permanente Einmischung der Militärregierung für seine Verhältnisse recht deutlich erkennen.77 Der Entwurf eines Gesetzes über die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Landtagsgebäude wurde unter anderem mit dem Hinweis bis auf weiteres zurückgestellt, die Militärregierung werde ein solches Gesetz kaum genehmigen.78 Hoch war der Druck ferner beim Thema Schulreform, vor allem hinsichtlich der Lernmittelfreiheit.79 Bei der Akademisierung der Lehrerbildung wich die Staatsregierung jedoch aus und versuchte Zeit zu gewinnen. Einen von der Militärregierung geforderten Gesetzentwurf80 legte Kultusminister Hundhammer 1949 nicht vor.81 Zentrale Streitpunkte zwischen Staatsregierung und Militärregierung waren zwei Themen, die 1949 gar nicht im Ministerrat beraten wurden. Im Rahmen der Schulreform handelte es sich um das Schulorganisationsgesetz, das eine gesetzliche Grundlage für die Bekenntnisschule schuf.82 Über das Gesetz kam es dann Anfang 1950 zum Konflikt mit dem Landeskommissariat, weil man es dort für undemokratisch hielt.83 Ferner war dies eine neue demokratische Gemeindeordnung. Nachdem das Staatsministerium des Innern 1948 zunächst eine Denkschrift über die Demokratisierung der Verwaltung vorgelegt hatte,84 die von der Militärregierung begrüßt worden war,85 beklagte sie Ende 1949, daß es im Verlaufe des gesamten Jahres nicht gelungen sei, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu präsentieren. James A. Clark, Chief Political Affairs Division, bat daher Innenminister Ankermüller im Dezember 1949, nun unverzüglich dem Ministerrat den Entwurf zur Entscheidung vorzulegen.86

Massive Kritik übte 1949 erneut der Leiter der Civil Administration Division Albert C. Schweizer.87 Immer wieder wies er zum Beispiel darauf hin, es stehe im Widerspruch zu den Zielen der Militärregierung, Schlüsselstellen im öffentlichen Dienst88 freizuhalten, um ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder einzustellen.89 Ein negatives Urteil fällte er auch über den bayerischen Bundestagswahlkampf: Politiker und Kandidaten böten keine Konzepte an, wie das Flüchtlingsproblem, die Wohnungsnot oder die Arbeitslosigkeit zu lösen seien, sondern betrieben allgemeine Schuldzuweisungen an die Adresse der Besatzungsmächte.90 Vor allem aber kritisierte er das Bayerische Beamtengesetz sowie den vordemokratischen Duktus der höheren Beamtenschaft.91 Als Reaktion auf die scharfe Kritik der Militärregierung am bayerischen Beam- ten-System war Ehard zu personellen Konsequenzen an der Spitze des Landespersonalamts bereit.92 Durch dieses „Bauernopfer“ bezweckte er, bei der von der Militärregierung geforderten Reform des Bayerischen Beamtengesetzes93 Zeit zu gewinnen. Ehard, der wie eine ganze Reihe seiner Kabinettsmitglieder entschieden die Interessen des Berufsbeamtentums vertrat, hoffte nämlich, die Veränderungen der besatzungspolitischen Rahmenbedingungen im Laufe des Jahres 1949 würden den Kritikern des Bayerischen Beamtengesetzes die Grundlage entziehen.94 Vor der ersten Bundestagswahl griffen die Amerikaner noch einmal zu dem sehr drastischen Mittel eines Militärregierungsgesetzes, welches entsprechend den für den amerikanischen Civil Service geltenden Maximen bestimmte, daß in den Bundestag gewählte Staatsdiener aus dem Beamtenverhältnis auszuscheiden hatten.95 Als Schweizer im Oktober bei einem Autounfall tödlich verunglückte,96 verlor OMGB seinen einflußreichsten und hartnäckigsten Mahner. Neben aller Kritik hatte er sich allerdings auch erneut aktiv darum bemüht, das demokratische Verständnis in Bayern zu stärken. Das Hauptinstrument dafür waren Bürgerversammlungen, bei denen sich die Bürger im Gespräch mit Beamten und gewählten Repräsentanten kritisch an ihrem Gemeinwesen beteiligen sollten. Die Teilnahme des Kabinetts an einer Auftaktveranstaltung in München lehnte Ministerpräsident Ehard ab, forderte die Kabinettsmitglieder allerdings zweimal auf, dafür zu sorgen, daß alle Ressorts durch Referenten vertreten seien.97 Eine direkte kritische Konfrontation der Kabinettsmitglieder mit den Bürgern vertrug sich 1949 offenbar nicht mit seinem Verständnis von Würde und Amtsautorität der Staatsregierung.

Mehrfach mußte auch in diesem Jahr auf Einspruch der Militärregierung anstelle einer Verordnung ein Gesetz erlassen werden.98 Erneut beanstandeten die Amerikaner ferner, daß ein Gesetz gesetzgeberische Befugnisse an eine Durchführungsverordnung und damit im Widerspruch zu Art. 70 (3) der Verfassung an die Exekutive übertrug.99 Teile des Pressegesetzes hob die Militärregierung noch im August 1949 durch Befehl auf.100 Weiterhin gab es zunächst Einwände fiskalischer Natur von OMGUS gegen Gesetze über Sicherheitsleistungen des Bayerischen Staates,101 die nach der Ratifizierung des Grundgesetzes zurückgezogen wurden,102 sowie auch in diesem Jahr Interventionen, weil die Fristen für die Vorlage eines ausgeglichenen Haushalts nicht eingehalten worden waren.103

Mit der Vorlage eines Entwurfs für eine zweite Verordnung über die Organisation der Wiedergutmachung entsprach man noch im September 1949 amerikanischen Einwänden gegen die Erstfassung;104 dies gilt ebenso für den dritten Entwurf eines Gesetzes über die Ahndung der Schulversäumnisse,105 Der intensive Einfluß auf die Landesgesetzgebung, die im letzten Quartal des Jahres auch nicht mehr im Mittelpunkt der Kabinettsberatungen stand, endete mit dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts.106

Die Interventionen der Amerikaner betrafen jedoch nicht nur die Gesetzgebung. Ein Höhepunkt war der Konflikt zwischen Militärregierung, Staatsregierung und Landtag Ende Juli 1949 in der Frage der Ansetzung eines Strafverfahrens gegen den WAV-Vorsitzenden Alfred Loritz mitten im Bundestagswahlkampf.107 Auf die Suspendierung des Verfahrens durch die Militärregierung108 reagierten Staatsregierung und Landtag mit einer Kampfansage.109 Angesichts des nun absehbaren Endes der Militärregierungsära riskierte man eine Konfrontation.110 Das Verhalten im Fall Loritz stellte insofern einen deutlichen Akt der Emanzipation der bayerischen Exekutive und Legislative dar.111 Ganz anders fiel die Reaktion der Staatsregierung hingegen auf die Intervention von Landeskommissar Bolds im November 1949 nach den Knochenfunden von ehemaligen KZ-Häftlingen auf dem Leitenberg bei Dachau aus.112 Angesichts des internationalen Interesses an der Angelegenheit reagierten Ehard und sein Kabinett prompt mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, darunter der Einsetzung einer Untersuchungskommission und der feierlichen Einweihung eines provisorischen Friedhofs.

Insgesamt sank die Akzeptanz der Staatsregierung für die zahlreichen Interventionen der Militärregierung, je näher die Konstituierung der Bundesorgane und das Inkrafttreten des Besatzungsstatuts kamen. Im September endete die Besatzungszeit; nach der Neudefinition ihrer eigenen Rolle sollten die Amerikaner sich künftig auf beratende Aufgaben beschränken. Landeskommissar Bolds war jedoch nicht bereit, diese Kursänderung konsequent umzusetzen und scheiterte letztlich daran.113

Bei der Nutzung von Liegenschaften für militärische Zwecke nahm die US-Army keine Rücksicht auf das zivile Umfeld. Davon betroffen waren Anwohner des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr 114 sowie Siedler, die einer Erweiterung des Flugplatzes in Neubiberg im Wege waren.115

Der Zustrom von Flüchtlingen nach Bayern ebbte auch 1949 nicht ab. Anfang September 1949 stellte Staatssekretär Jaenicke den Antrag, die bayerischen Grenzen zu schließen.116 Eine Entspannung der Flüchtlingssituation versprach man sich vom Flüchtlingsausgleich. Darum ging es unter anderem in der Bekanntmachung über die Umsiedlung innerhalb Bayerns,117 in Vereinbarungen mit den Ländern der französischen Zone118 sowie bei der Regelung über einen Ausgleich auf Bundesebene.119 Nach Gründung der Bundesrepublik lag auch Bayern an einer bundesrechtlichen Regelung für die wachsende Zahl der Flüchtlinge aus der Ostzone, da deren Zustrom die gesamte Entlastung Bayerns im Rahmen des Flüchtlingsausgleichs aufzuwiegen drohte. 1949 firmierte dies zunächst unter der Bezeichnung Grenzgänger- Verordnung, später als Verordnung über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet auf der Tagesordnung, mündete die Angelegenheit 1950 in das Notaufnahmegesetz ein.120 Ministerpräsident Ehard bemühte sich auch um einen persönlichen Kontakt zu Bundesvertriebenenminister Hans Lukaschek. 121

Eine Fortsetzung fand die Frage der finanziellen Unterstützung des sogenannten Notparlaments der Flüchtlinge. Hier hielt die Staatsregierung ihre Vorbehalte aufrecht, stimmte jedoch schließlich als Kompromiß einer indirekten Förderung über den Hauptausschuß der Flüchtlinge und Ausgewiesenen zu.122 Die zunächst vorgesehene Kündigung aller Flüchtlingsobleute wurde nach Protesten abgemildert.123 Die Entlassungen bei den Wohnraumerfassungskommissionen in den Regierungsbezirken wurden angesichts der nach wie vor großen Zahl neuer Flüchtlinge sogar revidiert.124 Auch die Bemühungen der Staatsregierung, den Vorsitzenden des Lagerausschusses Dachau, Egon Herrmann,125 strafrechtlich für seine Äußerungen zu belangen, gingen 1949 weiter. Da er gegen seine Verurteilung Revision eingelegt hatte126 und im Spruchkammerverfahren entlastet worden war,127 konnte er für die KPD zum Bundestag kandidieren. Auch nach der Bundestagswahl – hier schreckte möglicherweise das Beispiel Loritz – konnte sich der Justizminister trotz energischer Befürwortung durch Staatssekretär Jaenicke zunächst nicht dazu entschließen, die Strafe zu vollstrecken.128 Die Übernahme der städtischen Fachschule Kaufbeuren durch den Staat, die der Ministerrat am 17. Mai 1949 beschloß, gehört ebenfalls in diesen Fragenkontext.129 Erneut behandelte das Kabinett ferner Flüchtlingskredite. 130

Die Entscheidung der Staatsregierung und der CSU-Mehrheit des Verfassungsausschusses des Landtags, zur Bundestagswahl in Bayern eigene Flüchtlingswahlkreise zu schaffen,131 wurde von der Militärregierung aufgehoben, weil sie eine Einteilung der Wähler in verschiedene Kategorien ablehnte.132 Bei der Bundestagswahl erzielte dann die WAV, die mit dem Neubürgerbund eine Listenverbindung eingegangen war, durch zahlreiche Flüchtlingsstimmen einen eindrucksvollen Wahlerfolg.133 Immer wieder auf der Tagesordnung standen die Flüchtlingslager. 134 Nach der Aufhebung der Gemeinschaftsverpflegung waren von der für die Lagerversorgung zuständigen Organisation Steffen in den Lagern und im Regierungsbezirk Oberpfalz/Niederbayern auch außerhalb Verkaufsstellen für Flüchtlinge 135 eingerichtet worden, die ihre Waren zu Großhandelspreisen abgaben. Dies führte zu wütenden Protesten des Einzelhandels. Auf Beschluß des Ministerrats mußten die Verkaufsstellen außerhalb der Flüchtlingslager bis zum 10. September 1949 wieder geschlossen werden. Die Aktion wurde insbesondere von Landwirtschaftsminister Schlögl als Versuch der Organisation Steffen gedeutet, sich durch neue Aufgaben eine weitere Existenzberechtigung zu verschaffen, trug letztlich aber dazu bei, ihre Abwicklung zu forcieren.136 Um den Flüchtlingen außerhalb der Lager künftig den Bezug verbilligter Lebensmittel zu ermöglichen, konstituierte sich am 26. August 1949 die Genossenschaft ‚Soziales Hilfswerk Bayern‘.137 Damit das Ausland auf die Lage der Flüchtlinge in Bayern aufmerksam wurde, beabsichtigte man, „Werbe- und Propagandamaterial“ zu drucken.138 Als große Belastung empfand die Staatsregierung weiterhin die nach Bayern geflohenen Nationaltschechen, 139 deren Versorgung HICOG Bayern ab Oktober zusätzlich übertrug. Auch wegen der massiven Spannungen zwischen ihnen und den Sudetendeutschen bemühte sich die Staatsregierung, sie in anderen Ländern unterzubringen. Im Dezember nahm man zur Rückführung von 45000 Reichsdeutschen aus Polen im Ministerrat Stellung.140 Die IRO, die sich in Abwicklung befand, übertrug Bayern ferner 1949 Zug um Zug die Zuständigkeit für die in Bayern lebenden mehreren hunderttausend Ausländer. 141

Zu einem Kernthema entwickelte sich im Jahr 1949 der Wohnungsbau. Gleich zu Beginn des Jahres beschäftigte sich der Ministerrat ausführlich mit der Frage und erörterte, mit welchen Anreizen sich der Wohnungsbau steigern ließe, den man auch als Konjunkturmotor betrachtete.142 Zur Verbesserung des öffentlichen Wohnungsbau- und Siedlungskredits legte Finanzminister Kraus bereits Anfang Februar einen Gesetzentwurf über die Bayerische Landesbodenkreditanstalt vor.143 Hierdurch wurde die alte Landeskulturrentenanstalt zur Landesbodenkreditanstalt und wechselte vom Geschäftsbereich des Landwirtschaftsministeriums in das Haus von Kraus. Der Schwerpunkt der Aufgaben lag künftig beim Wohnungsbaukredit. Um den sozialen Wohnungsbau und den Siedlungsbau finanzieren zu können, verabschiedete der Ministerrat ferner im März gegen die Stimme des Wirtschaftsministeriums ein Baunotabgabegesetz, 144 das der Landtag im Juni verabschiedete.145 Insbesondere das rückwirkende Inkrafttreten des Gesetzes ab 1. April wurde in der Öffentlichkeit scharf kritisiert.146 Anfang Juli legte das Finanzministerium weiterhin einen Gesetzentwurf vor, durch den unter anderem Kleinwohnungsbauten für zehn Jahre von der Grundsteuer befreit werden sollten.147 Bei der erneuten grundsätzlichen Beratung von Wohnungsbaufragen im Juli 1949 standen wiederum Finanzierungsprobleme im Vordergrund. Einen Aufschwung im Wohnungsbau verhinderte auch, daß die Militärregierung noch immer an der Wohnungsbewirtschaftung festhielt.148 Die von Ministerpräsident Ehard Anfang Januar erneut problematisierte unklare Zuständigkeitsabgrenzung im staatlichen Siedlungswesen149 führte beim Bau der Flüchtlingssiedlung in Haar zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Landwirtschaftsministerium, das hier mit der ihm unterstehenden Obersten Siedlungsbehörde als Akteur auftrat, und der Obersten Baubehörde. Letztere fand die Unterstützung des Wirtschaftsministeriums, das mit der Federführung bei der Landesplanung auch den Anspruch erhob, beim Siedlungsbau ein Wort mitzureden.150 Zu diesem Bereich gehörte ferner auch die Forderung eines Würzburger Bauunternehmers, bayerische Firmen stärker bei der Vergabe von staatlichen und städtischen Aufträgen zu berücksichtigen, die Ehard im Kabinett erwähnte und an die Oberste Baubehörde weiterleitete.151 Das dritte Gesetz über Sicherheitsleistungen des Bayerischen Staates sicherte die Finanzierung des Baus einer neuen Startbahn für den Flughafen Riem. 152

Die Auflösung des Staatsministeriums für Sonderaufgaben,153 nach dem Tode Minister Hagenauers154 war die Ministeriumsspitze seit Juli 1949 verwaist, sowie der Entwurf eines Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung 155 waren die dominierenden Themen aus dem Bereich der Entnazifizierung. Beide Angelegenheiten gelangten allerdings 1949 noch nicht zum Abschluß. Eine Antwort auf den interfraktionellen Dringlichkeitsantrag des Landtags zur Errichtung von Sonderspruchkammern für neonazistische Erscheinungen wollte der Ministerrat im Rahmen der rechtlichen Regelung des Abschlusses der politischen Befreiung geben.156 Die Tendenz, Härten aus der Frühzeit der Entnazifizierung abzumildern, wird an dem Beschluß des Ministerrats erkennbar, Beamten oder Hinterbliebenen, die damals in die Gruppe II der Belasteten eingereiht worden waren, heute jedoch als Mitläufer eingestuft würden, gnadenweise eine Pension zu gewähren.157 Wiederum stand auch die Durchführung des sogenannten Überführungsgesetzes auf der Tagesordnung, wodurch das Spruchkammerpersonal (ca. 3700 Personen)158 1948 die Zusicherung erhalten hatte, in den öffentlichen Dienst übernommen zu werden. Hier war strittig, inwieweit der Staat auch die Kosten für die den Gemeinden und Gemeindeverbänden zugewiesenen Personen zu tragen hatte.159 Die zuungunsten der Gemeinden getroffene Regelung hob der Bayerische Verfassungsgerichtshof im November 1949 auf.

Als im August 1949 Leichenteile auf dem Leitenberg bei Dachau gefunden wurden, wo sich Massengräber von KZ-Häftlingen befanden, geriet die Staatsregierung, weil sie es versäumt hatte, die dortigen KZ-Gräber würdig auszugestalten – frühere Initiativen waren versandet160 – international in die Kritik. Auf Drängen der Militärregierung beschloß der Ministerrat, das Gelände unter staatliche Obhut zu stellen und ließ von einem Beamten des Justizministeriums untersuchen, wer für die Versäumnisse verantwortlich gewesen sei.161 Anfang Dezember 1949 nahm Ministerpräsident Ehard die KZ- Gräber auf dem Leitenberg selbst in Augenschein und bereits am 16. Dezember fand dort eine feierliche Friedhofsweihe statt.162 Das Ereignis war ferner Anlaß, landesweit Erkundigungen über die Betreuung der KZ-Gräber einzuholen. Bereits im April 1949 hatte der Ministerrat beschlossen, das Friedhofsgelände des ehemaligen Konzentrationslagers Flossenbürg in staatlichen Schutz und Pflege zu übernehmen.163 Mit der Entscheidung reagierte der Ministerrat auf den Vorschlag Staatskommissar Auerbachs, das Gelände zu internationalisieren. Als Reaktion auf Mißstände und weil man andere Konzepte ablehnte, definierte die Staatsregierung 1949 die Pflege der bayerischen KZ-Gedenkstätten als staatliche Aufgabe.

Die erhöhte Sensibilität der Staatsregierung nach der sogenannten „Leitenberg-Affäre“ ist unter anderem daran zu erkennen, daß Ministerpräsident Ehard den Hinweis des französischen Generalkonsuls auf Urnen von KZ- Häftlingen, die im Keller eines Verwaltungsgebäudes des Friedhofs am Perlacher Forst lagerten, umgehend im Ministerrat zur Sprache brachte.164 Zu diesem Komplex gehört weiterhin der Protest des Landesverbandes israelitischer Kultusgemeinden gegen die Einstufung eines Herausgebers des „Stürmer“ im Spruchkammerverfahren sowie antisemitische publizistische Äußerungen.165

Durch den Erlaß der 2. Verordnung über die Organisation der Wiedergutmachung mußte die Staatsregierung auf Befehl der Militärregierung die 1948 in diesem Bereich beschlossenen organisatorischen Änderungen wieder rückgängig machen.166 Das Landesamt für Wiedergutmachung, das Entschädi- gungs- und Rückerstattungsaufgaben gebündelt hatte, wurde wieder aufgelöst. Die Rückerstattung kam zurück zum Landesamt für Vermögensverwaltung. Zur Durchführung des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) errichtete man ein Bayerisches Landesentschädigungsamt. An dessen Spitze trat Philipp Auerbach als Präsident. Ähnlich wie in der ersten Verordnung167 stellte man ihm einen vom Finanzministerium nominierten „Vertreter des staatlichen Interesses“ kontrollierend zur Seite. Ferner ordnete die Staatsregierung an, die Behörde Auerbachs durch den Obersten Rechnungshof zu überprüfen.168 Die Verabschiedung der Haftentschädigungsverordnung – hier berücksichtigte die Staatsregierung zwar teilweise Einwendungen der VVN, war jedoch nicht bereit, auf den Vertreter des Landesinteresses zu verzichten – war unter anderem bedeutend, weil von der Auszahlung der Haftentschädigung die rasche Auswanderung einer größeren Zahl jüdischer Displaced Persons abhing.169

Aus dem Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz stand unter anderem zweimal die gesetzliche Neuregelung der Zuständigkeiten des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf der Tagesordnung.170 Ferner beriet das Kabinett einen Gesetzentwurf über die Entschädigung der Mitglieder des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.171 Eine auf Beschluß des Landtags eingesetzte Kommission sollte auch Überlegungen zur Vereinfachung und Verbilligung der Justizorganisation anstellen.172 Um die Staatseinkünfte zu erhöhen, präsentierte das Finanzministerium zwei Gesetzentwürfe über Maßnahmen auf dem Gebiet des Kostenwesens und zur Änderung der Hinter- legungsordnung.173 Dadurch sollten Gerichts-, Verwaltungs- und Notariatsgebühren um 25% erhöht werden. Der Referent des Justizministeriums und Ministerpräsident Ehard setzten sich jedoch dafür ein, den Zuschlag zu den Notariatsgebühren für die Sanierung der nach der Währungsreform in eine kritische Lage geratene Notarkasse zu verwenden. Nachdem die Zuweisung der erhöhten Notariatsgebühren aus dem Entwurf gestrichen worden war, stimmte der Ministerrat mit Mehrheit – also wahrscheinlich gegen die Stimmen der beiden Kabinettsmitglieder aus dem Finanzministerium – den Entwürfen zu. Justizminister Müller weigerte sich, die Kosten des Kriegsverbrechergefängnisses in Landsberg am Lech aus seinem Etat zu bestreiten, dessen Versorgung Bayern auf Anordnung der Militärregierung zum 22. März übernehmen mußte. Der Ministerrat beschloß daraufhin, die Mittel aus dem für Besatzungskosten vorgesehenen Einzelplan zu nehmen.174 Erneut beriet der Ministerrat auch bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949, das die Abschaffung der Todesstrafe brachte, mehrfach über die Begnadigung zum Tode Verurteilter.175 In allen Fällen befürwortete das Kabinett die Umwandlung in lebenslängliches Zuchthaus durch den Ministerpräsidenten, in einem Fall allerdings nicht einstimmig.176 Wer dagegen votierte, wird im Protokoll nicht explizit erwähnt. Nachdem Kultusminister Hundhammer jedoch 1948 ausführlich die Beweggründe erläutert hatte, die ihn für den Vollzug der Todesstrafe eintreten ließen,177 ist zu vermuten, daß das abweichende Votum von ihm kam.

Kernthemen aus dem Bereich des Finanzressorts waren naturgemäß Haushaltsfragen, 178 dazu zählten auch die Stellungnahme zum ersten Bundeshaushalt 179 und Staatsbürgschaften für Kredite (Gesetze über Sicherheitsleistungen des bayerischen Staates).180 Weiterhin gehörten dazu mehrere Gesetzesinitiativen aus dem Bereich des Wohnungsbaus,181 die Frage der Erhöhung von Abgaben,182 Pensions- und Unterhaltsregelungen,183 Steuerfragen (Biersteuer)184 oder die Aufhebung der von Reichskanzler Brüning 1930 erreichten 6%igen Gehaltskürzung im öffentlichen Dienst.185 In der Frage der Steuerfreiheit von Weihnachtsgratifikationen folgte Kraus dem fiskalischen Kurs von Bundesfinanzminister Schäffer.186 Mit dem „Fall Blum“ war auch ein früher Korruptionsskandal im Finanzministerium ein Schwerpunkt.187 Der stets streitbare Finanzminister Kraus sowie die beiden anderen Repräsentanten seines Hauses, Staatssekretär Müller oder Ministerialdirektor Ringelmann, brachten fiskalische Auffassungen selbstverständlich auch bei zahlreichen anderen Tagesordnungspunkten in die Beratung ein. Interessanterweise war Kraus andererseits erneut, aus christlich-moralischen Erwägungen, entschieden dagegen, Spielbanken zu errichten.188 Besonders häufig geriet er mit dem machtbewußt agierenden Wirtschaftsminister Seidel aneinander. So war der Finanzminister nicht bereit anzuerkennen, daß das Wirtschaftsministerium allein für die Erteilung von Emissionsanträgen zuständig sein sollte.189

Seidel spielte insgesamt die aktivste Rolle bei den zahlreichen Kompetenzstreitigkeiten, die 1949 wiederum Gegenstand der Beratungen waren. Dabei war er auch sehr erfolgreich. So setzte sich das Wirtschaftsministerium gegenüber der Obersten Baubehörde bei der Zuständigkeit für die Landesplanung durch,190 ebenso erhielt es die Federführung im interministeriellen Ausschusses für Investitionskredite.191 Bei den Emissionsanträgen konnte Seidel zwar keine alleinige Kompetenz seines Hauses durchsetzen; Finanzminister Kraus mußte sich aber mit einer Nebenrolle begnügen.192 In der Frage der Erhöhung der Mineralölpreise auf Bundesebene trafen die wirtschaftspolitischen und fiskalischen Argumentationslinien des bayerischen Wirtschafts- und Finanzministeriums ebenfalls schroff aufeinander.193 Der Ministerrat folgte mehrheitlich der Auffassung Seidels, der für eine geringere Erhöhung eintrat. Staatssekretär Müller als Vertreter des Finanzressorts übte Stimmenthaltung bzw. votierte dagegen.

Besonders heftig stritten das Finanz- und das Innenministerium in der Frage der Abgrenzung der Zuständigkeiten von Grenzpolizei und Zollgrenzdienst.194 Ministerpräsident Ehard stellte sich unter anderem aus föderalistischen Motiven hinter das Innenministerium, da Bayern bei der Ablehnung einer Bundespolizei unglaubwürdig werde, wenn es vorher aus finanziellen Gründen auf die bayerische Grenzpolizei verzichtet habe. Obwohl Finanzminister Kraus im Kabinett kategorisch erklärte,195 einer Verstärkung der Grenzpolizei nicht zustimmen zu können, beschloß der Ministerrat, diese um 500 Mann aufzustocken, und lehnte eine Eingliederung der Landesgrenzpolizei in den Bundeszollgrenzdienst ab. Auch in diesem Fall erlitt der Finanzminister eine bittere Niederlage im Kabinett.

Beim Jagdgesetz hatte das Staatsministerium des Innern vom Standpunkt der Organisation der Staatsverwaltung aus grundsätzliche Bedenken gegen die im Entwurf des Landwirtschaftsministeriums vorgesehenen Jagdbehörden, vor allem gegen die in der Zeit des Nationalsozialismus eingeführten ehrenamtlichen Jagdbeauftragten. Als Kompromiß wurden schließlich deren Aufgaben durch eine von beiden Ressorts zu erlassende Dienstanweisung bestimmt.196 Ressortrivalität war auch angesichts der Frage erkennbar, ob es den Gemeinden zu gestatten sei, bei Filmvorführungen einen sogenannten Notgroschen zum Eintrittspreis zu erheben. Wirtschaftsminister Seidel, der das Engagement seines Hauses für die bayerische Filmwirtschaft betonte, hatte Bedenken. Filmproduzenten und Verleiher würden dadurch geschädigt. Innenminister Ankermüller und Kultusminister Hundhammer traten hingegen als Anwälte des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts auf.197 Am 28. Juli 1949 beschloß der Ministerrat gegen die Stimme Staatssekretär Geigers, der die Argumentation Seidels wiederholt hatte, es bei der bisherigen Regelung zu belassen und nicht in das Verwaltungsrecht der Gemeinden einzugreifen.198 Hier konnte sich Seidels Ressort einmal nicht durchsetzen. Von der wohl heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen Justizminister Müller und Staatssekretär Jaenicke über die Vollstreckung der Strafe an Egon Herrmann berichtete anschließend die Presse, was eine Ausnahme darstellte.199

Aus dem Bereich des Staatsministeriums für Wirtschaft standen ganz unterschiedliche Fragen auf der Tagesordnung des Ministerrats. Ein Hauptthema war erneut die Umsetzung der von den Amerikanern geforderten Gewerbefreiheit. 200 Ein zweiter zentraler Aspekt war die Kreditversorgung der bayerischen Wirtschaft. Wirtschaftsminister Seidel bemühte sich um eine bessere Koordination und für sein Ressort um die Federführung bei Krediten aus dem Marshall-Plan-Programm.201 Ferner vertrat Seidel die Auffassung, für eine bayerische Strukturpolitik sei eine effektive bayerische Landesplanung erforderlich. Um deren Struktur sowie ihre Zuordnung zu seinem Ressortbereich – in Konkurrenz zur Obersten Baubehörde – bemühte sich der Wirtschaftsminister intensiv und mit der Verordnung über die Organisation der Landesplanung auch erfolgreich.202 Im Bereich der Stromversorgung203 brachte die Fertigstellung der Rißbach-Überleitung Forschritte.204 Die Kündigung des Staatsbeauftragten für die Braunkohlenbewirtschaftung 205 war ein Zeichen für die weitere Normalisierung auf diesem Sektor. Intensiv bemühte sich die Staatsregierung, die Demontage des Ofenwerks III in Töging zu verhindern.206

Größere Bedeutung gewann der Fremdenverkehr als Wirtschaftsfaktor.207 Der Ministerrat beschloß, Staatssekretär Geiger diesen Aufgabenbereich zu übertragen.208 Um Kreditgespräche für den Bereich des Fremdenverkehrs mit Mitgliedern des Verwaltungsrates und des Vorstands der Kreditanstalt für Wiederaufbau positiv zu beeinflussen, lud man die Herren nach Herrenchiemsee ein und illuminierte zu Haydn und Mozart den Spiegelsaal des Schlosses mit 4000 Kerzen.209 In diesem Zusammenhang stand auch erneut die Frage der Errichtung von Spielbanken in Kur- und Badeorten auf der Tagesordnung,210 die der Ministerrat weiterhin mehrheitlich ablehnte. Nachdem die von den drei süddeutschen Ländern getragene Staatliche Erfassungs- Gesellschaft für öffentliches Gut m.b.H (StEG), die zunächst Gewinne gemacht hatte, durch das sogenannte Amerikageschäft in die Verlustzone gerutscht war, erörterte das von Seidel informierte Kabinett Möglichkeiten, den Bund an der Übernahme des Defizits zu beteiligen.211 Weil die Bewirtschaftung nach der Währungsreform fast gänzlich aufgehoben worden war, beantragte das Wirtschaftsministerium, die Verordnung Nr. 105 über die Erhebung von Gebühren für Bezugsscheine aufzuheben, stieß damit jedoch auf den Widerspruch des Finanzministers.212

Nach der Aufhebung der Presselizenzierung machte sich der Wirtschaftsminister zum Fürsprecher der Druckereibesitzer, die eine Entlassung ihrer einst zugunsten der Lizenzpresse beschlagnahmten und unter Vermögenskontrolle gestellten Betriebe anstrebten, um nunmehr selbst Zeitungen herausgeben zu können.213 Bei der Beratung über die Zukunft der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Südwerke in Kulmbach verfolgte die Staatsregierung nicht das Ziel, das Werk und die Arbeitsplätze zu erhalten. Vielmehr bemühte man sich, die Rückkehr des Betriebs nach Essen inklusive der von dort stammenden Belegschaft und die Rückzahlung der in das Unternehmen investierten Demontage-Kredite zu erreichen.214 Hingegen wurden die Beratungen des Kabinetts, das Kohlenbergwerk sowie das Kalk- und Zementwerk Marienstein durch den bayerischen Staat zu übernehmen, vor allem von der Absicht geprägt, die dort vorhandenen 800 Arbeitsplätze zu sichern.215

Andererseits stand die Arbeitslosigkeit, das sicher bedeutendste Thema aus dem Geschäftsbereich von Arbeitsminister Krehle,216 keineswegs im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Kabinetts. Im September 1949 stellte Bayern mit 359000 Personen mehr als ein Viertel aller Arbeitslosen im Bundesgebiet. Im Januar hatte das Innenministerium zwar im Ministerrat mitgeteilt, die Oberste Baubehörde müsse infolge von Haushaltskürzungen 8000 im staatlichen Bauwesen beschäftigte Arbeiter entlassen,217 und im Juli befaßte sich der Ministerrat angesichts der anstehenden Interpellation der SPD über die Arbeitslosigkeit damit, welches Kabinettsmitglied darauf antworten sollte.218 Beratungen oder Beschlüsse über eine bayerische Arbeitsmarktpolitik sucht man jedoch vergeblich. Eine fiskalische Reaktion auf die für längere Zeit erwartete größere Zahl von langfristig Arbeitslosen war die Verabschiedung eines Gesetzes über die Kosten der Arbeitslosenfürsorge. 219 Im Februar 1949 gelang es durch die Vermittlung des Arbeitsministeriums, einen Streik in der bayerischen Metallindustrie zu verhindern.220 Mehr Gewicht gewann die Kriegsgefangenenfürsorge. Dies gilt für die Beratung über das Entlassungsgeld für Heimkehrer 221 ebenso wie für das Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen. 222 Hierzu gehörte auch die Ausgabe von Bekleidung aus Beständen der Staatlichen Erfassungs-Gesellschaft für öffentliches Gut m.b.H (StEG) an Heimkehrer.223 Durch das zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zahlung von Unterhaltsbeträgen an berufsmäßige Wehrmachtsangehörige und ihre Hinterbliebenen sollte der Kreis der Berechtigten erweitert werden. Die Regelung erleichterte Zuwendungen an Witwen und bezog auch Frauen und Waisen von Kriegsgefangenen mit ein.224 Mehrfach befaßte sich das Kabinett mit der Organisation und Durchführung des Lastenausgleichs.225 Eine sozialpolitische Leistung ersten Ranges war ferner die gesetzliche Gleichstellung von Friedensblinden mit den Kriegsblinden.226 Durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsrechts ergänzte Bayern das Gesetz über die Zahlung von Zuwendungen an nichtbayerische Pensionisten.227 Gegen Ende des Jahres beschloß die Regierung ein Gesetz über den Beitrag der Krankenversicherung der Rentner.228 Mit einem neuen Gesetz über die Vergütung von Lohnausfällen bei Betriebseinschränkungen und -stillegungen wegen Strom-, Kohle- oder Gasmangel setzte sie die Praxis aus dem Jahr 1948 fort und reagierte damit auf einen Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion.229

Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums des Innern gab es mit einer neuen Gemeindeordnung und der Neufassung des bayerischen Beamtengesetzes zwei Gesetzgebungsmaterien, die 1949 nicht in dem Maße vorankamen, wie es die Militärregierung gewünscht hätte.230 Die Gemeindeordnung wurde gar nicht, der neue Entwurf eines Beamtengesetzes nur am Rande im Ministerrat behandelt,231 da man hoffte, nach der Gründung der Bundesrepublik um die verlangte Revision des Beamtengesetzes herumzukommen. Ferner fanden eine Reihe von Materien 1949 eine Fortsetzung, die den Ministerrat bereits mehrfach im vergangenen Jahr beschäftigt hatten. Dazu zählten die Bemühungen verschiedener Gemeinden, vor allem von Eichstätt und Weißenburg, um die Wiederverleihung der Kreisunmittelbarkeit. 232 Obwohl das Innenministerium Bedenken erhob, weil die Landkreise dadurch finanzielle Einbußen erlitten, beugte sich der Ministerrat in diesem Falle den Beschlüssen von Landtag und Senat und beschloß, dem Landesparlament einen entsprechenden Entwurf zuzuleiten. Weiter ging auch die Beratung des wegen der Übernahme der Kosten zwischen Staat und Gemeinden umstrittenen sogenannten Trümmergesetzes, 233 des Gesetzes über das Wappen des Freistaates Bayern234 und die Behandlung der Feiertagsregelung. 235 Wirtschaftsminister Seidel hielt in dieser Frage hartnäckig an seiner bereits 1948 vertretenen Position fest, die zahlreichen Feiertage seien eine besondere Belastung für die bayerische Wirtschaft, der sich auch Ministerpräsident Ehard anschloß.236 Bei diesem Thema, Staatsminister Hundhammer unterstützte die weitgehenden Forderungen der katholischen Kirche,237 waren die Fronten offenbar so verhärtet, daß Ministerpräsident Ehard zu einem besonderen Mittel griff, um eine möglicherweise das Kabinett deutlich spaltende Mehrheitsentscheidung zu verhindern. Unmittelbar vor der Ministerratssitzung am 3. März führte er einen Kompromiß bei einer Besprechung im kleinen Kreise herbei. Der Ministerrat beschloß daraufhin im Konsens einen Gesetzentwurf, der neun landesweite gesetzliche Feiertage vorsah.238

Auch die Federführung bei der Formulierung des Pressegesetzes lag 1949 beim Innenministerium. Den Anstoß zum Erlaß einer entsprechenden gesetzlichen Regelung zur Sicherung der Pressefreiheit hatte 1948 die Militärregierung gegeben. Nach der Verabschiedung bestand Aussicht auf eine baldige Aufhebung des seit Kriegsende bestehenden Presselizenzierungssystems. Die Staatsregierung tat sich sichtbar schwer, den weitgehenden Vorstellungen der Militärregierung und der Journalisten von Pressefreiheit zu entsprechen und war vielmehr bemüht, mit dem Gesetz auch Sanktionsmöglichkeiten gegen die Presse zu schaffen.239 Die Militärregierung hob zwar im August noch Teile des im Juli vom Landtag verabschiedeten Gesetzes auf, beendete jedoch gleichzeitig durch Erlaß der Nachrichtenkontrollvorschrift Nr. 3240 das Lizenzierungssystem. Der Landtag entsprach noch im September 1949 mit einer Änderung des Gesetzes den amerikanischen Auflagen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit des Innenministeriums bestand darin, die rechtlichen Grundlagen für die erste Bundestagswahl (Wahlordnung, Wahlkreiseinteilung) in Bayern vorzulegen.241 Anfang Dezember bestätigte der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Interpretation des verbesserten Verhältniswahlrechts der Bayerischen Verfassung im Landeswahlgesetz vom März 1949.242 Die SPD war mit ihrer Klage gescheitert. Für die CSU bedeutete diese Entscheidung einen Erfolg, der allerdings dadurch geschmälert wurde, daß das Gericht gleichzeitig zentrale Bestimmungen des Gesetzes über das Volksbegehren aufhob, weil sie verfassungsändernd seien.243

Ähnlich wie beim Trümmergesetz oder bei der Durchführung des sogenannten Überführungsgesetzes kam es auch bei der Schulspeisung über die Aufteilung der Kosten zwischen Staat und Gemeinden für Zubereitung und Transport der von der Militärregierung unentgeltlich gelieferten Lebensmittel zum Konflikt. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiß.244

Mit dem Beschluß einer neuen Verordnung über die Gliederung und Geschäftsverteilung der Regierungen ersetzte die Staatsregierung eine durch die Nachkriegsverhältnisse längst überholte Verordnung von 1920.245 Aus dem Innenministerium stammte auch der Entwurf über die beamten- und dienststrafrechtliche Stellung der Landräte und Bürgermeister 246 sowie zur Vereinfachung der Verwaltungsrechtspflege. 247

Auf Antrag des Kultusministers beschloß der Ministerrat, das Sonnen-Observatorium auf dem Wendelstein zu übernehmen, das 1935 vom Deutschen Reich errichtet worden war.248 Ferner bemühte sich die Staatsregierung, das im Krieg nach Unterfranken verlagerte nunmehrige Max-Planck-Institut für Silikatforschung dauerhaft in Bayern zu halten.249 Ende März beschloß der Ministerrat einen aus dem Haus am Salvatorplatz stammenden Entwurf, der die Ausfuhr von Kunstwerken regelte.250 In diesem Zusammenhang wurde im Kabinett auch die Absicht von Generalanwalt Auerbach erörtert und eher skeptisch beurteilt, Bilder aus den Sammlungen von Göring und Hitler in Amerika zu präsentieren und zu verkaufen, um die Erlöse für Wiedergutmachungszwecke zu verwenden.

Bedeutende Gesetzentwürfe aus dem Bereich des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten waren das bereits erwähnte und seit Jahren verfolgte Jagdgesetz 251 sowie das Tierzuchtgesetz. 252 Durch den von Landwirtschaftsminister Schlögl vorgelegten Gesetzentwurf über die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke sollte die Flurbereinigung vereinfacht werden.253 Ferner lag die Verordnung über den Vorbereitungsdienst für den höheren landwirtschaftlichen Staatsdienst zur Beschlußfassung vor.254 Der möglicherweise drohende Verlust der bayerischen Salinenforsten in Österreich, falls in einem künftigen österreichischen Staatsvertrag die Rückgabe deutschen Eigentums generell ausgeschlossen würde, bewog die Staatsregierung zu einer Intervention bei Bundeslandwirtschaftsminister Niklas.255 Weiterhin stimmte der Ministerrat dem Vorschlag von Minister Schlögl zu, darauf zu verzichten, den Besitz von Wilhelmine Busch-Woods in die Bodenreform einzubeziehen, da sie in dem Fall bereit war, den Bernrieder Schloßpark am Südwestufer des Starnberger Sees in eine öffentliche Stiftung einzubringen.256 Im Zusammenhang mit der Bodenreform erörterte der Ministerrat auch die Frage, den Gutshof Adolf Hitlers auf dem Ohersalzherg zu erwerben.257

Ebenso wie beim Sonderministerium kam auch die Auflösung des Verkehrsministeriums 1949 nicht entscheidend voran.258 Ein Vertreter für den Verkehrsausschuß des Bundesrates wurde noch bestellt,259 ein Reisereferent des Ministeriums jedoch schon nicht mehr zum Bevollmächtigten Bayerns beim Bund abgeordnet. Obwohl das Ressort auf Abruf existierte, billigte der Ministerrat im April die Bildung eines Landesverkehrsbeirats. 260 Aus dem Geschäftsbereich des Ressorts beriet der Ministerrat erneut ein Gesetz über die Bereinigung von Kraftfahrzeugzuweisungen, das eine Rechtsgrundlage für die Rückübertragung von Kraftfahrzeugen an ihre Eigentümer schaffen sollte, die zwischen dem Kriegsende und dem Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsgesetzes am 15. Oktober 1946 beschlagnahmt worden waren.261 Infolge von Einwänden des Rechts- und Verfassungsausschusses des Landtags sowie von amerikanischer Seite zog die Staatsregierung ihren Entwurf aus dem Jahre 1948 zurück und machte eine neue Vorlage, die im wesentlichen auf einem Abänderungsantrag des Landtagsabgeordneten Otto Schefbeck beruhte.

Personalangelegenheiten standen über 20 mal als eigenständiger Tagesordnungspunkt auf dem Programm des Ministerrats. Am häufigsten ging es dabei um die Beförderung von Ministerialbeamten des höheren Dienstes, ferner um die Wiedereinstellung von Beamten, die im Rahmen der Entnazifizierung entlassen worden waren, weiterhin mehrfach um die Besetzung von Regierungspräsidentenposten,262 den stellvertretenden Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs,263 zwei Oberlandesgerichtspräsidenten,264 die Leitung der Forstabteilung im Landwirtschaftsministerium,265 wiederum mehrfach um die Besetzung von Spitzenposten bei Landesbehörden, so zum Beispiel der Landesanstalt für Tierzucht in Grub,266 oder um den Übertritt bayerischer Beamter in den Bundesdienst.267 Der Jagdreferent im Landwirtschaftsministerium trat wegen Auffassungsunterschieden über das Jagdgesetz zurück. Andernfalls hätte der Ministerrat ihn entlassen.268 Ferner besprach das Kabinett auch in anderem Kontext immer wieder Personalsachen, so zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bayerischen Vertretung in Bonn.269

Dreimal beriet das Kabinett im Frühjahr 1949 über den Stand der Grundgesetzberatungen, einmal nach Vortrag von Staatsminister Pfeiffer, zweimal, nachdem Ministerpräsident Ehard berichtet hatte.270 Frequenz und Intensität der Behandlung dieses Themas standen bis zum Mai in diametralem Gegensatz zu der Aufmerksamkeit, die die Presse den Bonner Verhandlungen widmete. Daß die Entstehung der bundesdeutschen Verfassung nur einen untergeordneten Rang in den Ministerratsprotokollen besaß, entspricht allerdings dem bereits für das Jahr 1948 konstatierten Befund. Auch 1949 vermied es Ministerpräsident Ehard offenbar, den Ministerrat allzu häufig mit Verfassungsfragen zu befassen.271 Als dann jedoch im Mai 1949 die Entscheidung über das Grundgesetz anstand und der Ministerpräsident um eine einheitliche Stellungnahme der Staatsregierung fürchten mußte, war er gezwungen, seine bisherige Linie aufzugeben. Drei Sitzungen des Ministerrats im Mai 1949 befaßten sich ausschließlich mit der bayerischen Stellungnahme zum Grundgesetz. 272 Bereits an anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, daß der Verzicht auf eine Protokollierung – dies bedeutete im übrigen, daß vermutlich auch kein protokollierender Beamter teilnahm – ein Beleg für den äußerst kontroversen Verlauf der Sitzungen sein dürfte. Der Ministerrat stimmte schließlich einstimmig, also auch inklusive Kultusminister Hundhammer, 273 der Kompromißformel („Nein zum Grundgesetz und Ja zu Deutschland“) von Ministerpräsident Ehard zu, die in der Vorlage von zwei Anträgen der Staatsregierung gegenüber dem Landtag (Ablehnung der Zustimmung zum Grundgesetz bei gleichzeitiger Zustimmung zur Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes in Bayern)274 zum Ausdruck kam. Das von Ehard gewählte Verfahren, auf eine Protokollierung der kontroversen Sitzungen zu verzichten und stattdessen lediglich Communiqués zu veröffentlichen, die den einmütigen Willen des Kabinetts artikulierten und ein einträchtiges Bild vermittelten, trug dazu bei, die Krisensituation zu meistern. Im übrigen bediente sich Ehard des staatlichen Instruments Ministerrat, um das Auseinanderbrechen der CSU in dieser Frage zu verhindern, was wohl symptomatisch für sein Politikverständnis ist.

Sehr viel Aufmerksamkeit widmete der Ministerrat anschließend den Wahlmodalitäten für die erste Bundestagswahl.275 Die stets in nüchterner juristischer Diktion verfaßten Protokolle offenbaren dabei nicht, daß die vom Kabinett befürwortete Einrichtung von Flüchtlingswahlkreisen, die schließlich am Veto der Militärregierung scheiterte, parteipolitischen wahltaktischen Erwägungen entsprang. Auch Besprechungen über einen Burgfrieden im Wahlkampf waren am Rande ein Thema.276 Der Ministerrat beriet auch darüber, ob Beamten, die in den Bundestag gewählt worden waren und aufgrund eines Militärregierungsgesetzes aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden mußten,277 ein Rücktrittsrecht nach dem Ausscheiden aus dem Parlament gewährt werden sollte.278 Einziger Tagesordnungspunkt des außerordentlichen Ministerrats am 17. August 1949 war die politische Lage nach der Bundestagswahl.279 Diese Sitzung sowie der Ministerrat vom 9. September280 unterscheiden sich durch ihren politischen Gehalt deutlich von den übrigen viel stärker sachthematisch bestimmten Kabinettsberatungen.

Ministerpräsident Ehard ging es allerdings auch in dieser Sitzung primär um die staatspolitischen Konsequenzen. Dabei folgte der Ministerrat einstimmig seiner Auffassung, aus dem Wahldebakel der CSU bei der Bundestagswahl ergebe sich weder die Notwendigkeit eines Rücktritts der Staatsregierung noch für eine Landtagsauflösung. Vielmehr seien beide Maßnahmen mit Blick auf stabile demokratische Verhältnisse abzulehnen. Allerdings werden auch unterschiedliche parteipolitische Bewertungen erkennbar. So rechnete Kultusminister Hundhammer nach der nächsten Landtagswahl fest mit der Bayernpartei (BP) in der Regierung, die „der CSU auf dem Gebiet der Kulturpolitik, der Innenpolitik, der Wirtschaftspolitik usw. von allen Parteien am nächsten“ stehe. Als positiv bewertete Ehard, daß sich die Mehrheit der Bevölkerung bei der ersten Bundestagswahl gegen eine „sozialistische Führung“ ausgesprochen habe. Unmittelbar nach der Bundestagswahl erörterte der Ministerrat auch die Wahl der Wahlmänner für die Bundesversammlung. Im Unterschied zu dem bei der Nominierung der Mitglieder des Parlamentarischen Rates beschlossenen Modus zu Ungunsten der BP,281 folgte der Ministerrat dieses Mal dem Vorschlag von Hundhammer, der gewachsenen politischen Bedeutung der BP Rechnung zu tragen und für die Bestellung der Mitglieder der Bundesversammlung das Bundestagswahlergebnis zugrunde zu legen, damit auch Vertreter der BP zum Zuge kämen.282

Sehr deutlich wird in den Ministerratsprotokollen seit Sommer erkennbar, daß man sich an der Isar intensiv damit beschäftigte, wie Bayern am besten in der Bundespolitik und im Rahmen der Bundesgesetzgebung zu positionieren sei. Das größte Gewicht legte man dabei von Anfang an auf den Bundesrat, insbesondere die Formulierung seiner Geschäftsordnung.283 Die Bemühungen Ministerpräsident Ehards, im September erster Präsident des Bundesrates zu werden, werden allerdings erst nach ihrem Scheitern thematisiert.284 Wichtig war Ehard ferner, keine große Bundesratsverwaltung entstehen zu lassen, da dadurch der Einfluß der Länder im Bundesrat erheblich geschmälert werde.285 Einer Ausdehnung der Befugnisse des Ständigen Beirats des Bundesrates stand er ebenfalls kritisch gegenüber.286 Nachdem Bundesratspräsident Arnold die Stelle des Direktors des Bundesrates mit einem nordrhein-westfälischen Beamten besetzt hatte,287 sollte zumindest ein leitender bayerischer Beamter in der Bundesratsverwaltung plaziert werden, was mit Bernhard Wegmann gelang.288

Schlüsselinstrument für die Koordination der Münchner und Bonner Aktivitäten im Rahmen der Bundesgesetzgebung wurden die den Ministerratssitzungen vorgeschalteten neuen Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten. 289 Die langwierige Besetzung der Spitze der Bayerischen Vertretung in Bonn sowie die ebenfalls nur zögerliche Nominierung der dortigen Reisereferenten wurden an anderer Stelle bereits geschildert.290 Aus Prestigegründen höchst umstritten war im Kabinett die Nominierung der fünf bayerischen Bundesratsmitglieder.291 Damit zusammen hingen zumindest im Fall von Landwirtschaftsminister Schlögl Ambitionen auf den Vorsitz im Landwirtschaftsausschuß des Bundesrates, die sich nicht erfüllten.292 Lediglich Ministerpräsident Ehard wurde Vorsitzender des Ausschusses für zwischenstaatliche Angelegenheiten.293 Auch die Bestimmung der Ausschußmitglieder des Bundesrates sowie ihrer Stellvertreter294 und die Rekrutierung bayerischer Beamter für Schlüsselfunktionen in den Bundesministerien295 waren Themen der Beratungen. Im Unterschied dazu spielten die Bildung des Bundeskabinetts und die Berücksichtigung bayerischer Vorstellungen und Personalvorschläge – mit Fritz Schäffer, Wilhelm Niklas und Hans Schuberth stellte Bayern drei Bundesminister – keine bedeutende Rolle im Ministerrat.296 Da Pfeiffers Ambitionen, ins Bundeskabinett berufen zu werden, die durch den Auftrag Adenauers genährt worden waren, einen Organisationsplan für ein Bundesamt des Auswärtigen zu erstellen,297 scheiterten, verließ auch kein Mitglied der Staatsregierung seinen Posten an der Isar, um in die Bundesregierung einzutreten.

Nach ihrem Eintritt in die Bundesregierung waren beamtenrechtliche Fragen bei Landwirtschaftsminister Niklas298 und Staatssekretär von Lex299 am Rande ein Thema. Am 21. November forderte Ministerpräsident Ehard die Kabinettsmitglieder auf, vor allem engen Kontakt mit Bundesfinanzminister Schäffer zu halten.300 Ambivalent war die Bewertung des Bundesministeriums für die Verbindung mit dem Bundesrat. 301 Im Rahmen des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern spielte auch die Frage eine Rolle, ob die Länder an der Praxis von Ressortministerkonferenzen der Länder festhalten durften und sollten.302 Ministerpräsident Ehard erklärte sie zum geeigneten Ort, Dinge zu besprechen, die nicht in die Bundeszuständigkeit gehörten. Es sei nicht ratsam, diese bewährte Praxis abzubrechen. Deutliche Bedenken erhob hingegen Wirtschaftsminister Seidel, der befürchtete, zu viele Konferenzen dieser Art könnten den Bundesrat als Instrument des Föderalismus schwächen. An der Institutionalisierung der Kultusministerkonferenz, die Staatsminister Hundhammer 1949 zum ersten Vorsitzenden wählte, hatte Bayern besonderen Anteil. 303 Im März dieses Jahres hatten die Länder auch beschlossen, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen mit überregionalem Wirkungsbereich im Wege eines Staatsvertrages (Königsteiner Abkommen) gemeinsam zu finanzieren. Der Ministerrat entschied, das Staatsabkommen dem Landtag zuzuleiten und dessen Zustimmung nach Art. 72 Abs. 2 einzuholen.304

Die bayerischen Bemühungen, das bizonale Patentamt in München anzusiedeln,305 konnten 1949 erfolgreich abgeschlossen werden und schufen ein Präjudiz für den Sitz des Bundespatentamtes in München. Bayern bemühte sich auch künftig um den Sitz von Bundesoberbehörden. Keinen Erfolg hatte man hingegen nach der Gründung der Bundesrepublik bei der Organisation des Wetterdienstes, da sich Bayern als einziges Land auf der mittleren und unteren Instanz um Landesbehörden bemühte. Damit fiel bereits Ende 1949 eine wichtige Vorentscheidung zugunsten des 1952 als nicht rechtsfähige Bundesanstalt errichteten Deutschen Wetterdienstes.306

Bei der Entscheidung über den endgültigen Sitz der Bundeshauptstadt war das Kabinett gespalten.307 Finanzminister Kraus zählte die Nachteile Bonns für Bayern und Süddeutschland auf und hielt es für sinnvoll, daß sich die Staatsregierung in der Frage klar äußere, wofür er die Zustimmung von Justizminister Müller fand. Dem hielt Ehard entgegen, der ebenfalls Frankfurt den Vorzug gab, Bayern würde damit eine politische Entscheidung gegen das Kabinett Adenauer treffen. Auch Hundhammer308 und Seidel rieten daher von einem formellen Beschluß ab. Man solle lediglich informell den Bundestagsabgeordneten mitteilen, das Kabinett tendiere zu Frankfurt. Dieser Position schloß sich der Ministerrat schließlich an.

Mängel in der Koordination zwischen Staatsregierung und CSU-Landesgruppe 309 zeigten sich im Ministerrat, als der CSU-Abgeordnete Franz Josef Strauß einen Initiativgesetzentwurf für ein Jugendschutzgesetz im Bundestag einbrachte, ein Thema, das nach Auffassung von Innenminister Ankermüller in den alleinigen Kompetenzbereich der Länder gehörte.310 Dies war um so ärgerlicher, da solche Unstimmigkeiten der Fraktion der Bayernpartei im Bundestag311 – der der Ministerrat im übrigen wesentlich mehr Aufmerksamkeit schenkte als der Landtagsopposition312 – eine willkommene Angriffsfläche und die Chance boten, sich als eigentliche Vertretung der föderalistischen Interessen Bayerns zu profilieren. Auch die Niederlage Ehards beim Ringen um die Bundesratspräsidentschaft wurde im Kabinett auf Landesebene als Prestigeverlust gegenüber der BP interpretiert, da man, so Hundhammer, „mit einem gewissen Recht behaupten könne, Bayern werde von der CDU an die Wand gespielt.“313 Da die BP vor allem mit ihrer Anti- Flüchtlingskampagne im Bundestagswahlkampf erfolgreich gewesen war, fand auch das besondere bayerische Engagement beim Flüchtlingsausgleich vor dem Hintergrund dieser Parteienkonkurrenz statt.314

Mit der Konstituierung der Bundesrepublik wird die Beschäftigung mit der Bundesgesetzgebung im Bundesrat ein mindestens gleichgewichtiger thematischer Schwerpunkt der Ministerratssitzungen.315 Auf die große Zahl einzelner Gesetzgebungsmaterien, die unter der Rubrik „Bundesangelegenheiten“ oft nur genannt wurden, zu denen aber keine weiteren Erörterungen stattfanden, weil eine ausreichende Vorklärung in der Koordinierungsbesprechung stattgefunden hatte und sich der Ministerrat dem Votum anschloß, oder weil keine rechtlichen Bedenken bestanden, kann hier nicht eingegangen werden. Allerdings gilt es exemplarisch einige Themen herauszugreifen, die entweder inhaltlich wichtig waren oder denen der Ministerrat aus grundsätzlichen Erwägungen Beachtung schenkte, um gerade in der Anfangsphase bei der praktischen Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens316 keine Präjudize zuungunsten der Länder entstehen zu lassen. So vertrat Ministerpräsident Ehard auf der Grundlage einer von Leusser erstellten Vormerkung im Oktober die Auffassung, der Bundesrat müsse zu den ersten Bundesgesetzen, die auf seiner Tagesordnung stünden, Stellung nehmen, auch wenn es dafür keine sachliche Begründung gebe, weil es einen negativen Eindruck mache, wenn der Bundesrat gleich zu Beginn auf die Wahrnehmung der ihm zustehenden Rechte verzichte.317 Der erste Bundeshaushaltsplan brachte nach Auffassung von Finanzminister Kraus intolerable Verschiebungen bei der Finanzverwaltung zugunsten des Bundes.318 Anläßlich der Beratung des Gesetzes zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des Bewirtschaftungsnotgesetzes, des Gesetzes zur Deckung der Kosten für den Umsatz ernährungswirtschaftlicher Waren und des Preisgesetzes erhob der Ministerrat Einspruch dagegen, daß für spätere Anordnungen der Bundesminister auf der Grundlage der Gesetze keine Zustimmung des Bundesrates mehr erforderlich sei.319 Die hartnäckige Haltung Bayerns, Protagonist in dieser Frage war Wirtschaftsminister Seidel, führte schließlich zu Zugeständnissen gegenüber dem Bundesrat.320

Zum Gegenstand prinzipieller Positionsbestimmung wurde ferner das Amnestiegesetz (Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit).321 Der Ministerrat verneinte grundsätzlich eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes in dieser Angelegenheit. Ferner hielt man in München ein solches Gesetz auch nicht für notwendig. Zudem hatte die Bundesregierung die Frist zur Vorlage des Entwurfs beim Bundesrat entweder sehr zu ihren Gunsten ausgedehnt oder sogar überschritten. Alles zusammen bot der Staatsregierung Anlaß, die Möglichkeiten auszuloten, die das Grundgesetz den Ländern in einem solchen Falle bot. Dabei machte man erstmals die Erfahrung, wie begrenzt die Möglichkeiten zum Widerstand im Bundesrat waren, wenn Bayern mit seinen Einwänden allein blieb. Am 23. November bejahte der Bundesrat mit Mehrheit die Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß eines Amnestiegesetzes; am 19. Dezember lehnte er auch den bayerischen Antrag ab, in der Frage den Vermittlungsausschuß anzurufen.322 Man sollte in München noch häufiger erleben, daß die Länder mit weniger ausgeprägtem staatlichen Selbstverständnis nur schwer zu überzeugen waren mitzuziehen, wenn es um die prinzipielle Wahrung föderalistischer Positionen ging. Dies hielt Bayern jedoch nicht davon ab, auch dann seine Auffassung im Plenum des Bundesrates entschieden zu vertreten.323 In der Frage eines Jugendschutzgesetzes war Ministerpräsident Ehard im Unterschied zu Innenminister Ankermüller offen, eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu akzeptieren, falls sich dies in der Sache als zweckmäßiger erwies.324 Bei der sogenannten Grenzgänger-Verordnung warf325 Ministerialrat Leusser grundsätzlich die Frage auf, in welchen Fällen „der Bundesregierung von Bayern aus Schwierigkeiten gemacht werden sollten.“326 Beide Beispiele zeigen, daß man sich in der Münchner Staatskanzlei sehr wohl bewußt war, daß eine Waffe rasch stumpf zu werden drohte, wenn man ständig überzog. Aus Prinzipienreiterei stets die Länderkompetenz zu beanspruchen und so einen permanenten Konfrontationskurs zu fahren, betrachtete man als wenig zweckmäßig und entschied sich von Anfang an dafür, Einwände nur wohl dosiert zu erheben. Leusser betonte ferner, diese müßten stets von positiven Gegenvorschlägen begleitet werden. All dies ist den übergreifenden Bemühungen Ministerpräsident Ehards in den Anfangsjahren der Bundesrepublik zuzurechnen, dem Bundesrat das Image eines konstruktiven Mitwirkungsorgans zu verschaffen.327 Denn dies war in seinen Augen eine unverzichtbare Voraussetzung für die positive Weiterentwicklung des Föderalismus.

Nur ganz selten gelangten erneut spektakuläre aktuelle Ereignisse auf die Tagesordnung des Ministerrats wie etwa das Wirken von Bruno Gröning in Bayern, das starkes Aufsehen erregte.328

Protokollarische Fragen und Repräsentationstermine waren ein relativ häufiger Beratungsgegenstand. Ministerpräsident Ehard maß beidem auch nicht unerhebliche politische Bedeutung bei.329

Dies galt in besonderem Maße 1949 für den ersten Staatsbesuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss, den dieser Anfang Oktober in München machte und der dort als partielle Kompensation für die Ehard entgangene Bundesratspräsidentschaft betrachtet wurde.330 Unmittelbar vor Heuss hatte der Leiter der Apostolischen Nuntiatur in Deutschland, Bischof Muench, seine Aufwartung in der Staatskanzlei gemacht.331 Den Antrittsbesuch des amerikanischen Hohen Kommissars John McCloy beim Bayerischen Ministerpräsidenten, der schon am 9. Juli 1949 stattgefunden hatte, erwähnte Ministerpräsident Ehard nur indirekt.332

Ebenso erörterte der Ministerrat die protokollarisch sensible Behandlung des 80. Geburtstags von Kronprinz Rupprecht, 333 mit der eine Aussage über das Verhältnis zwischen den obersten Repräsentanten des Freistaates Bayern und dem Chef des Hauses Wittelsbach verknüpft war, sowie die Beteiligung an den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Komponisten Richard Strauss. 334 Als der italienische Handelsminister Lombardo die Münchner Elektromesse besuchte, bemühte sich die Staatsregierung um die Zustimmung der Bundesregierung, ihn in München auch in deren Namen begrüßen zu dürfen.335 An der Fahrt des ersten bayerischen Pilgerzuges nach Rom zur feierlichen Eröffnung der Hl. Pforte Weihnachten 1949 nahmen vier Kabinettsmitglieder teil. Kultusminister Hundhammer berichtete anschließend im Ministerrat über deren Empfang beim Papst.336 Der Bedeutung von Symbolhandlungen bewußt, stattete Ministerpräsident Ehard, wie erwähnt, auch unmittelbar nach der Kritik am Umgang mit den Massengräbern auf dem Leitenberg dem Ort einen Besuch ab.337

Von erheblichem Umfang waren die Repräsentationsverpflichtungen des Ministerpräsidenten338 und der Staatsregierung. Das Spektrum reichte von Einladungen des Adalbert-Stifter-Vereins zu den Pfingstkulturtagen in Bayreuth an Ehard,339 zum Gründungskongreß des DGB in München,340 über eine der zahlreichen Brückeneinweihungen der Nachkriegszeit zwischen Ulm und Neu-Ulm,341 zur Gedenkstunde zum Tag der Opfer des Faschismus 342 oder dem Besuch einer Gartenbauausstellung in der Pfalz, 343 der zwei bayerische Minister folgten. Die Einladung zur Leipziger Frühjahrsmesse sagte Ministerpräsident Ehard wie im Vorjahr höflich ab.344 Im Verhältnis des Landes Bayern zum Bund spielte auch die Frage der Beflaggung nach dem Zusammentritt des Bundestages eine Rolle. Dabei wird folgende Position der Staatsregierung erkennbar: Die Bundesflagge sollte an wichtigen Tagen bei Ministerien und größeren Behörden gesetzt werden, allerdings nicht zu oft.345 Ferner sollte sie stets nur gemeinsam mit den Landesfarben gezeigt werden.346

Da der Bundesrat absolute Priorität besaß, hatte die Staatsregierung die Pfalzfrage im Rahmen der Verfassungsberatungen zurückgestellt und sich auf ein jahrelanges Ringen um die Pfalz eingerichtet.347 Die bayerischen Bemühungen, den Kontakt zur Pfalz nicht abreißen zu lassen und die Wiedervereinigungsbestrebungen von staatlicher Seite aus zu koordinieren und auch materiell zu fördern, sind in verschiedenen Zusammenhängen erkennbar. Staatsminister Pfeiffer erwähnte etwa die Tätigkeit des sogenannten Pfalzausschusses, der sich aus Referenten der Münchner Ressorts zusammensetzte und die Aktivitäten der Pfalzverbände in Bayern und der Pfalz unterstützte.348 Dazu gehörte auch die Wiedereinstellung des Regierungsrates Hermann Jäger in den bayerischen Staatsdienst, der seit 1948 als Geschäftsführer die Geschicke des Bundes Bayern und Pfalz in Ludwighafen leitete.349 Verbundenheit bekundete man auch, indem man Einladungen zu einem Presseball in Neustadt350 oder zu einer Gartenbauausstellung in Landau folgte.351 Das bedeutendste Ereignis des Jahres 1949 im Rahmen der Pfalzpolitik, die Gründung des Landesverbandes der Pfälzer im rechtsrheinischen Bayern am 26. November 1949 in München, Festredner war Ministerpräsident Ehard, wird jedoch nicht erwähnt.352

Nach der Gründung der Bundesrepublik war die Frage der Ausdehnung von Bundesrecht auf den Kreis Lindau mehrfach ein Thema.353 Hingegen kam nur am Rande zur Sprache, daß Lindau bei der Bundestagswahl erstmals wieder in Bayern mitwählte.354 Auch dessen Beitritt zum Landkreisverband Bayern im November, ein symbolisches Zeichen der Verbundenheit mit Bayern, wird nicht erwähnt.355

Auch für das Jahr 1949 offenbart die parallele Zeitungslektüre, daß zahlreiche Dinge und Ereignisse in den Beratungen des Ministerrats ausgespart werden, die in der Presse teilweise erhebliche Beachtung fanden. Zum Beispiel wird nur ein bescheidener Teil der Repräsentationstermine des Ministerpräsidenten oder der Staatsregierung in den Protokollen erwähnt.356 So spricht Ehard in einer Sitzung zwar den Besuch von Nuntius Muench an, jedoch nicht den Staatsbesuch des ersten Vorsitzenden des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Otto Dibelius, obwohl er für ihn einen Staatsempfang gab und bei dieser Gelegenheit eine Ansprache hielt.357 Auch daß der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und amtierende Bundesratspräsident Karl Arnold Mitte Oktober in München einen Antrittsbesuch machte, eine versöhnliche Geste gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten, kann den Protokollen nicht entnommen werden.358 Zwei andere Ereignisse, die in der Presse viel Beachtung fanden, waren der Besuch von Thomas Mann in München Ende Juli 1949359 oder der Deutsche Historikertag im September.360 Auch die Übergabe des Bayerischen Rundfunks durch die Amerikaner am 25. Januar 1949361 oder die feierliche Eröffnung des Patentamtes am 1. Oktober, nachdem sich das Kabinett zuvor mehrfach mit dessen Ansiedlung befaßt hatte, erörterte man nicht mehr. Dies gilt in gleicher Weise auch für die Gründung des Bayerischen Heimat- und Königsbundes im Dezember 1949,362 von der sich Ministerpräsident Ehard als CSU-Vorsitzender deutlich distanzierte,363 oder für die Konstituierung des Bayerischen Landesrats für Freiheit und Recht als Organ der nichtkommunistischen politisch, religiös und rassisch Verfolgten, die sich gegen die VVN richtete,364 sowie eine weitere Großkundgebung des Landesrats, auf der auch der Ministerpräsident sprach,365 die jedoch, im Unterschied zum Beispiel zum Gründungskongreß des DGB in München, ebenfalls nicht erwähnt wurde. Weiterhin fehlten die als Rauswurf zu interpretierende Beurlaubung des bayerischen Bevollmächtigten beim Vereinigten Wirtschaftsgebiet (VWG), Gebhard Seelos, durch den Ministerpräsidenten zum 1. Juli 1949, nachdem dieser sich auf dem Passauer Parteitag öffentlich zur BP bekannt hatte,366 sowie die im Zusammenhang mit den permanenten Attacken von Loritz auf die Staatsregierung stehenden erneuten Presseangriffe auf Ehard wegen seiner Richtertätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus, auf die er mit einer Pressekonferenz reagierte.367 Ähnliche Vorwürfe gegenüber einem engen Mitarbeiter des Leiters der Staatskanzlei, Hans Schwarzmann, sprach der Regierungschef hingegen im Ministerrat an und erklärte, er habe nicht die Absicht, diesen auf Druck von Loritz aus der Staatskanzlei zu entlassen.368 Auch die sogenannte „Bleibtreu-Affäre im August 1949 um einen antisemitischen Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung blieb unerwähnt,369 in deren Zusammenhang es unter anderem zu Zusammenstößen zwischen jüdischen Demonstranten und der Polizei in der Möhlstraße in Bogenhausen gekommen war.

Obwohl es am Beginn von Ministerratssitzungen verschiedentlich Glückwünsche zu runden Geburtstagen gab370 oder Ehard ein neues Kabinettsmitglied wie Staatssekretär Konrad ausdrücklich begrüßte,371 ist Vergleichbares nach der Wahl des Ministerpräsidenten zum Landesvorsitzenden der CSU372 auf der Landesversammlung der CSU in Straubing am 28. Mai 1949 nicht zu konstatieren. Möglicherweise war der Kabinettstisch, an dem die Kontrahenten von Straubing, der geschlagene Landesvorsitzende Müller und der Vorsitzende des Bezirksverbandes Oberbayern, Hundhammer, gemeinsam saßen, nicht der richtige Ort dafür. Sicherlich entsprach diese parteipolitische Abstinenz auch der Auffassung Ehards von einer strikten Trennung zwischen Parteiangelegenheiten und den Aufgaben des Ministerrats, die er in der konstituierenden Sitzung des Kabinetts Ehard III am 20. Dezember 1950 in die Worte faßte: „Er bitte um vertrauensvolle Zusammenarbeit, vor allem im Hinblick darauf, daß die Arbeit, die im Kabinett zu erledigen sei, sich von der parteipolitischen Arbeit völlig unterscheide.“ [...] „Er selbst sei in erster Linie nicht an einseitiger Parteipolitik interessiert, sondern betrachte die Aufgaben, die das Kabinett zu lösen habe, nur vom staatlichen Gesichtspunkt aus.“