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Nr. 15MinisterratssitzungSamstag, 29. März 1947 Beginn: 8 Uhr 15 Ende: 12 Uhr 40
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stellv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Wilhelm Hoegner, Innenminister Seifried, Wirtschaftsminister Dr. Zorn, Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Arbeitsminister Roßhaupter, Verkehrsminister Frommknecht, Staatsminister für Sonderaufgaben Loritz, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Bayerische Staatskanzlei), Staatssekretär Franz Fischer (Innenministerium-Bauabteilung), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Hagenauer (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Staatssekretär Dipl.-Ing. Schuberth (Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten), Staatssekretär Höltermann (Sonderministerium).

Entschuldigt:

Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Hundhammer, Staatsminister der Finanzen Dr. Kraus, Staatssekretär Sedlmayr (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Gentner (Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten).1

Tagesordnung:

[I. Termin des nächsten Ministerrats]. [II. Erneutes Bombenattentat in Nürnberg und Struktur der Polizei]. [III. Gesundheitszustand bayerischer Kinder]. [IV.] Ärztewesen. [V. Gesundheitsabteilung des Innenministeriums]. [VI. Amtsbezeichnung des Bevollmächtigten Bayerns beim Länderrat]. [VII. Einstufung der Stellvertreter des Staatskommissars für das Flüchtlingswesen]. [VIII. Arbeitsverpflichtungsgesetz]. [IX. Schwerbeschädigtengesetz]. [X. Amnestie für Fragebogenfälscher]. [XI. Steuern]. [XII. Gesetz zur Verhütung des Mißbrauchs ausländischer Liebesgaben]. [XIII. Vereidigung der Beamten der Bizonenverwaltungen]. [XIV. Dankschreiben des Bischofs von Ermland]. [XV. Waffenamt]. [XVI. Siedlung Neuheim am Römerweg bei Osterhofen]. [XVII. Gedächtnistafel für Kurt Eisner]. [XVIII. Vorläufiges Abkommen über die Bildung eines Verwaltungsrates für das Personalwesen der gemeinsamen Verwaltungen des amerikanischen und britischen Besatzungsgebietes]. [XIX. Dienstzeitregelung am Karsamstag]. [XX. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Artikels 160 der Bayerischen Verfassung]. [XXI. Demokratische Entwicklung im kommunalen Bereich]. [XXII. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Artikels 160 der Bayerischen Verfassung]. [XXIII. Stellvertretende Staatssekretäre]. [XXIV. Erlaß von Gesetzen und Verordnungen]. [XXV. Spruchkammerverfahren gegen den Innenminister]. [XXVI. Benzinzuteilung für die Parteien]. [XXVII. Hausbrandversorgung]. [XXVIII. Stellung der Flüchtlingskommissare]. [XXIX. Würzburg]. [XXX. Deutsches Büro für Friedensfragen]. [XXXI. Stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats für Wirtschaft]. [XXXII. Ernährungslage]. [XXXIII. Oberschule in Fürth]. [XXXIV. Enteignung von Grundstücken zugunsten der Überlandwerke Mainfranken]. [XXXV. Reisekostenvergütung für die Mitglieder der Staatsregierung]. [XXXVI. Spruchkammerverfahren gegen den Innenminister]. [XXXVII. Akteneinsicht bei den Spruchkammern]. [XXXVIII. Entnazifizierung]. [XXXIX. Ehrentempel am Königsplatz]. [XXXX. Entnazifizierung].

[I. Termin des nächsten Ministerrats]

Ministerpräsident Dr. Ehard 2 eröffnet die Sitzung und teilt mit, daß am Mittwoch vor Ostern noch ein Ministerrat stattfinden müsse, in dem hauptsächlich Gesetzentwürfe des Länderrats besprochen werden müßten.3 Vor Eintritt in die Tagesordnung müsse er noch folgendes vorwegnehmen:

[II. Erneutes Bomhenattentat in Nürnberg und Struktur der Polizei]4

In Nürnberg sei wieder ein Bombenattentat gewesen,5 es sei zwar nicht viel passiert, es handele sich aber doch um eine bedenkliche Sache.6 Man müsse diese Dinge nach zwei Richtungen überlegen, einmal nach der negativen Seite der Bekämpfung; es sei sehr erwägenswert, ob man eine solche Gelegenheit nicht aufgreifen solle, um eine bessere Querverbindung einmal innerhalb der Polizei selbst herbeizuführen7 zu versuchen und außerdem solle man überlegen, ob nicht auch eine Verbindung mit der Österreichischen und Schweizerischen Polizei, natürlich nur auf dem Wege über die Militärregierung, herbeigeführt werden könne. Man könne, wenn man einen Schlupfwinkel einer Untergrundbewegung ausheben wolle, nicht nur bis zur Grenze gehen. Hier sei eine Zusammenarbeit mit den angrenzenden Ländern erforderlich. Auf der anderen Seite müsse man überlegen, ob man nicht auch einen Weg finden könne, die gutgesinnten und aufbauwilligen Kräfte in irgendeiner Form zu stützen. Hier handele es sich vor allem um die Jugend; er wolle diesen Gedanken heute nicht weiter behandeln, sondern nur einmal zur Debatte stellen.

Staatsminister Seifried erklärt, dieser Anschlag habe ihn veranlaßt, neuerdings mit den Amerikanern Fühlung zu nehmen. Diese hätten versprochen, daß eine engere Zusammenarbeit organisiert werden solle, sie seien aber außerordentlich ängstlich im Bezug auf eine weitere Zentralisierung der Polizei. Die Polizei soll im Gegenteil noch mehr dezentralisiert werden. Im übrigen seien die Verhältnisse ähnlich wie 1919. Diese Elemente seien meistens auf Selbstversorgungsplätzen untergebracht. Er habe deshalb angeordnet, daß hier eine genauere Überwachung stattfinden solle. Die Amerikaner schalteten aber bei der Verfolgung dieser Sache die deutschen Stellen vollkommen aus.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, vielleicht könne man den Amerikanern bei dieser Gelegenheit sagen, wenn sie uns von diesen Dingen hermetisch abschlössen, müßten sie auch allein die Verantwortung übernehmen.

Staatsminister Seifried teilt hierzu mit, am letzten Montag habe eine große Aktion der ausländischen Juden durchgeführt werden sollen als Protest gegen die Abstoppung der Einwanderung. Es sei ihm gesagt worden, dies sei eine Angelegenheit der deutschen Polizei; er habe dies abgelehnt; wenn ausländische Organisationen gegen die Politik der Alliierten demonstrieren, so sei dies keine deutsche Angelegenheit; hier müsse nicht die deutsche Polizei Ordnung halten. Diese Ansicht sei von den Amerikanern anerkannt worden. Die deutsche Polizei sollte nur eingreifen, wenn dies von amerikanischer Dienststelle im Notfall ausdrücklich gewünscht worden wäre.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, er bitte die Angelegenheit in dem von ihm bezeichneten Sinne weiter zu verfolgen. Er müsse noch eine weitere Sache vorweg nehmen.

[III. Gesundheitszustand bayerischer Kinder]

Durch einen Brief an den stellv. Ministerpräsidenten Dr. Hoegner aus der Schweiz sei bekannt geworden, daß ein Mann der Gesundheitsabteilung des Innenministeriums in einem Interview, das in amerikanischen Zeitungen erschienen sei, behauptet habe, die Unterernährung der bayerischen Kinder sei gar nicht so schlimm. Es sei ein Unfug, daß irgendjemand, der in einer amtlichen Stellung sei, ein solches Interview gebe. Man müsse noch einmal auf die Sache zurückkommen, wenn Genaueres festgestellt sei. Jedenfalls besagten die amtlichen Feststellungen genau das Gegenteil. Es könne sich nur darum handeln, daß es in anderen deutschen Ländern noch schlechter sei, keinesfalls sei es aber besser als in Amerika, wie der betreffende Beamte behauptet habe. Ministerpräsident Dr. Ehard verliest hierauf einen Bericht über den wirklichen Gesundheitszustand.

[IV. Ärztewesen]8

Anschließend geht Ministerpräsident Dr. Ehard zu Punkt 1 der Tagesordnung über. Die vielgenannte Verordnung Nr. 669 sei nun auch im Landtag besprochen worden.10 Es sei ein Beschluß ergangen, daß bis zum 31. März 1947 eine Neuregelung erfolgen solle, daß bei der Zulassung der Ärzte auch die Berufs Vertretungen eingeschaltet werden sollen.11 Bis jetzt sei noch kein Ergebnis erzielt worden. Woran das liege, wisse er nicht, er höre aber immer wieder den Namen Schieckel,12 daß dieser Schwierigkeiten mache.13 Nun wolle er doch sehr bitten, daß diese Angelegenheit sehr bald in Ordnung komme. Wenn Schieckel kein Verständnis dafür habe, daß sie bereinigt werde, bitte er sehr darum, daß er durch einen anderen Referenten abgelöst werde.14 Man könne es sich nicht bieten lassen, daß ein Referent sich querlege und dadurch zwei Ministerien nicht zusammen kämen.15 Die Linie sei durch den Landtagsbeschluß vorgezeichnet, es handele sich um die einzig vernünftige und mögliche Lösung.

Staatsminister Roßhaupter erklärt, er wisse nicht, was inzwischen geschehen sein solle. Daß die Verordnung aufgehoben sei, setze er als bekannt voraus. Es sei zwar beschlossen worden, daß bis zum 31. März 1947 eine Vereinbarung zwischen den Versicherungsträgern und den Ärzten herbeigeführt werden solle. Ihm sei aber von vornherein klar gewesen, daß dies nicht möglich sei. Vorgestern sei er nun von Ärztevertretern angerufen und ersucht worden, die Verordnung bis zum 30. 6. 1947 auszusetzen. Er glaube aber, daß die Sache auch bis zum 30. 6. 1947 mit oder ohne Schieckel nicht geregelt werden könne. Er habe aber sofort nach dem Anruf mit Schieckel gesprochen, daß eine Verlängerung der Aussetzung herbeigeführt werden solle. Er glaube, daß dem nichts im Wege stehe. Inzwischen sei von Hessen im Länderrat ein Antrag eingebracht worden, daß Vereinbarungen der ärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen in der ganzen Zone herbeigeführt werden sollen. Soviel er wisse, sei dies aber den einzelnen Ländern übertragen worden. An diesen Dingen sei Schieckel vollkommen unschuldig. Er glaube nicht, daß man im Augenblick noch gegen ihn begründete Vorwürfe erheben könne.

Auf eine Frage von Ministerpräsident Dr. Ehard wie nunmehr die Regelung sei, erwidert Staatsminister Roßhaupter, es bleibe bei dem bisherigen Zustand, weil neue Vereinbarungen nicht zustandegekommen seien; die Landesärztekammer sei eingeschaltet.

[V. Gesundheitsabteilung des Innenministeriums]

Ministerpräsident Dr. Ehard fährt fort, es müsse einmal die Frage der Gesundheitsabteilung überhaupt besprochen werden; er wisse, wie schwierig die Ärzte seien. Man müsse sich aber einmal über diese Frage unterhalten und dem Innenminister eine Stütze geben, daß er gewissen Bestrebungen entsprechend entgegentreten könne. Man müsse endlich einmal eine gewisse Ruhe für die praktische Arbeit erreichen; es sei ihm gesagt worden, als Personalreferent für die beamteten Ärzte sei kommissarisch Dr. Stein aufgestellt worden.16 Dieser werde von den Ärzten ohne Rücksicht auf ihre Parteirichtung sehr heftig bekämpft.17 Er komme von auswärts und habe das von den Amtsärzten verlangte Examen nicht. Es sei ein trauriges Zeichen, wenn man auch hier die Bayern ausschalte. Andererseits werde ihm gesagt, Dr. Stein habe besondere Verdienste bei der Entnazifizierung und beim Wiederaufbau. Er sei auch der Meinung, daß man diesen Verdiensten Rechnung tragen solle, man solle aber doch überprüfen, ob es nicht möglich sei, Dr. Stein durch einen bayerischen Amtsarzt zu ersetzen, um damit Schwierigkeiten persönlicher Art zu beseitigen. Das sei das Eine. Weiter werde ihm von den verschiedensten Seiten ohne Rücksicht auf die Parteirichtung – was er betonen müsse – immer wieder ein gewisser Dr. Loetsch18 genannt. Dieser habe keine amtliche Stellung, tauche aber überall auf und spiele eine nicht ganz durchsichtige Rolle. Seine Tätigkeit werde mit großem Mißtrauen betrachtet. Er bitte, hier einmal Klarheit zu schaffen. Jedenfalls scheine es ihm notwendig, die Gesundheitsabteilung einmal genauestens zu überprüfen. Bei den Ärzten gäbe es immer wieder Schwierigkeiten, die eine sachlich notwendige Arbeit verhinderten. So könnten die tollsten Sachen passieren. Er habe darüber schon mit dem Innenminister gesprochen. Dieser Tage habe er eine Denkschrift der Volontärärzte bekommen; hier herrschten Zustände, die man auf die Dauer nicht mit ansehen könne.19 Diese Sache sei schon vor längerer Zeit auch der Gesundheitsabteilung mitgeteilt worden. Zu solchen Dingen komme die Gesundheitsabteilung aber nicht, weil sie über persönliche Reibereien und Intrigen nicht hinauskomme. Das müsse endlich einmal aufhören. In der Frage der Anerkennung der Approbationen während der Kriegszeit20 habe die Gesundheitsabteilung zwei sich vollkommen widersprechende Entschließungen herausgegeben. So gehe das nicht. Er bitte dringend, daß der Ministerrat sich auf den Standpunkt stelle, der Innenminister werde ersucht, diesen Dingen sein besonderes Augenmerk zuzuwenden und sie in Ordnung zu bringen. Es solle damit nicht etwa eine Kritik an der Tätigkeit des Innenministers geübt werden, sondern der Gesundheitsabteilung und der Ärztevertretung einmal gezeigt werden, daß hinter dem Innenminister ein stärkeres Gewicht stehe.

Staatsminister Seifried erklärte, dieser Angelegenheit gelte seit langem seine größte Sorge. Es handle sich hier um Dinge von großer politischer Bedeutung. Er habe inzwischen auch Akten zugestellt bekommen über die Zustände in den Irrenanstalten. 80% der Ärzte hätten nun einmal der NSDAP oder ihren Gliederungen angehört oder seien ihr nahegestanden.21 Er wolle damit nicht sagen, daß sie alle auch überzeugte Nationalsozialisten gewesen seien, viele seien dadurch hineingekommen, weil jede Formation einen Arzt gebraucht habe. Jedenfalls sei dadurch eine besonders schwierige Situation entstanden. Bei dem ganzen Berufsstand habe sich eine gewisse Homogenität entwickelt, nicht so sehr wegen der nationalsozialistischen Zugehörigkeit, sondern weil die Ärzte vielfach in dem Gedanken lebten, daß der Arzt eine Art Staatsbeamter im Rahmen der sozialen Versicherungsgesetzgebung werden solle. Dagegen seien die Ärzte besonders eingestellt. In kürzester Zeit werde aber eine Bereinigung herbeigeführt werden. Dem Leiter der Gesundheitsabteilung, Herrn Hösch,22 seien die Sachen über den Kopf gewachsen.23 Wenn man den richtigen Mann finde, werde die Bereinigung sehr schnell erfolgen können. Dabei komme aber das Problem, daß es ein Bayer sein solle. Wo finde man aber einen, der die Fähigkeiten und auch den Mut zur Verantwortung habe? Die Besetzung von Stellen mit Nichtbayern sei keine Politik von ihm, er habe aber keine Auswahl gehabt und die Maschine müsse laufen. Gegen Dr. Stein werde geschossen, weil dieser Mann absolut korrekt sei und dafür sorge, daß die Nazis ausgemerzt würden. In Bayern habe er niemand gefunden, der den Mut gehabt hätte, den Augiasstall der Ärztekammer auszumisten. Wenn Dr. Stein dies nicht fertig gebracht hätte, hätte man die größten Schwierigkeiten bekommen. Bei den Amtsärzten seien viele ehemalige Militär-Ärzte, die geradezu berüchtigt gewesen seien. Das Physikats-Examen, dessen Nichtablegung man Dr. Stein vorwerfe, habe gar nicht die Bedeutung, die man ihm jetzt beimesse. Ohne daß er etwas davon gewußt habe, habe man jetzt Schnellkurse von 14 Tagen für dieses Examen eingerichtet. Die Ärzte seien von diesen Kursen auch nicht verständigt worden. Wenn solche Prüfungen eingeführt würden, müsse man sie nach demokratischen Grundregeln auch öffentlich ausschreiben. Es würden Dinge gemacht, die er mehr oder weniger, gelinde gesagt, als Schiebungen bezeichnen müsse. Dagegen müsse man Stellung nehmen, um nicht in den Geruch zu kommen, die Entnazifizierung zu hintertreiben. Die Bereinigung müsse so erfolgen, daß sie in der Öffentlichkeit jeder Kritik standhalten könne. Dabei wünsche er natürlich, daß alles in der Form geschehe, daß die breiteste Basis für Verständigungswillige geschaffen werden könne.

Staatsminister Dr. Zorn erkundigt sich, warum dieser Mann nicht suspendiert werde.

Staatsminister Seifried erwidert, gegenwärtig habe er keinen Ersatz. Dr. Hösch sei auch bei Seiffert24 eingesprungen, auch deswegen tue er sich schwer. Im übrigen solle der Ersatz eine Kapazität sein und aus Bayern stammen.25

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, wenn er eine anerkannte Kapazität sei, müsse er nicht Bayer sein. Im übrigen habe die Entnazifizierung der Ärzte eine sehr große Schwäche. Es werde immer wieder dasselbe Spiel angefangen: Zuerst würden sämtliche Ärzte, die irgendwie mit der Partei in Verbindung gestanden hätten, entlassen; nach 3 Tagen aber sehe man, daß es so nicht gehe, infolgedessen lasse man sie wieder arbeiten. Dieses Spiel wiederhole sich dann und werde nicht sehr glücklich gehandhabt. Die Schuld liege nicht auf deutscher Seite. Wenn man aber die Ärzte hinaussetze und nach 3 Tagen wieder hole, werde ein gewisser Widerspruchsgeist geradezu gezüchtet. Die Sache müsse aber in Ordnung gebracht werden. Auch die Ärzte müßten einmal einsehen, daß man die Sache über die persönlichen Dinge stellen müsse.

Staatssekretär Dr. Ankermüller führt aus, er habe selten in einer Abteilung ein solches Nebeneinanderarbeiten und solche Intrigen erlebt, wie bei den Ärzten. Die Entnazifizierung müsse endlich einmal durchgeführt werden. Die wirklichen Nazis müßten entfernt werden; aber die Gesundheitsabteilung und die ärztliche Versorgung müsse weiterlaufen. Man müsse vor allem an die drohende Seuchengefahr denken.

Ministerpräsident Dr. Ehard schließt die Debatte ab, mit dem nochmaligen Hinweis, daß endlich eine Beruhigung eintreten müsse.26

[VI. Amtsbezeichnung des Bevollmächtigten Bayerns heim Länderrat]

Ministerpräsident Dr. Ehard beantragt, dem Bayerischen Bevollmächtigten beim Länderrat, Dr. Seelos,27 die Amtsbezeichnung Ministerialdirektor zu verleihen, ohne daß eine Änderung in seinen Gehaltsbezügen eintrete. Dr. Seelos werde nicht nur im Länderrat, sondern auch in bizonalen Räten exponiert. In diesen Gremien sei er der einzige Ministerialrat, die anderen seien Staatssekretäre oder mindestens Ministerialdirektoren.

Staatssekretär Dr. Müller hat Bedenken, da kein Gehalt ohne Titel und kein Titel ohne Gehalt verliehen werden könne. Allerdings sei eine ähnliche Regelung für Holzhausen in Berlin erfolgt.28 Wenn die Verleihung der Amtsbezeichnung nur für die Zeit der Tätigkeit als Bayerischer Bevollmächtigter erfolge, sei er einverstanden.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt abschließend fest, daß allgemeine Übereinstimmung dahin besteht, daß Dr. Seelos für die Dauer seiner Tätgkeit als Bayerischer Bevollmächtigter beim Länderrat die Amtsbezeichnung Ministerialdirektor führt.

[VII. Einstufung der Stellvertreter des Staatskommissars für das Flüchtlingswesen]

Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht darum, Vorschläge für die Einstufung der Herren Reitzner und Dr. Ziegler beim Staatskommissariat für das Flüchtlingswesen möglichst bald vorzulegen.29

[VIII. Arbeitsverpflichtungsgesetz]

Ministerpräsident Dr. Ehard tritt in die Behandlung zweier Gesetzentwürfe des Länderrats, nämlich eines Arbeitsverpflichtungsgesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes, ein.30 Beide Gesetze seien im Direktorium behandelt worden. Beim Arbeitsverpflichtungsgesetz seien insbesondere von der Justizseite her Bemängelungen ausgesprochen worden.31 Im Direktorium sei man nicht einig geworden. Hessen halte dieses Gesetz für notwendig, Württemberg-Baden und Bayern seien von dieser Notwendigkeit nicht überzeugt. Man habe sich auch nicht darüber einigen können, ob dieses Gesetz für die Zone einheitlich zu erlassen sei. Schließlich habe man festgelegt, daß die Kabinette sich zunächst damit befassen und die aufgeworfenen Fragen prüfen sollten. Er sei der Meinung, ohne dem Arbeitsminister vorgreifen zu wollen, daß man, wenn das Gesetz nicht eine absolut zwingende Notwendigkeit sei, ein solches Gesetz überhaupt nicht erlassen solle. Wenn man es aber erlassen müsse, dann als Landesgesetz durch den Landtag. Man solle versuchen, mit dem Kontrollratsbefehl Nr. 3 auszukommen32 und den Standpunkt einzunehmen, daß

1) ein solches Gesetz vorerst überhaupt nicht nötig sei,

2) daß es nicht zoneneinheitlich erlassen werden müsse,

3) daß auf jeden Fall eine Beschlußfassung des Landtags darüber herbeigeführt werden müsse.

Staatsminister Roßhaupter erklärt, dieses Gesetz stelle nichts anderes dar als Ausführungsbestimmungen zum Kontrollratsbefehl Nr. 3. Bisher sei man mit diesem Kontrollratsbefehl ausgekommen, das werde auch in Zukunft möglich sein. Die Arbeitsverpflichtung sei ein sehr zweischneidiges Schwert, auch die Amerikaner wünschten in der Regel nicht, daß von Arbeitsverpflichtungen Gebrauch gemacht werde.

Ministerpräsident Dr. Ehard weist auf einzelne bestrittene Bestimmungen des Entwurfes hin. So auf § 4, Buchstabe a), der mit dem Gesetz vom 5. März 1946 in Konflikt stehe, dann auf das Beschwerdeverfahren der §§ 15 ff. Wie stehe dieses Beschwerdeverfahren zum verwaltungsrechtlichen Schutz?33

Staatssekretär Krehle bemerkt, das Arbeitsverpflichtungsgesetz gehe insofern über den Kontrollratsbefehl Nr. 3 hinaus, als nach diesem Gesetz auch die sogenannte Umsetzung von in Arbeit stehenden Personen möglich sei. Die Amerikaner hätten erklärt, daß sie zu dieser Bestimmung niemals ihre Zustimmung geben würden. § 15 sei ursprünglich so gefaßt gewesen, daß die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung haben solle. Erst auf Einspruch der Amerikaner sei diese aufschiebende Wirkung eingebaut worden. Schon mit dem Kontrollratsbefehl Nr. 3 habe man keine guten Erfahrungen gemacht. Er bitte daher, diesem Entwurf nicht zuzustimmen. Wenn Hessen glaube, ein solches Gesetz zu brauchen, solle es ein solches erlassen. Die Gewerkschaften hätten sich auch stark gegen dieses Gesetz ausgesprochen. Die im Dritten Reich eingeführten Zwangsmaßnahmen solle man nicht fortführen.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt allgemeines Einverständnis dahin fest, daß dieses Gesetz überhaupt nicht nötig sei, auf keinen Fall zoneneinheitlich; wenn es erlassen werden sollte, müsse es inhaltlich noch in mehrfacher Beziehung überprüft und unter Einschaltung des Landtages erlassen werden.34

[IX. Schwerbeschädigtengesetz]

Ministerpräsident Dr. Ehard geht zur Behandlung des Gesetzes zur Änderung des Schwerbeschädigten-Gesetzes über.35 Hier sei die äußere Situation ähnlich. Man habe sich im Direktorium nicht ohne weiteres einigen können. Auch dieses Gesetz soll nicht als Zonengesetz ergehen, sondern durch die Landtage verabschiedet werden. In sachlicher Beziehung sei er hier aber anderer Meinung. Hier brauche man eine Gesetzesgrundlage, um die Unterbringung der Schwerbeschädigten sicherzustellen. Man könne sich sogar überlegen, ob es nicht zweckmäßig sei, dieses Gesetz auf Zonenbasis zu erlassen. Wenn es aber nicht unbedingt notwendig sei, solle man den Landtag nicht ausschalten. Inhaltlich werde man kaum etwas ändern können; praktisch handele es sich um den Prozentsatz an Schwerbeschädigten, der beschäftigt werden müsse. Gegen die vorgeschlagenen Prozentsätze von 10 und 8% werde eingewendet, daß sie zu hoch und deshalb untragbar seien. Man müsse aber die Leute doch unterbringen. Er schlage vor, folgenden Standpunkt einzunehmen: Dieses Gesetz wird für notwendig gehalten. Es soll aber nicht auf Zonenebene, sondern als Ländergesetz erlassen werden.

Hiermit herrscht allgemeines Einverständnis.36

[X. Amnestie für Fragebogenfälscher]

Ministerpräsident Dr. Ehard wirft die Frage auf, ob man nicht bei der Militär-Regierung ganz offiziell eine Amnestie für Fragebogenfälscher anregen solle.37

Staatssekretär Höltermann bemerkt, daß diese Angelegenheit bereits im Länderrat behandelt werde. Der Anstoß sei von Kamm gekommen; ein Antrag sei OMGUS bereits vorgelegt, mit einer Genehmigung sei wohl in Bälde zu rechnen.38

Ministerpräsident Dr. Ehard bezeichnet es aber als zweckmäßig, wenn die Angelegenheit von hier aus auch weiter verfolgt werde, am zweckmäßigsten vielleicht durch das Justizministerium.39

[XI. Steuern]

Ministerpräsident Dr. Ehard hält es für zweckmäßig, wenn man sich einmal mit der Frage der übermäßigen Steuern und einer Steuersenkung etwas näher befasse. Man solle die Frage durch Sachverständige prüfen und mit absolut positiven Vorschlägen an die Amerikaner herantreten. Er habe gehört, daß Vorarbeiten schon da seien.

Staatssekretär Dr. Müller erklärt, er habe bereits am 14. August 1946 einen ausführlichen Bericht gemacht und auch schon wiederholt persönlich verhandelt. Zur Zeit bestehe bei der Militärregierung keine Neigung zu einer Abänderung; sie lehne es aber auch nicht ab, in absehbarer Zeit dieser Sache näher zu treten. Er habe den Steuerreferenten beauftragt, Material zu sammeln, ebenso die Landeszentralbank. Die Steuer übe eine Saugwirkung auf die Substanz der Betriebe aus. Die Betriebe seien nicht mehr in der Lage, aus den Überschüssen Investierungen zu machen. Eine Ermäßigung der Steuersätze sei unbedingt erforderlich, er werde über diese Sache bei der Eröffnung der Landeszentralbank einige Worte sagen.40

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärte, Staatssekretär Dr. Müller könne bei dieser Gelegenheit sagen, der Ministerrat sei der Meinung, daß es notwendig sei, Material über die ungünstige Auswirkung der Steuern zusammenzutragen und allenfalls Änderungsvorschläge auszuarbeiten.

Staatssekretär Dr. Müller betont, daß über diesen Punkt immer noch sehr merkwürdige Ansichten bestehen. Er habe in einer Zeitung gelesen, die höheren Steuern seien ganz in Ordnung, die guten Verdiener hätten immer noch viel mehr übrig, als sie verbrauchen könnten. Dies sei eine vollständige Verkennung der volkswirtschaftlichen Aufgaben der nicht weggesteuerten Gewinne. Diese seien nicht zum Verbrauch, sondern zur Investierung bestimmt.

[XII. Gesetz zur Verhütung des Mißbrauchs ausländischer Liebesgaben]

Ministerpräsident Dr. Ehard führt aus, im August vorigen Jahres sei im Landtag41 ein Gesetz zur Verhütung des Mißbrauchs ausländischer Liebesgaben verabschiedet worden.42 Das Generalsekretariat habe es versäumt, die Landesdienststellen von der Genehmigung durch die Militärregierung zu unterrichten. Infolgedessen habe das Gesetz nicht mehr durch den Ministerpräsidenten erlassen werden können. Nachdem die Militärregierung neuerdings den Wunsch nach einem solchen Gesetz geäußert habe,43 müsse man den Entwurf nunmehr dem Landtag vorlegen. Vorher solle das Gesetz aber noch einmal dem Justizministerium zugeleitet werden, ob inhaltlich etwas einzuwenden sei. Über diesen Vorschlag herrscht allgemeines Einverständnis.44

[XIII. Vereidigung der Beamten der Bizonenverwaltungen]

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, die Postdirektion München lehne es ab, die Postbeamten als Zonenbeamte auf die Länderverfassungen vereidigen zu lassen. Es sei zwar richtig, daß die Postbeamten nicht dem Bayerischen Beamtengesetz unterliegen, also auch nicht den Beamteneid dieses Gesetzes zu leisten hätten. Die Vereidigung auf die Verfassung sei aber notwendig.45 Daran müsse man festhalten.

Staatssekretär Schuberth erklärt, in diesem Punkt könnten sich keine Schwierigkeiten ergeben.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt als übereinstimmende Meinung des Ministerrats fest, daß die Vereidigung der Postbeamten auf die Verfassung notwendig ist.

[XIV. Dankschreiben des Bischofs von Ermland]

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt ein Dankschreiben des Bischofs von Ermland bekannt, das zur Kenntnisnahme dient.46

[XV Waffenamt]

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, die Amerikaner hätten seiner Zeit verlangt, daß das Landeswaffenamt dem Ministerpräsidenten unmittelbar unterstellt werden müsse;47 nun verlangten sie, daß es einem Ressortministerium unterstellt werde und zwar dem Innenministerium. Die Änderung der Unterstellung solle bis zum 1. April 1947 verfügt sein.

Die Ermächtigung zu dieser Verfügung wird einstimmig erteilt.48

[XVI. Siedlung Neuheim am Römerweg bei Osterhofen]49

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt ein Protestschreiben der Gewerkschaften vom 22. März 1947 wegen der Flüchtlingssiedlung „Neuheim am Römerweg“ bekannt. Darin werde behauptet, Oberbaurat Schmidt des Arbeitsministeriums bemühe sich, das Projekt hinauszuschieben. Im letzten Ministerrat sei Staatssekretär Fischer beauftragt worden, sich zu diesem Projekt noch einmal gutachtlich zu äußern; er bitte darum, daß dies möglichst bald geschehe. Man müsse in dieser Sache vielleicht einmal ein Experiment wagen.50

[XVII. Gedächtnistafel für Kurt Eisner]51

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, der Stadtrat München habe einen von der KPD-Fraktion eingebrachten Antrag auf Wiederanbringung der Gedächtnistafel für Kurt Eisner52 vorgelegt, weil es sich um eine Angelegenheit der Staatsregierung handele.53 Nach seiner Meinung bestehe im Augenblick kein besonders dringendes Bedürfnis, eine Gedächtnistafel an einem schwerbeschädigten Gebäude anbringen zu lassen.54

Stellv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, Eisner sei immerhin Bayerischer Ministerpräsident gewesen, man müsse auch die unheilvollen Folgen dieses Mordes, der uns die Räterepublik und damit vielleicht auch den Nationalsozialismus und den Antisemitismus gebracht habe, bedenken. Es handele sich auch um einen Akt der Wiedergutmachung. Grundsätzlich sei er dafür, daß der Zustand von vor 1933 wieder hergestellt werde, allerdings sei er sich auch im Zweifel, ob man die Tafel an einem beschädigten Gebäude anbringen solle.

Nach kürzerer Debatte wird beschlossen, daß die Tafel, solange das Gebäude noch zerstört ist, nicht angebracht werden solle. Wenn das Gebäude wieder hergestellt ist, wird in Aussicht genommen, eine Tafel anzubringen.

[XVIII. Vorläufiges Abkommen über die Bildung eines Verwaltungsrates für das Personalwesen der gemeinsamen Verwaltungen des amerikanischen und britischen Besatzungsgebietes]

Ministerpräsident Dr. Ehard bringt das vorläufige Abkommen über die Bildung eines Verwaltungsrates für das Personalwesen der gemeinsamen Verwaltungen des amerikanischen und britischen Besatzungsgebietes in Vorlage.55 Dieser Verwaltungsrat habe sich nur mit den Personalangelegenheiten der gemeinsamen Verwaltungen zu befassen, vor allem mit den Post- und Eisenbahnbeamten und außerdem mit den Beamten der bizonalen Räte selbst. Besonders aufmerksam mache er auf die Formulierung in der Präambel, in der zum ersten Male die Vertreter der Ministerpräsidenten der Länder der britischen Zone genannt seien,56 während bisher nur Vertreter der Besatzungsbehörden tätig geworden seien. Der Länderrat habe sich mit diesem Entwurf schon in seiner internen Sitzung befaßt.57 Rechte der Länder seien auf den Verwaltungsrat nicht übertragen, Artikel 180 der Verfassung finde also keine Anwendung. Es handele sich auch um keinen Staatsvertrag im Sinne des Artikels 72 der Verfassung, sondern nur um Ausführungsbestimmungen zu den schon abgeschlossenen fünf Zweizonenabkommen.58 Der Landtag müsse deshalb nicht damit befaßt werden. Mit Rücksicht auf die Militärregierungs-Direktive vom 1. März 194759 werde dies wahrscheinlich auch gar nicht statthaft sein. Er halte es aber für notwendig, den Ministerrat mit dieser Sache zu befassen. Ministerpräsident Dr. Ehard verliest hierauf den Entwurf dieses Abkommens, als ganz besonders wichtig bezeichnet er Artikel 3. Es sei dringend notwendig, Einfluß auf die Beamten der bizonalen Verwaltungsämter zu bekommen, sowohl hinsichtlich ihrer Zahl, als auch ihrer Besoldung und ihrer Entnazifizierung.60 Die Frage, ob man ein solches Abkommen abschließen solle, oder nicht, solle man gar nicht mehr erörtern. Sie sei eingehend geprüft worden; ursprünglich habe sich Bayern dagegen gewehrt, dies sei aber falsch, man müsse sich einschalten. Zu Artikel 5 bemerkt Ministerpräsident Dr. Ehard, daß Bremen uns unter Umständen immer in die Minderheit bringen könne.61 Es sei aber ein Abkommen getroffen worden, daß Bremen in allen Fällen, in denen die süddeutschen Länder geschlossen stimmten, mit diesen stimmen werde.62 Dieses Abkommen solle auch schriftlich bestätigt werden. Eine andere Aufteilung der Abstimmung sei nicht zu erreichen gewesen. Die meisten Schwierigkeiten gebe es immer mit Hessen. Ministerpräsident Dr. Ehard stellt abschließend fest, daß mit diesem vorläufigen Abkommen allgemeines Einverständnis besteht.63

[XIX. Dienstzeitregelung am Karsamstag]64

Ministerpräsident Dr. Ehard erörtert die Regelung des Dienstes am Karsamstag. Es sei vorgeschlagen, nur einen Jourdienst einzurichten.

Gegen diesen Vorschlag wird kein Einspruch erhoben. Eine entsprechende Weisung soll vom Finanzministerium herausgegeben werden.

[XX. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Artikels 160 der Bayerischen Verfassung]65

Staatsminister Dr. Zorn beantragt, das Gesetz zur Durchführung des Artikels 160 der Verfassung am nächsten Mittwoch erst zu behandeln.

Ministerpräsident Dr. Ehard bemerkt hierzu, daß der Entwurf inzwischen einige Abänderungen erfahren habe. Bei Artikel 3 sei ihm aufgefallen, daß gegen die Verhängung von Geldbußen kein Rechtsmittel gegeben sei. Hier müsse doch noch eine Anrufung der Gerichte eingeschaltet werden. In Artikel 4 Absatz 1 Ziffer 2 sei nunmehr Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegeben. Hier bitte er doch noch das Verhältnis zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof zu prüfen. Sei es wirklich angezeigt, hier den Verfassungsgerichtshof einzuschalten? Man müsse sich einmal grundsätzlich darüber klar sein, welche Bedeutung der Verfassungsgerichtshof eigentlich habe. Er solle doch die oberste Instanz für Verfassungsfragen, die oberste richterliche Garantie für die Verfassung darstellen. Der Schutz des Einzelnen gegenüber einem Eingriff der Allgemeinheit sei seines Erachtens Sache der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Verfassungsgerichtshof könne noch bei der Verletzung von Grundrechten tätig werden, es sei aber unerträglich, wenn er individuelle Streitigkeiten entscheide. Man müsse entweder sagen, der Verfassungsgerichtshof entscheide endgültig unter Ausschluß jedes anderen Rechtsweges, oder den Verwaltungsgerichtshof einschalten und dann offen lassen, ob daneben der Verfassungsgerichtshof noch eine Zuständigkeit habe. Mit dieser Frage werde man sich noch öfters befassen müssen. Nach seiner Auffassung führe die uferlose Ausdehnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu einer Katastrophe.

Staatsminister Dr. Zorn erklärt, im Schreiben des Finanzministers an den Ministerpräsidenten vom 27. März 1947 stehe, daß eine Abstimmung über dieses Gesetz zwischen dem Finanz- und Wirtschaftsministerium stattgefunden habe.66 Das Gegenteil sei aber richtig. Die Vorschläge des Wirtschaftsministeriums seien unberücksichtigt geblieben. Er bitte, daß das Wirtschaftsministerium noch entsprechend eingeschaltet werde.

Staatssekretär Dr. Müller erwidert, ihm sei gesagt worden, sein Referent habe alles abgestimmt, er werde aber gleich das Notwendige veranlassen.

Ministerpräsident Dr. Ehard bittet die Kabinettsmitglieder, sich einmal die Frage zu überlegen, ob man zur Durchführung des Gesetzes einen Sonderbeauftragten ernennen solle, oder ob man diesen Auftrag nicht dem an und für sich zuständigen Staatssekretär für die Planung im Wirtschaftsministerium geben solle. Das Finanzministerium könne dabei entsprechend beteiligt werden.67

[XXI. Demokratische Entwicklung im kommunalen Bereich]

Ministerpräsident Dr. Ehard weist darauf hin, daß er mit steigender Besorgnis feststellen müsse, daß unsere Demokratie sich in eine Formaldemokratie verliere. An sich habe man eine sehr gesunde Gliederung in den demokratisch gewählten Körperschaften. Neben diesen entstünden aber immer neue Beiräte, Kommissionen, Ausschüsse usw.. Zur Begründung dieser Ausschüsse werde angeführt, daß die Selbstverwaltungskörperschaften politische Körperschaften seien. Wenn man aber einen Beirat konstruiere, setze man ihn wieder paritätisch aus den politischen Parteien zusammen. Diese Beiräte würden nicht gewählt, sondern von irgendeiner sonst unverantwortlichen Stelle ernannt. Dadurch werde die Selbstverwaltung zu Tode geritten, außerdem mache sich ein Mangel an eigener Initiative und Mut zur Verantwortung bemerkbar. Wenn man Ausschüsse bilden wolle, so könne man diese aus den eigenen Reihen bilden. Wenn man Sachverständige brauche, dann solle man solche mit beratender Stimme zuziehen. Wenn ein Beschluß gefaßt werden solle, der einen besonderen Berufsstand betreffe, dann möge sich die Körperschaft über den Landrat oder Regierungspräsidenten an diesen Berufsstand wenden und ihn zu einer entsprechenden Stellungnahme auffordern, dann die Sache aber selbst prüfen und entscheiden. Er bitte, diesen Dingen eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Gefahr sei sehr groß, daß durch unverantwortliche Beiräte die wirkliche Demokratie ausgehöhlt werde. Die demokratisch gewählten Leute müßten auch die Verantwortung übernehmen.

Staatssekretär Dr. Ankermüller teilt aus seiner Praxis68 mit, daß die Kreistage und Stadträte bereit seien, die Verantwortung zu übernehmen. Es werde aber immer wieder von höheren Stellen angeordnet, daß neue Beiräte zu ernennen seien. In der Praxis habe er sich so geholfen, daß er diese Beiräte aus den Kreistagsmitgliedern durch den Kreistag habe wählen lassen; soweit Sachverständige benötigt worden seien, habe er sie als Ratgeber beigezogen. Vielleicht könne der Ministerrat das Innenministerium ermächtigen, in diesem Sinne eine Entschließung zu erlassen.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, diese Entschließung müsse man auf jeden Fall dahin ergänzen, daß, soweit Berufsvertretungen beständen, diese auf jeden Fall gutachtlich zu hören seien. Vielleicht sei es aber besser, diese Weisungen nur bei mündlichen Besprechungen mitzuteilen, da sie sonst falsch verstanden werden könnten. Beiräte könnten nur als Sachverständige gutachtlich tätig werden, aber nicht als entscheidendes Gremium.

Staatsminister Dr. Zorn erklärt, die Beiräte in der Wirtschaftsverwaltung69 hätten keine beschließende, sondern nur begutachtende Funktion. Hier könne man die Berufsverbände nicht entbehren. Er wäre Staatssekretär Dr. Ankermüller dankbar, wenn dieser seine Entschließung mit dem Wirtschaftsministerium abstimmen wolle.

Staatssekretär Dr. Ankermüller erwidert, seine Ausführungen seien selbstverständlich dahin zu verstehen, daß die Verbände immer zu hören seien. Er wolle aber vermeiden, daß neben den Kreistagen Beiräte gebildet würden, welche die Entscheidung an sich zögen. Die Entschließung solle etwa so lauten, daß die Verantwortung bei den Selbstverwaltungskörperschaften liege, diese sollten die Möglichkeit haben, Sachverständige zuzuziehen. Beiräte sollten nicht aufgestellt werden, sondern die Auflage gemacht werden, im Einzelfall die Betroffenen zu hören.

Ministerpräsident Dr. Ehard fügt noch hinzu, daß vor allem die Berufsverbände zu hören seien, über diese Sache werde man voraussichtlich noch öfter sprechen müssen.

[XXII. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Artikels 160 der Bayerischen Verfassung]70

Staatssekretär Dr. Müller bemerkt noch zu dem Gesetz zur Durchführung des Artikels 160 der Verfassung, daß das Finanzministerium nicht daran gedacht habe, einen neuen Staatskommissar mit einem neuen Apparat aufzustellen. Die Angelegenheit sollte vom Referenten des Finanzministeriums, der die staatlichen Betriebe betreue, bearbeitet werden. Neue Kosten würden hierdurch nicht entstehen.71

[XXIII. Stellvertretende Staatssekretäre]

Ministerpräsident Dr. Ehard führt aus, es bestehe ein Bestreben, alle möglichen neuen Bezeichnungen einzuführen z.B. den Stellvertretenden Staatssekretär. Diesen gebe es aber nicht. Es könne zwar ein Beamter oder Beauftragter den Minister oder Staatssekretär vertreten, wenn beide nicht da seien, er sei aber keinesfalls Stellv. Staatssekretär.72

[XXIV. Erlaß von Gesetzen und Verordnungen]

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, im Januar 1947 habe man sich schon darüber unterhalten, wie man beim Erlaß von Gesetzen und Verordnungen vorgehen müsse.73 Dies funktioniere nun in manchen Beziehungen noch gar nicht. Es sei die Frage aufgeworfen worden, ob Ausführungsverordnungen zu Gesetzen, die vom Landtag erlassen und von der Militärregierung gebilligt seien und die eine Ermächtigung zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen für ein Ministerium enthielten, der Militärregierung vorzulegen seien. Die Militärregierung verlange die Vorlage.74 Verordnungen, die Verpflichtungen für die Allgemeinheit enthielten, müsse man auch vorlegen, lediglich interne Dienstanweisungen nicht. Ob die Militärregierung ihren Standpunkt ändere, wisse er nicht, vorerst müsse man sich dem fügen, auch Ministerialrat Schieckel des Arbeitsministeriums.75 Ministerialrat Schieckel habe auch den Standpunkt eingenommen, wenn das Arbeitsministerium die Möglichkeit habe, eine Verordnung zu erlassen, gehe das sonst niemand etwas an, die Staatskanzlei müsse diese Verordnung einfach veröffentlichen; so gehe das aber nicht. Es sei vereinbart, daß mindestens das Justizministerium beteiligt werden müsse, weiter müsse auch die Staatskanzlei zugezogen werden.76 Es gehe auch nicht, daß eine Verordnung, die in sich völlig unverständlich sei, übersandt werde, ohne daß eine Begründung hinzugefügt sei.77 Das Justizministerium und die Staatskanzlei müsse zwar nicht von Anweisungen an unterstellte Behörden, aber von allen Ausführungsverordnungen verständigt werden. Auch die anderen Ministerien müßten beteiligt werden, in deren Ressort die Dinge eingriffen. Er habe z.B. eine Verordnung über Rückgriffsansprüche der Versicherungsträger vorliegen, bei der das Finanz- und Innenministerium beteiligt seien.78 Auch die Frage, ob hier überhaupt eine Verordnung ausreiche, sei nicht ganz zweifelsfrei. Er habe daher diese Verordnung aufgefangen, damit eine ordnungsgemäße Behandlung ermöglicht werde. Zu seinem Staunen habe er weiter sehen müssen, daß das Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte im Amtsblatt des Arbeitsministeriums veröffentlicht worden sei,79 noch bevor er es ausgefertigt habe. Es habe zwar etwas lange gedauert, bis die Originalbeschlüsse des Landtags80 zu ihm gekommen seien, inzwischen habe Schieckel das Gesetz veröffentlicht. Im selben Amtsblatt sei eine Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz erschienen, von der vorher niemand etwas erfahren habe und prompt seien auch Änderungen von Seiten der Amerikaner verlangt worden. Solche Dinge müsse man verhüten. Die Zuständigkeitsvorschriften müßten eingehalten werden. Er wisse, daß der Minister und der Staatssekretär diese Wege einhielten, die Referenten täten es aber nicht immer, er bitte daher, diese noch einmal darauf aufmerksam zu machen.

Staatssekretär Krehle meint, das sei dadurch gekommen, weil der Landtag im Anfang seine Beschlüsse an die einzelnen Ministerien geschickt habe.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, er habe eine Änderung in der Zwischenzeit veranlaßt. Von einem Referenten müsse er aber verlangen, daß er wisse, was bei der Veröffentlichung eines Gesetzes zu beachten sei. Eine ähnliche Sache sei im Wirtschaftsministerium passiert. Dort sei eine Verordnung über den Bezug von Rohtabak und Tabakwaren erlassen und der Staatskanzlei81 übersandt worden, gleichzeitig sei vom Wirtschaftsministerium die Veröffentlichung in Presse und Rundfunk veranlaßt worden.82 Eine Genehmigung der Militärregierung liege nicht vor, andere Ministerien seien nicht zugezogen worden. Er sage das nicht um zu kritisieren, sondern weil er befürchte, daß eines Tages unangenehme Dinge passieren könnten, einmal auf deutscher Seite durch den Verwaltungsgerichtshof, Verfassungsgerichtshof oder den Landtag, auf der anderen Seite durch die Militärregierung. Wir hätten keine Referentenrepubliken, sondern verantwortliche Minister und Staatssekretäre. Für Zweifelsfragen stehe immer das Justizministerium zur Verfügung.

Staatsminister Roßhaupter meint, es solle eine entsprechene Entschließung erlassen werden.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, dies sei bereits am 23. Januar 1947 geschehen,83 er bitte, dieser Sache besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

[XXV. Spruchkammerverfahren gegen den Innenminister]

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, er habe gehört, daß gegen den Innenminister ein Spruchkammerverfahren eingeleitet worden sei. Er wisse zwar nicht, ob dies richtig sei, er wisse auch nicht, ob der Innenminister selber davon Kenntnis habe, er müsse aber schon sagen, wenn gegen ein Kabinettsmitglied irgendein Verfahren beabsichtigt sei, müsse ihm (dem Ministerpräsidenten) das in der nächsten Stunde mitgeteilt werden.

Staatsminister Loritz erklärt, er wisse von dieser Sache auch nichts.

Ministerpräsident Dr. Ehard fährt fort, die Außenstellen müßten sich daran gewöhnen, sofort zu berichten. Im Justizministerium bestehe eine solche Anweisung, er bitte, daß dies auch von den übrigen Ministerien veranlaßt werde.84

[XXVI. Benzinzuteilung für die Parteien]

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, es liege ein Gesuch der SPD und KPD über Benzinzuteilung vor. Die monatliche Zuteilung von 1000 1 genüge nicht, verlangt würden 8000 1. 1000 1 seien wohl zu wenig, 8000 1, das sei aber etwas stark vorgeboten.

Staatssekretär Dr. Müller bezeichnet jeden Liter Benzin als eine Vorbelastung für die neue Währung.

Ministerpräsident Dr. Ehard schlägt abschließend vor, daß er das Wirtschaftsministerium um gutachtliche Äußerung bitte, was verantwortet werden könne, mit dem Beifügen, daß es der Wunsch des Ministerrats sei, den Parteien entgegenzukommen. Zunächst müsse man aber einmal feststellen, was überhaupt verantwortet werden könne. Mit diesem Vorschlag herrscht allgemeines Einverständnis.

[XXVII. Hausbrandversorgung]

Ministerpräsident Dr. Ehard kommt auf die Hausbrandversorgung zu sprechen. Der Landtag habe einen Beschluß gefaßt und wolle über die getroffenen Maßnahmen innerhalb von 2 Monaten Bericht haben.85 Das Landwirtschaftsministerium habe nun mitgeteilt, daß das Holz für den Winter 1946/1947 noch nicht ganz aufgearbeitet sei. Dadurch sei der Nutzholzeinschlag ins Stocken geraten. Mit der Versorgung für den Winter 1947/1948 könne man vor Juni 1947 nicht beginnen. Gegen den Holzeinschlag würden überhaupt Bedenken erhoben, man solle versuchen, wenigstens für die Großstädte Kohle zu bekommen. Aus einer Besprechung zwischen Dietrich und Agartz gehe hervor, daß das Holz auch für die britische Zone sehr stark in Anspruch genommen werde. Wenn dies so weitergehe und die britische Zone es verstehe, ihre Statistiken weiter so zu ihren Gunsten aufzustellen, werde man noch sehr unangenehme Überraschungen erleben.

Staatsminister Dr. Zorn erklärt, zu der Landtagsinterpellation werde er in den nächsten Tagen dem Ministerpräsidenten ein längeres Schreiben schikken. In Minden sei die Frage der Kohlenversorgung besprochen worden. Es solle pro Kopf der Bevölkerung angestrebt werden, 6 Ztr. Steinkohle zu liefern. Wenn dies durchgeführt werde, bleibe für die industrielle Versorgung nur ein ganz kleiner Teil übrig. Dadurch entstehe eine außerordentlich prekäre Lage, es sei deshalb angeregt worden, bei der Militärregierung vorstellig zu werden, um das Kohlenexportprogramm zu reduzieren. Eine Kohlenzuteilung an die Industrie sei sinnlos, wenn man der Bevölkerung keine Kohle zuteilen könne, sonst würden die Industriekohlen nur gestohlen.

Staatssekretär Fischer führt aus, im Ausschuß für Bauwesen sei mitgeteilt worden, im Ruhrgebiet würden monatlich 5,7 Millionen to gefördert. Hiervon brauchten die Zechen für ihren eigenen Bedarf und für Deputatskohlen 1,1 Millionen to, für den Export 1,1 Mill, to, für die Armee 300000 to, für Hausbrand 1,1 Mill, to, für die Reichsbahn 800000 to, für den öffentlichen Kleinbedarf 250000 to, für die Versorgungsbetriebe 500000 to, für die gesamte Industrie 550000 to. Unter diesen Umständen brauche man mit der Industrie gar nicht mehr anzufangen.

Staatssekretär Geiger bemerkt hierzu, der Eigenverbrauch der Zechen komme zum großen Teil als Koks wieder hervor.

Staatsminister Dr. Zorn erklärt, die Deputate der Bergarbeiter würden eingehend nachgeprüft werden, ebenso der Verbrauch der Reichsbahn.

[XXVIII. Stellung der Flüchtlingskommissare]86

Ministerpräsident Dr. Ehard führt aus, die Flüchtlingskommissare sollten doch der inneren Verwaltung eingegliedert und dem Landrat unterstellt werden. Zugleich sollten sie auch Wohnungskommissare sein, so daß Flüchtlings- und Wohnungskommissar dieselbe Person sei. Auf der Ebene des Regierungspräsidenten sei der gleiche Zustand. Gegen diese Regelung werde von den verschiedensten Seiten sehr vieles vorgebracht. Er müsse auch sagen, daß diese Regelung auf die Dauer wohl nicht ganz glücklich sei. Die ganze Angelegenheit liege doch auch auf der Ebene des Kreistages und der Stadträte. Praktisch sei es nun so, daß diese Körperschaften den Flüchtlingskommissar als Wohnungskommissar hinnehmen müßten, dieser diktiere dann, was zu geschehen habe. Dadurch entständen weitere Schwierigkeiten.

Staatssekretär87 Jaenicke erwidert, der Flüchtlingskommissar unterstehe dem Stadtrat und dem Landrat.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt hierzu, er unterstehe ihnen wohl, werde ihnen aber aufgezwungen. Dadurch entstehe eine für beide Seiten ungünstige Stimmung. Außerdem habe er noch eine weitere Sache: Das Arbeitsministerium habe den Regierungskommissar für das Flüchtlingswesen in München, der die Wohungsbewirtschaftung bei der Regierung übernehmen solle, gleichzeitig zum Leiter des Landessiedlungsamtes ernannt.88 Es werde dagegen eingewendet, daß das Innenministerium vorher nicht gefragt worden sei, und darauf hingewiesen, daß es kaum möglich sei, diese beiden Tätigkeiten einer Person zu überantworten. Er bitte darum, daß die beteiligten Ministerien sich über diese Sache noch einmal unterhielten. Die Zusammenkoppelung des Flüchtlings- und Wohnungskommissars solle noch einmal überprüft werden, ebenso die Betrauung des Regierungsflüchtlingskommissars mit der Leitung des Landessiedlungsamtes. Vielleicht könne man doch noch eine Lösung finden.89

Staatssekretär Dr. Ankermüller erwidert, eine Besprechung sei bereits für Montag vorgesehen, er bitte den Herrn Ministerpräsidenten, sich für diese zur Verfügung zu stellen.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärte sich hiermit einverstanden.90

[XXIX. Würzburg]

Ministerpräsident Dr. Ehard führt aus, es seien neuerdings bewegliche Klagen aus Würzburg gekommen; Würzburg hätte gern bald die versprochene Kommission gesehen.91

Staatssekretär Fischer erwidert, er habe bereits an die Regierung und an den Oberbürgermeister geschrieben, damit ihm die entsprechenden Bauobjekte benannt würden.92

[XXX. Deutsches Büro für Friedensfragen]

Staatsminister Dr. Pfeiffer berichtet über das Friedensbüro. Es sei geplant gewesen, ein gemeinsames Büro für die britische und amerikanische Zone zu errichten.93 Die Militärregierung habe jedoch die Zustimmung zu einem bizonalen Büro nicht gegeben, habe aber keine Bedenken, wenn für die amerikanische Zone die Sache gemacht und eine Querverbindung mit einer entsprechenden Einrichtung in der britischen Zone geschaffen werde. Man habe nun die Organisation für ein Friedensbüro in Stuttgart vorbereitet. Die Verhältnisse seien besonders schwierig, weil man weder ein Auswärtiges Amt noch Archive oder Bibliotheken habe und auch eine große Zahl von Personen wegen ihrer politischen Belastung nicht hineingenommen werden könne. Wenn man die Geschäftsstelle in Stuttgart noch so klein halte, käme man trotzdem auf einen Apparat von etwa 40 Personen. Die Räume würden von der Stadt Stuttgart zur Verfügung gestellt. Es werde vorgeschlagen, daß die Kabinette damit einverstanden sein sollten, daß die Ministerpräsidenten über die Errichtung dieses Büros eine Vereinbarung treffen sollten. Es solle sich nicht um eine Länderratssache im engsten Sinne handeln, weil dann eine Erweiterung durch den Zutritt von anderen Zonen einfacher sei. Der Jahresaufwand betrage etwa RM 600000.-, der auf die Länder umgelegt werden solle. Mit der vorgeschlagenen Personenzahl könne man nur auskommen, wenn eine Reihe von Aufgaben im Auftragswege nach auswärts gegeben würden. Nach dem, was er aus den 4 Zonen gehört habe, müsse er feststellen, daß in Bayern auf diesem Gebiet sehr viel vorgearbeitet worden sei. Bei den schwierigen staatsrechtlichen Verhältnissen Deutschlands94 müßten wir unser Vertrauen auf unsere eigene Arbeit legen. Wir müßten also, unabhängig von diesem Büro, uns selbst möglichst klare Erkenntnisse zu verschaffen versuchen. Vor allem hätten wir ein besonderes Interesse daran, daß Bayern maßgeblicher Gesprächspartner für Verfassungsfragen sei, daß also der Referent bei uns sitze.95 Nach Ostern werde er dem Ministerrat einen Plan vorlegen über die Friedensarbeit, wie sie von Bayern aus geschehen solle. Man müsse sich Leute und einen Arbeitsstab schaffen und dabei daran denken, daß in einigen Jahren wieder ein diplomatischer Dienst des Bundesstaates kommen werde, dann sei es von großer Wichtigkeit, daß bei der Besetzung von außenpolitischen Positionen Bayern mindestens ein Vorschlagsrecht habe und seine Leute auf diese Stellen entsenden könne. Aus diesen Gesichtspunkten heraus werde er den Plan für den Aufbau dieser Abteilung unterbreiten.96 Heute sei es nur notwendig, daß der Ministerrat seine Zustimmung zum Abschluß der Vereinbarung über das Büro in Stuttgart gebe. Die Arbeit dränge, man müsse sofort damit anfangen. Bezüglich der Reparationsfrage müsse man z.B. an die 100000e von Requisitionsscheinen denken, die Milliardenbeträge darstellten. Man müsse auch daran denken, was die Heimatlosen schon hätten zurücklassen müssen. Auch den Wert der verlorenen Gebiete, der Patente, Firmenrechte, Auslandsguthaben usw. müsse man sorgfältig feststellen. Die Theorie der Kollektivschuld97 müsse ebenfalls bearbeitet werden und zwar vom völkerrechtlichen Standpunkt aus. Man müsse hier auch eine Gegenrechnung aufmachen. Nachdem Bayern nunmehr auch ein ausgesprochenes Grenzland sei, sei es unsere Pflicht, nicht nur Beiträge für das Friedensbüro zu liefern, sondern uns zu jeder Zeit selbst ein Bild von der Lage machen zu können.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß mit dem Antrag allgemeines Einverständnis besteht.98

[XXXI. Stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats für Wirtschaft]99

Staatsminister Dr. Zorn berichtet über die Wahl des Stellvertretenden Vorsitzenden des Verwaltungsrats für Wirtschaft in Minden.100 Anläßlich der Wahl von Dr. Agartz zum Vorsitzenden habe er mit einigen Wirtschaftsministern der US- und britischen Zone Fühlung genommen dahingehend, daß sie, mit Rücksicht darauf, daß Dr. Agartz Norddeutscher sei, ihre Stimme einem Bayern als Stellvertreter geben würden. Eine Unterstützung sei ihm seiner Zeit zugesichert worden. Bayern habe daraufhin in erster Linie Dr. Seidel vorgeschlagen, in zweiter Linie Dr. Stölzl. In der letzten Sitzung sei aber Dr. Seidel mit allen Stimmen gegen die seine abgelehnt worden,101 dann auch Dr. Stölzl102 mit allen Stimmen gegen die seine und gegen die Stimme Bremens. Es habe zwar Neigung bestanden, Dr. Stölzl zu wählen, da aber gegen ihn ein Spruchkammerverfahren schwebe, von dem nicht abzusehen sei, wie lange es dauere, habe man davon abgesehen. Die anderen Minister hätten geglaubt, nicht länger warten zu können, das Amt in Minden schwimme und Dr. Agartz sei nicht in der Lage, es durchzuorganisieren. Auch der Vorschlag, Ministerialdirektor Kaufmann103 aus Württemberg zu wählen, sei abgelehnt worden. Von Hamburg sei dann der Generaldirektor der BEWAG104 Dr. Strassmann105 vorgeschlagen worden, der mit sämtlichen Stimmen gegen die seine gewählt worden sei.106 Nun habe man an sich das Recht, ein Veto einzulegen, es frage sich aber, ob man von diesem Recht Gebrauch machen solle. Wenn man diese Waffe bei einer solchen Sache gebrauche, werde sie etwas stumpf. Auch die Amerikaner und Engländer hätten keine Aussicht gemacht, daß dem Veto ein Erfolg beschieden sein würde. Er sei dafür, hier auf das Veto zu verzichten und nur bei wirklich wichtigen Angelegenheiten diese Waffe zu gebrauchen. Das Amt von Minden habe dadurch an Wichtigkeit eingebüßt, da es nur mehr ein gutachtliches Gremium sei,107 andererseits sei eine dringende Notwendigkeit, daß ein Stellvertreter für Dr. Agartz bestimmt werde, da es sonst vollkommen ausgehöhlt werde. Jeder Referent habe für sich eine kleine Republik aufgemacht. Von einer Zusammenarbeit könne kaum noch eine Rede sein.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, man könne diesen Bericht nur entgegennehmen. Ein Veto habe keine Aussicht auf Erfolg. Eine Änderung sei ja tatsächlich insofern eingetreten, weil absolut klar ausgesprochen sei, daß die bizonalen Ämter keine Rechtssetzungsbefugnis und auch kein Weisungsrecht an die einzelnen Ämter der Länder hätten. Es sei bedauerlich, daß dieses Gentleman-agreement nicht eingehalten worden sei und die von uns Vorgeschlagenen in eine unangenehme Stellung gekommen seien. Immerhin glaube er, daß der Stellvertreter keine so ausschlaggebende Persönlichkeit mehr sei. Man müsse vielmehr danach streben, diesen Verwaltungsräten eine Verfassung zu geben, die es uns ermögliche, nachdrücklich unsere Interessen zu wahren. Zweckmäßigerweise müsse man den Referentenausschüssen eine andere Gestalt geben. Wenn damit Einverständnis herrsche, werde er dem Wirtschaftsminister in diesem Sinne schreiben.108

Das Einverständnis wird einstimmig erteilt.

[XXXII. Ernährungslage]

Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, über die Ernährungslage zu berichten.109 Im Laufe der nächsten Monate werde diese uns sehr ernste Sorge machen. Wir müßten nach außen eine Verantwortung übernehmen, die wir nicht tragen könnten und auch nicht zu tragen bräuchten.

Staatsminister Dr. Baumgartner führt aus, die Brotversorgung Bayerns sei nicht gesichert. Es sei die gleiche Situation entstanden wie im letzten Jahre. Auch heuer seien wir gezwungen worden, auf 12000 g zu gehen, jetzt müßten wir auf 6000 g herunter und könnten diese wahrscheinlich nicht halten, weil die versprochenen Importe nicht eingetroffen seien. Dies liege zum Teil an den Transportschwierigkeiten, zum Teil daran, daß die Schwierigkeiten im Ruhrgebiet noch größer seien als bei uns. Bei der Fleischversorgung sei es so, daß wir in Bayern 31000 Stück Vieh bräuchten und 35 000 Stück Vieh liefern müßten. Diese Lieferungen könnten wir unter keinen Umständen auf die Dauer durchhalten. Das Gleiche gelte für die Fettversorgung Bayerns. Bayern müsse für Lieferungen 7000 to aufbringen, während wir selbst für uns nur 4000 to hätten. Bei Kartoffeln würden Forderungen erhoben, die wir tatsächlich nicht erfüllen könnten, weil sie von Ernteschätzungen ausgingen, die sich nicht erfüllt hätten. Die Lage habe sich so verschlechtert durch den Anschluß der britischen Zone. Wir müßten dauernd immer mehr liefern und unsere Rationen senken. Er bitte, daß der Ministerrat den Ministerpräsidenten ersuche, sich bezüglich der Brotversorgung an General Muller zu wenden, daß wir unsere Importe genau so bekämen, wie die anderen Gebiete. Er bitte weiter zu erwägen, ob man diese Tatsachen nicht auch zur Aufklärung der bayerischen Bevölkerung bekanntgeben wolle, Oberst Quarles sei damit einverstanden.

Ministerpräsident Dr. Ehard bezeichnet die Sache als ein sehr ernstes Problem. Man müsse auch der Öffentlichkeit gegenüber den Amerikanern die Verantwortung zuschieben. Wir hätten das zwar schon getan, in der Öffentlichkeit sei dies aber nicht weiter in Erscheinung getreten. Uns werde nur gesagt, wir hätten in Berlin so und soviel Rückstände, diese müßten geliefert werden, gleichgültig, wie wir sie beibrächten. Als der Landwirtschaftsminister zur Abdeckung eines Rückstandes 500000 Dosen Fleisch angeboten habe, weil die Lieferung von Vieh technisch nicht möglich gewesen sei, habe es einen Kampf gekostet, bis diese Dosen überhaupt hätten geliefert werden dürfen und angerechnet worden seien. Der Ernährungsrat beider Zonen habe am 25. Februar 1947 verfügt, daß Berlin 965 t Fleisch zu erhalten habe. Am 4.3. sei diese Menge plötzlich um 1045 t erhöht worden. Er habe den Eindruck von der britischen Zone, daß man von dort aus aus Bayern herauspressen wolle, was herauszupressen sei, weil man das Bestreben habe, die Pleite, die dort heute bereits vorhanden zu sein scheine, noch um einige Monate zu verschleiern. Dort betreibe man eine Katastrophenpolitik; beim Punktsystem110 sei es ähnlich, auch dieses werde man nicht halten können.

Staatsminister Dr. Baumgartner teilt hierzu ergänzend mit, er sei daran, die Beweise zu erhalten, daß die Bilanz der britischen Zone nicht stimme. 1938 seien dort 166000 t Butter erzeugt worden, jetzt werde nur die Hälfte angegeben.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, wir hätten schon wiederholt auf diese Statistiken hingewiesen. In Bayern würden diese mit geradezu sadistischer Akribie ausgearbeitet, die anderen seien da großzügiger.

Staatssekretär Geiger erklärt, auf dem Ernährungssektor seien wir verpflichtet, die Rückstände nachzuliefern, uns würden aber die Rückstände auf den anderen Gebieten nicht nachgeliefert, z.B. die Kohle. Im Ruhrgebiet lägen 2 1/2 Mill. to Kohle auf Halde. Da die Rückstände uns nicht nachgeliefert würden, habe der Kontrollrat bereits auf die eigentlich Bayern gehörende Kohle die Hand gelegt. Ähnlich sei es bei Eisen. Von den 300000 to Rückständen sei es endlich gelungen, 65 000 to noch zu erhalten. Die anderen verträten den Grundsatz, was nicht geliefert werden könne, sei mit Monatsende verfallen.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß er einen ihm von Staatsminister Dr. Baumgartner in dieser Angelegenheit übermittelten Brief mit einem Begleitschreiben an General Muller weiterschicken werde. Er bitte hierzu um absolut zuverlässige Feststellung von Seiten des Wirtschaftsministeriums, daß auch Rückstände der anderen Zonen vorhanden seien, daß sich aber niemand bemühe, diese Rückstände zu erfüllen.

Staatssekretär Geiger sichert die Erledigung zu.

[XXXIII. Oberschule in Fürth]

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, seiner Zeit sei ein großer Protest des Oberbürgermeisters von Fürth111 losgelassen worden wegen der Belegung der Oberschule von Fürth durch Insassen des Internierungslagers Langwasser.112 Nun habe er einen Bericht vom Sonderministerium bekommen, in dem stehe, daß anläßlich einer Besprechung der Oberbürgermeister mitgeteilt habe, daß die besondere Initiative beim Landtag und beim Ministerrat keineswegs so sehr sachlich begründet gewesen sei, als vielmehr in dem Interesse des Oberstudiendirektors, wieder in den Besitz seiner Wohnung zu kommen. Zunächst seien also die Angriffe in der heftigsten Form gekommen, nun heiße es auf einmal, die Sache sei gar nicht so schlimm, es handele sich nur um die Dienstwohnung; er gebe davon Kenntnis, müsse aber schon sagen, daß dies eine recht merkwürdige Art sei.

Staatsminister Loritz bemerkt hierzu, ihm sei die Sache zunächst völlig unglaubwürdig erschienen, er habe deshalb weitere Erhebungen gepflogen, es schienen tatsächlich solche Wünsche mitgespielt zu haben. Am 5. 4. 1947 werde die Schule geräumt sein, dann könnten sich die Fürther darüber untereinander streiten.113

[XXXIV. Enteignung von Grundstücken zugunsten der Überlandwerke Mainfranken]

Ministerpräsident Dr. Ehard führt aus, es liege ein Antrag des Staatsministeriums des Innern auf Enteignung von zwei Grundstücken zu Gunsten der Überlandwerke Mainfranken vor. Man werde das wohl machen müssen, die Bauarbeiten seien schon aufgenommen. Die Schwierigkeit bestehe hier wohl darin, daß die Leute das schlechte Geld nicht nehmen wollten. Vielleicht könne man die Zahlung noch etwas hinausziehen. Dies sei zwar auch nicht unbedenklich, wenn die Sache aber zwangsweise gemacht würde, werde es ohnehin noch eine Zeit dauern. Die Staatsregierung werde also beschließen müssen, daß die Enteignung zulässig sei, vielleicht könne man hinzufügen, daß über die Entschädigung eine gütliche Einigung mit den Beteiligten herbeigeführt werden solle.

Dieser Beschluß wird einstimmig erlassen.

[XXXV. Reisekostenvergütung für die Mitglieder der Staatsregierung]

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, daß die Verordnung über die Reisekostenvergütung für die Mitglieder der Staatsregierung erst am nächsten Mittwoch behandelt werden solle. Hiermit herrscht Einverständnis.114

[XXXVI. Spruchkammerverfahren gegen den Innenminister]115

Staatsminister Loritz teilt mit, soeben sei der Vorsitzende der Spruchkammer 6 da gewesen und habe berichtet, es sei eine glatte Lüge, daß gegen den Innenminister irgendein Verfahren eingeleitet oder auch nur Ermittlungen vorgenommen würden. Der öffentliche Kläger der Spruchkammer 6 sei selbst Mitglied der SPD, es handle sich hier offenbar um eine bewußte Falschmeldung.

[XXXVII. Akteneinsicht bei den Spruchkammern]116

Ministerpräsident Dr. Ehard fragt, wie es nun mit der Akteneinsicht bei den Spruchkammern stehe. Ihm sei gesagt worden, es liege hier ein Übersetzungsfehler vor, es seien mit dem Verbot der Einsicht nur die Akten des öffentlichen Klägers gemeint gewesen, nicht die der Spruchkammer.117

Staatsminister Loritz erwidert, bisher habe man nur darum gestritten, ob nach Zustellung der Klageschrift der Verteidiger und Betroffene Akteneinsicht habe. An eine vorherige Akteneinsicht habe niemand gedacht. Die Militärregierung habe den Standpunkt vertreten, die Akten seien Akten des Klägers, auch wenn sie der Spruchkammer zugeleitet seien. Nun sei im Verfolge eines Rückzugsgefechtes die Sache so gemacht worden, daß sie so entschieden worden sei, wie wir es alle gewollt hätten. Von dem Moment an, wo die Akten vom Kläger dem Spruchkammervorsitzenden zugeleitet würden, dürften sie eingesehen werden. Das sei die endgültige Weisung des Generals.118 Es bestehe kein Zweifel, daß es sich nicht um einen Übersetzungsfehler gehandelt habe, sondern daß die Amerikaner in der Sache selbst zurückgewichen seien.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß man das hinnehmen solle, ohne darüber zu reden.

[XXXVIII. Entnazifizierung]

Staatsminister Loritz berichtet über den sogenannten Ingolstädter Versuch. Staatssekretär Höltermann habe der Militärregierung ein Verfahren vorgeschlagen, um bezüglich der Mitläufer rascher durchzukommen.119 Bis jetzt seien die Arbeitsblätter von den Spruchkammern hinausgeschickt [worden] und sehr langsam zurückgekommen. Nunmehr habe man die Sache umgedreht und fordere die Stellen auf zu sagen, welche Leute wirkliche Nazis seien. Was nicht zurückkomme, seien harmlose Leute, die rasch behandelt werden könnten. Dieser Gedanke sei auf den ersten Blick bestechend, habe aber bei näherem Zusehen einige Haken. Diese seien einmal psychologischer Art: Wenn der betreffende Betrieb, die Behörde usw. aufgefordert werde, diejenigen zu melden, die sie für wirkliche Nazis hielten, sei die Gefahr einer Verschiebung zu Gunsten oder zu Ungunsten außerordentlich groß. Das Schlimmste sei aber, daß beim Hauptbeteiligten, nämlich der Special Branch, von vornherein Widerwillen bestanden habe, hier mit zu machen. Diese bestehe darauf, wieder die Liste von uns zu bekommen, dann werde erst gesagt, wer von dort aus als Nazi betrachtet werde. Dabei blieben in ganz Ingolstadt nur 350 Leute übrig, die nicht von der Militärregierung beanstandet wurden.120 Damit sei dieser Versuch so gut wie völlig mißglückt. In Wirklichkeit gebe es mehr als 350 Mitläufer in Ingolstadt. Die Gefahr sei riesengroß, daß die Militärregierung auf diese Weise die Klasse 2 sehr erweitere. Dieses System werde zwar bei den 350 Leuten eine große Freude auslösen, die anderen seien aber umsomehr betroffen, wenn man ihnen sagen müsse, daß sie von der Militärregierung nicht für Mitläufer gehalten würden. Man solle nicht den örtlichen deutschen Investigatoren die Möglichkeit geben, die Zahl der von der Militärregierung Beanstandeten noch zu erhöhen. Es ergebe sich noch eine weitere Schwierigkeit. Staatssekretär Höltermann meine, wenn man auf diese Art die Mitläufer herausgesucht habe, könne man ihnen einen nach dem Jahreseinkommen gestaffelten Sühnebescheid schicken. Nach seiner Ansicht aber müsse man nicht nur nach dem Einkommen, sondern auch nach der Schuld staffeln. Es handle sich doch hier um die Harmlosesten der Harmlosen, die nicht einmal von der Militärregierung beanstandet würden. Er wolle dies nicht allein machen, sondern die Sache dem Ministerrat vorlegen. Es drehe sich darum, ob man sich unter diesen Umständen überhaupt auf den Ingolstädter Versuch einlassen solle. Die Militärregierung bezeichne ihn heute als richtig, weil sie auf diese Weise die Abänderung verschiedener Bestimmungen des Befreiungsgesetzes, die kommen würden und kommen müßten, abzudrehen versuche. Diese Änderung solle man nicht um einige Monate hinausschieben, indem man es so hinstelle, als ob man ohne sie auskommen würde. Die Klasse 2 müsse aufgespalten werden. Dies sei uns in Stuttgart ja bereits zugesagt worden.121 Dorn habe es auch unterschrieben, dann sei ein Brief von OMGUS gekommen, daß man diese Änderungen nicht brauche, weil man hoffe, mit verwaltungstechnischen Maßnahmen zum gleichen Ziel zu kommen. Heute wisse er, welcher Art diese Maßnahmen sein sollten. Wenn man so viele Leute rascher behandeln könne, wie sie es verdienten, wären wir zufrieden. Dies sei aber nicht der Fall, deswegen habe er die größten Bedenken gegen den Ingolstädter Versuch. Durch die 350 Leute sei die Zahl der Mitläufer nicht so wesentlich reduziert, wie wir es bräuchten. Wir können nicht mehr so lange warten, bis alle durch die Spruchkammer durchgeschleust seien. Man müsse der Militärregierung sagen, daß sie uns alle Mitläufer freigeben solle, durch eine Abänderung des Artikels 58.122 Das Rückströmen der Arbeitsblätter müßten wir in Form eines Gesetzes beschleunigen, das sich an alle deutschen Dienststellen richte. Auf die wichtigste Stelle, die Militärregierung, hätten wir aber gar keinen Einfluß. Die Enttäuschung der Bevölkerung über diesen Versuch werde ganz enorm sein. Die Klasse 2 dürfe nicht noch ausgedehnt werden durch die Gruppe der Mitläufer, die von der Militärregierung beanstandet werden.

Ministerpräsident Dr. Ehard vertritt die Meinung, daß im Augenblick dieser Bericht nur entgegengenommen werden könne. Durch eine Diskussion werde die Sache nicht geändert. Der Ministerrat sei nicht gefragt worden, wie dieses Verfahren eingeführt worden sei, der Ministerrat werde nicht gefragt, wie das Verfahren laufe und wann es abgeblasen werden solle. Er könne also nicht sich einmischen, die Militärregierung müsse ihre Entscheidung treffen. Was man gegen dieses Gesetz und gegen die heraufkommende Katastrophe des Zusammenbruchs des Entnazifizierungsverfahrens tun könne, könne man nicht aus dem Handgelenk und durch eine Diskussion über ein Probeverfahren feststellen. Man müsse grundsätzlich einmal gegen diese Dinge vorgehen, die Vorarbeiten seien im Gange, seien aber noch nicht soweit gediehen, daß sie zur Debatte gestellt werden könnten. Dies sei auch für die allernächste Zeit noch nicht zu erwarten. Die Entnazifizierung, so wie sie jetzt sei, könne nicht bleiben, weil sie sonst zu einer Katastrophe führe, wenn sie nicht schon dazu geführt habe. Wenn die Militärregierung sage, der Versuch müsse gemacht oder abgebrochen werden, müsse man das tun. Vorher seien wir auch nicht gefragt worden.

Staatssekretär Höltermann bezeichnet die Zahl von nur 350 Mitläufern schon als eine auffallende Erscheinung. Von den 4777 Fällen in Ingolstadt seien 2650 bei der Grobsortierung in Klasse 4 eingereiht worden, 390 seien bereits durch Sühnebescheid erledigt worden, etwa 1200 fielen unter die Amnestie. Wenn 350 durch das Schnellverfahren erledigt werden könnten, blieben etwa 600 zweifelhafte Fälle. Das Gesamtbild sei also wesentlich verschoben, in erster Linie deshalb, weil die Amnestie einen weit größeren Umfang habe und weil der Anteil der zweifelhaften Fälle wesentlich größer sei, als man angenommen habe. Alles in allem könne gesagt werden, daß von dem Schnellverfahren in ganz Bayern ein Personenkreis von 350 bis 400000 betroffen werde, während sich die Amnestie auf 6 bis 700000 erstrecke.

Ministerpräsident Dr. Ehard möchte keine Debatte herbeiführen, aber folgendes bemerken: Welche Garantie bestehe denn, daß ein Fall, wenn er entschieden sei, auch wirklich zu Ende sei? Solange diese Garantie nicht da sei, habe es keinen Zweck, irgendwelche Verfahren auszuprobieren. Er könne heute schon sagen, daß von den 350 Fällen in Ingolstadt nach einigen Monaten mindestens 250 wieder aufgegriffen würden. Die Wiederaufnahme bilde heute die Regel. Davon lebe das Denunziantentum. Diese Rechtsunsicherheit sei die ganze Wurzel des Übels.

Staatsminister Loritz bezeichnet die Verhältnisse in Ingolstadt als keineswegs typisch für Bayern. Er habe sich bemüht, in persönlichen Besprechungen mit Klägern und Spruchkammervorsitzenden klarzumachen, daß die Amnestie in weitestem Umfang durchgeführt werden müsse. Nun platze dieser Ingolstädter Versuch herein. Gerade, weil die oberste amerikanische Stelle (Clay und Dorn) wollte, daß möglichst viele Leute aus dem Verfahren herauskämen, deswegen dürfe man es nicht örtlichen Militär-Gouverneuren überlassen, uns eine Liste zu geben. Hier handele es sich ja nicht um die Militär-Gouverneure selbst, sondern um irgendwelche deutsche Investigatoren. Von dort kämen die Listen zurück und es sei wieder alles herausgestrichen. Es sei taktisch und psychologisch völlig falsch, wenn man im Radio den Leuten Versprechungen mache, die dann nicht eingehalten werden könnten. Man müsse das Beschäftigungsverbot wegbekommen, dies sei doch auch die Meinung des Ministerrats gewesen.123 Der Staatssekretär habe von sich aus gehandelt und zwar mehr oder minder über seinen Kopf hinweg.

Staatssekretär Höltermann erwidert, er habe dem Minister die Sache als erstem vorgetragen.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, persönliche Differenzen könnten nicht im Ministerrat ausgetragen werden, dies müsse in einem kleineren Kreis geschehen. Es habe keinen Zweck, hier weiter zu diskutieren, dieses Gebiet werde von der Militärregierung beherrscht. Er sei auch nicht gefragt worden; man müsse jetzt einmal Zusehen, zur richtigen Zeit werde er zu reden verstehen.124

[XXXIX. Ehrentempel am Königsplatz]125

Staatssekretär Dr. Sattler erklärt, bezüglich der Ehrentempel müsse man die Frage entscheiden, ob die Fundamente noch weggerissen werden sollten. Dies koste 500000.- RM. Die Amerikaner verlangten eine endgültige Lösung, entweder eine Grünfläche oder ein Gebäude.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, die Öffentlichkeit werde wenig Verständnis dafür haben, daß man zum Zerstören und nicht zum Wiederaufbau eine Menge Material einsetze. Diese Sache solle am nächsten Mittwoch behandelt werden.126

[XXXX. Entnazifizierung]

Staatsminister Loritz kommt noch einmal auf den Ingolstädter Versuch zurück. Die Militärregierung wolle diesen Versuch in ganz Bayern durchgeführt haben. Er müsse deswegen dem Ministerrat die Frage vorlegen, ob er hierfür die Verantwortung zu übernehmen gedenke.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, für seine Person könne er keine Stellung nehmen, weil er vorher nicht gefragt worden sei, weil er heute noch nicht genügend davon wisse und weil auf ein Zufallsergebnis in einem Ort nicht ein Verfahren für das ganze Land gegründet werden könne.

Staatsminister Loritz erklärt, er sei derselben Auffassung, er frage, ob er diese Stellungnahme der Militärregierung mitteilen könne.

Ministerpräsident Dr. Ehard verneint dies, er möchte zu dieser Sache überhaupt keine Stellung nehmen. Zunächst müsse er wissen, wie dieser Versuch überhaupt aussehe, dann müsse man sich mit der Frage auseinandersetzen, ob dieser Versuch in einer einzigen Stadt überhaupt als Grundlage genüge. Zunächst scheine zwischen den deutschen Behörden einerseits und den amerikanischen Stellen andererseits schon über die Durchführung dieses Versuchs keine Einigkeit zu bestehen. Er müsse es ablehnen, dazu Stellung zu nehmen. Zuerst müsse er Unterlagen haben.

Der Bayerische Ministerpräsident:
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Sekretär des Ministerrats:
gez.: Claus Leusser
Ministerialrat