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EinleitungD

I. Quellenlage

Für das Kabinett Ehard I (21. Dezember 1946 bis 20. September 1947) liegen insgesamt 33 Ministerratsprotokolle vor.1

Im Nachlaß Anton Pfeiffers befindet sich die Aufzeichnung einer „Koalitionsbesprechung zwischen Mitgliedern des Ministerrats“ am 2. April 1947; 18.45–19.30 Uhr.2 Teilnehmer waren für die CSU Ehard, Hundhammer, Krehle und Pfeiffer; für die SPD Hoegner und Seifried. Die Besprechung fand unmittelbar im Anschluß an die Ministerratssitzung desselben Tages statt (Nr. 16). Behandelt wurden u.a. ein Gesetzentwurf, ein CSU-Antrag zur Bodenreform im Landtag sowie parteipolitische Erwägungen zu einer ganzen Reihe von Personalangelegenheiten. In der von Pfeiffer gefertigten Niederschrift über die Besprechung heißt es grundsätzlich: „Es wird als zweckmäßig angesehen, wöchentlich eine Koalitionsbesprechung zu halten und zwar soll diese jeweils 1 Stunde vor dem Ministerrat stattfinden. Der Landtagspräsident Dr. Horlacher wird ständig daran teilnehmen. Die 1. Besprechung ist für Samstag, 12. April 47, vorm. 8 Uhr vorgesehen und der Ministerrat soll dann um 9 Uhr beginnen“.3

Diese Ausführungen lassen den Schluß zu, daß Besprechungen, die zuvor in unregelmäßigen Abständen stattgefunden hatten, nunmehr eine regelmäßige Einrichtung, unter anderem zur Vorbereitung der Ministerratssitzungen, werden sollten.4 Allerdings konnten keine weiteren Protokolle solcher Koalitionsbesprechungen, die den Ministerratssitzungen vorgeschaltet waren, ermittelt werden. Da jedoch bei Personalentscheidungen im Ministerrat parteipolitische Erwägungen (Proporz etc.) nie zur Sprache kamen, müssen wohl Vorklärungen in Koalitionsbesprechungen erfolgt sein.

Grundlage für die einvernehmlichen Beamtenernennungen war im übrigen ein Passus der Koalitionsvereinbarung zwischen den Landtagsfraktionen von CSU und SPD:5 „Alle wichtigen Beamtenstellen werden im Ministerrat im gegenseitigen Einvernehmen besetzt. Dabei ist Bedacht darauf zu nehmen, daß fähige Bewerber nicht lediglich wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Partei zurückgewiesen werden. Andererseits dürfen ungeeignete Inhaber von öffentlichen Ämtern nicht deswegen gehalten werden, weil sie einer bestimmten Partei angehören“.6

Ferner wurde vereinbart: „Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Koalitionsgrundlagen werden im gegenseitigen Einvernehmen durch einen von den beteiligten Fraktionen gestellten Ausschuß ausgeglichen“. Dieser an anderer Stelle „Zehnerausschuß“ genannte Ausschuß7 trat, nachdem es in der Koalition kriselte, erstmals am 15. Juli 1947 zusammen.8 Er ist jedoch nicht identisch mit dem oben erwähnten, am 2. April 1947 zusammengetretenen Kreis, dem nur Regierungsmitglieder angehörten, und bezog sich auch nicht auf Tagesordnungspunkte der Ministerratssitzungen.9

Obwohl in den Ministerratssitzungen die Verabschiedung einer Geschäftsordnung mehrmals als dringlich bezeichnet wurde,10 galt diejenige des Kabinetts Schäffer von Ende Juli 1945 auch für das Kabinett Ehard.11 Jedoch erließ der Ministerrat am 15. Januar 194712 ersatzweise Richtlinien, die den Erlaß von Gesetzen und Verordnungen regelten und den Charakter einer vorläufigen Geschäftsordnung trugen,13 Sie bestimmten u.a. für das Verfahren bis zur Annahme eines Gesetzes durch den Ministerrat, daß bereits Referentenentwürfe eines Ministeriums der Staatskanzlei, dem Justizministerium und den übrigen beteiligten Staatsministerien zur Kenntnis- und Stellungnahme zuzuleiten seien. Zur Klärung strittiger Punkte könne anschließend eine Referentensitzung sinnvoll sein. Sei der Entwurf mit der Stellungnahme der übrigen Staatsministerien soweit möglich in Einklang gebracht, so sei er dem Ministerpräsidenten zur Beratung im Ministerrat zu übermitteln. Fortbestehende abweichende Ansichten müßten mit einer kurzen Stellungnahme versehen werden. Weiter hieß es: „Nach Eingang des Entwurfs und der abschließenden Stellungnahme des federführenden Staatsministeriums beim Ministerpräsidenten wird die Angelegenheit auf die Tagesordnung des Ministerrats gesetzt. Zwischen dem Eingang des Entwurfs und dem Ministerrat sollen einige Tage, in Einzelfällen wenigstens 24 Stunden liegen“.14 Vor der Ministerratssitzung könne es sich im Falle noch bestehender größerer Meinungsverschiedenheiten empfehlen, eine weitere Besprechung abzuhalten, diesmal im Kreis der beteiligten Staatsminister. Der Entwurf müsse ferner immer mit einer Begründung versehen werden.

Hinter den von Ehard vorgelegten Richtlinien stand die Absicht, in den Ministerratssitzungen ausschließlich beschlußfähige Angelegenheiten zu behandeln.15 Ehard, dessen straffe Arbeitsdisziplin sich auf die Atmosphäre der von ihm geleiteten Sitzungen übertrug, übte im übrigen wie sein Vorgänger Hoegner keineswegs nur formal den Vorsitz im Ministerrat aus. Die Sitzungen zeichnen sich auch unter seiner Leitung insgesamt durch eine souveräne Verhandlungsführung des juristisch vorgebildeten Ministerpräsidenten aus, der stringent in die Thematik der einzelnen Tagesordnungspunkte einführte, Argumente zusammenfaßte und die Diskussion zur Beschlußfassung hinführte, eben in ausgesprochenem Maße die Ministerratssitzungen strukturierte. In den ersten Sitzungen zeigte sich Ehard jedoch gelegentlich noch unsicher.16 Zudem agierte sein Vorgänger Hoegner in dieser Phase manchmal noch wie ein Vorsitzender des Ministerrats, wodurch er die anfänglich noch nicht vollständig ausgebildete Autorität Ministerpräsident Ehards verletzte,17 ihr langfristig jedoch nicht schaden konnte.18

Der Ministerpräsident berief die Ministerratssitzungen ein. Die Einladungen wurden in seinem Auftrag vom Generalsekretär des Ministerrats, Claus Leusser, oder dessen beiden Vertretern Levin Freiherr von Gumppenberg und Peter Erber sowie in einem Einzelfall von Ministerialrat Fritz Baer gezeichnet.19 Sie enthielten vorläufige Tagesordnungen, die in den Sitzungen ergänzt wurden. Ort aller Ministerratssitzungen war der Sitzungssaal in der Bayerischen Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7, dem Gebäude der ehemaligen preußischen Gesandtschaft.

Die Sitzungen fanden in der Amtszeit Ehards in der Regel im Abstand von sieben bis zehn Tagen statt. Ein fester Wochentag für die Sitzungen bürgerte sich nicht ein, obwohl Ehard Mitte Januar 1947 grundsätzlich den Mittwochnachmittag genannt hatte.20 Die Tatsache, daß der Ministerrat am häufigsten samstags (neun Sitzungen) zusammenkam, ist ein Indiz für die hohe Arbeitsbelastung der Kabinettsmitglieder.

Alle Ministerratsprotokolle sind in indirekter Rede gehalten. Es handelt sich dem Charakter nach um ausführliche Verlaufsprotokolle.

15 Ministerratsprotokolle des Kabinetts Ehard können Claus Leusser21 zugeordnet werden, der seit Hoegners Regierungsantritt als Sekretär bzw. Generalsekretär22 des Ministerrats für die Vorbereitung, Durchführung und das Protokoll der Sitzungen verantwortlich war23 Sie fußten auf stenographischen Aufzeichnungen Leussers.24 In elf Sitzungen25 vertrat ihn der persönliche Referent des Ministerpräsidenten, Oberregierungsrat Levin von Gumppenberg.26 Für das Protokoll vom 7. Januar 1947 (Nr. 3) zeichneten beide verantwortlich. In sechs weiteren Sitzungen wurde Leusser durch Peter Erber27 vertreten.28 Leusser, der bis 1951 sechs Jahre lang in der Staatskanzlei tätig und bis 1948 für das Protokoll der Ministerratssitzungen zuständig war, prägte Stil und Niveau der Niederschriften. Ihm sind Präzision und Ausführlichkeit der Protokolle zu verdanken. Bei seinen Vertretern fallen die Protokolle meist merklich knapper aus.

Einige der hektographierten Ministerratsprotokolle vermerken das Datum der Ausfertigung des Protokolls.29 Die Protokollentwürfe in dem jetzt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv liegenden Registraturexemplar30 tragen zudem gelegentlich handschriftliche Vermerke, denen zu entnehmen ist, wann den Teilnehmern das Protokoll jeweils zugesandt wurde. Der zeitliche Abstand zum Sitzungstermin betrug im Durchschnitt zwei bis vier Wochen; manchmal war er noch größer.31 Dies hatte zur Folge, daß die Protokolle den Kabinettsmitgliedern häufig nicht zur nächsten Sitzung Vorlagen. Die Umstände der Arbeit des Ministerrats wurden auch dadurch erschwert – eine deutliche Folge der auch 1947 noch schwierigen Nachkriegszustände daß die Sitzungstermine und Tagesordnungen „meistens erst kurz vor Beginn der Sitzung eingehen“, so die Klage des Wirtschaftsministeriums gegenüber der Staatskanzlei.32 Weiter hieß es dort: „Ihre fernmündliche Durchgabe könnte erheblich zur Beschleunigung beitragen. Außerdem wird empfohlen, gleichzeitig mit der Einladung etwaige gesetzestechnische Unterlagen u.dgl., die meistens nur dem zuständigen Fachministerium vorliegen, beizufügen, damit zeitraubende Rückfragen und Botengänge vermieden werden“. Das heißt, daß die Vorlagen für die jeweilige Sitzung den Kabinettsmitgliedern in zahlreichen Fällen nicht vorlagen.33

Seit Ende März 194734 erhielt auch der nicht dem Kabinett angehörende Bevollmächtigte Bayerns beim Länderrat in Stuttgart, Gebhard Seelos, allerdings nicht ganz regelmäßig, ein Exemplar der Ministerratsprotokolle.35 Dagegen ist in der Regel auszuschließen, daß die Militärregierung einen Abdruck der Protokolle erhielt, da die Militärregierung in den Ministerratssitzungen teilweise offen kritisiert wurde bzw. das Vorgehen ihr gegenüber im Rahmen einzelner Gesetzgebungsverfahren eingehend besprochen wurde. Jedoch findet sich in den amerikanischen Akten zum Rückerstattungsgesetz, das zwischen den deutschen Regierungen der US-Zone und der Militärregierung stark umstritten war, unter dem Titel „Excerpt of Protocol of Minister Council session“ die englische Übersetzung36 der Beratungen des Bayerischen Ministerrats vom 1. Februar 194737 zu diesem Tagesordnungspunkt. Die sachlichen, jedoch keineswegs unkritischen Ausführungen der Kabinettsmitglieder sind OMGB vermutlich in der Absicht zugeleitet worden, für die bayerische Position um Verständnis zu werben. Über den Ministerrat am 30. Juli 1947 (Nr. 29) war die Militärregierung aus erster Hand informiert, da der Leiter des amerikanischen Information Office in der Staatskanzlei, Helmuth Penzel, auf ihren Wunsch an der Sitzung teilgenommen hatte.38

Die Korrekturen in den Protokollentwürfen im Registraturexemplar stammen in den weitaus meisten Fällen von der Hand des Generalsekretärs Leusser oder seiner Stellvertreter. In der Regel handelt es sich um die Berichtigung von Schreibfehlern. In einigen Fällen – häufiger als bei Schäffer und Hoegner – liegen Korrekturen von der Hand Ehards vor.39 Es ist von der Praxis auszugehen, daß Leusser die Reinschrift nach eigener Durchsicht dem Ministerpräsidenten als Vorsitzenden des Ministerrats zur Genehmigung vorlegte. Nachdem der Ministerpräsident das Protokoll durchgesehen und freigegeben hatte, konnte es vervielfältigt und verteilt werden. Es ist weiter davon auszugehen, daß den übrigen Teilnehmern an den Ministerratssitzungen kein Entwurf des Protokolls vorgelegt und in dieser Phase auch kein Einspruchsrecht40 eingeräumt wurde.41 Dem Ministerpräsidenten kam damit die letzte Entscheidung über den Protokolltext zu.

In einigen Fällen sind den hektographierten Ministerratsprotokollen Anlagen beigeheftet, die ebenfalls zum Abdruck kommen.42

Über die Beratungen und Beschlüsse des Ministerrats wurde vom Presseamt der Bayerischen Staatskanzlei ein Communiqué verfaßt, das bestimmte Informationen aus den Sitzungen publizierte. Diese Communiqués wurden regelmäßig im „Bayerischen Staatsanzeiger“ veröffentlicht.

Es war Aufgabe der Minister und Staatssekretäre, die Beschlüsse auf der Basis der Ministerratsprotokolle an die ihnen nachgeordneten Behörden und Referenten zur Bekanntgabe und zum Vollzug weiterzuleiten. In vielen Fällen wurden zu diesem Zweck maschinenschriftliche Auszüge angefertigt, die dem Referenten den zur Erledigung eines Beschlusses nötigen Abschnitt des Protokolls zur Kenntnis brachten.

II. Die Bayerische Staatsregierung

1. Die Wahl Hans Ehards zum Ministerpräsidenten

Die ersten freien Landtagswahlen seit 14 Jahren, die am 1. Dezember 1946 gleichzeitig mit dem Volksentscheid über die Bayerische Verfassung stattfanden, ergaben eine absolute Mehrheit von 52,3% für die CSU. Die SPD kam auf 28,6%, die WAV auf 7,4%, die KPD auf 6,1%, und die Liberalen erzielten 5,6%.1 Die CSU verfügte im ersten Nachkriegslandtag über 104 Mandate und damit über die absolute Mehrheit; die SPD stellte 54 Abgeordnete, die WAV 13, die FDP 9.2

Trotz des eindeutigen Wahlergebnisses waren zwei Fragen völlig offen: der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten und die Frage nach einer Koalition. Folgende Grundkonstellation bestimmte den Gang der Ereignisse:3 Natürlicher Anwärter auf das Amt war der Landesvorsitzende der CSU Josef Müller, der diesen Anspruch auch wenige Tage später indirekt erhob.4 Das erklärte Ziel des CSU-Bezirksvorsitzenden von Oberbayern Alois Hundhammer und des von ihm angeführten Parteiflügels war es dagegen, Müllers Wahl zu verhindern. Spätestens seit dem Scheitern der Einführung des Amtes eines bayerischen Staatspräsidenten im September 1946 in der Verfassunggebenden Landesversammlung,5 wofür Hundhammer Müller persönlich verantwortlich machte, war die CSU in zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager gespalten. Dabei war die Staatspräsidentenfrage nur der Kulminationspunkt. Dahinter standen grundsätzliche inhaltliche Auffassungsunterschiede6 sowie persönliche Rivalität.7 Nachdem Hundhammer am 9. Dezember 1946 zum Vorsitzenden der CSU-Landtagsfraktion8 gewählt worden war, verfügte jeder der Kontrahenten über eine eigene Hausmacht. Der für die CSU 1946 bis 1948 charakteristische „Dualismus zwischen Partei und Fraktion“9, der schon in der Verfassunggebenden Landesversammlung begonnen hatte, fand seine Fortsetzung.

In der Sitzung am 9. Dezember hatte sich die CSU-Fraktion im übrigen für die Bildung einer Koalitionsregierung ausgesprochen, vor allem um nicht „die alleinige Verantwortung für eine vom Nachkriegselend belastete Regierungspolitik“10 übernehmen zu müssen. Die Gegner Josef Müllers bewog dazu ferner die Furcht vor einem abermaligen Auseinanderfallen der CSU-Fraktion bei wichtigen Entscheidungen in der Legislaturperiode; hier hatte die Staatspräsidentenfrage ein Trauma hinterlassen.11 Ferner sollte mit Blick auf die dynamische Entwicklung der Bizone und den damit einhergehenden Zentralismus die Einbindung der SPD in die Regierung Bayern in die Lage versetzen, bei der Artikulation föderalistischer Gegenpositionen mit einer Stimme zu sprechen.12 Hundhammer, Michael Horlacher und seine Freunde verfolgten das Ziel einer Koalition mit der SPD jedoch nicht nur, um der schwierigen Politik der ersten gewählten Nachkriegsregierung eine möglichst breite parlamentarische Legitimation zu verschaffen, sondern gleichermaßen aus taktischen Erwägungen. Die Koalitionsvariante bot infolge der Vorbehalte Hoegners sowie großer Teile der SPD gegenüber Müller13 die besten Aussichten, dessen Wahl zum Ministerpräsidenten zu vereiteln.14

An dieser Stelle ist zu ergänzen, daß Müller bereits seit einiger Zeit massiven Angriffen ausgesetzt war, die sich auf sein Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus bezogen.15 Wesentlich für die Betrachtung der Regierungsbildung ist, daß am 11. Dezember das von Anton Pfeiffer geleitete Sonderministerium gegen Müller ein Spruchkammerverfahren auf Grund des Entnazifizierungsgesetzes einleitete.16 Die amerikanische Militärregierung, in der starke Kräfte darauf drängten, Müller infolge der Vorwürfe politisch aus dem Verkehr zu ziehen, schreckte letztlich jedoch davor zurück, die ersten Landtagswahlen nach dem Krieg sowie die erste demokratische Regierungsbildung durch eine derart massive Intervention zu belasten, wenn nicht völlig zu diskreditieren.17

Die Landesversammlung der CSU bestätigte Müller am 14./15. Dezember 1946 in Eichstätt mit 327 von 428 Stimmen im Amt des Parteivorsitzenden18 und nahm eine Entschließung an, daß Müller auch bei der Regierungsbildung die entscheidende Rolle spielen solle.19 Weiterhin sprach sich die Landesversammlung, in der die Anhänger Müllers über die Mehrheit verfügten, 20 für die alleinige Regierungsübernahme aus, und zwar in Form einer Weisung an die CSU-Fraktion.21 Dies blieb jedoch ohne Wirkung, da die von Müller den Gremien der CSU zugedachte Führungsrolle bei der Regierungsbildung in Wirklichkeit von Anfang an bei der Fraktion lag, die sich keine Vorschriften machen ließ und auf eine Koalition zusteuerte. Hundhammer hatte auf der konstituierenden Sitzung auch Koalitionsverhandlungen zur Sache der Fraktion erklärt. In diesem Punkt kam es dann jedoch zunächst zu einem Kompromiß, einer aus Partei- und Fraktionsführung gemischt zusammengesetzten Verhandlungskommission.22

Innerhalb der SPD war die Beteiligung an einer Koalition, deren stärkster Verfechter Wilhelm Hoegner war, zunächst heftig umstritten.23 Schließlich setzte sich Hoegner auf der Landeskonferenz der SPD durch, die am 14. und 15. Dezember in München stattfand.24

Die Entscheidung über die Nominierung des Ministerpräsidenten lag am 17./18. Dezember 1946 bei der CSU-Fraktion. Infolge des Votums der Landesversammlung bestand ein gewisser Druck, Müller zu berücksichtigen. Gegen ihn wurde jedoch angeführt, daß an seiner Person die mehrheitlich angestrebte Koalition mit der SPD scheitern werde. Bei der Abstimmung standen schließlich drei Kandidaten zur Auswahl: Müller, der ehemalige Generalsekretär der BVP und amtierende Sonderminister Anton Pfeiffer sowie der Justizstaatssekretär im Kabinett Hoegner I Hans Ehard. Ehard, über dessen Nominierung spekuliert wurde,25 war von Landtagspräsident Horlacher vorgeschlagen worden.26 Im ersten Wahlgang entfielen auf Pfeiffer 45, auf Müller 44 und auf Ehard 2 Stimmen. Eine Stichwahl ergab 52 Stimmen für Pfeiffer und 40 für Müller.27 Damit war Pfeiffer nominiert.28 Ehards Chancen beurteilte ein Beobachter der Militärregierung zu diesem Zeitpunkt seinem Ergebnis entsprechend negativ.29

Eine Verhandlungskommission der CSU mit Pfeiffer an der Spitze, deren Zusammensetzung sich im Unterschied zu der Festlegung vom 9. Dezember 1946 zugunsten der Fraktionsseite verschoben hatte,30 beschloß nun, mit allen im Landtag vertretenen Fraktionen Gespräche aufzunehmen.31

Pfeiffer entwickelte bei dieser Gelegenheit am 18. und 19. Dezember seine Vorstellungen eines Kabinetts:32 Die CSU sollte danach neben dem Ministerpräsidenten den Kultus- (Hundhammer), Justiz- (Ehard), Landwirtschafts- (Baumgartner) und Verkehrsminister (Helmerich) stellen, die SPD den Innen- (Hoegner) und Arbeitsminister und den stellvertretenden Ministerpräsidenten. Als Finanzminister und als Wirtschaftsminister waren wie im Kabinett Hoegner I Fachmänner vorgesehen. Auf der Liste eines Kabinetts Pfeiffer33 firmierten als Finanzminister Fritz Terhalle und als Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, die bereits als Fachminister in das Kabinett Hoegner I eingetreten waren.34 Gegen die Absicht, Helmerich erneut als Verkehrsminister vorzuschlagen, wurde eingewendet, die Militärregierung habe bereits dreimal auf seine Entlassung gedrängt.35 Das Sonderministerium war Thomas Dehler zugedacht, einen Kandidaten für den Staatssekretär in diesem Ministerium wollte Pfeiffer von den Gewerkschaften benennen lassen. Dem Kabinett sollten ferner ein Staatssekretär für das gesamte Bauwesen, einer für die Schönen Künste und ein zweiter Staatssekretär im Arbeitsministerium für Sozial- und Flüchtlingswesen angehören. Pfeiffer betonte weiterhin, daß die Stellung des stellvertretenden Ministerpräsidenten in dem neuen Kabinett stärker betont werden müsse.36 Damit kam man dem Juniorpartner SPD entgegen. Der stellvertretende Ministerpräsident könne ein zweites Sonderministerium übernehmen, das für Fragen des Reichsaufbaus zuständig sei, also quasi Außenminister werden. Ein solches Ressort entsprach auch der Bedeutung, die Pfeiffer einer föderalistischen Verfassungspolitik beimaß.37

Eine erste Besprechung zwischen CSU und SPD ergab die grundsätzliche Bereitschaft, eine Koalition zu bilden, wenn möglich gemeinsam mit WAV und FDP. Bei einem anschließenden Gespräch, an dem Vertreter aller vier Landtagsfraktionen teilnahmen,38 bestand Einigkeit über die Bildung einer gemeinsamen Regierung, lediglich Thomas Dehler mußte für die FDP noch einen Vorbehalt machen. Müller beteiligte sich nicht an den Verhandlungen der CSU-Delegation, ihn vertrat der junge Franz Josef Strauß.39 Müller lotete vielmehr parallel dazu seine Chancen aus, doch noch Ministerpräsident zu werden, und konnte sich zumindest der Unterstützung der FDP versichern.40

Bei der ersten Unterredung aller vier Landtagsparteien wurde bereits eine Ressortverteilung erkennbar: Die CSU sollte neben dem Ministerpräsidenten den Kultus-, Landwirtschafts- und Finanzminister stellen. Für die SPD war Hoegner als Justizminister und stellv. Ministerpräsident vorgesehen. Ferner beanspruchte sie die von ihr bereits im Kabinett Hoegner geleiteten Ressorts: Inneres und Arbeit. Für das Sonderministerium war Dehler (FDP), seit 1. September 1946 Generalkläger beim Kassationshof des Staatsministeriums für Sonderaufgaben,41 in Aussicht genommen worden;42 Loritz sollte für die WAV Verkehrsminister werden. An der Spitze des Wirtschaftsministeriums sollte ein „Fachmann“ stehen.43

Nachdem Presseveröffentlichungen zu diesem Zeitpunkt der Beratungen Pfeiffer zur Last legten, 1932 Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP geführt, 1933 im Landtag dem bayerischen Ermächtigungsgesetz zugestimmt und sich durch einen Brief an den nationalsozialistischen Kultusminister Hans Schemm diskreditiert zu haben,44 teilte Hoegner am 20. Dezember der CSU-Verhandlungsdelegation mit, daß die SPD-Fraktion Pfeiffer als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten ablehne.45

Gleichzeitig präsentierte Hoegner der CSU seinen „eigenen Wunschkandidaten“46 Hans Ehard und gab damit den entscheidenden Ausschlag für den bei der fraktionsinternen Abstimmung am 18. Dezember bereits abgeschlagenen Staatssekretär. Hoegner hatte Ehard über ein Jahr als sachlichen und loyalen Leiter des von ihm lediglich nominell geleiteten Justizministeriums kennen- und schätzen gelernt.47 Parteipolitisch war der Jurist nicht hervorgetreten, hatte allerdings auf allen Seiten und auch in der Öffentlichkeit durch seine Arbeit im Verfassungsausschuß der Verfassunggebenden Landesversammlung Renommee erworben.48 Nicht zu unterschätzen war ferner, daß er auch für die Militärregierung eine seit über einem Jahr bekannte Größe war, gegen die nichts sprach.49 Für Hundhammer und seine Anhänger war Ehard ebenfalls akzeptabel, zumal sich Hundhammer nicht selbst als Kandidat ins Spiel bringen konnte, vor allem mit Blick auf die nötigen SPD-Stimmen.50 Zu den weiteren Beratungen wurde Ehard nun hinzugezogen. Er war ein dezidierter Vertreter einer Koalitionsregierung.51 Bei dem Gespräch zwischen CSU und SPD am 20. Dezember forderte die SPD vier Ministerien: Justiz, Inneres, Arbeit und nun auch Wirtschaft, ferner drei bis vier Staatssekretärsposten sowie Waldemar von Knoeringen als Staatssekretär in der Staatskanzlei. Die CSU setzte jedoch gegen den Widerstand der SPD Hans Kraus für letzteren Posten durch. Knoeringen sollte zunächst als Ministerialrat in der Staatskanzlei eingestuft werden.52 Ihrerseits forderte die CSU erneut das Kultus- und Landwirtschaftsministerium. Pfeiffer sollte nun an der Spitze des Sonderministeriums verbleiben. Die Forderung der SPD nach vier Ressorts lehnte die CSU zu diesem Zeitpunkt ab.53

Staatskanzlei: Ministerpräsident Ehard Staatssekretär Kraus (v. Knoeringennach Kraus' Abgang)
Inneres Minister Seifried Staatssekretär 1. Seidel (Ankermüller)
2. F. Fischer
Justiz Hoegner zugl. stellv. Ministerpräsident Hagenauer
Unterricht Hundhammer 1. Fendt
2. Lippl (Pfister oder Keim)
Finanzen Terhalle Müller
Wirtschaft Zorn 1. Semler
2. Guido Fischer
Landwirtschaft Baumgartner Gentner
Arbeit Roßhaupter 1. Krehle
2. Flüchtling
Verkehr Loritz (Helmerich) Schuberth
Sonderaufgaben Pfeiffer Dehler

Der parallel zu diesen Verhandlungen von Müller unternommene Versuch, die SPD durch ein großzügiges personelles Angebot dafür zu gewinnen, seine Wahl zum Ministerpräsidenten zu unterstützen, scheiterte.54

Am Samstag, dem 21. Dezember 1946, waren für den Vormittag Fraktionssitzungen von CSU und SPD angesetzt. Am Nachmittag sollte in der zweiten Plenarsitzung des Landtags der Ministerpräsident gewählt werden. In der Fraktionssitzung trat Hundhammer für die Kandidatur Ehards ein. Dem stand Müllers Kandidatur gegenüber. Nachdem eine Einigung nicht zustande kam, konnte zumindest über das Procedere in der Landtagssitzung ein Konsens erzielt werden, dem als kleinster gemeinsamer Nenner der beiden Richtungen das Motiv zugrunde lag, es momentan nicht zur Spaltung der CSU kommen zu lassen. Man vereinbarte, im ersten Wahlgang Müller durch den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Eugen Rindt als Kandidaten vorzuschlagen. Der Fraktionszwang war allerdings bei der Wahl aufgehoben.55 Müller und seine politischen Freunde rechneten offensichtlich mit Blick auf die zu erwartenden FDP-Stimmen damit, eine Mehrheit zu bekommen.

Am 21. Dezember 1946, drei Tage vor Weihnachten, kam der Bayerische Landtag am späten Nachmittag56 in der Aula der Münchner Universität bei klirrender Kälte zusammen, um zum ersten Mal seit 1928 wieder einen Ministerpräsidenten zu wählen.57 Landtagspräsident Horlacher traf dabei zwei Aussagen zum Wahlmodus, denen noch entscheidende Bedeutung zukommen sollte:58 Zunächst erklärte er, daß zur Wahl des Ministerpräsidenten die einfache Mehrheit der Stimmen genüge, da die Verfassung in Artikel 23 keine andere Mehrheit vorschreibe. Anschließend schlug Rindt Josef Müller vor. SPD und WAV sprachen sich gegen ihn aus, die FDP trat für ihn ein. Dann erklärte Horlacher noch: „Es liegt dem Hause nur ein Vorschlag vor. Ich habe vorhin erklärt, daß die Zettel, die weiß sind oder auf ‚Ich enthalte mich‘ lauten, ungültig sind, und daß nur die Stimmzettel mit dem Namen eines Kandidaten und die Stimmzettel gelten, die eine Willenskundgebung enthalten, beispielsweise das Wort ‚Nein‘. Darüber sind wir uns klar“.59

Nach der Wahl stellte Horlacher fest: „Es wurden 175 gültige Stimmen abgegeben. Davon war die absolute Mehrheit 88. Der Abgeordnete Dr. Müller hat 73 Stimmen erreicht (Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CSU.), 69 Stimmen lauten auf Nein, 33 Stimmen auf Dr. Ehard.60 Damit ist der erste Wahlgang erledigt. Es ist ein zweiter Wahlgang notwendig“.

Nach dem zuvor festgelegten Wahlmodus hatte Müller die für die Wahl zum Ministerpräsidenten notwendige relative Mehrheit der Stimmen erreicht. Daß Landtagspräsident Horlacher, anstatt die rechtmäßige Wahl Müllers festzustellen, nunmehr plötzlich die absolute Mehrheit der Stimmen zur Voraussetzung erklärte und damit einen zweiten Wahlgang erzwang, stellt eine massive Beeinflussung (Manipulation) der Ministerpräsidentenwahl dar.61 Strenggenommen hätten nach den vor der Wahl von Horlacher genannten Bedingungen die 33 auf Ehard lautenden Stimmen von ihm sogar für ungültig erklärt werden müssen,62 da Müller der einzige Kandidat war. In dem Fall hätte Müller die absolute Mehrheit der dann 142 gültigen Stimmen erzielt.63 Es überrascht, daß Müller und seine politischen Freunde nicht gegen die willkürliche Deutung des Wahlergebnisses mit Hilfe der Geschäftsordnung Einspruch erhoben.64 Statt dessen verließen sie unter Protest das Landtagsplenum.65

Interessant ist die im Protokoll der Landtagssitzung wiedergegebene Reaktion der CSU-Fraktion. Die Unruhe bei der CSU muß als Bestürzung darüber gedeutet werden, daß es Müller wider Erwarten gelungen war, die relative Mehrheit der Stimmen zu erzielen.66

Nach der Bekanntgabe des Wahlresultats hatte Horlacher auf Antrag Hundhammers die Landtagssitzung für zehn Minuten unterbrochen. In der Pause einigte sich eine von Hundhammer angeführte CSU-Verhandlungsdelegation mit SPD67 und WAV auf der Basis der früheren Besprechungen über die Bildung einer Regierung und die Wahl Ehards.68 Nach der Unterbrechung schlug Hundhammer Hans Ehard als Kandidaten vor. Von 147 Stimmen erhielt Ehard 121, 15 lauteten auf Nein, fünf wurden für Müller abgegeben, sechs waren ungültig.69

Die juristisch fragwürdige Wahl des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Ehard hat weder für ihn noch für die junge bayerische Demokratie ein Legitimitätsdefizit bewirkt. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die amerikanische Militärregierung, die die Wahlleitung Horlachers durchaus kritisch kommentierte70 und grundsätzlich in höchstem Maße Wert auf die Einhaltung der demokratischen Spielregeln legte, nicht eingriff.71 Denkbar ist lediglich, daß die Amerikaner doch daran interessiert waren, Müllers Wahl zu verhindern, ohne intervenieren zu müssen. Müller deutet so etwas in seinen Erinnerungen an.72 Dies würde sowohl die ausbleibende Intervention der Amerikaner gegen Horlachers Manipulation als auch den Verzicht Müllers auf einen – ohnehin aussichtslosen – Protest erklären.

Müller war zum zweiten Mal nach 194573 beim Griff nach dem Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten gescheitert;74 sein politischer Einfluß blieb in den folgenden Jahren im wesentlichen auf die Partei beschränkt, und auch dort war er nicht mehr unangefochten.75

Ehard nahm die Wahl „trotz schwerer Bedenken, die sich aus der Sachlage ergeben“76 an.77 Bemerkenswert ist, daß er sich in einer kurzen Ansprache nach der Wahl ganz bewußt in die Tradition des als Vertreter föderalistischer Positionen in der Weimarer Republik besonders hervorgetretenen Ministerpräsidenten Heinrich Held78 stellte.79 Die Wahl des „selbst in der bayerischen Politik wenig hervorgetretenen Staatssekretärs“80 Ehard zum Ministerpräsidenten kam überraschend und bedeutete auch für politische Beobachter eine Sensation.

Am 10. November 1887 in Bamberg geboren (kath.), war der Einserjurist Ehard,81 1912 zum Dr. jur promoviert, nach dem Ersten Weltkrieg82 1919 in das Bayerische Staatsministerium der Justiz eingetreten, wo er rasch Karriere gemacht hatte. Nach Tätigkeiten am Landgericht München – unter anderem war er 1923/1924 2. Staatsanwalt beim Hitler-Prozeß83 gewesen – war er später ausschließlich im Ministerium verwendet worden. 1926 war er dort Landgerichtsrat geworden, 1928 Oberregierungsrat, 1931 Ministerialrat, der jüngste in Bayern. In dieser Zeit rascher Karriereschritte war für ihn die Mitarbeit an der Strafrechtsreform im Reichsjustizministerium in den Jahren 1925–1928 besonders prägend gewesen, zu der er nach Berlin abgeordnet worden war.84 Im Kontext der Reformarbeiten war Ehard mit allen Aspekten der Föderalismusproblematik in der Weimarer Republik konfrontiert worden;85 dies prägte sein Denken nach 1945. Als der Nationalsozialist Hans Frank im März 1933 bayerischer Justizminister geworden war, war Ehard auf eigenen Antrag aus dem Ministerium ausgeschieden und Senatspräsident am Oberlandesgericht München geworden, was er bis Kriegsende blieb, ohne der NSDAP beizutreten. Daneben war Ehard seit 1934 stellv. Vorsitzender, seit 1937 Vorsitzender des Erbhofgerichts München geworden, ebenso seit 1934 Mitglied und zeitweise stellv. Vorsitzender des Justizprüfungsamtes beim Oberlandesgericht und seit 1942 Vorsitzender des Deutschen Ärztegerichtshofs in München.86 Bereits im Mai 1945 hatte er als letzter im Amt verbliebener Senatspräsident am Oberlandesgericht zunächst im Auftrag der Amerikaner, dann auch Ministerpräsident Schäffers, mit dem Wiederaufbau der bayerischen Justizverwaltung begonnen.87 Am 19. Oktober 1945 zunächst zum Staatsrat ernannt, war er wenige Tage später Staatssekretär im Justizministerium im Kabinett Hoegner I (22. 10. 1945–21. 12. 1946) geworden und hatte damit den Weg vom Beamten zum Politiker beschritten. Ehard, der von 1919 bis 1933 der BVP angehört hatte, hatte sich 1945 der CSU angeschlossen. 1946 war er an der Entstehung der Bayerischen Verfassung als Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses sowie als einer der heraus ragenden Köpfe im Verfassungsausschuß der Verfassunggebenden Landesversammlung maßgeblich beteiligt gewesen.

Von 1946 bis 1954 leitete Ehard die Geschicke des Landes als Ministerpräsident (Kabinette Ehard I—III).88 Dabei stand er zunächst an der Spitze einer Koalition aus CSU, SPD und WAV. Seit September 1947 (Kabinett Ehard II 20. 9. 1947–18. 12. 1950) leitete er eine reine CSU-Regierung. 1950 setzte er gegen den entschiedenen Widerstand von Hundhammer und Bundesfinanzminister Schäffer, die eine Verbindung mit der BP favorisierten, eine Neuauflage der Koalition mit der SPD durch (Kabinett Ehard III 18. 12. 195014. 12. 1954). Dadurch kam es zum Bruch zwischen Ehard und Hundhammer. Sein wesentlichstes politisches Verdienst war die Mitwirkung an der föderalistischen Ausgestaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, im Kern durch den Bundesrat.89 Fast von gleicher Bedeutung war, daß es ihm gelang, die Ablehnung des Grundgesetzes durch den Landtag im Mai 1949 an die gleichzeitige Anerkennung der Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes auch durch Bayern zu koppeln. Dazu stellte er die Vertrauensfrage. Nach der Gründung der Bundesrepublik setzte er seine föderalistische Politik fort. Das mit Energie angestrebte Ziel, erster Präsident des Bundesrates zu werden, erreichte er jedoch nicht.90 Mit ganzer Kraft bemühte er sich dennoch darum, dem Bundesrat im Gefüge der Verfassungsorgane eine einflußreiche Position und weitgehende Beteiligung an den Bundesangelegenheiten zu verschaffen. Er ging dabei auch Konflikten mit Bundeskanzler Adenauer nicht aus dem Weg. Frühzeitig erkannte Ehard die Gefahren, die für den Einfluß der Landesregierung und den Föderalismus vom kontinuierlichen Machtzuwachs der bundespolitischen Exponenten der CSU (Schäffer, Strauß) und ihrer dauerhaften Einbindung in die Politik der Bundesregierung ausgingen. Um einen Kontrapunkt zu setzen, erschien es ihm 1954 ratsam, zur Regelung von Länderangelegenheiten die Ministerpräsidenten-Konferenzen wiederzubeleben, die seitdem eine feste Einrichtung geworden sind. Das wesentliche landespolitische Verdienst Ehards und der von ihm mit bemerkenswerter Arbeitsdisziplin und unerschütterlicher Beharrlichkeit bei der Lösung von Sachfragen geführten „Beamtenkabinette“ war die Konsolidierung des bayerischen Staates und seiner Verwaltung nach den Erschütterungen durch Nationalsozialismus und Krieg.

1950 und dann noch einmal 1961 war Ehard auch Bundesratspräsident. Am 28. Mai 1949 übernahm er (unter anderem auf Drängen Adenauers) von Josef Müller den Landesvorsitz der CSU und verhinderte damit auf einem erneuten Höhepunkt der innerparteilichen Auseinandersetzung deren Auseinanderbrechen. Nach der Bildung der Viererkoalition im Dezember 1954, die die CSU zum Gang in die Opposition zwang und die Ehard angelastet wurde, trat er am 18. Dezember 1954 als Landesvorsitzender zurück. In den Jahren 1954 bis 1960 amtierte er als Landtagspräsident.91 Nachdem Hanns Seidel infolge seiner schweren Erkrankung vom Amt des Ministerpräsidenten zurückgetreten war, übernahm der 73jährige Ehard am 26. Januar 1960 als Übergangskandidat noch einmal das Amt des Ministerpräsidenten bis zum Ende der Legislaturperiode (Kabinett Ehard IV 26. 1. 1960–11. 12. 1962). Nach den Landtagswahlen 1962 bemühte sich Ehard vergeblich um die erneute Übernahme des Landtagspräsidentenamtes;92 übernahm aber im Kabinett Goppel I (11. 12. 1962–5. 12. 1966) das Justizministerium.93 Von 1946 bis 1966 gehörte er als Abgeordneter des Stimmkreises Bamberg-Stadt dem Bayerischen Landtag an, von 1949 bis 1965 auch dem Landesvorstand seiner Partei. Ehard, der nach dem Ersten Weltkrieg in juristischen Fachzeitschriften publiziert und an juristischen Kommentaren mitgearbeitet hatte,94 setzte diese Tätigkeit auch nach dem Krieg als Herausgeber der renommierten Juristenzeitung (1946–1975) fort.95 Von 1955 bis 1969 war er Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes. Ehard starb am 18. Oktober 1980 in München.

Mit der Einigung auf die Person Ehards hatten der Hundhammer-Flügel der CSU und Hoegner die Erwartung verknüpft, eine Art Platzhalter an der Spitze der Staatsregierung zu besitzen,96 der ihnen weitgehenden Einfluß auf die Führung der Regierungspolitik ließ. Auch in den Reihen des geschlagenen Müller-Flügels der Union wurde der Ministerpräsident als Erfüllungsgehilfe Hundhammers tituliert.97 Andererseits beschrieb ihn ein Politiker aus Müllers Umfeld gegenüber einem amerikanischen Journalisten „as a ‚straw man‘, under the thumb of his personal friend and political mentor, Dr. Hoegner“.98 Tatsächlich lassen die Ministerratsprotokolle die anfängliche Absicht Hoegners erkennen, weiterhin eine Führungsrolle einzunehmen. Die Erwartungen von Hundhammer und Hoegner erwiesen sich jedoch bald als unzutreffend, denn der Ministerpräsident gewann rasch ein eigenständiges politisches Profil und wurde eine feste Größe bayerischer Politik.99 Dazu trug bei, daß Ehard im Kreis des Kabinetts seinen Führungsanspruch deutlich anmeldete und gestützt auf eine gut funktionierende Staatskanzlei diesen Anspruch durch sachliche Arbeit auch anerkanntermaßen einfordern konnte. Die Presse verbreitete das Bild eines pflichtbewußten und fleißigen, allein der Sache verpflichteten Regierungschefs, was Ehard, gerade angesichts der von unsachlichen Auseinandersetzungen geprägten Richtungskämpfe innerhalb der CSU, positiv vom übrigen politischen Personal abhob. Dies verschaffte ihm rasch eine Popularität, die von keinem anderen bayerischen Politiker seiner Zeit erreicht wurde.100 Vor allem aber war Ehards schon nach kürzester Zeit unanfechtbare Position der Tatsache zu verdanken, daß er die Frage nach der Stellung Bayerns in Deutschland, die sich in den kommenden zweieinhalb Jahren entscheiden sollte, zu seinem Thema machte, mit dem Ziel, Bayern in einem föderalistischen Bundesstaat Mitwirkung und Freiraum zu sichern.101 Auf diese Weise entzog er sich dem Zugriff Hundhammers und Hoegners und ließ auch die anfänglich massiven Vorbehalte gegenüber seiner Regierung mehr und mehr verstummen.

2. Die Bildung des Kabinetts

Nach der Vereidigung Ehards erklärte der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion Alois Hundhammer, es sei notwendig, sofort in Beratungen über die Zusammensetzung des Kabinetts einzutreten102, und bat um neuerliche Unterbrechung der Landtagssitzung. Bevor sich die Abgeordneten für die Weihnachtspause wieder im Land verteilten – tatsächlich kam der Landtag erst am 10. Januar 1947 wieder zusammen – sollte am 21. Dezember zumindest ein „Rumpf“-Kabinett gebildet werden. Anschließend trafen sich laut Hundhammer103 die Unterhändler von CSU, SPD und WAV – es ist anzunehmen, daß es sich zumindest um Ehard, Hundhammer, Hoegner und Loritz handelte – in der Staatskanzlei und versuchten, eine Ministerliste festzulegen. Ein direkter Einfluß der Militärregierung auf die Kandidatenauswahl wie noch beim Kabinett Hoegner I104 ist nur hinsichtlich der Ablehnung Helmerichs erkennbar.105 Weiter heißt es in der Aufzeichnung Hundhammers über die Beratung: „Im wesentlichen konnte es bei den früher schon genannten Namen verbleiben. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Besetzung des Innenministeriums und des Wirtschaftsministeriums.106 Seitens der CSU-Vertreter konnte hierbei nicht das volle Gewicht der gesamten Fraktionsstärke in die Waagschale geworfen werden, weil ja durch den gesonderten Versuch eines Teiles der Fraktion zu eigenen Koalitionsverhandlungen und die Vorfälle bei der eben vollzogenen Wahl des Ministerpräsidenten die Spaltung der Fraktion allzu offenkundig geworden war“. Das bereits im Kabinett Hoegner von Seifried (SPD) geführte Innenministerium hatte die SPD schon in den nach der Nominierung Pfeiffers geführten Besprechungen gefordert, für das Wirtschaftsressort war damals jedoch die Bestellung eines Fachmanns in Aussicht genommen worden. Angesichts der Schwäche der gespaltenen CSU forderte die SPD jetzt auch das Wirtschaftsministerium,107 Ministerkandidat war Rudolf Zorn.108 Verschiebungen ergaben sich auch daraus, daß die FDP nach ihrem Eintreten für Müller als Koalitionspartner nicht mehr in Frage kam. Infolgedessen stand Thomas Dehler (FDP) als Minister oder Staatssekretär im Sonderministerium nicht mehr zur Diskussion.109 Nunmehr erhob Alfred Loritz anstatt des zunächst für die WAV vorgesehenen Verkehrsministeriums Anspruch auf dieses Ressort, das ihm von CSU und SPD schließlich zugebilligt wurde.110 Der zunächst noch als Sonderminister vorgesehene Pfeiffer wechselte zurück in die Staatskanzlei, wo er bereits unter Hoegner tätig gewesen war.111 Die Besetzung des Finanzministeriums mit einem Fachmann konnte die CSU sich politisch nun nicht mehr leisten. Somit stellte die CSU neben dem Ministerpräsidenten schließlich vier Minister: Finanzen, Kultus, Landwirtschaft und Verkehr, die SPD nominell nur drei: Inneres, Arbeit und Justiz, weiter den Stellv. Ministerpräsidenten. Das Wirtschaftsministerium wurde zwar mit dem Sozialdemokraten Zorn besetzt, der jedoch zunächst als „Fachminister“ und nicht als Parteimann ins Kabinett eintrat. Erst bei seiner Ernennung im Januar wurde er der SPD zugerechnet.112 Die WAV erhielt den Entnazifizierungsminister. Durch die Konstruktion des „Fachministers“ konnten die Koalitionsbefürworter der CSU das Gesicht wahren;113 sie stellten zumindest nominell einen Minister mehr als die SPD.

Tatsächlich entsprach die Verteilung schließlich den Anteilen, die die Koalitionäre zur Wahl Ehards beigetragen hatten.114 Die Verteilung der Staatsekretäre (CSU 10, SPD 3) sicherte der CSU allerdings die Mehrheit bei Abstimmungen im Ministerrat115 und verschaffte ihr wesentlichen Einfluß in den von der SPD geführten Häusern.116 Anschließend wurde das Ergebnis der Verhandlungen den Fraktionen präsentiert.117 Als um 20.25 Uhr die Sitzung des Landtags wieder aufgenommen wurde, konnte Ministerpräsident Ehard bei diesem ersten Schritt der Regierungsbildung zwar ein vollständiges Tableau der parteipolitischen Verteilung der Posten seines Kabinetts präsentieren, allerdings für eine größere Zahl von Positionen noch keine Kandidaten benennen: Er nannte am 21. Dezember folgende Zusammensetzung seiner Koalition aus CSU, SPD und WAV:118

Leiter der Staatskanzler
Staatssekretär Dr. Anton Pfeiffer (CSU)
Stellv. Ministerpräsident und Staatsminister der Justiz Dr. Wilhelm Hoegner (SPD)
als Vertreter ein Staatssekretär CSU
Staatsminister des Innern Josef Seifried (SPD)
als politischer Vertreter ein Staatssekretär CSU
ein bes. Staatssekretär für das Bauwesen CSU
Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Alois Hundhammer (CSU)
als politischer Vertreter Staatssekretär Claus Pittroff (SPD)
zweiter Staatssekretär für die besondere Betreuung der Kunst CSU
Staatsminister der Finanzen CSU
als politischer Vertreter Staatssekretär Dr. Hans Müller (CSU)
Staatsminister für Verkehrsangelegenheiten CSU
ein Staatssekretär [für die Post] als Vertreter CSU
Staatsminister für Wirtschaft „als Fachminister“119 Dr. Rudolf Zorn
als politischer Vertreter ein Staatssekretär CSU
ein weiterer Staatssekretär für die besonderen Aufgaben der Planung des Wiederaufbaues CSU
Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Dr. Joseph Baumgartner (CSU)
als politischer Vertreter Staatssekretär Hans Gentner (SPD)
Staatsminister für Arbeit und Soziale Fürsorge Albert Roßhaupter (SPD)
als politischer Vertreter Staatssekretär Heinrich Krehle (CSU)
Staatsminister für Sonderaufgaben Alfred Loritz (WAV)
als politischer Vertreter Staatssekretär Arthur Höltermann (SPD)

Ferner hatte Ehard erklärt, es sei geplant, im Arbeitsministerium einen geeigneten Mann aus den Reihen der Flüchtlinge im Range eines Staatssekretärs für die besondere Betreuung des Flüchtlingswesens zu berufen.

Diese Liste der Minister und Staatssekretäre wurde nach den Worten Horlachers vom Landtag einstimmig genehmigt.120 Am 21. Dezember waren von 23 Kabinettsposten (ohne den Ministerpräsidenten) erst 13 besetzt worden, von denen in dieser Sitzung die elf Anwesenden vereidigt wurden.121 Die Staatsregierung setzte sich bis zum 10. Januar 1947 als Koalition aus CSU, SPD und WAV offiziell aus Ministerpräsident Ehard, fünf vereidigten Ministern und Staatssekretären der CSU, fünf der SPD und Loritz von der WAV zusammen.

Am 22. Dezember teilte der Landtagspräsident der Militärregierung für Bayern die Neuwahl der Bayerischen Staatsregierung offiziell mit.122 Die Militärregierung registrierte im übrigen die Reaktion der bayerischen Bevölkerung auf Ehards Berufung und die erste Etappe der Regierungsbildung genau.123 Eine Befragung von führenden Politikern aller Parteien in den Regierungsbezirken mit Ausnahme Oberbayerns ergab eine mehrheitliche Ablehnung der neuen Regierung. Auf CSU-Seite gaben sich die Müller-Anhänger enttäuscht bis erbost oder bezeichneten eine Koaliton als unpopulär; ein großer Teil der SPD-Funktionäre stand einer Regierungsbeteiligung ihrer Partei weiterhin ablehnend gegenüber und befürchtete nun, von der Bevölkerung mit zur Verantwortung gezogen zu werden („why not let the CSU run the show?“).124 Lediglich ein führender Repräsentant der SPD im Regierungsbezirk Niederbayern/Oberpfalz bezeichnete die jetzige Koalition als guten Kompromiß. Die Berufung von Loritz zum Sonderminister stieß insgesamt auf Unverständnis und Ablehnung.125 Bei OMGB war man zunächst äußerst skeptisch, ob das Koalitionskabinett Ehard länger Bestand haben würde.126

Die SPD war auf die Regierungsbeteiligung gut vorbereitet gewesen.127 Sie konnte unmittelbar nach der Wahl für alle ihr zukommenden Positionen geeignete Personen benennen. Die WAV benannte ihren Vorsitzenden. Neben dem Amt des Wirtschaftsministers war nur das Amt des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen nicht an eine parteipolitische Besetzung gebunden worden.

Aus der Tatsache, daß zahlreiche Positionen der CSU vorerst unbesetzt blieben, wird zum einen deutlich, wie unerwartet die Wahl Ehards zum Ministerpräsidenten für den Hundhammer-Flügel der Union gekommen war. Andererseits boten die vakanten Positionen Spielraum für eine Verständigung mit dem Müller-Flügel der CSU. Angesichts der Ausschaltung Müllers stand die Union mehr denn je am Rande der Spaltung. Zum Zorn Müllers und seiner Anhänger, bei der Regierungsbildung nicht berücksichtigt worden zu sein, gesellte sich nun in der Partei die Empörung über den angesichts der parlamentarischen Gesamtstärke der Union enttäuschenden Verlauf der Kabinettsbildung.128 Müller wollte diese Stimmung auf der Landesausschußsitzung der CSU in Augsburg am 3. Januar 1947129 dazu nutzen, dem Kabinett „Ehard-Hoegner-Loritz“ das Mißtrauen aussprechen zu lassen. Nachdem dort zunächst massive Kritik an der Regierungsbildung und der Zusammensetzung des Kabinetts130 geübt worden war, nicht jedoch an der Person Ehards,131 gelang es dem Ministerpräsidenten – vom Sprachduktus alles andere als ein mitreißender Redner – durch den Inhalt seiner Rede die Stimmung der Tagung zu kippen. Dabei setzte er auf zwei Themen: Erstens die verfassungspolitische Entwicklung Deutschlands, bei der Bayern schon ins Hintertreffen geraten sei. Eine Umkehr sei nur bei Einigkeit möglich, eine Regierungskrise zum jetzigen Zeitpunkt fatal. Zweitens erhielt er breite Zustimmung für seinen Appell, den Streit zurückzustellen und nun endlich – wofür man schließlich gewählt sei – sachliche Arbeit zu leisten. Nur Ehards Rede,132 seine erste politische Großtat, verhinderte ein Mißtrauensvotum133 gegen sein Kabinett und das Auseinanderfallen der CSU. Die Konsens stiftende Art, die Ehard nicht nur hier an den Tag legte, hat ihm in der Literatur das Etikett vom „Mann des Ausgleichs“ verschafft.134 Es wäre jedoch verkehrt anzunehmen, Ehard sei infolge seiner ausgleichenden Art auch programmatisch zwischen dem Müller-Flügel und den von Hundhammer und seinen politischen Freunden vertretenen Positionen anzusiedeln. Hier befand er sich mit seiner Betonung der Staatlichkeit Bayerns und dezidiert föderalistisch-bundesstaatlichen Ansichten eindeutig auf der Seite des Hundhammer-Flügels, der seinerseits in der Tradition der von der BVP während der Weimarer Republik verfochtenen Politik stand.135

Ehard entzog seine Regierung auf diese Weise auch einer radikalen Kabinettsumbildung, die durchaus gefordert worden war.136 Andererseits hatte Hundhammer in Augsburg erklärt, „im Interesse der Erleichterung der Einigung bei der Besetzung der noch offenen Positionen der anderen Seite entgegenzukommen“.137 Dies hielt dann auch die angenommene Kompromißresolution fest.138 In einem Punkt war das Friedensangebot an den Müller-Flügel bereits vor der Landesausschußsitzung personell umgesetzt worden. Lorenz Sedlmayr, ein enger Vertrauter Müllers und Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands, hatte sich bereiterklärt, den Posten des Staatssekretärs für die besonderen Aufgaben der Planung im Wirtschaftsministerium zu übernehmen;139 er hatte in dieser Funktion bereits vor seiner Vereidigung am Ministerrat vom 30. Dezember 1946140 teilgenommen. Hundhammer sprach ferner davon, daß auch die Besetzung eines zweiten Staatssekretärspostens mit einem Parteigänger des Müller-Flügels in Aussicht genommen worden sei. Damit war Willi Ankermüller gemeint, dem Ehard am 28. Dezember vorbehaltlich der Zustimmung der Fraktion die Stelle des Staatssekretärs im Innenministerium angeboten hatte.141

Hundhammer lehnte es am 3. Januar in Augsburg allerdings ab, einen bereits ernannten bzw. nominierten CSU-Minister zugunsten des anderen Parteiflügels auszuwechseln. Ernannt waren bereits Hundhammer selbst und Baumgartner. Für das Finanzministerium war nach der Wahl Ehards am 21. Dezember 1946 innerhalb von zwei Tagen mit Hans Kraus ein Minister gefunden worden, der in dieser Eigenschaft auch schon an den beiden ersten Kabinettssitzungen teilgenommen hatte.142 Es ist im übrigen schwer, den persönlichen Anteil Ehards an diesen Berufungen zu bestimmen; er ist bei Männern wie Kraus und Staatssekretär Fischer143 eher anzunehmen, die als ehemalige hohe Beamte vor allem infolge ihrer fachlichen Qualifikation berufen wurden.

Für das Verkehrsministerium hatte die CSU zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keinen Minister benannt, weil auch Ehard gerne Helmerich berufen hätte144 und in dieser Frage wohl zunächst sondierte, jedoch am Widerstand der Militärregierung scheiterte. Hier wurde dann mit Frommknecht ein Fachmann berufen, der CSU-Mitglied war, aber kein Exponent einer Parteirichtung. Dem Müller-Flügel zugerechnet wurde noch der neben Sedlmayr im Wirtschaftsministerium zum Staatssekretär bestellte Hugo Geiger. Die parteiinterne Opposition verfügte damit am Ende über drei Staatssekretäre.145 Auf der Tagung des Landesausschusses in Augsburg war ferner scharf kritisiert worden, daß die dem eigenen Anspruch nach interkonfessionelle CSU nur katholische Regierungsmitglieder stelle und damit insbesondere die CSU-Wählerschaft im überwiegend protestantischen Franken verprelle.146 Hundhammer hielt dem zunächst entgegen, daß die traditionell paritätische Besetzung der Spitze des Kultusministeriums147 durch die Berufung des evangelischen Staatssekretärs Pittroff (SPD) gewahrt bleibe.148 Dies rief bei den protestantischen Vertretern der CSU nur Hohn hervor. Deshalb erklärte Hundhammer ferner, als offizieller Vertreter des evang.-luth. Bevölkerungsteils sitze weiterhin Staatsrat Hans Meinzolt im Kabinett.149 Meinzoit stand der CSU nahe, ohne Mitglied zu sein. Die Staatsräte, die es auch unter der neuen Regierung gab,150 waren jedoch keine Kabinettsmitglieder und nahmen auch nicht an Ministerratssitzungen teil.

Bezüglich der Minister und Staatssekretäre, deren Berufung der Landtag am 10. Januar 1947 in einem zweiten Schritt (nach dem 21. Dezember 1946) zustimmte, ist nur noch das Angebot Ehards vom 27. Dezember 1946 an den Präsidenten der Oberpostdirektion Regensburg, Hans Schuberth, zur Übernahme des Amtes eines Staatssekretärs für die Post im Verkehrsministerium belegt.151 Aus dem im Nachlaß Ehard vorliegenden Fragebogen Sedlmayrs, der am 30. Dezember unterzeichnet ist, sowie dem von Frommknecht am 4. Januar 1947 an Ehard übersandten Fragebogen und Lebenslauf152 ergibt sich indirekt, daß der Ministerpräsident ihnen in den Tagen zwischen den Jahren Plätze im Kabinett angeboten hatte und sie bereit zur Übernahme waren.

Am 7. Januar kündigte Ehard im Ministerrat an, daß er dem Landtag am 10. Januar 1947 als Staatssekretär der Justiz Generalstaatsanwalt Dr. Hagenauer, als Staatssekretär für Bauwesen im Ministerium des Innern Ministerialrat Fischer153 sowie als Staatssekretäre im Wirtschaftsministerium Hugo Geiger und Lorenz Sedlmayr zur Ernennung vorschlagen werde. Ferner beabsichtigte er, als Verkehrsminister Frommknecht und als Staatssekretär für die Post Schuberth vorzuschlagen. Die Zusage Ankermüllers auf das Angebot vom 28. Dezember stand noch aus; hier erwartete Ehard noch am selben Tag eine Zu- oder Absage.154

Am 9. Januar präsentierte der Ministerpräsident in einem sachlichen Referat, das frei von persönlichen Angriffen war“,155 dieses Personaltableau der CSU-Landtagsfraktion. Obwohl in dieser Liste mit sieben CSU-Kandidaten nun drei Staatssekretäre enthalten waren, die Müller nahestanden, wurde kritisiert, daß der Müller-Flügel nicht offiziell in die Verhandlungen einbezogen worden war, die zu diesen Personal Vorschlägen geführt hatten. Bei einer Abstimmung über die Ergänzung der Kabinettsliste lautete das Ergebnis 41:41 bei acht Enthaltungen.156 Michael Horlacher machte jedoch deutlich, daß die Liste im Landtag mit den Stimmen der Koalitionspartner SPD und WAV eine Mehrheit finden würde.

Am 10. Januar erteilte die Mehrheit des Landtags der von Ehard präsentierten personellen Ergänzung seines Kabinetts die Zustimmung; die Abgeordneten der FDP und ein Teil der CSU-Abgeordneten enthielten sich der Stimme.157 Die Stimmenthaltung des Müller-Flügels machte die weiterhin bestehende Reserve gegenüber dem Kabinett Ehard deutlich und ließ auch erkennen, daß die personellen Zugeständnisse bei der Besetzung einiger Staatssekretariate als das verstanden wurden, was sie waren: ein Trostpreis.158 Schließlich wurden am 10. Januar im Landtag Minister Zorn und Staatssekretär Gentner, die am 21. Dezember gefehlt hatten, sowie die Minister Kraus und Frommknecht und die Staatssekretäre Ankermüller, Fischer, Hagenauer, Geiger, Sedlmayr159 und Schuberth vereidigt.

Der Landtag erteilte in diesem Zusammenhang auch die Genehmigung zur Berufung von mehr als einem Staatssekretär im Innen-, Kultus- und Wirtschaftsministerium, über deren Zulässigkeit sowie deren Stellung die Mitglieder des Kabinett unterschiedliche Auffassungen hatten.160 Offiziell wurden diese Berufungen von Ehard im Kabinett und im Landtag161 damit begründet, daß die Aufgaben der Nachkriegszeit, die Bearbeitung von Reichsaufgaben durch die Landesministerien und die häufige Abwesenheit der Minister infolge Länderrats- und bizonaler Tagungen dies notwendig mache. Die personelle Ausweitung ging bereits auf die Verhandlungen zwischen CSU und SPD vor der Wahl Ehards zum Ministerpräsidenten zurück. Für Fragen des Koalitionsproporzes spielten sie keine Rolle, da die Doppelbesetzungen im Grunde alle der CSU zugute kamen. Den Verhältnissen einer Koalitionsregierung entsprach hingegen, daß in jedem Ressort dem Minister von CSU und SPD als politischer Vertreter ein Staatssekretär der anderen Regierungspartei beigegeben wurde.162 Die zweiten Staatssekretäre im Innen- und Wirtschaftsministerium dienten nun unabsichtlich einer zweiten „verdeckten“ Koalition zwischen Hundhammer- und Müller-Flügel im Kabinett. Im Kabinett Hoegner I hatte als einziges Ministerium das Sonderministerium über keinen Staatssekretär verfügt;163 nun wurde auch hier ein Stellvertreter geschaffen. Loritz versuchte im übrigen in der Ministerratssitzung am 7. Januar aus der Begründung Ehards für die zweiten Staatssekretäre politisches Kapital für die WAV zu schlagen, indem er erklärte, daß auch er vermutlich häufig nicht an Kabinettssitzungen teilnehmen könne und die WAV dann nicht im Ministerrat vertreten sei. Er forderte deshalb einen Staatssekretär als seinen Stellvertreter und Vertrauensmann der WAV im Kabinett. Damit stieß er bei Ehard jedoch auf Ablehnung.

Durch die zweiten Staatssekretäre war das Kabinett Ehard nun enorm groß geworden,164 was Finanzminister Kraus zu Warnungen vor den finanziellen Langzeitfolgen veranlaßte und zu der Bemerkung: „Schon jetzt habe das Kabinett einen Umfang, der einem großen Imperium entspreche“.165 Auch die Militärregierung kritisierte die Größe des Kabinetts, vor allem weil sie eine gewisse Schwerfälligkeit befürchtete.166

Offen blieben am 10. Januar noch die Besetzung eines von Ehard am 21. Dezember angekündigten Postens eines Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen sowie der eines Staatssekretärs für die Schönen Künste. Die Nominierung eines Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen, so das Resultat der Koalitionsverhandlungen, sollte nicht an parteipolitische Vorgaben gebunden sein. Der Staatssekretär für die Schönen Künste stand der CSU zu.

Im Kabinett Hoegner I hatte Innenminister Seifried am 14. November 1945 den ehemaligen preußischen Regierungspräsidenten Wolfgang Jaenicke zum Staatskommissar für das Flüchtlingswesen im Staatsministerium des Innern berufen,167 der jedoch keinen Kabinettsrang besaß.168 Die Koalitionsgespräche hatten Übereinstimmung für eine Aufwertung des Staatskommissars zum Staatssekretär ergeben. Dabei strebte Ehard zunächst an, das Staatssekretariat im Zuge der Regierungsbildung dem Arbeitsministerium einzugliedern.169 An diesem Punkt intervenierte jedoch die Militärregierung. Ehard teilte seinem Kabinett am 30. Dezember 1946170 mit, „daß die Militärregierung an sich keine Änderung des Apparates für das Flüchtlingswesen wünsche“ und es deshalb vorerst bei der Unterstellung des Flüchtlingswesens unter das Innenministerium bleibe.171 Das bedeutete indirekt auch ein Festhalten an der Person Jaenickes. Hoegner vermutete hinter der Einschaltung von OMGB in der Frage der Flüchtlingsverwaltung die Einflußnahme Jaenickes, mit dem er bereits als Ministerpräsident scharf aneinandergeraten war.172

Die SPD hatte ursprünglich ein Flüchtlingsministerium angestrebt.173 Um eine Mehrheit innerhalb der bayerischen SPD zugunsten seines Koalitionskurses zu erreichen, hatte Hoegner dieses Ministerium im Dezember dem sudetendeutschen Sozialdemokraten und Emigranten Richard Reitzner versprochen. 174 Hoegner war also personell gebunden; Jaenicke lehnte er auch wegen seiner Eigenmächtigkeiten ab.175 Der CSU gegenüber beharrte die SPD schließlich nicht „mit allzuviel Nachdruck“ auf einem Flüchtlingsministerium, pochte jedoch aus politischen Gründen auf ein Staatssekretariat als Minimum.176 Obwohl die Koalitionsverhandlungen in dem Sinne gelaufen waren, einen Fachmann zu berufen, gab es um das Amt nun doch parteipolitische Rangeleien: Hoegner hatte ein Versprechen einzulösen. Zudem hatte sich die SPD im Wahlkampf als Flüchtlingspartei präsentiert, was wiederum die CSU dazu bewog, auf der Besetzung des Staatssekretärspostens mit einem Mann ihres Vertrauens zu bestehen.177

Der Flüchtlingsausschuß der CSU sprach sich daher einstimmig für die Berufung von Jaenicke zum Staatssekretär für das Flüchtlingswesen aus.178 Ehard wich einer Entscheidung aus und bemühte sich gleichzeitig um eine Konsenslösung,179 indem er am 7. Januar die Mitglieder des Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern180 in der Staatskanzlei im Beisein von Hoegner und Seifried bat, sich auf einen Kandidaten für den Posten des Staatssekretärs zu einigen.

Auf der entscheidenden Sitzung des Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern schlug die SPD Reitzner und als Stellvertreter den Schlesier Willibald Mücke vor. Die CSU hielt an Jaenicke fest, auch weil der Beschluß des CSU-Landesausschusses sie band,181 keine weiteren Posten im Kabinett Ehard der SPD zu überlassen. Der Hauptausschuß erklärte deshalb am 10. Januar, daß er keinen Kandidaten nominieren könne,182 und gab die Entscheidung und damit die ihm zugeschobene Verantwortung zurück.183

Zu diesem Zeitpunkt war unklar, ob es angesichts dieser Schwierigkeiten überhaupt zu einer Besetzung der Position des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen kommen würde. Der Vorsitzende des Hauptausschusses Mücke wandte sich deshalb an Ehard und wies auf die „ungeheuere Enttäuschung hin, die durch eine derartige Unterlassung in den Flüchtlingskreisen hervorgerufen werden würde, denen vor den Wahlen von den großen Parteien diesbezügliche Versprechungen gemacht worden seien“.184

Am 21. Januar machte schließlich Ehard dem Vorstand des Hauptausschusses vorbehaltlich der Zustimmung der Fraktionen den Vorschlag, Jaenicke zum Staatssekretär zu ernennen. Gleichzeitig sollten diesem „als Vertreter im Amt je ein Angehöriger von CSU und SPD, die das Vertrauen der Flüchtlinge haben“, an die Seite gestellt werden.185 Der Hauptausschuß stimmte mit den Worten zu, „daß insbesondere Ihr Vorschlag, das neu zu bildende Staatssekretariat für das Flüchtlings wesen in der Spitze zu neutralisieren, die richtige Lösung ist“.186 Mit dieser Formulierung ermöglichte man den SPD-Mitgliedern des Ausschusses die Zustimmung, ohne den von ihnen zuvor abgelehnten Jaenicke direkt zu erwähnen. Trotzdem distanzierten sich diese später davon, durch ihre Zustimmung der Berufung Jaenickes zugestimmt zu haben.187 Dies änderte jedoch nichts mehr an der getroffenen Entscheidung.

Am 31. Januar 1947 stimmte der Landtag der Berufung von Jaenicke zum Staatssekretär „für den besonderen Geschäftsbereich Flüchtlingsangelegenheiten im Staatsministerium des Innern“ zu.188 Ehard teilte dem Landtag ferner mit, daß dem Staatssekretär zwei Vertrauensmänner beigegeben würden, von der SPD Richard Reitzner, von der CSU der sudetendeutsche Oberamtsrichter Franz Ziegler.189 In der genannten Reihenfolge sollten sie den Staatssekretär bei Verhinderung im Amt vertreten. Ausdrücklich erklärte Ehard noch: „Dem Kabinett gehören diese beiden Vertrauensmänner nicht an“. Dies schloß eine stimmberechtigte Vertretung Jaenickes im Ministerrat aus. Reitzner und Ziegler führten zunächst den Titel eines stellvertretenden Staatssekretärs, der jedoch offiziell nicht existierte. Die Verwendung wurde unter anderem von Ehard kritisiert.190 Die Einstufung und Bezeichnung von Reitzner und Ziegler beschäftigte das Kabinett noch mehrfach; zuletzt entschied der Ministerrat zugunsten einer Einstufung als Ministerialräte und ihrer Bezeichnung als „Vizepräsident“.191

Die Mitte Januar noch vakante zweite Stelle war die des Staatssekretärs für die Schönen Künste.192 Dessen Aufgabengebiet hatte Ehard in seiner Regierungserklärung am 10. Januar 1947 folgendermaßen umrissen: „Der Wiedererrichtung des einstmaligen hohen Standes des Hochschulwesens und aller Zweige der freien Künste soll die Errichtung eines eigenen Staatssekretariats dienen“.193 Die Besetzung eines zweiten Staatssekretariats für die Schönen Künste im Kultusministerium hatte er bereits am 21. Dezember angekündigt; sie ging bereits auf Pfeiffers Überlegungen zurück und war in den Koalitionsverhandlungen gebilligt worden. Die ursprüngliche Initiative dazu war von Kurt Pfister194 ausgegangen, der seit August 1945 Referent für kulturelle Angelegenheiten in der Staatskanzlei war. Ein Vorbild für das Amt existierte in Frankreich.195 Die personelle Besetzung des für die CSU reservierten Staatssekretariats erwies sich als schwierig und zog sich mehrere Wochen hin.196 Pfister, der mit seiner Idee auch eigene Ambitionen auf den Posten verbunden hatte,197 erschien Ehard wegen mangelnder Weitläufigkeit198 jedoch als nicht geeignet für das Amt. Als Kandidat war dann Alois Johannes Lippl im Gespräch.199 Gegen ihn bestanden Einwände wegen seiner Tätigkeit nach 1933.200 Außerdem wäre infolge einer Erkrankung mit seinem Amtsantritt für längere Zeit nicht zu rechnen gewesen. Der ehemalige Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Friedrich Glum,201 seit August 1946 als Ministerialdirigent in der Staatskanzlei, nimmt für sich in Anspruch, Ehard schließlich auf den Architekten Dieter Sattler aufmerksam gemacht zu haben.202 Bei einer ersten Besprechung in der Staatskanzlei zwischen Glum, Gumppenberg und Sattler am 8. Januar 1947 waren vier Kandidaten im Gespräch: Pfister, der Direktor des Bayerischen Landesamtes für Denkmalflege Georg Lill,203 der schon im Oktober 1945 als möglicher Kultusminister im Kabinett Hoegner I genannt worden war,204 Walter Keim205 und Sattler selbst. Nach einer weiteren Besprechung bei Minister Hundhammer am 18. Januar waren als Kandidaten nur noch Pfister und Sattler übrig. Ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten Sattlers war es, daß er von Hundhammer und Ehard favorisiert wurde und der Müller-Flügel dies zunächst durch Strauß und dann durch Müller akzeptierte,206 Pfister besaß lediglich im Leiter der Staatskanzlei Pfeiffer einen Fürsprecher. Da Mitte Januar ein großes Interesse an der Verpflichtung Sattlers bestand,207 konnte dieser zuletzt Bedingungen stellen. Unter Bezug auf zwei Gespräche mit Hundhammer forderte er vor Aufnahme seiner Tätigkeit die Aufhebung der Stelle des Kulturreferenten in der Staatskanzlei. Zum Aufbau des künstlerischen und kulturellen Lebens wollte Sattler weiterhin einige junge und engagierte Leute in das Kultusministerium holen. Einige Namen waren bereits gefallen. Am Ende traf dies nur auf Walter Keim zu, der gleichzeitig mit Sattler an den Salvatorplatz kam. Ferner wollte Sattler – entgegen den Bestimmungen der Verfassung208 – sein Architekturbüro mindestens ein Jahr noch weiterführen; auch für seine bisherige Tätigkeit als beratender Architekt der Monuments and Fine Arts Abteilung der Militärregierung galt es noch eine Regelung zu finden.209

In den meisten Punkten kam man Sattler entgegen. Lediglich auf seine wichtigste Forderung, die Streichung der Stelle Pfisters in der Staatskanzlei, gingen Ehard und Hundhammer nicht ein.210 In zahlreichen Fällen, unter anderem in personellen Fragen bei den Staatstheatern, kam es später zu den von Sattler befürchteten Konflikten mit Pfister.211

Am 31. Januar stimmte der Landtag der Berufung von Sattler zum Staatssekretär „für den besonderen Geschäftsbereich Schöne Künste im Staatsministerium für Unterricht und Kultus“ zu.212 Über die Besetzung der beiden letzten noch offenen Staatssekretariate war im übrigen innerhalb der zerklüfteten CSU-Fraktion Einvernehmen erzielt worden.213

Damit war die Regierungsbildung abgeschlossen.214 Formaler Abschluß der Koalition war die „Koalitionsvereinbarung“ vom 28. Januar 1947, die von den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen von CSU (Hundhammer) und SPD (Stock) unterzeichnet war.215 Nach Punkt 1 der Vereinbarung waren, neben der Verfassung, das 30-Punkte-Programm der CSU sowie das Aktionsprogramm der SPD216 „Grundlagen der Regierungspolitik“.217

In derselben Sitzung, in der mit den Berufungen von Jaenicke und Sattler die Regierungsbildung abgeschlossen wurde, setzte der Landtag auf Antrag der SPD-Fraktion218 einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß über die Vorgänge bei der Regierungsbildung ein. Er sollte die behauptete Einmischung von Mitarbeitern des Sonderministeriums in die Regierungsbildung vor und am 21. Dezember 1946 untersuchen. Er konnte den Nachweis eines unmittelbaren Einflusses zwar nicht führen, legte aber in seinem Abschlußbericht den Schluß nahe, daß Josef Müller in diesem Zusammenhang nicht mit lauteren Mitteln gearbeitet habe. Erkennbar wird darin die politische Absicht, Müller zu diskreditieren, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, seinerseits glaubhaft in der Öffentlichkeit die Winkelzüge Horlachers und Hundhammers sowie der SPD bei der Regierungsbildung anzugreifen.219

In den neun Monaten, die das Kabinett Ehard I amtierte, schieden zwei Mitglieder durch Rücktritt bzw. Entlassung vorzeitig aus der Regierung aus. Infolgedessen berief Ehard im Juli 1947 zwei Herren neu in das Kabinett und nahm eine Umbesetzung vor. Weiterhin boten einige Kabinettsmitglieder ihren Rücktritt an bzw. drohten damit, ohne daß sich daraus Konsequenzen ergaben. Ferner richteten sich Initiativen des Landtags mehrfach in einer Weise gegen einzelne Minister, daß ihr Verbleib im Amt zumindest kurzzeitig fraglich war.

Zunächst war die Zusammensetzung der Regierung durch einen von der FDP-Fraktion des Landtags am 31. Januar 1947 eingebrachten Antrag bedroht, Wirtschaftsminister Zorn das Mißtrauen auszusprechen.220 Vordergründig ging es um die Berufung von Viktor Agartz (SPD), dessen Name für eine zentralistische und sozialistische Wirtschaftspolitik stand, an die Spitze der Verwaltung für Wirtschaft des VWG durch gemeinsamen Beschluß der einheitlich sozialdemokratischen Wirtschaftsminister der Bizone, dem angeblich auch Zorn zugestimmt hatte. Tatsächlich hatte sich Zorn der Stimme enthalten.221 Politische Brisanz bekam der Antrag der nur über neun Landtagsmandate verfügenden FDP gegen Zorn jedoch dadurch, daß er den Gegnern einer Koalitionsregierung innerhalb der CSU, deren Mißmut sich sowieso in besonderer Weise daran entzündet hatte, daß man das Wirtschaftsministerium einem Sozialdemokraten überlassen hatte,222 eine Möglichkeit bot, Zorn zu demontieren223 bzw. die ganze Koalition in Schieflage zu bringen. Weiterhin war umstritten, ob die Verfassung einen Mißtrauensantrag gegen einen Minister überhaupt zulasse.224 Der Landtag entschied am 20. Februar 1947 am Ende einer hitzigen Debatte mit 82 zu 37 Stimmen, daß ein Mißtrauensantrag gegen einen einzelnen Minister nicht zulässig sei.225 Gemeinsam mit der FDP hatte der Müller-Flügel der Union erneut seine Mißbilligung der Koalition artikuliert, ohne jedoch eine Wirkung zu erzielen.226 Die Koalition bestand diese Bewährungsprobe.227

Landwirtschaftsminister Baumgartner bot dem Ministerpräsidenten am 24. Februar 1947 seinen Rücktritt an,228 weil er die Verantwortung für die Ernährungskrise nicht mehr übernehmen könne. Nachdem angekündigt wurde, daß Forderungen Baumgartners auf dem Gebiet der Ernährung erfüllt würden, wies Ehard dessen Rücktrittsangebot zurück. Baumgartner konnte ohne Gesichtsverlust im Amt bleiben.229

Nach einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen dem Staats minister für Sonderaufgaben Loritz und seinem Staatssekretär Höltermann war es Mitte April 1947 definitiv zu einem Bruch gekommen. Höltermann trat zunächst einen unbefristeten Erholungsurlaub an. Gegenüber Journalisten erklärte er, nicht vor einem Ministerwechsel in sein Amt zurückzukehren.230 Am 12. Mai 1947 stellte er sein Amt schließlich zur Verfügung, weil er mit Loritz nicht Zusammenarbeiten könne.231 Nachdem verschiedene Versuche Ehards, Höltermann umzustimmen, gescheitert waren, entsprach Ehard am 28. Mai 1947 dessen Wunsch. Der Landtag erteilte die nach Art. 45 der Verfassung notwendige Zustimmung zu seiner Entlassung.232 Höltermann wurde im unmittelbaren Anschluß zum Staatsbeauftragten für die Brennstoffversorgung im Wirtschaftsministerium ernannt.233

Der am 30. Mai 1947 vom Landtag beschlossene und auf Initiativen von FDP234 und CSU235 zurückgehende Antrag, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Mißstände im Staatsministerium des Innern, Abteilung Gesundheit, einzusetzen, richtete sich gegen Innenminister Seifried und seine Personalpolitik.236 Da der Untersuchungsbericht erst im Februar 1949 vorgelegt wurde, also nachdem die SPD und Seifried schon lange aus der Regierung ausgeschieden waren, blieb dies für die personelle Zusammensetzung des Kabinetts ohne Wirkung.237

Am 24. Juni 1947 entließ Ministerpräsident Ehard den Staatsminister für Sonderaufgaben Alfred Loritz.238 Ursachen waren dessen chaotische Geschäftsführung im Sonderministerium, die neben Höltermann zahlreiche Laufbahnbeamte dazu gebracht hatten, die Mitarbeit unter Loritz zu verweigern, sowie die Mißstände in den Internierungslagern. Auslöser für die Entlassung war der von Loritz aufgebaute und mit WAV-Mitgliedern durchsetzte Kontrolldienst in den Internierungslagern,239 dessen Existenz zu massiver Kritik der Militärregierung und zu ihrer Forderung nach Entlassung des entsprechenden Abteilungsleiters und seines Stellvertreters im Sonderministerium geführt hatte. Darin kam indirekt auch zum Ausdruck, daß der Sonderminister nicht mehr das politische Vertrauen der Militärregierung besaß.240 Der Landtag stimmte am 24. Juni gegen die Stimmen der WAV der Entlassung von Loritz zu.241 Damit schied auch die WAV aus der Koalition aus.

Um kein Vakuum an der Spitze des für die Entnazifizierung zuständigen Ressorts entstehen zu lassen, machte der Ministerpräsident von der Ermächtigung in Art. 50 Abs. 1 der Verfassung Gebrauch und wies den Geschäftsbereich dem Staatsminister der Justiz zu. Hoegner übertrug die Leitung des ihm zugewiesenen Geschäftsbereichs seinem Staatssekretär Ludwig Hagenauer.242 Am 15. Juli 1947 berief Ehard, nach Zustimmung der Fraktionen,243 Hagenauer (CSU) zum Staatsminister für Sonderaufgaben sowie den Präsidenten des Landgerichts Nürnberg Camille Sachs (SPD) zum Staatssekretär in diesem Ressort.244 Mit Hagenauer und Sachs trugen zum ersten Mal CSU und SPD gemeinsam die Verantwortung für das Entnazifizierungsministerium.

Bereits am 28. Mai 1947 hatte die FDP einen Mißbilligungsantrag gegen Kultusminister Hundhammer im Landtag eingebracht.245 Anlaß dafür war die auf dessen Veranlassung durchgeführte Elternbefragung zur Wiedereinführung des Züchtigungsrechts an Volksschulen.246 Die Behandlung des Antrags wurde jedoch im Haushaltsausschuß zweimal zurückgestellt. Deshalb brachte die FDP ihre Kritik gegenüber Hundhammer, die sie nun auf die gesamte Amtsführung des Kultusministers ausdehnte, am 17. Juli 1947 in Form einer Interpellation vor das Landtagsplenum.247 Mit Mehrheit beschloß der Landtag, auf eine Debatte der Interpellation sowie ihre Beantwortung durch Ministerpräsident Ehard zu verzichten, was ein indirektes Vertrauensvotum für Hundhammer darstellte. Im Unterschied zum Mißbilligungsantrag gegen Wirtschaftsminister Zorn stand Mitte Juli auch der Müller-Flügel der CSU hinter dem Kultusminister und damit der Regierung.248

Die frei gewordene Stelle des Staatssekretärs im Staatsministerium der Justiz übernahm am 18. Juli 1947 der bis dahin als rechtskundiger Stadtrat in München tätige Carl Lacherbauer (CSU).249

3. Die Mitglieder des Kabinetts

Neben Ehard als Ministerpräsident nahmen in wechselnder Zusammensetzung elf Minister und 15 Staatssekretäre an den Sitzungen des Bayerischen Ministerrats teil.

Staatsminister:

Justizminister und stellv. MPr. Dr. jur. Wilhelm Hoegner (1887–1980), bis 1918 kath., Jurist, Studium in Berlin, München und Erlangen, 1911 Promotion, 1917 große juristische Staatsprüfung, Rechtsanwalt, 1920–1933 3. Staatsanwalt, dann Amtsgerichts rat, 1. Staatsanwalt und Landgerichtsrat in München, seit 1919 SPD, 1924–1932 MdL, 1930–1933 MdR, 1933 Flucht nach Österreich, 1934–1945 in der Schweiz im Exil, 6. 6. 1945 Rückkehr nach München, seitdem von Schäffer ohne Amt mit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung betraut, am 20. 9. 1945 mit Wirkung vom 15. 6. 1945 zum Senatspräsidenten am OLG München ernannt, 28. 9. 1945–21. 12. 1946 Bayer. Ministerpräsident und seit 18. 10. 1945 auch Justizminister, 21. 12. 1946–20. 9. 1947 Justizminister und stellv. MPr., 21. 9. 1947 Senatspräsident OLG München, 1. 7. 1948 Staatsrat und Generalstaatsanwalt beim Bayer. Obersten Landesgericht, 18. 12. 1950–14. 12. 1954 Innenminister und stellv. MPr., 14. 12. 1954–16. 10. 1957 Bayer. Ministerpräsident, 1946 Vorsitzender des Vorbereitenden Verfassungsausschusses, Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung sowie Mitglied von deren Verfassungsausschuß, 1946–1970 MdL, 1961/62 MdB (SPD), 1945–1947 Landesvorsitzender der bayer. SPD, 1958–1962 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, 1958–1970 stellv. Landtagspräsident.

Innenminister Josef Seifried 250 (1892–1962), altkath., Gewerkschaftsfunktionär, Besuch der Mittelschule sowie kaufmännische Lehre in München, 1917–1919 Tätigkeit im Zeitungswesen in München (Angestellter der Expedition der sozialdemokratischen „Münchener Post“, anschließend Werbefachmann in der Anzeigenabteilung der „Münchener Neuesten Nachrichten“) und Berlin, kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von der Stadt München mit Reformaufgaben beim Arbeitsamt betraut, 1919–1933 Geschäftsführer des Allgemeinen Freien Angestelltenbundes zunächst in München, schließlich für ganz Südbayern, 1928–1933 MdL (SPD), schwere Verletzung bei Saalschlacht mit Nationalsozialisten in Ramersdorf, 1933 Schutzhaft, in den beiden letzten Kriegsjahren trotz körperlicher Behinderung Einsatz als Zwangsarbeiter in München, im Mai 1945 Mitarbeit beim Wiederaufbau der Gewerkschaften, Vors. des Ausschusses für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Münchener Gewerkschaften, der mit dem Plan „G“ eine Darstellung zu Währungs- und Finanzverhältnissen und sozialen Problemen bei Kriegsende vorlegte, Mitglied der VAfB., Juni 1945 Stadtrat in München, 22, 10. 1945–20. 9. 1947 StMI in den Kabinetten Hoegner I und Ehard I, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses und der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie stellv. Vors. ihres Verfassungsausschusses, 1946–1950 MdL (SPD), 1948/49 MdPR, anschließend Inhaber einer Firma in München (Seifried&Sohn), die sich in erster Linie mit der Anzeigenwerbung für die dt. Gewerkschaftspresse und das Bayer. Fußballtoto beschäftigte, Vors. der Gesellschafterversammlung des Bayer. Werbefunks u. Initiator des Bayer. Fußballtotos.

Finanzminister Dr. oec. publ. Hans Kraus (1879–1952), kath., Nationalökonom, Studium in Würzburg und München, 1903 Eintritt in die bayer. Finanzverwaltung, vor 1933 BVP-Mitglied, 1919–1932 StMF, 1924 Promotion, 1928 MinRat, 1932 Leiter der Bayer. Rechnungskammer, in den zwanziger Jahren Beteiligung an den Denkschriften des MPr. Held über die fortschreitende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder, 1934 u. a. mit der Erarbeitung eines Entwurfs für eine Staatshaushaltsordnung betraut, 1944 Ruhestandsversetzung, 1945 CSU-Mitglied, 16. 1. 1946 unter Wiederberufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit Ernennung zum MD in der StK, 4. 7.-21. 12. 1946 Staatssekretär und Leiter der StK, Sonderbeauftragter Bayerns im Länderratsdirektorium, in den Kabinetten Ehard I und II 10. 1. 1947–8. 2. 1950 StMF.

Kultusminister Dr. phil. Dr. oec. publ. Alois Hundhammer (1900–1974), kath., Verbandsfunktionär und Politiker, Studium von Philosophie, Geschichte und Volkswirtschaft in München und Budapest, 1. 4. 1923 Referent bei der Kreisbauernkammer Oberbayern, 1. 5. 1927 stellv. Generalsekretär des Bayer. Christlichen Bauernvereins, 1932–14. 10. 1933 MdL (BVP), Mitte Juni 1933 verhaftet und acht Tage in Polizeigewahrsam, anschließend 21. 6.-6. 7. 1933 anläßlich der Aktion gegen die BVP im KZ Dachau, nach Haftentlassung zunächst arbeitslos, 1. 10. 1933 Übernahme einer Schuhreparaturwerkstätte in München-Harlaching, später Eröffnung eines Schuhgeschäfts, wiederholte Haussuchungen und Gestapovernehmungen, 26. 8. 1939 Einberufung zur Wehrmacht, 28. 2. 1940 Entlassung aus dem Heeresdienst und Übernahme als Beamter in den Heeresverwaltungsdienst, 1. 6. 1940 Kriegsverwaltungsinspektor, 20. 12. 1940 Zahlmeister, 1. 7. 1942 Oberzahlmeister, 20. 4.-13. 9. 1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1945 Mitbegründer der CSU, 21. 12. 1946–18. 12. 1950 StMUK in den Kabinetten Ehard I und II, 1957–1969 StMELF, 1964–1969 auch stellv. MPr., 1946 Mitglied des Bayer. Beratenden Landesausschusses, anschließend Vors. der CSU-Fraktion in der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie Mitglied ihres Verfassungsausschusses, seit März 1947 Mitglied des Parlamentarischen Rats des Länderrats der US-Zone, 1946–1970 MdL (CSU), 1946–19. 6. 1951 Vors. der CSU-Fraktion, 1951–1954 Landtagspräsident, 1952–1960 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU, 1946–1970 mit einer kurzen Unterbrechung 1948 Vors. des CSU-Bezirksverbandes Oberbayern.

Landwirtschaftsminister Prof. Dr. rer. pol. Joseph Baumgartner (1904–1964), kath., Verbandsfunktionär und Politiker, 1925–1929 Studium der Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie in München, 1928 Diplom Volkswirt, 1929 Promotion bei Adolf Weber, 1929–1933 2. stellv. Generalsekretär des Bayer. Christlichen Bauernvereins, BVP-Mitglied, Ende 1933 Angestellter der Allianz-Versicherung, 1938 Versetzung zur Wiener Allianz nach Graz, 1942 wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz verhaftet, 8 Wochen Landgerichtsgefängnis Graz, 1942–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1945 Personalreferent beim Bayer. Landesamt für Ernährung und Landwirtschaft, 1945 Mitbegründer der CSU und des Bayer. Bauernverbandes (BBV), seit 1949 Präsidiumsmitglied des BBV, 22. 10. 1945–15. 1. 1948 StMELF in den Kabinetten Hoegner I, Ehard I und Ehard II bis zum Rücktritt am 15. 1. 1948, 26. 1. 1948 Übertritt zur BP, 19. 6. 1948–1952 und 1953–1959 Vors. der BP, im Kabinett Hoegner II 14. 12. 1954–16. 10. 1957 erneut StMELF und stellv. MPr., 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung (CSU), 1946–1962 MdL (1946–1948 CSU, anschließend fraktionslos bzw. Freie Parlamentarische Vereinigung und Freie Fraktionsgemeinschaft, seit 1950 BP), 1949–1950 MdB (BP), 1950–1959 Honorarprofessor für Agrarpolitik an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Weihenstephan, 1959 zunächst im sog. „Spielbankenprozeß“ Verurteilung zu zwei Jahren Zuchthaus und Verhaftung im Gerichtssaal, später Aufhebung der Urteile durch den Bundesgerichtshof und Verweisung zur neuerlichen Verhandlung an das Münchner Gericht.

Wirtschaftsminister Dr. jur. Rudolf Zorn (1893–1966), kath., später ev., Jurist, seit 1912 Studium von Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in München, u. a. bei Lujo Brentano, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919 SPD-Mitglied, 1920 Promotion in Erlangen, nach dem Assessorexamen Eintritt in die bayer. Staatsverwaltung, Regierungsassessor bei der Regierung von Oberbayern, StMI, 1925–1927 Bezirksamtmann in Lichtenfels, 1927–1933 Erster rechtskundiger Bürgermeister der Stadt Oppau (seit 1938 Stadtteil von Ludwigshafen) in der Pfalz, Rechtsberater des Reichsbanners, 10. März–8. April 1933 Verhaftung und Schutzhaft im Zuchthaus Frankenthal, bis 1934 Sicherung des Lebensunterhalts in München als Repetitor und Nachhilfelehrer, Rückkehr in die bayer. Staatsverwaltung und Niederlassung als Rechtsanwalt wurden ihm verwehrt, durch persönliche Kontakte Angestellter der Zigarettenfabrik Lande GmbH in Dresden, seit 1936 als Vorstandsmitglied; Übersetzung der Discorsi Machiavellis, ebenso literarische Arbeiten unter dem Pseudonym Rudolf Wrede bei Hugendubel in München. – Nach Kriegsende zweimalige Weigerung, das Bürgermeisteramt in Dresden zu übernehmen, September 1946 Rückkehr nach München, Herbst 1946 Leiter des Bayer. Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung, 10. 1. 1947–20. 9. 1947 StMWi im Kabinett Ehard I, im Anschluß Wirtschaftsanwalt in München und maßgebliche Mitarbeit am Aufbauplan A der SPD, Vortrag des wirtschaftspolitischen Grundsatzreferats auf dem SPD-Parteitag im September 1948 in Düsseldorf, März 1949 Wahl zum geschäftsführenden Direktor des Bayer. Sparkassen- und Giroverbandes, bis Mai 1950 an der Spitze der dem Verband gehörenden Bayer. Gemeindebank, 3. 1.-19. 6. 1951 Übergangs weise StMF im Kabinett Ehard III, Fortsetzung seiner Tätigkeit beim Sparkassen- und Giroverband bis 1. 7. 1964, Mitglied des Verwaltungsrats des Bayer. Rundfunks, Vorstandsmitglied des Goethe-Instituts.

Arbeitsminister Albert Roßhaupter (1878–1949), kath., Gewerkschaftsfunktionär, Lackiererlehre und Fortbildungsschule, 1897 SPD-Mitglied, 1899 – 1908 Lackierer in den Eisenbahn-Zentralwerkstätten München, 1900–1908 nebenamtl. Bezirksleiter des freigewerkschaftlich-sozialdemokratischen Bayer. Eisenbahnwerkstätten u. Betriebsarbeiterverbandes bzw. des Süddt. Eisenbahn- und Postpersonalverbandes, 1909 dessen hauptamtl. Sekretär, 1909–1912 Redakteur des Verbandsorgans „Süddeutsche Eisenbahn- und Postpersonal-Zeitung“ in Nürnberg, 1912/1913–1920 Redakteur der „Schwäbischen Volkszeitung“ in Augsburg, 1915–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1913—1919 Gemeindebevollmächtigter in Augsburg, 8. 11. 191821. 2. 1919 Minister für militärische Angelegenheiten, 1907–1933 MdL (SPD), zuletzt Fraktionsvorsitzender, 1918 Mitglied des bayer. Provisorischen Nationalrats, Mitglied des SPD-Landesausschusses, 1920–1933 Redakteur des „Bayerischen Wochenblatts“ (Organ der Land- und Forstarbeiter), Juni-September 1933 Gefängnis Fürstenfeldbruck, 22. 8.-22. 12. 1944 KZ Dachau, 1945 führendes Mitglied der Aktionsgemeinschaft SPD-KPD in München, 20. 6. 1945–28. 9. 1945 StMArb im Kabinett Schäffer, im Kabinett Hoegner I StMArb und stellv. MPr., im Kabinett Ehard I bis 20. 9. 1947 StMArb, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses sowie der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung und ihres Verfassungsausschusses, anfangs auch Vors. der SPD-Fraktion in der Landesversammlung, 1948/49 MdPR.

Staatsminister für Verkehrsangelegenheiten Dipl.-Ing. Otto Frommknecht (1881–1969), kath., Ingenieur, 1901–1905 TH München, 1908 Ablegung der techn. Staatsprüfung, 1909 Eintritt in den Dienst der bayer. Staatsbahnen, 1912 Eisenbahn-Assessor, Teilnahme am Ersten Weltkrieg (u. a. als Führer einer Eisenbahnbaukolonne, als Vorstand eines Militärbauamtes in Belgien und als Fahrplan- und Militärtransport-Dezernent in Warschau), Oktober 1917 Rückberufung nach München und Betrauung mit der Oberleitung über den Gesamtverkehr München – Laim und alle angeschlossenen militärischen Anlagen, seit 1919 bei der Deutschen Reichsbahn, ebenfalls seit 1919 Mitglied der BVP, Mitglied ihres Wirtschaftsbeirates, 1920–1922 Beurlaubung zum StMI, dort als Landesleiter Aufbau der Technischen Nothilfe, 1923 Rückkehr zur Reichsbahndirektion München, 1919–1924 Bürgermeister von Obermenzing, bis 1930 dort Gemeinderat, 1925 Oberreichsbahnrat, 1933 auf eine weniger zentrale Funktion als Leiter des Betriebsamtes München I abgeschoben, 1937 Erzwingung der Rückkehr zur Reichsbahndirektion als streckenbautechnischer Dezernent, 16. 4. 1938 des Dienstes enthoben, 2. 7. 1938 Verhaftung, 4. 2. 1939 vom Volksgerichtshof Berlin wegen versuchten Landesverrats zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, 4. 7. 1939 Entlassung aus dem Zuchthaus Amberg, arbeitslos, 1940–1945 bei der Firma Brown & Boveri, Juli 1945 Rückkehr als Abteilungsleiter (Reichsbahn-Baustab) zur Reichsbahndirektion München, auf dem Wege der Wiedergutmachung rückwirkend zum Abteilungspräsidenten befördert, 1946 Mitglied der CSU, 10. 1. 1947–18. 12. 1950 StMVerkehr in den Kabinetten Ehard I und II. Staatsminister für Sonderaufgaben Alfred Loritz (1902–1979), kath., Jurist, Studium in München, 1926 Staatsexamen und Zulassung als Rechtsanwalt in München, seit 1928 Mitglied der Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei) und deren Vors. für Oberbayern und Schwaben, 1932 Parteiausschluß, Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, 1939 Verlust der Zulassung, 25. 8. 1939 Emigration in die Schweiz, seit 1933 und auch später Kontakt zu Widerstandsgruppen, häufiger illegaler Grenzwechsel, 1945 Rückkehr nach München, Vorsitzender der am 25. 3. 1946 lizenzierten Wirtschaftlichen Aufbau Vereinigung (WAV), 21. 12. 1946–24. 6. 1947 StMSo im Kabinett Ehard I, von MPr. Ehard entlassen, anschließend Verhaftung wegen Verleitung zum Meineid und Schwarzmarktgeschäften, Oktober 1947 Flucht aus der Untersuchungshaft, 1948 vor Gericht weitgehend rehabilitiert, 1949 verhinderte die Militärregierung die von seinen politischen Gegnern mit juristischen Mitteln angestrebte Ausschaltung als Bundestagskandidat, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie ihres Verfassungsausschusses, 1946–1950 MdL (WAV), seit März 1947 Mitglied des Parlamentarischen Rats des Länderrats der US-Zone, 1949–1953 MdB (bis 1951 WAV, anschließend fraktionslos), 1955 Verurteilung zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus wegen Meineidsanstiftung und Falschbeurkundung, vor der Vollstreckung Flucht nach Österreich, das ihm 1962 politisches Asyl gewährte. Staatssekretär im Justizministerium bzw. Staatsminister für Sonderaufgaben Dr. jur. et rer. pol. Ludwig Hagenauer (1883–1949), kath., Jurist, Studium in Würzburg, 1912 Promotion, Rechtsanwalt in Würzburg, 1919–1945 Staatsanwalt und Richter, 1918–1933 BVP-Mitglied, Mai bis September 1945 kommissarischer Vizepräsident der Polizeidirektion München, Oktober bis Dezember 1945 kommissarischer Präsident des Landgerichts München, Dezember 1945 bis Januar 1947 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht München, 10. 1.-15. 7. 1947 Staatssekretär im StMJu im Kabinett Ehard I, 15. 7.-20. 9. 1947 StMSo im Kabinett Ehard I, 20. 9. 1947–20. 7. 1949 StMSo im Kabinett Ehard II.

Staatsminister und Leiter der Staatskanzlei Dr. phil. Anton Pfeiffer (1888–1957), kath., Lehrer, Anglistik- und Romanistikstudium in München und Erlangen, 1910/1911 Lehramtsprüfung in engl. und franz. Philologie, 1913 Promotion, Tätigkeit im höheren Schuldienst, zuletzt Oberstudienrat, 1918–1933 Generalsekretär der BVP, 1928–1933 MdL (BVP), 28. 6.-7. 7. 1933 verhaftet, 1934–1945 Schuldienst, 1945 Mitbegründer der CSU, seit 10. 7. 1945 leitende Tätigkeit in der StK unter Schäffer, 22. 10. 1945–3. 7. 1946 Staatssekretär und Leiter der StK, anschließend 4. 7.-21. 12. 1946 StMSo im Kabinett Hoegner I, in den Kabinetten Ehard I und II erneut Leiter der StK, seit 10. 1. 1947 im Range eines Staatsministers, als Leiter der StK auch Sonderbeauftragter Bayerns im Länderratsdirektorium, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses und der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, seit April 1947 Mitglied des Verwaltungsrats des Deutschen Büros für Friedensfragen, 10.-23. 8. 1948 Vors. des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee, 1948/49 MdPR und Vors. der CDU/CSU-Fraktion, 1946–1950 MdL (CSU), 1949 erfolglose Bewerbung um ein Bundestagsmandat, 1950/1951 Generalkonsul in Brüssel, 1951–1954 Botschafter in Belgien.

Staatssekretäre:

Staatssekretär im Justizministerium Dr. jur. Carljörg Lacherbauer 251 (1902–1967), kath., Jurist, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, der Volkswirtschaft und Geschichte in München, 1928 Promotion, 1929 große juristische Staatsprüfung, 1929–1945 Gerichtsassessor, Staatsanwalt und Amtsgerichtsrat in München, Stadtrat in München, seit 1. 12. 1945 kommissarischer 3. Bürgermeister von München, 18. 7. 1947–1. 12. 1948 Staatssekretär im StMJu in den Kabinetten Ehard I und Ehard II, 1945 Mitbegründer der CSU, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landes Versammlung, 1946–1958 MdL (bis 1953 CSU, anschließend BP), 1955–1957 Vors. der BP-Fraktion, seit 1949 Notar in Bad Tölz.

Staatssekretär im Finanzministerium Dr. jur. et rer. pol. Hans Müller 252 (1884–1961), kath., Jurist, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München, Freiburg und Bonn, 1910 Promotion in Würzburg, 1911–1913 Assessor beim Amtsgericht und bei der Stadtverwaltung in Mülheim a. d. Ruhr, 1913–1918 Regierungsassessor bei der preußischen Finanzverwaltung, 1919/1920 RR und Vorsteher des Finanzamts in Mülheim a.d. Ruhr, 1921–1926 in Düsseldorf, 1923 ORR, seit 1927 Finanzpräsident beim Oberfinanzpräsidium Karlsruhe, 1932 Oberfinanzpräsident, ab September 1933 Verwendung in niedrigerer Stellung als Richter am Reichsfinanzhof, da er der NSDAP nicht beitrat, ab Juni 1945 Staatsrat im StMF, November 1945 verhaftet, 22. 10.-20. 12. 1945 und 24. 7.-21. 12. 1946 Staatssekretär im StMF im Kabinett Hoegner I, 21. 12. 1946–18. 12. 1950 in gleicher Funktion in den Kabinetten Ehard I und II (zunächst parteilos, ab Kabinett Ehard I der CSU zugerechnet), 1951–1955 Präsident des Bundesfinanzhofs in München.

Staatssekretär im Innenministerium Dr. jur. Willi Ankermüller (1901–1986), kath., Jurist, Studium in Würzburg, 1925 Promotion, 1927 große juristische Staatsprüfung, 1926–1928 Geschäftsführer Stadtjugendamt Schweinfurt, 1928–1945 Rechtsanwalt in Schweinfurt, BVP-Mitglied, 1933 Schutzhaft, Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1945 Landrat Hofheim, 1946 Landrat Bad Neustadt an der Saale, Mitbegründer der CSU in Unterfranken, 10. 1.-20. 9. 1947 Staatssekretär im StMI, 20. 9. 1947–18. 12. 1950 StMI im Kabinett Ehard II, 16. 10. 1957–9. 12. 1958 StMJU im Kabinett Seidel I, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1966 MdL (CSU), seit 1951 Leiter des Koordinierungsausschusses CSU-Landtags- und Bundestagsfraktion.

Staatssekretär für das Bauwesen im Innenministerium Dipl.-Ing. Franz Fischer (1889–1962), kath., Ingenieur, 1913 Diplomhauptprüfung TH München, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1918 große Staatsprüfung als Jahrgangsbester, Kulturbauamt Ingolstadt, 1920–1945, seit 1937 als Regierungsbaurat I. Klasse beim Kulturbauamt München, am 12. 5. 1945 von Oberbürgermeister Karl Scharnagl im Auftrag der Militärregierung kommissarisch mit der Leitung des staatlichen Bauwesens betraut, 1. 7. 1945 MinRat und Leiter der Abteilung IV für öffentliche Arbeiten (Bauabteilung) im StMI, in den Kabinetten Ehard I und Ehard II 10. 1. 1947–18. 12. 1950 Staatssekretär für das Bauwesen und Leiter der zum 1. 4. 1948 wiedererrichteten Obersten Baubehörde im StMI, anschließend bis zur Ruhestandsversetzung am 30. 6. 1954 als MD Leiter der Obersten Baubehörde im StMI, 1947–1950 Mitglied des Landesvorstands der CSU.

Staatssekretär für das Flüchtlingswesen im Innenministerium Wolfgang Jaenicke (1881–1968), ev., Jurist, 1919–1928 Regierungspräsident Breslau, 1928/29 im Sonderauftrag der Reichsregierung in Britisch-Indien, Burma und Holländisch-Indien, 1930 Regierungspräsident Potsdam, 1930–1932 MdR (Deutsche Staatspartei), 1933 Versetzung in den einstweiligen Ruhestand (‚nicht-arische‘ Herkunft, da die Mutter einer jüdischen Arztfamilie entstammte) bzw. Rücktritt, 1933–1935 vom Völkerbund als Berater für die Verwaltungsreform zur chinesischen Nationalregierung (Tschiang Kai-schek) entsandt, 9. 12. 1935 Ruhestands Versetzung, 1936 Übersiedlung nach Lenggries, dort u. a. im Auftrag der Militärgeschichtlichen Forschungsstelle wiss. tätig, 1945–1947 Bayer. Staatskommissar für das Flüchtlingswesen, 31. 1. 1947–18. 12. 1950 Staatssekretär für das Flüchtlingswesen im StMI in den Kabinetten Ehard I und II, 1952–1954 Botschafter in Pakistan, 1954–1957 Botschafter beim Heiligen Stuhl.

Staatssekretär im Kultusministerium Claus Pittroff 253 (1896–1958), ev., Lehrer, 1913–1916/1919 Lehrerbildungsanstalt Bayreuth, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919–1933 im Volks- und Berufsschuldienst, 1919–1924 Mitglied der DDP, seit 1924 Reichsbanner und SPD, Stadtrat in Berneck, 1931 Verurteilung zu 10 Tagen Gefängnis wegen Vergehen gegen das Republikschutzgesetz, 1932 zu 3 Monaten Gefängnis, 1. 10. 1933 Entlassung auf Grund des § 4 (politische Unzuverlässigkeit) des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, bis 1935 arbeitslos, Juni 1935–1945 kaufmännischer Geschäftsführer und Teilhaber der Firma „DO WA-Suppenextrakte D. Wachter &Co.“, Nürnberg, 1933 Schutzhaft und KZ Dachau, 30. April aus KZ-Haft entlassen, 2. 5.-27. 7. 1933 Gefangenenanstalt Bayreuth, aus dem Land- und Stadtkreis Bayreuth verwiesen, zunächst Niederlassung in Hersbruck, 1936 in Schwaig bei Nürnberg, 1945 Bürgermeister von Schwaig, 15. 12. 1945 (zunächst von der Militärregierung ernannt, am 28. 5. 1946 vom Kreistag gewählt) bis 2. 4. 1947 und 1. 6. 1948–30. 4. 1952 Landrat von Bayreuth, 21. 12. 1946–20. 9. 1947 Staatssekretär im StMUK, 1. 4. 1956 Regierungs- und Schulrat bei der Regierung von Oberfranken, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung und ihres Verfassungsausschusses, 1946–1958 MdL (SPD).

Staatssekretär für die Schönen Künste im Kultusministerium Dr.-Ing. Dieter Sattler (1906–1968), ev., seit 1932 kath., Architekt, seit 1924 Studium der Architektur an der TH München, 1929 Diplom, 1931 Promotion, 1929–1939 freischaffender Architekt in München, nach kurzem Wehrdienst ab 1940 mit der Betreuung kriegswichtiger Bauten betraut (Münchner Elektrizitätswerke), 1945–1947 erneut freier Architekt, beteiligt an den Planungen zum Wiederaufbau Münchens, u. a. der Neugestaltung des Königsplatzes, 1946 Mitglied der CSU, im Kabinett Ehard I 31. 1.-20. 9. 1947 Staatssekretär für die Schönen Künste im StMUK, im Kabinett Ehard II 20. 9. 1947–18. 12. 1950 Staatssekretär im StMUK, 1950 Präsident des Deutschen Bühnenvereins, später Vorsitzender des Rundfunkrates des BR, Juli 1952 Kulturreferent im Range eines Botschaftsrats an der deutschen Botschaft in Rom, 1959 MD und Leiterder Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, 1966–1968 Botschafter beim Heiligen Stuhl.

Staatssekretär im Arbeitsministerium Heinrich Krehle (1892–1969), kath., Gewerkschaftsfunktionär, Schreinerlehre, seit 1909 in der christlichen Gewerkschaftsbewegung, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1918–1920 in britischer Kriegsgefangenschaft in Ägypten, 1920–1922 Schreinergehilfe in München, Besuch sozialpolitischer und volkswirtschaftlicher Lehrgänge, Volkshochschule, 1922–1930 hauptamtlicher Geschäftsführer des Zentralverbandes Christlicher Holzarbeiter in München, 1930–1933 Landessekretär der Christlichen Gewerkschaften in Bayern, 1933 stellungslos, dann tätig im katholischen Kirchensteueramt, seit 1935 in der Reichsfinanzverwaltung, 1939–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1945 Mitbegründer der Gewerkschaften und der CSU, seit 1947 Vors. der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft, 1945/1946 Stadtrat in München, im Kabinett Hoegner I und Kabinett Ehard I 22. 10. 1945–20. 9. 1947 Staatssekretär im StMArb, im Kabinett Ehard II 20. 9. 1947–18. 12. 1950 StMArb, im Kabinett Ehard III 18. 12. 1950–14. 12. 1954 wieder Staatssekretär im StMArb, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses (in Vertretung Roßhaupters) und Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie stellv. Mitglied ihres Verfassungsausschusses, 1948–1958 MdL (CSU), 1946–1949 Vors. des CSU-Bezirksverbandes München, 1952–1955 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU.

Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Hugo Geiger (1901–1984), kath., nach Studium der Mathematik, Physik, Pädagogik und Nationalökonomie in München, Würzburg, Erlangen und Berlin, Staatsexamen in Mathematik und Physik und Diplom-Volkswirt, 1927/1928 Lehrer für Mathematik und Physik in Würzburg, anschließend Anstellung beim Bankhaus Jacob Löw Feuchtwanger, München (Rentabilitätsrechnungen etc.), 1929 Eintritt in die Allianz-Lebensversicherungs-AG, Stuttgart, 1933–1945 in der Zentrale in Berlin, zuletzt als Vorstandsmitglied, nach Kriegsende 1945 Leiter des Wirtschaftsamtes in seiner Heimatstadt Furth i.W., 1946 bei der Reorganisation des Allianzkonzerns in München, später in Stuttgart tätig, 10. 1. 1947–18. 12. 1950 Staatssekretär im StMWi in den Kabinetten Ehard I und II, 1946 Mitglied des Bayer. Beratenden Landesausschusses und der Verfassunggebenden Landesversammlung, 1950–1953 MdL und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Bayer. Landtags, 1953–1961 MdB (CSU), Vors. des Ausschusses für Bundesbeteiligungen, 1949–1950 Vors. des CSU-Bezirksverbandes München, 1952–1959 als Landesschatzmeister Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU, im März 1949 Gründer und bis Ende 1951 Senatsvorsitzender der Fraunhofer-Gesellschaft, 1949 Präsident des Beirats der Dt. Zentrale für Fremdenverkehr in Frankfurt.

Staatssekretär für Planung und Wiederaufbau im Wirtschaftsministerium Lorenz Sedlmayr (1887–1971), kath., Gewerkschaftsfunktionär, Buchbinderlehre Fürstenfeldbruck, 1904 Gesellenprüfung und Eintritt in den Kath. Gesellenverein, 1904–1911 Buchbindergehilfe, 1907–1908 Handwerker- und Kustgewerbeschule Elberfeld, 1907 Mitglied der Christlichen Gewerkschaften und der Zentrumspartei, 1911–1919 Verbandssekretär und Schriftleiter des Graphischen Zentral-Verbandes in Köln, 1916–1919 auch Stadtverordneter in Köln (Zentrum), ab Juni 1919 in München tätig, 1921 Schriftleiter der Verbandszeitung des Bayer. Postverbandes, 1927 nach dessen Eingliederung in den Reichsverband Deutscher Post- und Telegrafenbeamten in Berlin Schriftleiter der Verbandszeitung „Deutsche Post“, 1927–1933 Vorsitzender einer Ortsgruppe und Vorstandsmitglied des Reichsbeamtenbeirats des Zentrums, kurzzeitig auch BVP-Mitglied, 1933 Entlassung, 1934–1944 Betreiber eines Tabakwarenladens in München-Giesing, 1942 bis März 1946 Sachbearbeiter und seit November 1945 auch Betriebsobmann bei den Bayer. Uniformwerken (Bulag) in München, seit Juli 1945 Mitglied des Wirtschafts- und Finanzausschusses der Münchener Gewerkschaften, April 1946 Gewerkschaftssekretär der Gruppe Bahn-Post der Allgemeinen Freien Münchener Gewerkschaften, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung und deren 2. Vizepräsident, in dieser Funktion auch Teilnahme an den Sitzungen des Verfassungsausschusses der Landesversammlung, bei der Wahl zum Bayer. Landtag im Dezember 1946 gescheitert, im Kabinett Ehard I 10. 1.-20. 9. 1947 Staatssekretär für die besonderen Aufgaben der Planung und des Wiederaufbaus im StMWi, im Kabinett Ehard II 20. 9. 1947–18. 12. 1950 Staatssekretär für die Post im StMVerkehr, seit 1945 Mitglied, dann auch Vorstandsmitglied des Bezirksverbandes München der CSU, 1946–1950 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU, 1948 Mitbegründer des Wirtschaftsbeirats der Union.

Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Hans Gentner (1877–1953), ev., Eisendreher und Landwirt, 1894 Mitglied der Freien Gewerkschaften, 1898 in Pegnitz Mitbegründer der Gewerkschaft und der SPD, seit 1904 selbständiger Land- und Gastwirt in Pegnitz, 1902 Gemeindebevollmächtigter, seit 1903 Mitglied des Bezirkstags und der Bauernkammer, 1908 Mitglied des Magistrats von Pegnitz, 1923–1933 1. Bürgermeister, seit April 1919 Staatsrat im Bayer. Landwirtschaftsministerium in den Regierungen unter MPr. Johannes Hoffmann, von Bamberg aus Organisation der Ernährung Bayerns, 1912–1920 und 1928–1933 MdL (SPD), 1918 Mitglied des bayer. Provisorischen Nationalrats, zwischen 1933 und 1945 viermal verhaftet, davon zweimal im KZ Dachau (beim zweiten Mal vom 30. 8. bis 13. 9. 1944), April 1945–1953 erneut Bürgermeister in Pegnitz, Mitglied des Vorstands der bayer. SPD, 10. 1 1947–20. 9. 1947 Staatssekretär im StMELF, 1946 Mitglied des Bayer. Beratenden Landesausschusses und der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, Mitbegründer und 1946–1953 Präsidiumsmitglied des Bayer. Bauernverbandes, 1947–1953 Mitglied des Bayer. Senats.

Staatssekretär für Postangelegenheiten im Verkehrsministerium Dipl.-Ing. Hans (Johann) Schuberth (1897–1976), kath., Ingenieur, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1915 schwer verwundet (Amputation des linken Beines), TH München, 1921 Diplom-Hauptprüfung für Maschinenbau, seit 1920 Betriebsingenieur bei der „Deutschen Werke AG“ in Dachau und München, 1926 Diplom-Hauptprüfung für Elektrotechnik, 1926/1927 wiss. Mitarbeiter beim Telegraphentechnischen Reichsamt München, 1927 Referendar bei der Reichspostdirektion (RPD) Dortmund, 1930/1931 Mitglied des Zentrums, 1931 Postassessor bei der RPD Karlsruhe, 1933 Postrat, zugleich Lehrauftrag für Hochfrequenztechnik am Staatstechnikum in Karlsruhe, 1934–1937 im Reichspostzentralamt Berlin, 1937–1943 Postrat bei der RPD Landshut, seit 1943 bei der RPD München; 1945 Vizepräsident und Personalreferent der Oberpostdirektion (OPD) München, 1. 10. 1945 auf Anordnung der Militärregierung Präsident der OPD Regensburg, CSU-Mitglied, 10. 1.-25. 8. 1947 Staatssekretär für das Post- und Fernmeldewesen im StMVerkehr, zum 1. 5. 1947 zum Präsidenten der OPD München berufen, zeitweise versah er parallel auch diese Funktion, 24./25. 4. 1947 zunächst beauftragt, anschließend 26. 8. 1947–19. 9. 1949 Direktor der Verwaltung für das Post- und Fernmeldewesen des VWG, 1949–1953 Bundespostminister, 1953–1957 MdB (CSU), 1953 Vors. des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI).

Staatssekretär im Sonderministerium Arthur Höltermann (1906–1981), ev., Elektriker, 1920–1924 Lehre bei den Siemens-Schuckert-Werken in Nürnberg, seit 1924 Mitglied von SPD und Reichsbanner, 1924–1928 Tätigkeit als Elektriker, später Werkstättenleiter, Besuch von Abendkursen TH Dresden, 1928–1931 technischer Berater Schweizer Nahrungsmittelkonzerne, 1931— 1936 eigenes Ingenieurbüro in Nürnberg, 1936–1941 Betriebsingenieur bei den Triumphwerken in Nürnberg, 1941–1945 Ingenieurbüro, 1945 in Nürnberg Mitglied der SPD-Führungsgruppe beim Wiederaufbau der Stadtverwaltung, Oberbaurat und Leiter des Verkehrsdezernats der Stadt, 1945/1946 vereidigter und öffentlich bestellter Sachverständiger für das Kraftfahrzeug- und Verkehrswesen bei der IHK-Nürnberg, 1. 1. 1946–21. 12. 1946 Ministerialdirektor im StMSo, 21. 12. 1946–28. 5. 1947 Staatssekretär im StMSo (SPD), 13. 6. 1947–31. 5. 1950 Staatsbeauftragter für die Brennstoffversorgung (Kohle) beim StMWi, in den fünfziger Jahren als selbständiger Unternehmer tätig.

Staatssekretär im Sonderministerium Camille Sachs (1880–1959), israel., später ev., Richter, Jurastudium in Würzburg, Berlin, München, seit 1907 Amtsanwalt in Pirmasens, 1910 Staatsanwalt in Aschaffenburg, seit 1914 Amtsrichter am Amtsgericht in Nürnberg, im Ersten Weltkrieg zuletzt Verwendung als Regierungskommissar im elsässischen Kanton Rufach, 1919–1922 2. Staatsanwalt, dann Landgerichtsrat am Landgericht Nürnberg, 1. 10. 1933 Entlassung auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, Arbeit als Holzdreher, Bauhilfsarbeiter und Maurer in der Bleistiftfabrik Lyra, 9. 11. 1938 von der SA in seiner Wohnung verletzt, 1. 8. 1945 Wiedereinstellung als Landgerichtsrat, 1. 12. 1945 Präsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Mitglied (SPD) des ersten Nürnberger Stadtrates nach dem Kriege, Vorsitzender der Spruchkammer Nürnberg V, 9. 8. 1946 Vorsitzender der Berufungskammer Nürnberg, in dieser Funktion auch mit Großfällen (Franz von Papen) befaßt, März 1947 infolge Differenzen mit Staatsminister Loritz Niederlegung des Vorsitzes der Berufungskammer, Mitbegründer der Vereinigung christlicher Sozialisten sowie 2. Vors. des Verbandes geistig Schaffender in der SPD, 15. 7.-20. 9. 1947 Staatssekretär im Staatsministerium für Sonderaufgaben, Rücktritt als Staatssekretär beim Ausscheiden der SPD aus dem Kabinett, 11. 2. 1948 Ernennung zum MD im StMSo mit Rücktrittsrecht in den Geschäftsbereich des StMJu, nach der Übernahme des StMSo durch MPr. Ehard (20. 7. 1949) in dessen Vertretung mit der Führung der Geschäfte des Ressorts betraut, nach Auflösung des StMSo zum 31. 3. 1950 Leiter der Abwicklungsstelle des StMSo, 31. 12. 1951 Ruhestandsversetzung.

Neben den Kabinettsmitgliedern nahm der Generalsekretär des Ministerrats, Ministerialrat Leusser, an den Ministerratssitzungen teil, im Falle seiner Abwesenheit seine Stellvertreter Gumppenberg oder Erber.254 Gelegentlich wurden Referenten oder einzelne Fachleute zu den Sitzungen hinzugezogen, um zu einzelnen Sachfragen zu referieren; in der außerordentlichen Ministerratssitzung am 4. Februar 1947 berichtete Regierungspräsident Schregle über den Bombenanschlag in Nürnberg,255 Landeslastverteiler Wolf einmal über die Energieversorgung;256 ferner referierten mehrfach Ministerialrat Fritz Baer257 sowie Ministerialdirigent Glum258 aus der Staatskanzlei und Ministerialrat Roemer aus dem Justizministerium.259 Ihre Anwesenheit beschränkte sich auf den zu ihrem Sachgebiet zählenden Tagesordnungspunkt. Oberregierungsrat von Elmenau, der Leiter der Landesdienststelle des Länderrats und der Zweizonenämter in der Staatskanzlei, trug mehrfach zu den in der Sitzung behandelten Tagesordnungspunkten der nächsten Länderratssitzung in Stuttgart vor.260 Am Ministerrat vom 30. Juli 1947 (Nr. 29), der vor allem der Frage der Hausbrandversorgung im kommenden Winter gewidmet war, nahmen mehrere Fachleute teil.261 Dies ist auch die einzige Sitzung, an der dem Leiter des amerikanischen Information Office in der Bayerischen Staatskanzlei Helmuth Penzel auf Wunsch von OMGB und nach Zustimmung des Ministerrats die Teilnahme an einer Sitzung des Ministerrats ermöglicht wurde.262

An der Ministerratssitzung vom 30. April 1947, die sich schwerpunktmäßig dem Korruptionsskandal um das Warenlager Schalding bei Passau widmete, nahmen die Landtagsabgeordneten Alois Schlögl (CSU), in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags zur Untersuchung der Mißstände im Staatsministerium für Wirtschaft und in den Wirtschaftsämtern, und Jean Stock (SPD), der den SPD-Antrag zur Einsetzung des Ausschusses im Landtag begründet hatte, teil, da hier ein thematischer Zusammenhang bestand.263 Dies ist der einzige Fall, in dem Abgeordnete zu den Sitzungen hinzugezogen wurden.264

Ein bemerkenswertes Phänomen des Kabinetts Ehard I bildet die Tatsache, daß an den ersten vier Kabinettssitzungen einige designierte Minister und Staatssekretäre teilnahmen, die offiziell erst anschließend, am 10. Januar 1947, im Landtag vereidigt wurden.265 Die Sitzungen am 7. und 9. Januar 1947 waren auch die einzigen, in denen das Kabinett vollzählig versammelt war.266 Anschließend stellte das Fehlen einer größeren Zahl von Kabinettsmitgliedern einen durchgängigen Zug der Sitzungen dar. Im Durchschnitt fehlten mehr als fünf bis sechs in jeder Sitzung, davon einige teilweise infolge Krankheit für längere Zeit, am auffälligsten Staatsminister Kraus267 und Staatssekretär Pittroff.268 Die häufige Abwesenheit zahlreicher Kabinettsmitglieder war primär auf die im Jahr 1947 rapide angestiegene Zahl von Sitzungen auf Länderrats- bzw. bizonaler Ebene zurückzuführen, die sie zu zahlreichen Reisen nach Stuttgart, Frankfurt, Minden oder Bielefeld zwang. In vier Sitzungen fehlten zehn und mehr Kabinettsmitglieder. Am 2. Juni 1947269 mußte der stellv. Ministerpräsident Hoegner feststellen, daß der Ministerrat beschlußunfähig sei.270 Ministerpräsident Ehard fehlte in vier Sitzungen,271 davon im Juli und August 1947 infolge Urlaubs. Diese Sitzungen leitete der stellv. Ministerpräsident Hoegner. In einigen Fällen mußte Ehard die Sitzungen wegen anderweitiger Verpflichtungen vorzeitig verlassen;272 auch dann übernahm Hoegner den Vorsitz.

Allerdings war jedes der neun Ressorts bis auf wenige Ausnahmen273 zumindest durch ein Kabinettsmitglied in jeder Ministerratssitzung vertreten. In den Ausnahmefällen, in denen ein Ressort von keinem Kabinettsmitglied vertreten werden konnte,274 bürgerte sich die Praxis ein, daß stellvertretend der jeweils ranghöchste Beamte des Ressorts an den Ministerratssitzungen teilnahm, ohne stimmberechtigt zu sein. Dies betraf in diesem Kabinett insbesondere das Finanzministerium, da Minister Kraus und Staatssekretär Müller infolge eines gemeinsam erlittenen Autounfalls Anfang Februar 1947 sowie wegen zahlreicher Dienstreisen mehrfach fehlten. Für sie nahm Geheimrat Ernst Karl Hepp an einigen Sitzungen teil.275

Das Durchschnittsalter des Kabinetts lag bei 55,7 Jahren. Acht Kabinettsmitglieder waren jünger als fünfzig Jahre, darunter die Minister Hundhammer (47), Baumgartner (43) und Loritz (45). Die jüngsten Mitglieder waren die Staatssekretäre Sattler und Höltermann mit 41 Jahren, die ältesten Gentner (70), Roßhaupter (69) und Kraus (68). Die meisten Mitglieder hatten die Revolution von 1918 bewußt erlebt, und mehr als die Hälfte von ihnen war bereits in der Weimarer Republik in Parteien und Verbänden aktiv gewesen.276 Hoegner, Roßhaupter, Seifried, Gentner, Hundhammer und Pfeiffer hatten vor 1933 dem Bayerischen Landtag angehört, Roßhaupter und Gentner noch im Königreich Bayern. Hoegner und Jaenicke waren Mitglieder des Reichstags gewesen. Roßhaupter als Minister für militärische Angelegenheiten in der Regierung Eisner 1918/1919 sowie Gentner als Staatsrat im Bayerischen Landwirtschaftsministerium in den Kabinetten Hoffmann 1919 verfügten als einzige Mitglieder des Kabinetts über Regierungserfahrung vor 1945.

Von den insgesamt 16 der CSU zuzurechnenden Kabinettsmitgliedern hatten acht zuvor der BVP angehört. Sedlmayr, der kurzfristig auch der BVP angehört hatte, und Schuberth waren Mitglieder des Zentrums gewesen. Hundhammer und Baumgartner hatten vor 1933 im Christlichen Bauernverein bereits wichtige Funktionen ausgeübt277 Krehle und Sedlmayr in den Christlichen Gewerkschaften. Acht Kabinettsmitglieder hatten vor 1933 der SPD angehört;278 Roßhaupter, Seifried und Gentner hatten in den sozialistischen Gewerkschaften leitende Funktionen bekleidet und nach Kriegsende wie Krehle und Sedlmayr auch an deren Wiederaufbau mitgewirkt. Jaenicke war Mitglied der Deutschen Staatspartei gewesen, Loritz Funktionär der Reichspartei des Deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei). Kein Kabinettsmitglied hatte der NSDAP angehört.

Kommunalpolitische Erfahrungen sammelten vor 1933 Wirtschaftsminister Zorn als Bürgermeister von Oppau (Pfalz), Verkehrsminister Frommknecht als Bürgermeister von Obermenzing und Staatssekretär Gentner als Bürgermeister von Pegnitz; Sedlmayr war Stadtverordneter in Köln, Roßhaupter Gemeindebevollmächtigter in Augsburg und Pittroff Stadtrat in Berneck gewesen. Seit Kriegsende und vor dem Eintritt in die Staatsregierung hatten Seifried, Krehle und Lacherbauer dem Münchner Stadtrat, Sachs dem Nürnberger Stadtrat angehört, Ankermüller und Pittroff als Landräte in Unter- und Oberfranken politische Erfahrungen gesammelt. Höltermann hatte nach Kriegsende das Verkehrsdezernat der Stadt Nürnberg geleitet, Hagenauer war Vizepräsident der Polizeidirektion München gewesen. Geiger leitete nach dem Zusammenbruch kurze Zeit das Wirtschaftsamt in seiner Heimatstadt Furth i.W., Zorn seit Herbst 1946 das Bayerische Landesamt für Vermögensverwaltung. Staatssekretär Jaenicke verfügte als ehemaliger preußischer Regierungspräsident über langjährige Verwaltungspraxis.

Auffällig ist, daß fast alle Kabinettsmitglieder, wenn sie nicht bereits den vorangegangenen Kabinetten angehört hatten, unmittelbar nach Kriegsende Verantwortung in der Politik, Justiz, an der Spitze einer Verwaltung oder als Abteilungsleiter in einem Ministerium (Müller, Fischer) übernommen hatten. Die einzige Ausnahme stellte Staatssekretär Sattler dar, der nach dem Krieg zunächst freiberuflich als Architekt arbeitete.

Erfahrung aus der Emigration brachten Ministerpräsident Hoegner und Minister Loritz mit. Von den 26 Kabinettsmitgliedern waren 20 katholisch, vier evangelisch, einer altkatholisch (Seifried) und einer konfessionslos (Hoegner). Nach Herkunft und Schwerpunkt ihrer politischen Tätigkeit hatten die Altbayern im Kabinett das Übergewicht. Ministerpräsident Ehard stammte aus Bamberg und hatte dort seinen Wahlkreis, für Unterfranken standen Kraus und Ankermüller, für Mittelfranken Sachs, Pittroff, Gentner und Höltermann.279 Schwaben war nicht vertreten.280

Hundhammer, Geiger und Gentner waren 1946 Mitglieder des Bayerischen Beratenden Landesausschusses gewesen. 15 Kabinettsmitglieder waren im Sommer 1946 in die Bayerische Verfassunggebende Landesversammlung gewählt worden. Dem wichtigen Verfassungsausschuß der Landesversammlung hatten sieben angehört.281 Von den 26 Kabinettsmitgliedern (Ministerpräsident, Minister und Staatssekretäre) gehörten dem im Dezember 1946 gewählten Bayerischen Landtag lediglich zehn an: Ehard, Hundhammer, Baumgartner, Pfeiffer, Lacherbauer und Ankermüller für die CSU, Hoegner, Seifried und Pittroff für die SPD und Loritz für die WAV. Sedlmayr und Krehle waren 1946 als Kandidaten gescheitert.282 Krehle rückte 1948 nach; Geiger wurde 1950 in den Landtag gewählt. Gentner gehörte nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett zu den ersten Mitgliedern des Bayerischen Senats. Pfeiffer und Seifried wurden 1948 zu Mitgliedern des Parlamentarischen Rates gewählt, Roßhaupter rückte für Seifried in dieses Gremium nach. Baumgartner (BP), Loritz (WAV), Schuberth, Geiger (beide CSU) und kurzzeitig auch Hoegner (SPD) gehörten später dem Deutschen Bundestag an, Schuberth wurde Bundespostminister im ersten Kabinett Adenauer.

Ehard, Hoegner, Roßhaupter und Staatsrat Müller hatten bereits dem Kabinett Schäffer, sie und weitere fünf Kabinettsmitglieder der jetzigen Regierung auch dem Kabinett Hoegner I angehört. Nach dem Austritt der SPD aus der Regierung im September 1947 verblieben bis auf Schuberth, der an die Spitze der Verwaltung für Post- und Fernmeldewesen des VWG wechselte, zunächst alle der CSU angehörenden Kabinettsmitglieder auch im Kabinett Ehard II. Ankermüller und Krehle avancierten zu Staatsministern des Innern bzw. für Arbeit und Soziale Fürsorge, Staatssekretär Sedlmayr wechselte auf die freie Stelle des Staatssekretärs für die Post im Verkehrsministerium.283 Die personelle Kontinuität stellt ein Charakteristikum der bayerischen Nachkriegskabinette dar.

Eine gewisse Meinungsführerschaft infolge ihrer juristischen Vorbildung und Verwaltungserfahrung wurde in den Ministerratssitzungen von den aus der höheren bayerischen Ministerialbürokratie stammenden Ministern und Staatssekretären ausgeübt. Dazu zählten neben Ministerpräsident Ehard, Kraus und Zorn auch Staatssekretär Fischer und die allerdings aus der Reichsfinanz- und Reichspostverwaltung hervorgegangenen Staatssekretäre Müller und Schuberth sowie der aus der Reichsbahnverwaltung kommende Verkehrsminister Frommknecht.284 In gleichem Maße galt dies auch für die fünf dem Kabinett angehörenden Richter, neben erneut Ehard waren dies Hoegner, Sachs, Hagenauer und Lacherbauer sowie für den preußischen Regierungspräsidenten Jaenicke. 18 Kabinettsmitglieder konnten ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen, dabei dominierten die Juristen; vertreten waren ferner drei Diplomingenieure, ein Architekt und ein Mathematiker.

Mit Arbeitsminister Roßhaupter und Innenminister Seifried verabschiedeten sich im September 1947 zwei für den Wiederaufbau Bayerns und die ersten Nachkriegskabinette und ihre Beratungen prägende Persönlichkeiten endgültig von der bayerischen Regierungsbank. Für Minister Zorn war mit dem Ende des Kabinetts Ehard mit Ausnahme eines kurzen Intermezzos 1951 der Ausflug in die Politik beendet. Eine steile politische Karriere begann für Staatssekretär Schuberth, der im Anschluß an die Spitze der Verwaltung für Post- und Fernmeldewesen des VWG gelangte und 1949 Bundespostminister im ersten Kabinett Adenauer wurde. Für Hoegner bedeutete das Ausscheiden aus dem Kabinett Ehard I eine Zäsur. Er setzte sein Wirken in der Staatsregierung jedoch ab 1950 für vier Jahre als Innenminister im Kabinett Ehard III und anschließend von 1954–1957 als Ministerpräsident der Viererkoalition fort. Bemerkenswert ist noch, daß mit Pfeiffer, Jaenicke und Sattler drei Kabinettsmitglieder in den fünfziger Jahren der Bundesrepublik Deutschland als Botschafter dienten.

Der Landesvorsitzende der CSU, Josef Müller, und Waldemar von Knoeringen, der schon Ende 1946 inoffiziell die Aufgaben des Landesvorsitzenden der SPD übernommen hatte285 und Hoegner im Mai 1947 darin offiziell ablöste, gehörten nicht dem Kabinett an.286 Dagegen war mit Loritz der Vorsitzende der WAV im Kabinett Ehard I vertreten. Kultusminister Hundhammer war gleichzeitig Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Den Leitungsgremien der beiden großen Parteien gehörte nur Sedlmayr als Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU an.287 In dem am 11. Mai 1947 gewählten Landesvorstand der bayerischen SPD war kein sozialdemokratischer Minister oder Staatssekretär vertreten.288

Angesichts dieser relativ geringen Repräsentation von Spitzenleuten der Parteien, der aus den Umständen der Regierungsbildung zu erklärenden Reserve weiter Teile der CSU (Müller-Flügel) gegenüber der Regierung Ehard, die auch von der Mehrheit der SPD-Basis geteilt wurde,289 sowie aufgrund ihrer Zusammensetzung aus primär verwaltungserfahrenen Männern entwickelte sich der auch für die anderen Kabinette der fünfziger Jahre typische, relativ parteiferne und äußerst sachliche Regierungsstil, den der Regierungschef selbst am reinsten verkörperte.

Das Klima in der Regierung Ehard war harmonisch und von gegenseitigem Respekt bestimmt.290 Hier knüpfte man nahtlos an das gute Vorbild des Kabinetts Hoegner I an, das Ehard in der ersten Kabinettssitzung auch entsprechend beschwor.291 Das Verdienst an der dauerhaft harmonischen Zusammenarbeit, die ganz wesentlich von dem vornehmen und ausgleichenden politischen Stil Ehards bestimmt wurde, kommt uneingeschränkt dem Ministerpräsidenten zu. Dies wirkte auch für die kommenden Kabinette stilbildend.292 Die Zusammenarbeit von Politikern der Parteien CSU und SPD war daher in den Ministerratssitzungen kollegial, sachlich und an der Konsensfindung orientiert. Dies kommt auch im Abstimmungsverhalten des Kabinetts zum Ausdruck, das trotz zahlreicher Auffassungsunterschiede nur in ganz wenigen Fragen nicht einstimmig ausfiel. Ideologische Unterschiede zwischen CSU und SPD sind einzig bei der Beratung eines Gesetzentwurfs zur Durchführung der Sozialisierung im Sinne des Artikels 160 der Bayerischen Verfassung zu erkennen.293

Allein der Ton, den selbst Ehard gegenüber Staatsminister Loritz anschlug, läßt eine andere Qualität des Verhältnisses und die Existenz atmosphärischer Spannungen zum Vorsitzenden der WAV erkennen. Aber auch hier ging es alles in allem noch moderat zu, bedenkt man, daß sich z.B. die Minister Loritz und Baumgartner vor der Zusammenarbeit im Kabinett häufiger vor Gericht gegenübergestanden hatten. Lediglich einmal wurde eine parteipolitisch motivierte publizistische Attacke im Kabinett behandelt.294 In der letzten Ministerratssitzung sind bei der Beratung des Notaufrufs der Staatsregierung jedoch latente politische Spannungen zwischen CSU und SPD, aber auch innerhalb der Gruppe der sozialdemokratischen Regierungsmitglieder spürbar.295

Die insgesamt positive Atmosphäre ergab sich aus der Einsicht in die Notwendigkeit sachlicher Arbeit angesichts der immensen Aufgaben nach dem Kriege. Die Solidarität im Kabinett war ferner das Resultat einer gemeinsamen Frontstellung gegenüber der Militärregierung sowie in wachsendem Maße gegenüber den Kompetenzansprüchen der Institutionen der Bizone. Zu der in der Kabinettsrunde anzutreffenden Kollegialität trugen nicht zuletzt auch zwei weitere Tatsachen bei: die teilweise schon länger andauernde vertrauensvolle Zusammenarbeit einer größeren Zahl von Kabinettsmitgliedern und die gemeinsame Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus sowie gleichermaßen erlittene Verfolgung.296 Seifried, Zorn, Pfeiffer und Ankermüller waren 1933 kurzzeitig in Schutzhaft genommen worden. Roßhaupter, Hundhammer, Pittroff und Gentner waren im KZ Dachau, Frommknecht im Zuchthaus und Baumgartner im Gerichtsgefängnis inhaftiert gewesen, Seifried mußte Zwangsarbeit leisten. Hundhammer, Frommknecht, Krehle und Pittroff waren zumindest kurzzeitig infolge der nationalsozialistischen Gewalt- und Gleichschaltungsmaßnahmen arbeitslos geworden.297 Für die weitaus meisten Kabinettsmitglieder hatten die politischen Veränderungen des Jahres 1933 Auswirkungen auf ihre persönlichen und beruflichen Verhältnisse gehabt.298

Ausdruck dieser positiven Zusammenarbeit war auch die Art und Weise, in der Ministerpräsident Ehard trotz der scharfen politischen Auseinandersetzung in dieser Phase den zurückgetretenen Kabinettsmitgliedern, „von denen jeder an seiner Stelle ehrlich und unablässig bemüht war, die gemeinsame Regierungsarbeit fruchtbar zu gestalten“,299 am 20. September 1947 vor dem Bayerischen Landtag dankte. Die Leistungen Hoegners und Roßhaupters seit Sommer 1945 würdigte er bei dieser Gelegenheit ausdrücklich in Form einer kleinen Laudatio.300

4. Der Bruch der Koalition

Das wachsende Ansehen Ministerpräsident Ehards in der bayerischen Öffentlichkeit und die – vielleicht mit Ausnahme der Frage der Sozialisierung301 – von Einigkeit bestimmte intensive und sachliche Arbeit des Ministerrats trugen keineswegs zu einer größeren Akzeptanz der Koalitionsregierung bei ihrer jeweiligen Anhängerschaft in CSU und SPD bei. Hier überwog auch nach einigen Monaten noch Ablehnung. Mitte Mai 1947 stellte die SPD Bedingungen für die Fortführung der Koalition auf; seit der Frankfurter Direktorenwahl im Juli 1947 wartete ihr Vorsitzender Knoeringen nur noch auf einen günstigen Anlaß, aus der Verbindung mit der CSU auszuscheiden, bei dem die Verantwortung für den Bruch der Koalition der CSU angelastet werden konnte. Wesentlich für den schließlichen Bruch302 war der Einfluß des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher.303

Eine erste „Zerreißprobe“304 für den Fortbestand der Koalition hatte die Landeskonferenz der SPD am 10./11. Mai 1947 in Landshut gebildet. In zahlreichen Anträgen und Wortmeldungen war der Austritt der SPD aus der Koalition gefordert worden.305 Sprecher der Koalitionsgegner war der Münchner Abgeordnete Franz Marx.306 Waldemar von Knoeringen, der Wilhelm Hoegner auf der Landeskonferenz auch offiziell als Vorsitzenden der bayerischen SPD ablöste, warnte hier noch vor einem Austritt aus der Koalition. Seinen beschwörenden Appellen war es zu verdanken, daß die Koalitionsgegner bei der entscheidenden Abstimmung unterlagen.307 Der Verbleib in der Koalition wurde nun jedoch an inhaltliche Bedingungen geknüpft, die die Umsetzung des sozialdemokratischen Aktionsprogramms308 zum Ziel hatten und die man in Form eines Neun-Punkte-Programms artikulierte.309 Dieses Programm zielte auf ein demokratisches Schulprogramm, eine stärkere „Planung und Lenkung“ der Wirtschaft, die Ausführung der nach Art. 160 der Verfassung vorgesehenen Sozialisierung „mit allem Nachdruck ohne Zeitverlust“310 sowie die Umsetzung der nach Art. 175 vorgesehenen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer und Betriebsräte durch ein Betriebsrätegesetz. In einer ebenfalls auf der Landeskonferenz verabschiedeten Resolution hieß es weiterhin: „Wir stellen auch fest, daß das Auseinanderfallen der CSU bei entscheidenden Abstimmungen eine unerträgliche parlamentarische Lage schafft. Wir sind nicht gewillt, auf die Dauer Koalitionspartner einer Partei zu sein, die mit einem Flügel die Rechte einer Regierungspartei genießt, während ein anderer Flügel für dieselbe Partei die Vorteile der Opposition in Anspruch nimmt“.311 Darin kam zum Ausdruck, daß die SPD fürchtete, ausschließlich als Regierungspartei wahrgenommen und für negative Maßnahmen verantwortlich gemacht zu werden, während die CSU sich auch als Opposition profilieren konnte. Indirekt drückte die Resolution den Wunsch der SPD nach einer unbeschwerten Oppositionsrolle aus.

Knoeringen teilte Ehard die Ergebnisse von Landshut schriftlich mit und bat, „baldmöglichst eine interfraktionelle Besprechung des Zehnerausschusses312 der beiden Parteien zu ermöglichen“.313 Obwohl Ehard den baldigen Zusammentritt des Ausschusses nach Pfingsten zusagte,314 trafen sich die Delegationen von CSU und SPD tatsächlich erst zwei Monate später am 15. Juli 1947. Welche Gründe gab es für diese Verzögerung? Nach der Ende Mai bekanntgegebenen Absichtserklärung hatten zwei Großereignisse, die Münchner Ministerpräsidentenkonferenz von Anfang Juni sowie der von der bayerischen SPD ausgerichtete SPD-Parteitag in Nürnberg (29. 6.-2. 7. 1947) die Kräfte der Regierung und der SPD-Führung beansprucht und gebunden.315 Außerdem ist davon auszugehen, daß die Koalitionsbefürworter in beiden Parteien – das waren in erster Linie die Kabinettsmitglieder von SPD und CSU – keine Eile hatten, mit Gesprächen zu beginnen, die den Fortbestand der Regierung Ehard und damit den Fortgang ihrer Arbeit gefährden konnten.316

Die von einem Parteigremium der SPD artikulierten Bedingungen für die Fortsetzung der Koalition boten im Mai 1947 dem CSU-Landesvorsitzenden Josef Müller einen Anknüpfungspunkt, die seit der Regierungsbildung an die Regierung und die CSU-Fraktion verlorene Initiative wieder zurückzugewinnen. In einem Brief an Ehard beanspruchte Müller, die Parteigremien in die Gespräche mit der SPD einzubeziehen.317 Der daraufhin entstandene Kompetenzstreit, wer auf CSU-Seite zuständig sei (Parteigremien oder Fraktion), trug ebenfalls dazu bei, daß sich die Gesprächsaufnahme weiter verzögerte.318 Schließlich errang Müller zeitweilig die Initiative für die Parteigremien. Dabei gab Ehards Haltung den Ausschlag.319 Der Landesvorstand der CSU beschloß am 4. Juli 1947, August Haußleiter, den Verfasser des 30-Punkte-Programms der CSU,320 damit zu beauftragen, dem Neun-Punkte-Programm der SPD ein Papier gegenüberzustellen.321 Am 12. Juli lagen die elf Punkte umfassenden „Koalitionsbedingungen der CSU“ vor, die als Grundlage für die Verhandlungen mit der SPD dienen sollten.322

Hier stellt sich die Frage, wieso der Fraktionsvorsitzende Hundhammer und Ministerpräsident Ehard die Führung der Verhandlungen mit den SPD-Gremien aus der Hand gaben. Es bleibt unklar, ob dies Schwäche oder aber Berechnung war. Allerdings entsteht der Eindruck, als habe man diese Ebene auf CSU-Seite zunächst Müller überlassen, um diesem einen Prestigegewinn zu ermöglichen und darüber eine erste zaghafte Annäherung der beiden Parteiflügel einzuleiten. Andererseits ging man wohl davon aus, daß die sowieso nicht allzubald zu erwartenden Ergebnisse der Koalitionsbesprechungen die Regierungspolitik kaum berühren würden. Auf SPD-Seite dürften die im Kabinett befindlichen Koalitionsbefürworter mit Hoegner an der Spitze diese Gespräche als öffentlichkeitswirksame Beruhigungsaktion für die Koalitionsgegner in der Partei betrachtet haben, die ihnen die Fortsetzung ihrer Arbeit im Kabinett ermöglichte.

Die ersten beiden Treffen der Delegationen von CSU und SPD am 15. und 17. Juli 1947,323 denen dann die jeweiligen innerparteilichen Antipoden angehörten,324 die auch in der Koalitionsfrage die Extreme des Meinungsspektrums besetzten, verliefen unspektakulär.325 Thematisch ging es in den Beratungen, an denen auch Ministerpräsident Ehard teilnahm, um aktuelle tagespolitische Fragen und die politische Linie gegenüber der Militärregierung, nicht um eine grundsätzliche Bestandsaufnahme der Koalition.

In der Koalitionsbesprechung am 30. Juli 1947 nahm Waldemar von Knoeringen dann jedoch zu den „Koalitionsbedingungen der CSU“ in deutlicher Form Stellung.326 Er bezeichnete sie als ungeeignet als Grundlage für weitere Besprechungen. Zwar konstatierte er, daß die Bedingungen fast keinen Punkt enthielten, „der wirklich mit der SPD strittig wäre“, andererseits waren sie gerade durch ihre Unbestimmtheit als Anknüpfungspunkt für die von der SPD geforderte umgehende praktische Inangriffnahme einer Reihe von Gesetzen gänzlich ungeeignet. Knoeringen erklärte wörtlich: „Die SPD ist nicht bereit, sich und das Volk mit platonischen Formulierungen beruhigen zu lassen“. Er forderte die Einsetzung eines Expertenausschusses, der vor allem prüfen sollte, ob ein Konsens für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik gefunden werden könne. Ferner sollte er konkrete Gesetzentwürfe für das Sozialisierungsprogramm für Bergbau und Energiewirtschaft, für den Produktionsaufbau der bayerischen Wirtschaft, Wirtschaftsdemokratie, Wirtschaftsplanung, Lastenausgleich, Kulturpolitik insbesondere Schulreform und die Flüchtlingssiedlung erarbeiten.

Wenn Müller angestrebt haben sollte, durch die Formulierung der Koalitionsbedingungen der SPD entgegenzukommen, um sich selbst als Koalitionspartner ins Gespräch zu bringen und die SPD seinerseits als Bündnispartner gegen den Hundhammer-Flügel zu gewinnen,327 so war ein solcher Plan mit der Antwort des SPD-Vorsitzenden am 30. Juli erledigt. Knoeringens Ausführungen lassen sich so deuten, daß er erkannt hatte, daß Müller der falsche Partner für seine an raschem Handeln orientierte Politik war.328 Allerdings können die Ausführungen Knoeringens in zweiter Linie auch taktisch interpretiert werden, brachte er darin doch zum Ausdruck – was er nun häufig wiederholen sollte -, daß die unklaren Machtverhältnisse in der CSU die Zusammenarbeit erheblich erschwerten, weil man nie wisse, wer eigentlich der richtige Ansprechpartner sei. Es ist belegt, daß Knoeringen und der SPD-Landesvorstand bis zur Landesversammlung der CSU in Eichstätt (30./31. 8. 1947) mit deren Spaltung rechneten.329 Mit seinen Worten vom 30. Juli 1947 könnte er versucht haben, diese Entwicklung zu fördern. Die bayerische SPD hatte gegen Müller als Verhandlungspartner Ende Juli auch deshalb erhebliche Vorbehalte, weil sie ihm die zu Ungunsten der SPD ausgegangene Besetzung der Direktorenstellen beim Frankfurter Wirtschaftsrat330 – nachdem der sozialdemokratische Kandidat nicht zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft gewählt worden war, hatte die SPD sich grundsätzlich für die Opposition entschieden – persönlich anlastete.331 Knoeringen erklärte dazu am 30. Juli 1947: „Die Ereignisse von Frankfurt bedeuten eine Verschärfung der Gegensätze zwischen CSU und SPD“. Allgemein wird dies so interpretiert, daß Knoeringen zu diesem Zeitpunkt von den Koalitionsbefürwortern in das Lager der Koalitionsgegner wechselte und dies in der SPD den Ausschlag für die Entscheidung zum Bruch der Verbindung mit der CSU gab.332 Nur den Zeitpunkt für den Ausstieg hatte Knoeringen noch nicht bestimmt.

Im August wurden die Koalitionsgespräche fortgesetzt. Inzwischen hatte man sich anstatt des einen von Knoeringen geforderten Fachausschusses auf sechs kleine Ausschüsse333 geeinigt, die zu den einzelnen Sachfragen gebildet werden sollten. Am Ende einer Koalitionsbesprechung am 9. August 1947334 wurde vereinbart, mit Pfeiffer und Hoegner am 11. August zwei „Koalitionäre“ die Einzelheiten der Ausschußbesetzung festlegen zu lassen. Dies vermittelt den Eindruck, als hätten die an der Fortsetzung der Koalition interessierten Kräfte erkannt, daß ihr Heil angesichts des durch die Frankfurter Direktorenwahl erhöhten Drucks und der Absichten Knoeringens darin bestand, die Fachausschüsse umgehend zu besetzen und mit ihrer Arbeit beginnen zu lassen. Am 11. August vereinbarten Hoegner und Pfeiffer die Größe der Ausschüsse, die Benennung ihrer Mitglieder bis zum 16. August, die Arbeitsaufnahme zwischen dem 13. August und Anfang September sowie teilweise auch den Tagungsort.335 Hundhammer schlug Hoegner am 14. August vor, die Nominierung der Mitglieder bis zum 22. August zu verschieben, da sie noch mit dem Partei Vorsitzenden Müller besprochen und von der CSU-Fraktion gebilligt werden müsse.336 Am 23. August sandte Hundhammer Hoegner die Liste der CSU-Vertreter für die Fachausschüsse.337 Auch die SPD hatte organisatorische Probleme, in den Landtagsferien die Besetzung schnell zu organisieren.338 Erst am 29. August übermittelte Hoegner der CSU-Landtagsfraktion „die Vorschläge für die Vertreter unserer Fraktion in den Fachausschüssen“.339 Auch wenn dieser Personalvorschlag nicht nur aus Landtagsabgeordneten bestand, macht doch die Entwicklung und die Korrespondenz zwischen Hoegner und Hundhammer ganz deutlich, daß die Ausschüsse sich mehr und mehr zum Instrument der Koalitionsbefürworter entwickelt hatten.340 Angesichts ihrer kurz bevorstehenden Arbeitsaufnahme war es Ende August wieder völlig offen, wie es mit der Koalition weitergehen würde. Knoeringen, der wohl angenommen hatte, daß die Bildung der Fachausschüsse am Widerstand oder der Uneinigkeit der CSU scheitern würde, sprach ihnen nun von vornherein den Erfolg ab. Er wiederholte dabei das Argument, die CSU sei infolge ihrer inneren Spannungen ein sehr schwerfälliger Verhandlungskörper, die von verschiedensten Richtungen abgegebenen Erklärungen ergäben kein klares Bild.341

Der Müller-Flügel der Union hatte inzwischen die Initiative auf CSU-Seite schon wieder verloren. Für Josef Müller besaß zu diesem Zeitpunkt die Landesversammlung der CSU am 30./31. August 1947 in Eichstätt Vorrang, die über seine Stellung innerhalb der Partei Aufschluß geben mußte und über seine politische Zukunft als Landesvorsitzender entschied.342 Im Gegensatz zu den Hoffnungen Knoeringens und der SPD brachte die Landesversammlung auch keine Spaltung der CSU, sondern eine Annäherung der Parteiflügel.

Auf der Klausurtagung der SPD-Landtagsfraktion in Berneck (26. bis 30. August) zeigte sich dann, daß inzwischen auch in der SPD-Fraktion die Koalitionsgegner in der Mehrheit waren.343 Am 30. August reisten Knoeringen, Martin Albert und Richard Reitzner zu Besprechungen mit Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer nach Frankfurt. Schumacher forderte Knoeringen auf, analog zur Frankfurter Direktorenwahl nun auch in München einen festen Standpunkt gegenüber der CSU einzunehmen. Auch wenn keine direkte Anweisung zum Bruch der Koalition gegeben wurde, was Knoeringen mehrfach beteuerte,344 bedeutete dies jedoch de facto nichts anderes. Nach der Frankfurter Direktorenwahl wartete die bayerische SPD nun nur noch auf einen spektakulären Anlaß,345 Hoegner spricht in seinen Erinnerungen von „Vorwand“,346 aus der Koalition auszuscheiden.

Am 30. August 1947 hielt Ministerpräsident Ehard auf der Landesversammlung der CSU in Eichstätt eine Grundsatzrede.347 Dezidiert antisozialistische Passagen dieser Rede boten der SPD nunmehr den Anlaß, die Koalition aufzukündigen.348 Ehard hatte unter anderem erklärt, daß der Sozialismus sich aus dem Gedankengut des historischen Materialismus speise, zwangsläufig zu kollektivistischer Wirtschaft und damit auch zu autoritären und totalitären Staatsformen führe. Dies sei mit der Demokratie nicht vereinbar.349 Obwohl Ehard sich in der Rede gleichzeitig für die Fortsetzung der Koalition aussprach350 und danach eine Ehrenerklärung für die meist weit vom Sozialismus entfernte bayerische Sozialdemokratie abgab,351 wird vermutet, daß der Verfasser der Rede, der nicht der Ministerpräsident selbst war,352 seinerseits beabsichtigte, die Koalition durch diese gezielte Provokation zu sprengen. Mit ihren antisozialistischen Ausführungen wies sie nämlich genau die seit Landshut von der SPD geforderte stärkere Berücksichtigung planwirtschaftlicher Elemente in der Wirtschaftspolitik zurück.353

Die SPD berief daraufhin am 13./14. September 1947 den Landesausschuß der Partei nach München ein.354 Die ebenfalls an diesem Wochenende tagende SPD-Landtagsfraktion folgte zunächst mit 23 zu 20 Stimmen knapp der Entschließung Knoeringens, die Koalition zu verlassen. Am 14. September votierte der Landesausschuß der SPD mit 73 gegen zwölf Stimmen, darunter die der sozialdemokratischen Minister sowie des Fraktionsvorsitzenden Stock, für den Austritt der Minister und Staatssekretäre aus dem Kabinett.355 Hoegners beschwörende Appelle für den Verbleib in der Regierung verhallten ungehört.356

Am 15. September 1947 überreichten die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder Ministerpräsident Ehard ihr Rücktrittsgesuch.357 Es handelte sich um die Minister Hoegner, Roßhaupter, Seifried und Zorn sowie die Staatssekretäre Gentner, Pittroff und Sachs.358 Am 20. September 1947 erteilte der Landtag seine Zustimmung.359 Ehard erläuterte in der Sitzung, daß die Rücktritte die Folge eines „Beschlusses der sozialdemokratischen Parteiinstanz“ seien, das Koalitionsverhältnis mit der CSU zu lösen und in die Opposition zu gehen. Es widersprach der Vorstellung Ehards von der übergeordneten Bedeutung des Staates, daß parteipolitische Egoismen den Ausschlag für eine solche Entscheidung gaben. In der letzten gemeinsamen Ministerratssitzung hatte er am 12. September gesagt, „die Bevölkerung erwarte von der Regierung, daß sie eine gewisse Führung übernehme zu einem Zeitpunkt, da die Parteien die Führung nicht übernommen hätten. Die Parteien müßten gezwungen werden mitzugehen und mitgerissen werden“. Im Landtag betonte er am 20. September: „Die Ursachen, die das Ende dieser Koalitionsregierung herbeigeführt haben, sind nicht aus dem Schoße des Koalitionskabinetts erwachsen. Hier war alles von dem redlichen und erfolgreichen Bestreben erfüllt, über alle auftretenden sachlichen und politischen Gegensätze hinweg immer wieder die Grundlagen für eine einheitliche Regierungsarbeit zu festigen und eine loyale Zusammenarbeit in der Koalition zu verwirklichen“.360 Damit sprach er die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder von der Verantwortung für den Austritt aus der Koalition frei.361 Seine Aussage wird im übrigen von den Ministerratsprotokollen bestätigt. Den wachsenden Einfluß der Parteien konnte der Ministerpräsident jedoch nicht aufhalten. In dieser Hinsicht bedeutete der Austritt der SPD aus der Koalition auch einen Wendepunkt hin zu einer stärkeren Politisierung.

Weiter erklärte Ehard vor dem Landtag: „Ich bedauere es aufrichtig, daß diese gute Zusammenarbeit im Kabinett eine so jähe Unterbrechung erleidet, noch dazu in einem Augenblick, wo jede Störung der sachlichen Regierungsarbeit für das gemeinsame Wohl unseres Volkes von Nachteil ist“.362 Sicher stand hinter dieser Aussage die politische Absicht, das Ausscheiden der SPD aus der Regierung angesichts der krisenhaften Versorgungssituation der Bevölkerung vor dem Winter 1947/1948 als verantwortungslos erscheinen zu lassen. Andererseits war Ehards Bedauern durchaus ernst gemeint, stellten die SPD und besonders Hoegner – daran hielt er auch in den Jahren 1950–1954 fest – doch einen berechenbaren Koalitionspartner für ihn dar.363 Ferner war er überzeugt, daß zur Lösung der schwierigen Probleme der Nachkriegszeit eine Zusammenarbeit in Konzentrationskabinetten notwendig, die in normalen Zeiten selbstverständliche Konstellation von Regierung und starker Opposition hingegen schädlich sei.364

Ehards ernsthaftes Bedauern, daß die Koalition letztlich an der Entscheidung Knoeringens und Schumachers gescheitert war, hatte ihn jedoch nicht gehindert, die Koalitionsgespräche zu einer Annäherung des Müller-Flügels an den Regierungsflügel der CSU zu nutzen, was zur Voraussetzung für die reibungslose Bildung seiner zweiten Regierung wurde, die sich nunmehr auf die bis dato zerstrittenen CSU-Flügel stützen konnte. Nachdem die CSU-Mehrheit den von der SPD-Fraktion gestellten Antrag auf Auflösung des Landtags und Neuwahlen abgelehnt hatte, stimmte sie am 20. September 1947 der Berufung der von Ehard anstelle der ausgeschiedenen SPD-Vertreter vorgeschlagenen Minister und Staatssekretäre zu, die alle der CSU angehörten.365 Ehard bddete ohne „zeitraubende politische Zwischenspiele“366 sein zweites Kabinett, das bis zum Ende der Legislaturperiode im Dezember 1950 im Amt blieb.

In Bayern wurde der Ausstieg der SPD aus der Koalition, zu einem Zeitpunkt, als die Ernährungs- und Energiekrise einen Höhepunkt erreicht hatte, teilweise scharf kritisiert.367 Bei der bayerischen SPD-Basis herrschte hingegen mehrheitlich ein Gefühl der Erleichterung,368 gepaart mit der Hoffnung, sich nun in der Opposition wirkungsvoll profilieren zu können.369 Der SPD-Parteivorstand in Hannover begrüßte die Entwicklung als „,Beendigung einer unerträglichen, die Demokratie und die Interessen des Volkes schädigenden Entwicklung‘“.370 Hoegner, bis zuletzt ein energischer Befürworter der Koalition, erfüllte die Entscheidung seiner Partei, die ihn und die SPD „realpolitischer Gestaltungschancen“371 beraubte, mit Bitterkeit. Den spontan erwogenen Rückzug aus der Politik und Bruch mit seiner Partei vollzog er jedoch nicht.372 Besonders bedauerte er, daß nun sein Ziel vereitelt werde, der Sozialdemokratie „die Gleichberechtigung in der Staatsverwaltung“ zu verschaffen.373

Aus der Rückschau bezeichneten auch zahlreiche weitere SPD-Politiker – mit Ausnahme Knoeringens – den Austritt als Fehlentscheidung, obwohl sie damals dafür gestimmt hatten.374 Tatsächlich verlor die SPD durch das Ausscheiden aus der Koalition wesentliche Mitwirkungsmöglichkeiten. Auch die erhoffte Spaltung der CSU trat nicht ein. Im Gegenteil: Die CSU präsentierte sich bereits in Erwartung des Bruchs der Koalition erstaunlich harmonisch.375 Als es dann so weit war, bot sie ein zunehmend geschlossenes Erscheinungsbild.376 Neun Monate nach Ehards Amtsantritt löste der Austritt der SPD aus der Koalition innerhalb der CSU keine Diskussion mehr über die Person des Ministerpräsidenten aus.377 Ehard konnte seine innerparteilich bereits unangefochtene Position in den kommenden drei Jahren bis zur Landtagswahl noch erheblich ausbauen. Hierzu trug auch bei, daß mit Wilhelm Hoegner der bis dato profilierteste bayerische Nachkriegspolitiker in der SPD ohne Rückhalt und bis 1950 auch ohne Regierungsamt war.

III. Schwerpunkte der Regierungstätigkeit

Rechtlicher Rahmen

Der staatsrechtliche Rahmen, in dem sich das Kabinett Ehard bewegte,1 wurde von fünf wesentlichen Faktoren bestimmt: Die Regierung Ehard war im Unterschied zu den Kabinetten Schäffer und Hoegner aus demokratischen Wahlen hervorgegangen. Diesem Zuwachs an Legitimität stand die Tatsache gegenüber, daß die bis dahin vom Ministerpräsidenten ausgeübten legislativen Funktionen2 an den Bayerischen Landtag übergingen. Im Zweifelsfall entscheidend blieben aber auch jetzt noch die Anweisungen der amerikanischen Militärregierung für Bayern.3 Sie übte weiterhin die letztinstanzliche Kontrolle über das exekutive Handeln sowie die bayerische Gesetzgebung aus, die sich damit auch auf den Landtag ausdehnte.4 Wesentliche Einschränkungen für die Exekutive und Legislative ergaben sich weiterhin durch die Gesetzgebung auf Länderratsebene sowie 1947 in zunehmendem Maße durch die Organe der Bizone.

Dieser kompliziertere rechtliche Rahmen5 seit dem Amtsantritt der Regierung Ehard hatte zur Folge, daß mehrere teilweise konkurrierende Rechtsquellen für Bayern galten.

Ersten Rang nahmen die Gesetze und Verordnungen des Alliierten Kontrollrats 6 und die Militärregierungsgesetze bzw. -verordnungen 7 ein, die von der amerikanischen Militärregierung in der US-Zone erlassen wurden.

Die bayerische Gesetzgebung und die Zuständigkeiten von Landtag 8 und Staatsregierung regelte grundsätzlich die Verfassung des Freistaates Bayern vom 8. Dezember 1946 in den Artikeln 70 bis 76. Die Gesetzgebungszuständigkeiten des Landtags und der Staatsregierung unterlagen jedoch 1946/1947 weiterhin Einschränkungen. Diese hatte das Office of Military Government of the United States for Germany (OMGUS) am 30. September 1946 in einer Anordnung niedergelegt, die nach dem Inkrafttreten der Landesverfassungen und der Konstituierung der Landtage das Verhältnis zwischen den Militärregierungen auf Landesebene und den deutschen Landesregierungen neu definierte.9 Sie war den Ministerpräsidenten am 3. Dezember 1946 in Stuttgart übergeben worden;10 offiziell erhielten sie sie erst am 20. Dezember 1946.11 Ehard listete diese Einschränkungen in seiner Regierungserklärung am 10. Januar 1947 ausdrücklich auf.12

Obwohl die Anordnung vom 30. September als Ziel amerikanischer Besatzungspolitik die „Selbstregierung“ der Deutschen betonte, formulierte sie im Detail eine stattliche Anzahl von Einschränkungen,13 mit denen sich die Amerikaner flexible Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten vorbehielten, um im Zweifelsfall die Richtlinien ihrer Besatzungspolitik durchsetzen zu können. Im äußersten Fall stand dahinter die Drohung, jederzeit die vollen Besatzungsrechte wieder in Anspruch und damit die eingeleitete demokratische Entwicklung zurückzunehmen.14

Besondere Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten hatte sich die Militärregierung insbesondere für zwei Sachgebiete Vorbehalten: die Durchführung der Entnazifizierung und die Flüchtlingsangelegenheiten.15 Wie die Lektüre der Ministerratsprotokolle erweist, war dies in verstärktem Maße auch in anderen Bereichen der Fall, etwa bei der Durchführung der Rückerstattung, der Bodenreform, der Schulreform und der Tätigkeit des Bayerischen Landespersonalamts (Beamtenfragen).16 Die Funktion der Landesmilitärregierungen, in Bayern also des Office of Military Government for Bavaria (OMGB), sollte sich nach dem Inkrafttreten der Verfassungen allerdings grundsätzlich in reduzierter Form äußern, und zwar als „observation, inspection, reporting and advising“.17

Diese in hohem Maße widersprüchlichen Ausführungen waren die Folge eines Zielkonflikts der US-Militärregierung. Auf der einen Seite verfolgte sie das Ziel, die Deutschen an Demokratie und Eigenverantwortlichkeit heranzuführen, auf der anderen Seite bewog sie ein ausgeprägtes, so kurze Zeit nach Kriegsende verständliches Mißtrauen, diesen Prozeß in allen Einzelheiten zu überwachen, was sich in der Praxis insbesondere in einer mehrstufigen, allerdings verdeckten, öffentlich nicht erkennbaren Kontrolle der deutschen Gesetzgebung manifestierte.18

Die Landesgesetzgebung wurde von der Militärregierung nicht nur formal kontrolliert, sondern weiterhin,19 teilweise ganz erheblich, inhaltlich beeinflußt, und zwar bereits vor und noch nach Abschluß des deutschen Gesetzgebungsverfahrens. Welcher Beeinflussung war ein Landesgesetz im Jahre 1947 normalerweise ausgesetzt?

Am 4. September 1947 teilte Ministerpräsident Ehard dem Kabinett mit, daß General Muller das gesamte Kabinett, die Landtagspräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden sowie je einen Vertreter der Gewerkschaften und des Bauernverbandes zu einer Besprechung am 8. September einlade. Thema seien die kommenden Gesetzesvorlagen an den Landtag. Ehard betonte, daß General Muller, der Direktor des OMGB, diesbezüglich Anregungen, aber keine Anweisungen geben wolle.20 Dies ist der deutlichste Hinweis in den Ministerratsprotokollen, daß die Militärregierung bereits im Vorfeld Einfluß auf die Gesetzgebung nahm, also zumindest mitbestimmte, ob bestimmte Gesetzentwürfe überhaupt in Angriff genommen wurden. Vom Kabinett Hoegner I ist das Protokoll einer solchen Konferenz zwischen der Staatsregierung und Abteilungsleitern der Militärregierung überliefert.21 Diese Praxis ist auch im Kabinett Ehard I fortgesetzt worden.22 Nachweislich gab es zahlreiche Besprechungen zwischen Muller und Ehard, teilweise unter Hinzuziehung von Referenten, bei denen es auch um Gesetzgebungsangelegenheiten ging.23 Daneben existierten viele Gelegenheiten – 1947 auch schon wieder Cocktail-Parties z. B. beim stellvertretenden Direktor von OMGB24 – bei denen Muller und seine Mitarbeiter informell auf Ehard und seine Kabinettsmitglieder sowie leitende Beamte Einfluß nahmen. Andererseits boten diese Veranstaltungen für die Mitglieder der Staatsregierung gleichermaßen Gelegenheit, ihren Spielraum für eigene Gesetzesinitiativen auszuloten. Ganz wesentlich waren in diesem Zusammenhang für die Staatsregierung auch Informationen über die Haltung leitender Offiziere bei OMGUS zu bestimmten Fragen, die Ministerialdirigent Glum bei Besprechungen in Berlin in Erfahrung brachte.25

Das Gesetzgebungsverfahren war formal so gestaltet, daß die Amerikaner wie ein Verfassungsorgan, nur ohne Wissen der Öffentlichkeit, daran beteiligt waren. Am 15. Januar 1947 erklärte Ehard im Ministerrat, daß ein von der Staatsregierung beschlossener Gesetzentwurf OMGB, hier der Governmental Structures Branch bzw. der Legislation Branch, gleichzeitig mit der Vorlage an den Landtag zur Kenntnisnahme zugeleitet werde.26 Wörtlich ergänzte er: „Man müsse den Amerikanern die Entscheidung überlassen, ob sie eine Sache an sich ziehen, ob sie sich einschalten oder ob sie besondere Wünsche äußern wollten“.

In der Tat variierte die Einflußnahme auf ein Gesetz oder eine Verordnung nach der Zuleitung des Entwurfs an OMGB. Dabei reichte das Spektrum der amerikanischen Reaktionen von auflagenloser Zustimmung über Anregungen und geringfügige fakultative Änderungsvorschläge, die Anweisung zu Ergänzungen, zur Änderung oder Tilgung einzelner Abschnitte oder Paragraphen bis zur Verzögerung oder Aufschiebung eines Gesetzgebungsverfahrens oder sogar bis zu dem Hinweis auf eine zu erwartende Ablehnung, was die Möglichkeit bot, das Gesetz noch zurückzuziehen.27 Dieses Verfahren ermöglichte der amerikanischen Besatzungsmacht bis auf wenige Ausnahmen eine Einflußnahme hinter den Kulissen. Auf diese Weise wurde es vermieden, die Regierung und den Landtag und damit den demokratischen Neuanfang in Bayern durch die Aufhebung einer größeren Zahl bereits erlassener und verkündeter Gesetze zu diskreditieren. Dieses Verfahren wurde in gewissem Maße zunächst auch von bayerischer Seite begrüßt.28

Auf der Seite von OMGB war „in erster Instanz“ die Governmental Structures Branch der Civil Administration Division die Koordinierungsbehörde für die bayerische Gesetzgebung; sie überprüfte „die Übereinstimmung dieser Gesetzgebung mit den Richtlinien der Militärregierung“.29 Im Sommer 1947 wurde ihr eine Legislation Branch angegliedert, die vom Leiter der Governmental Structures Branch John P. Bradford30 kommissarisch mitgeleitet wurde. Von Fall zu Fall hielt diese Abteilung von OMGB, nachdem ihr der Entwurf eines Gesetzes von Ministerpräsident Ehard zugeleitet worden war, mit der Legal Division von OMGUS in Berlin Rücksprache, so daß in die schriftlichen Stellungnahmen, die OMGB zu bayerischen Gesetzentwürfen abgab, immer wieder auch Auffassungen von OMGUS einflossen.31 Bei der Verabschiedung des bayerischen Haushalts war OMGUS immer eingeschaltet, er wurde von der Finance Division von OMGUS überprüft.32 Am 4. April 1947 wurde innerhalb der Legal Division von OMGUS das Legislation Review Board errichtet.33 Dieses prüfte Gesetze und Verordnungen erst nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens in den Ländern.34 Die letzte Entscheidung besaß nach der Meinungsäußerung des Legislation Review Board der Deputy Military Governor der US-Zone.

Die Reaktion von Staatsregierung und Landtag auf die zu ihren Entwürfen von amerikanischer Seite vorgetragenen Einwände oder Wünsche hing davon ab, wie hoch die jeweilige Angelegenheit auf der politischen Prioritätenliste der amerikanischen Militärregierung rangierte. Bei Fragen der Entnazifizierung, der Rückerstattung oder der Bodenreform war der Spielraum von Kabinett und Parlament äußerst gering, in anderen Fragen konnten die amerikanischen Einwände zumindest teilweise auch einmal unberücksichtigt bleiben.

Der Grad und die Form der amerikanischen Einflußnahmen soll an einigen Beispielen aufgezeigt werden. So erhielt ein von der Staatsregierung dem Landtag vorgelegter Gesetzentwurf von OMGB trotz aller Bemühungen das Prädikat „disapproval“, womit er abgelehnt war. Dies betraf das Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit.35 Interessant ist im übrigen, daß gelegentlich Gesetze, die auf die Initiative der Militärregierung zurückgingen, später an den Amerikanern scheiterten, wobei auch Auffassungsunterschiede zwischen einzelnen Abteilungen von OMGB und OMGUS über materielle Inhalte oder über den Grad der Notwendigkeit einer Einflußnahme auf die deutsche Gesetzgebung für den Meinungswandel verantwortlich waren. Ein Beispiel dafür war das Parteiengesetz. Ehard unterstrich bei der ersten Beratung, daß dieses ganz wesentlich auf Wünsche der Militärregierung zurückgehe.36 Noch vor der Zuleitung an den Landtag war der Entwurf informell der Militärregierung zugeleitet worden. Anschließend wurde in der Presse die Lizenzierung der Parteien nach Aufhebung der Lizenzierungspflicht durch die Militärregierung als undemokratisch kritisiert. Glum berichtete,37 daß das Gesetz auch von OMGUS abfällig und als verfassungswidrig beurteilt worden sei. Eine weitere Beratung fand infolgedessen nicht statt. Der Entwurf eines Gesetzes über die Sicherung von Nahrungsmittellagern und anderen wesentlichen Vorräten ging ebenfalls auf die Initiative der Militärregierung zurück.38 Nachdem der Ministerrat den Entwurf beraten, beschlossen und an den Landtag weitergeleitet hatte, wollte die Militärregierung plötzlich die Angelegenheit in Form einer deutschen Verordnung regeln. Während der Gesetzentwurf dem Landtag vorlag, war darüber zwischen OMGB und dem Innenministerium schon verhandelt worden. Ehard blieb nichts anderes übrig, als dem Landtag mitzuteilen, daß das Gesetz mit Rücksicht auf einen Wunsch der Militärregierung zurückgestellt werden müsse.39 Das Gesetz Nr. 61 zur Vereinheitlichung der Statistik40 wurde von der Militärregierung mit der Begründung, es erhebe die Statistik zum Staatsmonopol, nach seiner Verkündung außer Kraft gesetzt. 1948 erließ man statt dessen ein den Vorstellungen der Militärregierung entsprechendes Gesetz.41 Ganz maßgeblichen Einfluß nahm OMGUS auf die Ausführungsbestimmungen zum Bodenreformgesetz. Baumgartner erklärte dazu im Ministerrat: „Es seien sehr viele Änderungen verlangt worden, die uns im wesentlichen aufoktroyiert worden seien“.42 Nachdem OMGB im Januar 1947 gegen den noch vom Kabinett Hoegner I vorgelegten Entwurf eines „Vorläufigen Gesetzes über den Senat“43 eine ganze Reihe von Einwänden formuliert hatte.44 entschied sich die Staatsregierung dafür, gleich einen neuen Entwurf vorzulegen,45 dessen Passagen über die Wahl der Mitglieder des Senats den Monita von OMGB Rechnung trugen. Noch während der Landtagsberatungen im Sommer 1947 nahm man nach Rücksprache mit OMGB Korrekturen an diesem neuen Entwurf vor.46 In ähnlich deutlicher Weise wirkte die Militärregierung auch auf das Treuhändergesetz ein.47

In sehr vielen Fällen machte OMGB keine Auflagen und erklärte, daß keine Einwände („no objection“) gegen den Erlaß eines Gesetzes oder einer Verordnung bestünden, was einer Genehmigung gleichkam, z.B. bei dem Gesetz Nr. 66 über die Aufwandsentschädigung für die Abgeordneten des Bayerischen Landtags.48 In den am 1. März 1947 gemeinsam mit der Proklamation Nr. 4 erlassenen Militärregierungsbestimmungen zur deutschen Gesetzgebung wurde zu dieser Genehmigungspraxis ausdrücklich festgestellt: „In der deutschen Gesetzgebung soll ein Hinweis darauf, daß diese von der Militärregierung genehmigt wurde, nicht enthalten sein, es sei denn, daß eine diesbezügliche besondere Anweisung von der Militärregierung ergangen ist“.49

An der in dieser Formulierung noch einmal besonders zum Ausdruck kommenden verdeckten Form der Einflußnahme, die zunächst von bayerischer Seite begrüßt worden war, weil sie Korrekturen zuließ, ohne öffentlicher Diskreditierung ausgesetzt zu sein, nahm Ministerpräsident Ehard jedoch im Laufe der Zeit Anstoß.50 Im Ministerrat erklärte er am 30. April 1947 grundsätzlich,51 sicher sei eine enge Verbindung bayerischer Referenten mit Vertretern der Militärregierung schon im Entstehungsstadium eines Gesetzes zweckmäßig: „Man müsse aber darauf achten, daß man die Verantwortlichkeit sichtbar vor sich habe und daß diese nicht verwischt werde. Die Militärregierung sage nicht gern, daß etwas geändert werden solle, weil man dann sehe, daß sie sich einmische, auch an oberster amerikanischer Stelle; dies tue man nicht gern. So werde versucht, auf andere Art und Weise Einfluß auszuüben“. Weiter erklärte er, wenn die Militärregierung Änderungswünsche habe, so solle sie diese in einem von General Muller Unterzeichneten Schreiben der Staatsregierung offiziell mitteilen. Auf den Einwand Hoegners, die Militärregierung wolle so nur vermeiden, ein Gesetz aufheben zu müssen, antwortete Ehard, das müsse man in Kauf nehmen.

Dem Ministerpräsidenten ging die Berücksichtigung zahlloser informeller Anregungen der Militärregierung zu bayerischen Gesetzen zu weit. In Ehards Haltung kamen sein gewachsenes Selbstbewußtsein und ein etwas härterer Kurs gegenüber der Militärregierung zum Ausdruck, als ihn sein Vorgänger Hoegner als Regierungschef verfolgt hatte.52 Wie hartnäckig er diese Strategie verfolgte, zeigt ein anderes Beispiel. Die Militärregierung hatte die Durchführung einer Wohnraumerhebung veranlaßt. Für die entsprechende Verordnung53 wollte Ehard die Verantwortung wegen gewisser Formulierungen nur ungern übernehmen. Ehard behalf sich, indem in dem Communiqué über die Ministerratssitzung im Bayerischen Staatsanzeiger betont wurde, daß die Wohnraumerhebung auf Weisung der Militärregierung erfolge.54 Damit war die Verantwortlichkeit für die Verordnung öffentlich klargestellt.

Als Resümee ergibt sich, daß der Einfluß der Militärregierung auf die Gesetzgebung Bayerns auch nach dem Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung umfassend blieb. Ihr exakter Anteil an jedem bayerischen Gesetz und jeder Verordnung muß zwar im Detail bestimmt werden. Ohne amerikanische Beteiligung bzw. Genehmigung traten 1947 aber kein vom Landtag beschlossenes bayerisches Gesetz und keine von der Staatsregierung erlassene Verordnung in Kraft.

Auch die Rolle des Länderrats, in dem bislang die Ministerpräsidenten, auf dieser Ebene kontrolliert durch das amerikanische Regional Government Coordinating Office (RGCO),55 durch einstimmige Beschlüsse als Legislative gewirkt hatten, war infolge der Konstituierung der Landtage zum Jahreswechsel 1946/1947 neu zu bestimmen. Zunächst ging man davon aus, daß die Gesetzgebungskompetenz des Länderrats nunmehr erlöschen werde.56 Der stellvertretende Militärgouverneur der US-Zone, General Lucius D. Clay,57 wies ihm in einer Rede am 8. Januar 194758 jedoch eine weiterhin wesentliche Bedeutung zu, auch nachdem die Gesetzgebungsbefugnisse nun auf die Landtage übergegangen waren und angesichts der zunehmenden Befugnisse der bizonalen Verwaltungen.59

Was dies verfassungsrechtlich konkret bedeutete, darüber bestand zunächst Unsicherheit, zumal der Rede Clays keine schriftliche Anordnung folgte.60 Ehard kommentierte die Rede im Ministerrat am 9. Januar mit den Worten: „Es sehe fast so aus, als ob die Amerikaner mindestens teilweise mit den Ministerpräsidenten allein Weiterarbeiten wollten“.61 Clays Rede bedeutete letztlich, daß es in der US-Zone zukünftig zwei Wege deutscher Gesetzgebung geben würde, über die Landtage und wie bisher über den einstimmigen Beschluß des Rats der Ministerpräsidenten.

Die am 1. März 1947 von Joseph T. McNarney, dem Militärgouverneur der US-Zone, erlassene Proklamation Nr. 462 war einerseits inhaltlich eine Bestätigung der Anordnung vom 30. September 1946.63 In repräsentativerer Form als im September 1946 wurde den Ländern Hessen, Württemberg-Baden und Bayern nach der Annahme demokratischer Verfassungen zunächst die „volle gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt“ zugebilligt. Weiter hieß es, angesichts dieser Entwicklung sei die weitere Anwendbarkeit der Proklamation Nr. 2, die General Eisenhower am 19. September 1945 erlassen hatte,64 zu klären, „und zwar durch eine Neufassung und wesentliche Begrenzung der weitgehenden Befugnisse, die für die Militärregierung und den von ihr ermächtigten Ministerpräsidenten in dieser Proklamation Vorbehalten“ worden waren. Dies erweckt den Eindruck, als habe die Proklamation Nr. 4 eine höhere Stufe der „Selbstregierung“ der Länder der US-Zone formuliert und als stelle sie gleichzeitig eine Reduzierung von Interventionsrechten der Militärregierung dar. Jedoch wurden daneben in Artikel II erneut Einschränkungen formuliert, unter anderem zur „Verwirklichung grundlegender Ziele der Besatzungspolitik“. In diesen Fällen galt weiterhin die Machtbefugnis der Militärregierung und der von ihr ermächtigten Ministerpräsidenten, und zwar wie in Proklamation Nr. 2 der Militärregierung vorgesehen. Damit stellte die Proklamation Nr. 4 im Gegensatz zu ihrem deklaratorischen Charakter im Kern eine juristische Konkretisierung der von General Clay in seiner Rede vom 8. Januar 1947 dem Länderrat und damit den Ministerpräsidenten65 weiterhin zugewiesenen Gesetzgebungsbefugnisse (allerdings nur mit Zustimmung der Militärregierung) dar,66 die eine Ausschaltung der Landtage im Gesetzgebungsverfahren möglich machte.

In seiner Regierungserklärung vor dem Landtag vom 10. Januar 1947 hatte Ehard, wohl mit der Absicht, diesen vom Standpunkt der Demokratisierung aus nicht begrüßenswerten Zustand herunterzuspielen, erklärt, daß diese Form der Gesetzgebung angewandt werde, wenn eine einheitliche Handhabung in der US-Zone erforderlich, eine übereinstimmende Behandlung durch die drei Landtage jedoch nicht zu erwarten sei: „Hier sind die Wiedergutmachungsgesetze zu nennen, die Fragen der Sozialversicherung, der Finanzreform, der Dekartellisierung und andere mehr“.67 Ehard betonte, daß diese Lösung „Übergangscharakter“ trage. Diese Form der Gesetzgebung war von der Militärregierung also weiterhin vorgesehen für eine beschränkte Zahl von Gesetzgebungskomplexen, mit denen sie zentrale Ziele ihrer Besatzungspolitik verband, und damit als seltene Ausnahme.

Welchen Standpunkt vertraten Ehard und sein Kabinett angesichts dieser Situation? Daß es nun zwei Wege gab, Gesetze zu erlassen, stellte für sie ein gewisses Dilemma dar. Grundsätzlich war ihnen daran gelegen, daß der Bayerische Landtag seine vollen legislativen Kompetenzen entfaltete. Dies war wesentlich für seine Akzeptanz und gleichzeitig Ausdruck bayerischer Souveränität. Ehard erklärte deshalb mehrfach, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, den Weg der Gesetzgebung über den Landtag zu beschreiten.68 Von daher mußte er die zweite Variante, von sich aus über den Länderrat am bayerischen Parlament vorbei Gesetze zu erlassen, aus Prinzip ablehnen. Ging die Initiative dazu jedoch von der Militärregierung aus, kam eine Ablehnung nicht in Frage. Politisch sah die Angelegenheit für die Staatsregierung jedoch anders aus. Angesichts der Furcht vor einer vom Modell der britischen Zone geprägten zentralistischen Bizone gewann der Länderrat für Bayern eine neue Qualität als Vorbild für die Zusammenarbeit der Länder und Modell einer föderalistischen Verfassungsstruktur. Gerade Ehard nutzte die regelmäßigen Zusammenkünfte mit General Clay im Länderrat auch dazu, diesem und dessen Mitarbeitern die eigenen föderalistischen Verfassungsvorstellungen zu präsentieren.69 Weiterhin machte der Länderrat der Bizone auf dem Gebiet der Gesetzgebung Konkurrenz70 und hemmte so deren Erstarken. Ferner darf nicht außer acht gelassen werden, daß zumindest die potentielle Möglichkeit der Gesetzgebung über den Länderrat angesichts der instabilen Mehrheitsverhältnisse der Regierung Ehard im Landtag ein nützliches Disziplinierungsinstrument gegenüber den Regierungsfraktionen darstellte. Dies machte Bayern nicht zum grundsätzlichen Gegner gesetzgeberischer Aktivitäten des Länderrats.

Alle diese Erwägungen änderten jedoch nichts an Ehards Bemühungen, dem Landtag die Vorrangstellung in der Gesetzgebung zu verschaffen71 oder ihn im Rahmen des Länderrats einzuschalten. Am 15. Januar 194772 erklärte er im Ministerrat, wenn die Militärregierung die Einschaltung des Landtags bei gewissen Gesetzen nicht wolle, sondern die Ministerpräsidenten beauftrage, die Gesetze gleichförmig zu erlassen, so müsse man dem zwar entsprechen. Er fügte jedoch hinzu: „Grundsätzlich müsse man aber daran festhalten, daß auch, wenn ein Gesetz im Länderrat beschlossen sei, der Erlaß im Landtag erfolge“. Wenn der Landtag nicht materiell beteiligt werden konnte, wollte Ehard ihn wenigstens formell einbeziehen. Die Anweisung der Militärregierung an die Ministerpräsidenten, das Flüchtlingsgesetz zu erlassen, nahm Ehard am 15. Februar 1947 im Kabinett zum Anlaß,73 die Einschaltung des Landtags in diesen Gesetzgebungsfällen noch weiter zu präzisieren. Ansatzpunkt dafür war, daß von diesem Gesetz eine Abschrift auch dem Landtag übermittelt werden sollte. Wörtlich erklärte er: „Die Frage, was das Parlament mit diesem Gesetz machen solle, sei offen gelassen. Das Parlament könne davon einfach Kenntnis nehmen; es sei die Frage, ob es aber auch dazu seine Meinung sagen könne. Seiner Ansicht nach solle man dem Parlament die Möglichkeit, sich gutachtlich oder auch kritisch zu äußern, nicht nehmen, sondern diese fördern. Das Parlament brauche sich nicht in der Form eines Protestes zu äußern, könne aber wohl sachlich Wünsche auf Änderung oder Ergänzung Vorbringen“. Auch hier bemühte sich der Ministerpräsident um eine Einschaltung des Parlaments, die jedoch nicht zu kritisch gegenüber der Militärregierung ausfallen durfte.74

Die in der Regierungszeit des Kabinetts Ehard I erlassenen deutschen Gesetze unterschieden sich formal durch ihre Eingangsformel. Diese lautete entweder „Der Landtag des Landes Bayern hat das folgende Gesetze erlassen“75 oder „Auf Grund der Artikel 2 und 3 der Proklamation Nr. 4 der amerikanischen Militärregierung vom l.März 1947 in Verbindung mit der Proklamation Nr, 2 der amerikanischen Militärregierung vom 19, September 1945 wird das folgende vom Länderrat nach Anhörung des Parlamentarischen Rates am ... beschlossene Gesetz (erlassen und) verkündet“.76 Die Anzahl der auf dem zweiten Wege zoneneinheitlich über den Länderrat erlassenen und verkündeten Gesetze war erheblich.77 Der Landtag fand in dieser Eingangsformel entgegen der ausdrücklichen Absicht Ehards, ihn zu beteiligen, keine Erwähnung. Eine quasi parlamentarische Beteiligung auf niedrigem Niveau war jedoch die Anhörung des am 10. März 1947 konstituierten Parlamentarischen Rates des Länderrats, dem Landtagsabgeordnete der Länder der US-Zone angehörten. Ehard unterrichtete ferner den Landtagsausschuß für Fragen des Länderrats und für Fragen bizonaler und mehrzonaler Art.78

Die Länderratsgesetzgebung war für Ehard nicht nur wegen der Ausschaltung des Landtags problematisch, sondern auch, weil hier ebenso wie bei der bayerischen Gesetzgebung häufig nicht klar erkennbar war, daß die als Länderratsgesetz und damit als deutsches Gesetz erlassene Regelung im Grunde von der Militärregierung ausging,79 die sie aus bestimmten Gründen nicht als Militärregierungsgesetz erlassen wollte.80 Diese Problematik eskalierte im Zusammenhang mit dem Rückerstattungsgesetz.81 Die Übernahme der Verantwortung für dieses Gesetz lehnte Ehard ab. Wörtlich erklärte er: „Er beabsichtige, seine Unterschrift nicht zu geben, außer auf schriftliche Weisung der Militärregierung“. Auf Ehards Eintreten im Länderrat ging es zurück, daß die Militärregierung das Rückerstattungsgesetz im November 1947 als Militärregierungsgesetz Nr. 59 erließ und damit die Verantwortung dafür übernahm. In diesem Fall konnte der bayerische Ministerpräsident seine Position durchsetzen.

Die immer engere Zusammenarbeit der Länder der US-Zone führte dazu, daß ihre Regierungen von sich aus und ohne Anweisung durch die Amerikaner für eine wachsende Zahl von Materien die Notwendigkeit erkannten, sie in koordinierter Form zu regeln. Auch Ehard war bei bestimmten Gesetzgebungsmaterien der Auffassung, daß ein zoneneinheitlicher Erlaß erforderlich sei.82 Jedoch wollte er die Militärregierung nicht um zoneneinheitlichen Erlaß bitten. Seiner Ansicht nach sollte der Länderrat hierfür ein eigenständiges Verfahren entwickeln.83 Auf die Dauer mußte daher im Laufe des Jahres 1947 die Frage der Hierarchisierung zwischen Landtags- und Länderratsgesetzgebung für Gesetze geklärt werden, in denen die Initiative zum zoneneinheitlichen Erlaß nicht von der Militärregierung selbst ausging.84 Am 9. September 1947 beschloß der Länderrat Regeln für das Gesetzgebungsverfahren in der US-Zone, das die bisherige Praxis systematisieren sollte.85 Danach leiteten die Landesregierungen künftig die Gesetzentwürfe aller in den Landtagen zur Beratung kommenden Gesetze dem Länderrat zu. Dieser prüfte, ob für diese Materie eine Rechtsangleichung oder Rechtsgleichheit erforderlich war. War beides nicht der Fall, waren generell die Länderparlamente zuständig. Sprach sich der Länderrat hingegen für Rechtsangleichung aus, so wurde ein Entwurf in den Ausschüssen des Länderrats erstellt. Der Länderrat faßte jedoch keinen endgültigen Beschluß, sondern empfahl den Landtagen der Länder die Annahme. Hielt der Länderrat hingegen Rechtsgleichheit innerhalb des amerikanischen Besatzungsgebietes für erforderlich, ging der in den Ausschüssen des Länderrats entstandene Entwurf nach Anhörung des Parlamentarischen Rates und Annahme durch den Länderrat an OMGUS. Nach dessen Genehmigung erließen und verkündeten die Ministerpräsidenten das Gesetz ohne Vorlage an die Landtage.

Damit wurde quasi eine Überwachung der Ländergesetzgebung durch den Länderrat eingeführt. Diese auch vor ihrer schriftlichen Fixierung betriebene Praxis führte 1947 tendenziell zu einer steigenden Zahl zoneneinheitlich erlassener Gesetze.86 Gegen diese Praxis schritt die Militärregierung (Legislation Review Board, OMGUS) jedoch ein und verneinte in zahlreichen Fällen die Notwendigkeit einer Rechtsgleichheit. Daran wird erkennbar, daß die von deutscher Seite ausgehende Systematisierung der Gesetzgebung in der US-Zone in einem Maße zu einer Aufwertung des Länderrats und einer Entmachtung der Landtage führte, die die Militärregierung, die sich die Option der zweigleisigen Gesetzgebung eigentlich nur für wenige Gesetzgebungsmaterien offenhalten wollte, gar nicht beabsichtigt hatte.87

Die rechtliche Unsicherheit oder Unübersichtlichkeit wuchs für Staatsregierung und Landtag weiter an, weil seit 1. Januar 1947 auch mit dem Anspruch der bizonalen Verwaltungsräte und Verwaltungsämter auf eine Weisungsbefugnis gegenüber den Ländern in ihren jeweiligen Fachgebieten zu rechnen war.88

Grundlage für die engere Verbindung zwischen der amerikanischen und der britischen Besatzungszone, mit dem langfristigen Ziel einer Verschmelzung, war das Abkommen über die Zusammenlegung beider Zonen mit Wirkung vom 1. Januar 1947 zum Vereinigten Wirtschaftsgebiet (Bizone), das am 2. Dezember 1946 von den Außenministern der USA und Großbritanniens unterzeichnet worden war.89 Durch Vereinbarungen über die Errichtung von bizonalen Verwaltungsräten und fünf ihnen untergeordneten bizonalen Verwaltungsämtern (für Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft, Post- und Fernmeldewesen, Verkehr und Finanzen), die zwischen dem 10. September und 1. Oktober 1946 geschlossen worden waren,90 wurde diese Absicht konkretisiert.91 Die meisten Aktivitäten entfalteten Verwaltungsrat und Verwaltungsamt für Wirtschaft in Minden. Die von den bizonalen Verwaltungen beanspruchte Rechtsetzungsbefugnis wurde von Bayern von Anfang an energisch bestritten.92 Im Kern ging es dabei um die Frage, ob mit dem Begriff „Weisungen“, der in den Abkommen verwendet worden war, den Verwaltungsräten eine Anordnungskompetenz mit Gesetzeskraft zustand, wie die Verwaltungsräte zunächst für sich in Anspruch nahmen. Unter Führung Ehards lehnten dies die Länder der US-Zone ab.93 Die Militärregierungen, auch die amerikanische, waren zunächst unentschieden. Am 12. März teilte Clay schließlich dem Verwaltungsrat für Wirtschaft mit, daß eine Gesetz- und Verordnungsbefugnis der bizonalen Verwaltungen gegenüber den Ländern nicht bestehe.94 Bayern und Ehard hatten also Erfolg mit ihrer Position, die sich auch die Amerikaner zu eigen machten. Bei dieser Auseinandersetzung ging es nur vordergründig um die Klärung einer den Ländern übergeordneten Gesetzgebungskompetenz. Dahinter, und das hatte Ehard sehr wohl erkannt, stand die künftige Gestalt Deutschlands, für die durch die bizonale Entwicklung präjudizierende Entscheidungen in Richtung Zentralismus oder Föderalismus fallen konnten.95 Gegen die Bizone, besonders das Verwaltungsamt für Wirtschaft in Minden, bestanden im bayerischen Ministerrat auch Bedenken, weil mit Viktor Agartz (SPD) dort ein Mann an die Spitze gelangte, der eine zentralistische und sozialistische Wirtschaftspolitik propagierte,96 ebenso auch wegen der dort in großer Zahl aktiven Beamten aus der ehemaligen Reichsbürokratie, die meist aus den Ämtern der britischen Zone kamen,97 und weil Bayern angesichts der strengeren Entnazifizierungsvorschriften in der US-Zone eine Benachteiligung bei der personellen Besetzung dieser Ämter befürchtete.98

Trotz des Machtwortes von Clay vom 12. März 1947 war die Frage der Rechtsetzungsbefugnis der bizonalen Stellen noch nicht endgültig geklärt. Im April legte der Mindener Verwaltungsrat für Wirtschaft eine Verordnung über den Warenverkehr in der gewerblichen Wirtschaft vor, die weitreichende Kompetenzen (u.a. Beschlagnahme von Waren) des Verwaltungsamtes in den Ländern vorsah.99 Die Verordnung wurde von der Militärregierung dem Länderrat zur Stellungnahme zugeleitet. Die von politischem Fingerspitzengefühl zeugenden Ausführungen Ehards über die Verordnung im Ministerrat am 12. April 1947 zeigen den begrenzten Handlungsspielraum der Staatsregierung in dieser Situation. Ehard, der die Warenverkehrsordnung intern im Stuttgarter Länderrat als Ermächtigungsgesetz bezeichnete, plädierte deshalb im bayerischen Kabinett für ein diplomatisches Vorgehen. Parallel entschied er sich für eine Einschaltung des Landtags, der anstelle der Staatsregierung öffentlich scharf gegen diese Verordnung protestierte. Um die Militärgouverneure nicht zu verärgern, die sich von der Bizone eine grundsätzliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Zonen erhofft hatten, stimmte der Länderrat und damit auch Ehard am 15. April 1947 der Warenverkehrsordnung jedoch dann grundsätzlich zu.100 Hier wird ein Grundzug der vom bayerischen Ministerpräsidenten bestimmten bayerischen Politik deutlich, den er in einem anderen Zusammenhang auf die Formel brachte: Man müsse den Rechtsstandpunkt hervorkehren, aber jeden Anschein vermeiden, daß man Schwierigkeiten mache.101 Da die Amerikaner für Ehards langfristiges Ziel einer föderalistischen Verfassungsgebung seine wichtigsten Bundesgenossen darstellten, mußte sich Bayern kooperativ zeigen und Obstruktionspolitik in jedem Fall vermeiden.102 Hier mußte Ehard im Ministerrat auf andere mäßigend einwirken.103

Wegen vieler Reibungsverluste – dazu zählten die unklare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den in beiden Zonen verstreuten Verwaltungsämtern ebenso wie die Auseinandersetzungen mit den süddeutschen Ländern über die Kompetenzen der bizonalen Organe – erwies sich die Bizone als uneffizient.104 Infolgedessen entschlossen sich der amerikanische und britische Militärgouverneur zu einer Reorganisation der Bizone. Deren Grundlage war ein am 29. Mai 1947 unterzeichnetes Abkommen,105 das von General Clay mit der Proklamation Nr. 5 in der US-Zone veröffentlicht wurde.106

Kern des Abkommens war die Schaffung eines Wirtschaftsrats in Frankfurt am Main. Auch alle fünf Verwaltungsämter der Bizone hatten künftig dort ihren Sitz. Der Wirtschaftsrat, ein quasi-Parlament mit 52 Mitgliedern (12 aus Bayern),107 dessen Abgeordnete entsprechend der Stärke der Parteien bei der letzten Landtagswahl durch die Landtage bestimmt wurden,108 beschloß die zum „wirtschaftlichen Wiederaufbau der beiden Zonen“ notwendigen Gesetze und Verordnungen mit einfacher Mehrheit und verkündete sie selbst. Den Institutionen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes stand das aus Vertretern der britischen und amerikanischen Militärregierung zusammengesetzte Bipartite Control Office (BICO) in Frankfurt gegenüber.109 Die Länder hatten die vom Wirtschaftsrat beschlossenen und von dem BICO übergeordneten Bipartite Board genehmigten Gesetze auszuführen. Mit der Parlamentarisierung der Bizone in Gestalt des Wirtschaftsrats war ein weiteres Legislativorgan neben dem Landtag und dem Länderrat entstanden. Der dem Wirtschaftsrat zur Seite gestellte und mit je einem Ländervertreter besetzte Exekutivrat hatte nur beratende Funktionen. Die Militärgouverneure hatten diese Zentralisierung der Administration der Bizone sowie die Errichtung des Wirtschaftsrats und des Exekutivrats ohne Anhörung der deutschen Seite durchgeführt.110 Ehard kritisierte Verfahren111 und Inhalt der Neuordnung der Bizone, insbesondere den Exekutivrat.112 Sie bedeutete mit der neuen übergeordneten Gesetzgebungskompetenz eine erhebliche Kompetenzeinbuße für die Länder. Die Entwicklung bestätigte gleichzeitig seine Befürchtungen, daß die mehr und mehr einem Vollstaat gleichende Bizone Ausgangspunkt einer zentralistischen Verfassungsschöpfung werden könne. Trotz aller Kritik war aber auch jetzt Obstruktion keine Alternative. Ehard machte sich vielmehr Gedanken, wie sich die Länder stärker in das Gesetzgebungsverfahren des Wirtschaftsrates einschalten konnten.113 Seine Kritik am Verfahren und der Struktur von Wirtschafts- und Exekutivrat trug insofern Früchte, als die Ministerpräsidenten bei der zweiten Neuordnung der Bizone Anfang 1948 hinzugezogen wurden.

Grundsätzlich ist festzuhalten, daß im Kabinett Ehard I Länderrat und Bizone unter dem Aspekt der Gesetzgebungszuständigkeit sehr wohl, im Hinblick auf die grundsätzlichen föderalistisch-verfassungspolitischen Aspekte nur marginal behandelt wurden. Dieses Thema war Chefsache des Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei.114 Eine Koordination zwischen den bayerischen Abgeordneten des Wirtschaftsrats und der Staatsregierung über ein gemeinsames Vorgehen in der Gesetzgebung ist nicht belegt; es ist im Ministerrat des Jahres 1947 jedenfalls kein Thema.115

Gewissermaßen eine juristische Bestätigung der maßgeblich von General Clay vorangetriebenen Besatzungspolitik des Jahres 1947 mit der Schaffung und anschließenden Umstrukturierung der Bizone stellte die amerikanische Direktive vom 15. Juli 1947 dar.116 Sie hob auch die Direktive JCS 1067117 auf, die 1945 am Beginn der amerikanischen Besatzungspolitik gestanden und die anfängliche Behandlung Deutschlands als besiegte Nation vorgeschrieben hatte, und markierte damit noch einmal ausdrücklich die Wendung der amerikanischen Besatzungspolitik hin zu einem konstruktiven Engagement in allen Bereichen, auch was Verfassung und Demokratisierung betraf.118 Für die weitere Entwicklung des Verhältnisses von Ländern, Länderrat und bizonalen Institutionen sowie für die Entstehung einer künftigen Verfassung war insbesondere der Abschnitt 6. b) der neuen Direktive wesentlich: „Ihre Regierung ist der Ansicht, daß sich das deutsche politische Leben am besten entwickeln kann, wenn deutsche Bundesstaaten (Länder) und eine zentrale deutsche Regierung, deren Aufgaben und Machtvollkommenheiten sorgfältig definiert und begrenzt sind, gebildet werden. Alle Befugnisse mit Ausnahme derer, die ausdrücklich der Zentralregierung Vorbehalten bleiben, sollen den Ländern übertragen werden“.119 Hier besaß die föderalistische Politik der bayerischen Staatsregierung einen Ansatzpunkt.

Schwerpunkte

Die Schwerpunkte der neun Monate amtierenden Regierung Ehard I waren weitgehend dieselben wie diejenigen der beiden vorangegangenen Kabinette. Wenn man eine Prioritätenliste aufstellt, die gleichermaßen der Bedeutung der Themen wie dem Anteil entspricht, den sie in den Beratungen des Ministerrats einnahmen, rangierten in der ersten Kategorie das Verhältnis zur Militärregierung, die Entnazifizierung, der Wiederaufbau der Staatsverwaltung, die Flüchtlingsproblematik und die Lebensmittel- und Energieversorgung. 120 Neu hinzu traten zu dieser Gruppe von Schwerpunktthemen das Verhältnis zum Landtag und die Positionsbestimmung Bayerns im Rahmen des Länderrats und zunehmend auf der Ebene der Bizone sowie damit verbunden das Bemühen, den Föderalismus als Gestaltungsprinzip einer künftigen verfassungspolitischen Struktur Deutschlands zu etablieren.

Es wäre verkehrt, aus der oben geschilderten intensiven Kontrolle der bayerischen Gesetzgebung durch die verschiedenen Instanzen der Militärregierung den einseitigen Schluß zu ziehen, das Verhältnis zwischen dem Office of Military Government for Bavaria und der Staatsregierung sei schlecht gewesen. Das Gegenteil war der Fall. Der Direktor des OMGB, General Walter J. Muller,121 unterhielt zu Ehard ebenso enge und regelmäßige Kontakte wie zu dessen Vorgänger Hoegner. Ein Beleg für ihr vertrauensvolles, von gegenseitiger Achtung und meistens von pragmatischer Kooperation geprägtes Verhältnis war z.B., daß Muller Ministerpräsident Ehard die Monatsberichte des Militärgouverneurs der US-Zone zuleitete.122 So vertrauensvoll das Klima aber war, Muller ließ nie einen Zweifel an den Kompetenzen, Zielen und der übergeordneten Stellung der Militärregierung gegenüber der Staatsregierung aufkommen. Zur Durchsetzung der Ziele ihrer Besatzungspolitik hatte sich die Militärregierung dem Prinzip der Beaufsichtigung verschrieben. Dies kam neben der Kontrolle der Gesetzgebung ebenso durch die intensive Beobachtung von Landtagssitzungen, Parteiveranstaltungen, der Stimmung in der Bevölkerung, der Zeitungsberichterstattung etc. zum Ausdruck. In dem umfangreichen Berichtswesen der Militärregierung wurden alle Lebensbereiche auf kommunaler, regionaler bzw. Landesebene genau registriert und kommentiert. Dazu gehörte auch, daß nunmehr mit Helmuth Penzel ein Verbindungsmann der Militärregierung in der Bayerischen Staatskanzlei angesiedelt war.123 In Einzelfällen kam es auch zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten. OMGB zögerte nicht, zur Durchsetzung der Besatzungspolitik auch harte Maßnahmen zu treffen. Verwiesen sei noch einmal auf die Gesetzgebung, auf die Ablehnung der erneuten Berufung von Michael Helmerich zum Verkehrsminister oder den Befehl, Referenten des Sonderministeriums zu entlassen.124

Andererseits setzte sich die Militärregierung häufig auch bei OMGUS für bayerische Belange ein, z, B. im Zusammenhang mit der Demontage von Industriebetrieben.125 Sie half bei der Bereitstellung von Truppenübungsplätzen als Flüchtlingsunterkunft126 und in Einzelfällen auch bei Wohnungsbeschlagnahmungen.127 Auch hinsichtlich der bedrohlichen Sicherheitsverhältnisse auf dem Lande kam Muller bayerischen Wünschen entgegen,128 ebenso bei der Nahrungsmittelversorgung.129 Entsprechend intensiv bemühte sich das Kabinett, keine grundsätzliche Mißstimmung zu Müller und seinen Mitarbeitern aufkommen zu lassen,130 was – wie das Thema Gesetzgebung zeigte – jedoch keineswegs dazu führte, daß Ehard der Militärregierung immer nach dem Mund redete.

Betont werden muß, daß auch in den Abteilungen von OMGB Auffassungsunterschiede über die Linie herrschten, mit der den Deutschen zu begegnen war.131 Schärfer als Muller kritisierte beispielsweise dessen Stellvertreter Kenneth A. Dayton in einem Einzelfall am 19. Juni 1947132 die deutsche und bayerische Wirtschaftspolitik, und dies öffentlich. Ehard wies diese Kritik anläßlich einer Rede in Hof im Juli zurück.133 Bei einer persönlichen Aussprache zwischen Dayton und Mitgliedern des Kabinetts konnten die Differenzen schließlich beigelegt werden.134 Insgesamt waren die führenden Offiziere von OMGB, genannt seien stellvertretend für andere John P. Bradford135 oder Albert C. Schweizer,136 der Tätigkeit der Staatsregierung wohlgesonnen und unterstützten teilweise auch föderalistische Positionen nach Kräften.137 Nach der nun über zwei Jahre währenden Besatzung und Zusammenarbeit hatte sich teilweise auch ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen den Herren der Militärregierung und leitenden Beamten der Staatsministerien gebildet.138

Neben aller Aufsicht und Intervention ist andererseits zu konstatieren, daß sich die Militärregierung in parteipolitischen Fragen, dies wurde insbesondere virulent, als sich in der WAV Spaltungstendenzen zeigten,139 völlige Neutralität auferlegte.

Noch vor dem Chef der bayerischen Militärregierung war General Clay, der Militärgouverneur der US-Zone, die höchste Instanz für Ministerpräsident Ehard und die Staatsregierung. Seine Auffassungen und Entscheidungen waren von grundsätzlicher Bedeutung für die Erweiterung des politischen Handlungsspielraums der deutschen Landesregierungen bzw. für die Bewahrung des Status quo. Teilweise noch schärfer als Muller kritisierte Clay bestimmte Zustände: die Behandlung der Flüchtlinge,140 mehrfach den schleppenden Gang der Entnazifizierung,141 die unzureichende Soll-Erfüllung bei der Lieferung von Lebensmitteln durch Bayern an die Länder der Bizone, das Zurückbleiben beim Holzexportprogramm142 sowie die bayerische Position bei der Schulreform,143 und drohte manchmal mit Sanktionen. 144 Scharf kritisierte er ferner Äußerungen Wirtschaftsminister Zorns, die Displaced Persons seien für den Schwarzmarkt hauptverantwortlich.145 In einigen Fällen regierte er sogar mit direkten Anordnungen in die bayerischen Verhältnisse hinein, so mit der Entscheidung, den Stickstoffwerken in Trostberg bei der Energieversorgung absolute Priorität einzuräumen.146 Die Ministerratsprotokolle belegen, daß die Staatsregierung bei Kritik von Clay umgehend reagierte. Ehard hatte allerdings erkannt, daß man ihm mit vernünftigen Argumenten auch eigene Positionen vortragen und in gewissen Fragen Widerspruch leisten konnte.147 Die regelmäßigen Zusammenkünfte des Ministerpräsidenten mit Clay bei den Länderratssitzungen bedeuteten für ihn eine privilegierte Möglichkeit, Anliegen vorzubringen, und verschafften ihm frühzeitig wichtige Informationen, die er regelmäßig im Ministerrat ausführlich referierte.

Ferner ist zumindest zu erwähnen, daß sich 1947 der drastische Personalabbau bei OMGB fortsetzte.148 Die verbliebenen Angehörigen der Militärregierung lebten nun häufig gemeinsam mit ihren Familienangehörigen in Bayern.149 Auch die Praxis, ausscheidende Offiziere und Mannschaften der Militärregierung durch amerikanische Zivilangestellte zu ersetzen, ging weiter.150 Teilweise arbeiteten die ehemaligen Militärregierungsoffiziere auch als Zivilangestellte auf demselben Posten weiter. Ferner stieg die Zahl der bei der Militärregierung und der US-Armee beschäftigten deutschen Zivilangestellten 1947 stark an.151 Die Besatzungskosten machten einen erheblichen Anteil des Bayerischen Staatshaushalts aus.152

Die Haltung der Militärregierung zur Entnazifizierung war im Jahre 1947 ambivalent. Einerseits machten General Muller und General Clay angesichts zahlreicher Mißstände weiterhin Druck, die justizielle Aufarbeitung des Nationalsozialismus zügig und energisch durchzuführen. Um die Einschüchterung von Zeugen im Spruchkammerverfahren zu beenden, regelte die Militärregierung z.B. die Akteneinsicht bei den Spruchkammern zunächst restriktiv, nahm dies wenig später jedoch wieder zurück.153 Ferner ordnete sie Ende April 1947 an, alle zu Arbeitslager Verurteilten festzunehmen, die ihre Haft noch nicht angetreten hatten.154 Schwierigkeiten bestanden die ganze Zeit bei der Besetzung der Spruchkammern, vor allem mit juristisch vorgebildetem Personal.155 Ebenso mangelhaft waren der Aufbau der Berufungskammern und das Arbeitspensum des Kassationshofs.156 Auch der räumliche,157 organisatorische und personelle Aufbau des Staatsministeriums für Sonderaufgaben blieb problematisch, insbesondere weil sich zahlreiche Laufbahnbeamte weigerten, mit Minister Loritz zusammenzuarbeiten.158

Parallel zur harten Haltung der Militärregierung gab es jedoch verschiedene Initativen, das Verfahren für die große Gruppe der „Mitläufer“ zu erleichtern und zu beschleunigen, um zu einem raschen Abschluß zu gelangen.159 Die Staatsregierung griff dies gerne auf, da sie fortfuhr, die Entnazifizierung ohne inneres Engagement lediglich im Auftrag der Militärregierung abzuwickeln. Ehard kritisierte speziell die durch das praktizierte Verfahren entstehende Rechtsunsicherheit.160 Ferner betrachtete das Kabinett die Entnazifizierung und die damit zusammenhängende Rückerstattung im Maßstab der Bizone zunehmend als Benachteiligung.161 Zu den Maßnahmen, die Entnazifizierung zu beschleunigen, gehörten die Durchführung der Weihnachts-162 und der Jugendamnestie,163 die Beratung einer Amnestie für Fragebogenfälscher164 sowie das sogenannte Ingolstädter Verfahren.165 Auch die anfangs vom Gesetz vorgesehene Eintragung der Eingruppierung im Spruchkammerverfahren im Personalausweis wurde schließlich nur in reduzierter Form umgesetzt.166 Eine Novellierung des Entnazifizierungsgesetzes, die insbesondere das automatische Beschäftigungsverbot erheblich reduziert hätte,167 kam dann doch nicht zustande.168

Zum Komplex der Entnazifizierung gehörten ferner die Verhältnisse in den Internierungslagern,169 in denen sich bei Kriegsende auf der Basis des Automatic Arrest verhaftete NS-Funktionäre, die noch auf ihr Verfahren warteten, sowie im Spruchkammerverfahren bereits zu Arbeitslager Verurteilte befanden. Dabei gab es Mißstände in unterschiedlicher Form: Moniert wurde zunächst die zu lasche Disziplin und die Korruption in den Lagern.170 Andererseits herrschten teilweise Zustände, die den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ähnelten.171 Die Militärregierung forderte ferner die rasche Errichtung von Lagerspruchkammern. Auf scharfe Kritik stieß dann der auf Initiative von Sonderminister Loritz geschaffene sogenannte Kontrolldienst in den Internierungslagern,172 der auf Befehl der Militärregierung aufgelöst werden mußte. Insgesamt gingen zahlreiche organisatorische Probleme der Entnazifizierung auf die chaotische Geschäftsführung von Loritz zurück. Zudem mißbrauchte dieser Sonderministerium und Kontrolldienst als Versorgungsreservoir für WAV-Leute.173 Spektakulär waren die Bombenanschläge auf Spruchkammern in Nürnberg,174 hinter denen – zu Unrecht – im Untergrund aktive Naziorganisationen vermutet wurden.175 Der Anschlag von Anfang Februar war der Anlaß für die einzige außerordentliche Ministerratssitzung dieses Kabinetts am 4. Februar 1947. Die Attentate drückten jedoch den Unmut über die Praxis der Entnazifizierung aus. Als Reaktion auf die Gewalt fand in Nürnberg ein sechsstündiger Generalstreik statt,176 die SPD-Fraktion brachte im Juli einen Gesetzentwurf gegen die Untergrabung der Volksherrschaft ein.177 Auch nach der Entlassung von Loritz im Juni 1947 änderten sich die Verhältnisse nicht. Allerdings übernahmen nunmehr CSU und SPD gemeinsam die Verantwortung für dieses schwierige Ressort. Zu diesem Themenkomplex gehört auch die Beratung des auf Länderratsebene verabschiedeten Rückerstattungsgesetzes, das vom Kabinett in seiner Form abgelehnt wurde.178 Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungen war ferner die Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Befreiungsgesetz betroffenen Beamten. Dies hieß konkret, welcher z.B. inzwischen als Mitläufer eingestufte Beamte wieder und in welcher Stellung im Staatsdienst angestellt werden konnte.179 In der zweiten Jahreshälfte 1947 ist in diesem Zusammenhang insgesamt zu konstatieren, daß der Ministerrat die Maßstäbe bei der Einstellung von Beamten des höheren Dienstes in den Ministerien wieder soweit lockerte, daß NSDAP-Mitglieder, die nur formale Belastungen aufwiesen und im Spruchkammerverfahren als Mitläufer oder sogar Entlastete eingestuft worden waren, wieder eingestellt wurden.180

Neben der Entnazifizierung beschäftigten den Ministerrat auch kontinuierlich Angelegenheiten, die ganz generell mit der Beseitigung nationalsozialistischer Hinterlassenschaft in materiellem und juristischem Sinne zusammenhingen. Hier ist zunächst die Sprengung der sogenannten Ehrentempel am Münchner Königsplatz 181 am 9. und 16. Januar 1947 zu nennen, sowie die sich daran anschließende Diskussion um die Neugestaltung dieser Flächen. Um dieses Thema ging es auch bei der Behandlung der Beseitigung nationalsozialistischen Rechts im Bereich des Arbeitsministeriums,182 dem Ergänzungsgesetz zum Gesetz zur Ahndung nationalsozialistischer Straftaten,183 dem Ergänzungsgesetz zum 1. Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege,184 der Erörterung, Opfern des Faschismus und Schwerbeschädigten einen bezahlten Sonderurlaub zu gewähren,185 aber auch bei der Aufhebung eines Gesetzes, das im Krieg die Kürzung der Gehälter aller Lehrerinnen verfügt hatte,186 beim Ehenichtigkeitsgesetz187 sowie dem Gesetz, das die „freien Ehen“ rassisch Verfolgter188 nachträglich legitimierte. In einem sachlichen Zusammenhang damit standen ferner die Wiederherstellung der Grabstätten von Kurt Eisner und Gustav Landauer 189 sowie das Verbot, im öffentlichen Dienst Parteiabzeichen zu tragen.190

1947 beschäftigten das Kabinett zum ersten Mal auch Formen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. So wurde die Errichtung von Denkmälern an den Orten nationalsozialistischen Terrors in Bayern, in Dachau, Flossenbürg und in Pocking, erstmals ein Thema.191 Gleichzeitig hatte sich das Kabinett mit der Errichtung von Kriegerdenkmälern sowie der Kritik daran auseinanderzusetzen.192 Am Tag der Opfer des Faschismus,193 dem 14. September 1947, wurde in Schulen und bei Gedenkveranstaltungen194 der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Diese Initiative ging auf den Staatskommissar für die rassisch, religiös und politisch Verfolgten, Philipp Auerhach zurück. Auerbach trat mit zahlreichen Vorschlägen an die Staatsregierung heran.195 Dabei strebte er neben der Verbesserung des Loses der Opfer des Nationalsozialismus danach, seinen Aufgabenbereich zu erweitern und größeren Einfluß zu gewinnen,196 und übte zuweilen auch Druck auf die Staatsregierung aus.197 Dies ging bis zu dem vom Ministerrat abgelehnten Anspruch, bei Fragen, die die Verfolgten betrafen, zu den Ministerratssitzungen hinzugezogen zu werden. Dies produzierte Widerstand gegenüber seiner Person. In diesem Zusammenhang wurde die persönliche Integrität Auerbachs in Frage gestellt.198 Die materielle Besserstellung der Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere der jüdischen Verfolgten,199 beschäftigte die Staatsregierung in verschiedenen Zusammenhängen, z.B. bei der Neufassung des Gesetzes zur Bildung eines Sonderfonds zum Zwecke der Wiedergutmachung200 und beim Rückerstattungsgesetz. 201 Als problematisch bezeichnete Ministerpräsident Ehard, daß Ungerechtigkeiten bei der Durchführung des Gesetzes sowie andere materielle Begünstigungen der rassisch Verfolgten in Zeiten allgemeinen Mangels den ohnehin zu konstatierenden Antisemitismus noch befördern würden.202 Aus verschiedenen Äußerungen ist zu entnehmen, daß die im Vergleich zu anderen Opfern des Nationalsozialismus privilegierte Behandlung der Juden mehr aus politischen Erwägungen und auf Druck der Militärregierung erfolgte, als daß sie der inneren Überzeugung des Ministerrats entsprach. Dies ist der Beratung der Aufnahme von 625 aus der Tschechoslowakei ausgewiesenen Juden ebenso zu entnehmen203 wie der Erörterung der Kostenübernahme für die Instandsetzung des Vorderhauses der Münchner Synagoge in der Reichenbachstraße.204 Unklar war auch, ob die jüdischen Displaced Persons deutscher Gesetzgebung unterlagen.205

Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Staatsverwaltung genossen jene Gesetzgebungsmaterien Priorität, die die Voraussetzung dafür schufen, daß die in der Bayerischen Verfassung vorgesehenen Verfassungsorgane ihre Tätigkeit aufnehmen konnten.206 Dies betraf das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof 207 sowie das Senatsgesetz,208 das mehrfach behandelt wurde und insbesondere die Modalitäten über die Wahl der Mitglieder der im Senat vertretenen Gruppen regelte, ln einigen Fällen ergab sich auch für das Kabinett die Notwendigkeit, die Verfassung zu interpretieren. Meinungsverschiedenheiten herrschten insbesondere darüber, ob es nach der Verfassung zulässig sei, mehr als einen Staatssekretär in einem Ressort zu bestellen und, falls ja, welche Konsequenzen dies innerhalb des Ressorts (Geschäftsbereiche), für die Stellvertretung des Ministers sowie für das Stimmrecht im Kabinett habe.209

Der Artikel 185 der Bayerischen Verfassung verpflichtete die Staatsregierung, Maßnahmen zur Wiederherstellung der alten Regierungsbezirke zu ergreifen, sprich die in den dreißiger Jahren im Zuge der Staatsvereinfachung zusammengelegten Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken sowie Oberpfalz und Niederbayern wieder zu trennen. Ehard hatte dies in seiner Regierungserklärung bekräftigt.210 Da die Maßnahme auch eine Aufwertung der Städte Landshut und Bayreuth versprach, die danach wieder Sitz des Regierungspräsidenten von Niederbayern bzw. Oberfranken sein würden, wurde vor allem von dortigen Kreisen auf eine rasche Durchführung gedrängt. Das Kabinett dagegen hatte vor allem praktische und fiskalische Bedenken.211 Eine Entscheidung fiel erst 1948. Die Verwaltungsgliederung war ferner durch Anträge bayerischer Städte auf Wiedererlangung der in der Regierungszeit des Nationalsozialismus verlorenen Kreisunmittelbarkeit betroffen.212 Weitere kommunale Themen waren der innerbayerische Finanzausgleich213 sowie die von Ehard als gefährlich bezeichnete Tendenz, daß der Einfluß der demokratisch legitimierten Selbstverwaltungsorgane (Stadträte und Kreistage) durch die Berufung immer neuer Beiräte etc. zunehmend beschnitten werde.214

Zum Aufbau der Staatsverwaltung gehörte selbstverständlich auch die Kompetenzverteilung zwischen den Ressorts, die immer auch eine Machtfrage darstellt. Die bereits im Kabinett Hoegner I zwischen Innen- und Arbeitsministerium heftig umstrittene Frage215 der Zuordnung der Kompetenzen auf dem Bausektor – auch der Staatssekretär für das Flüchtlingswesen beanspruchte Zuständigkeiten auf diesem Gebiet (z.B. für den Bau von Flüchtlingssiedlungen) -,216 wurde im Kabinett Ehard I nunmehr am 17. März 1947 zugunsten der traditionellen Struktur der bayerischen Staatsverwaltung entschieden.217 Die Bauaufgaben wurden mit dem Gesetz über die behördliche Organisation des Bauwesens aus dem Arbeitsministerium herausgelöst und der Obersten Baubehörde im Staatsministerium des Innern übertragen.218 Das Inkrafttreten des Gesetzes verzögerte sich allerdings bis April 1948. Auch bei der Frage der Unterstellung der Bauaufgaben ging es um die Auslegung der Verfassung (Abgrenzung bzw. Zuweisung der Geschäftsbereiche).219 OMGB bestand nicht mehr auf dem von ihm 1945 erlassenen Gesetz über das Arbeitsministerium und der darin fixierten Zuständigkeitsverteilung. Im Unterschied dazu gab die Manpower Division des OMGB bis zuletzt der Position des Arbeitsministeriums in dieser Auseinandersetzung Rückendeckung.220 OMGB billigte nunmehr der Staatsregierung das Recht zu, über den Ressortzuschnitt selbst zu befinden. Ministerpräsident Ehard hatte von Anfang an durch die Berufung des Ministerialrats Fischer aus dem Innenministerium zum Staatssekretär für das Bauwesen im Staatsministerium des Innern in dieser Frage eindeutig Position zugunsten der Wiederherstellung der Obersten Baubehörde bezogen.221 Dies war übrigens einer der wenigen Fälle von Dissens im Kabinett. Staats minister Roßhaupter und Staatssekretär Krehle stimmten gegen die Beschneidung der Zuständigkeiten ihres Ressorts.222

Die Ressortzuständigkeit für die Versehrtenanstalten ging dafür vom Innen- auf das Arbeitsministerium über.223 Über die Ausführung der Bodenreform gab es einen Kompetenzkonflikt zwischen Landwirtschafts- und Arbeitsministerium.224 Auch die Reibereien zwischen Innen- und Wirtschaftsressort über die Frage der Zuständigkeit auf dem Gebiet der Energiewirtschaft wurden wieder aufgenommen.225 Hier meldete auch das Finanzministerium sein Interesse an. Ein Thema war weiterhin die Stellung der Regierungswirtschaftsämter nach ihrer Eingliederung in die Regierungen. Das Wirtschaftsministerium strebte weiter eine Sachaufsicht an.226

Eine Strukturreform der Staatsverwaltung wurde vom Kabinett auch grundsätzlich beraten. Stoßrichtung war die Verlagerung von Kompetenzen aus den Ministerien heraus und eine Stärkung der Regierungspräsidenten sowie der Landräte.227 Der Impuls dazu war ursprünglich von der Militärregierung ausgegangen.228 Der Verwaltungsjurist Ehard griff dies gerne auf, um die Staatsverwaltung effektiver zu machen. Über Ansätze kam diese Diskussion jedoch nicht hinaus.

Um die in seinen Augen gravierenden Mängel bei der Kommunikation zwischen den Ministerien abzubauen, bemühte sich Ehard bereits im Januar 1947, Grundsätze für die Vorlage von Gesetzenwürfen im Ministerrat durchzusetzen,229 sowie um eine Geschäftsordnung.230 Die Geschäftsordnung sollte auch zur Stärkung der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten dienen. Mit dieser Intitiative blieb Ehard im Ansatz stecken. Waren die Regierungen Schäffer und Hoegner vorwiegend bei der landesweiten Durchsetzung auf Widerstände gestoßen, so hatte Ministerpräsident Ehard mehr Probleme infolge mangelhafter Koordination unter den Ministerien, unzureichender Information231 und wegen der Eigenmächtigkeit von Referenten, insbesondere eines Referenten des Arbeitsministeriums.232 Beeinträchtigt wurde die Koordination auch durch eine weitere Regelung: Unter dem Kabinett Hoegner war die gesamte Korrespondenz zwischen den Staatsministerien und OMGB über den Ministerpräsidenten, sprich die Staatskanzlei gelaufen. Nur der Ministerpräsident hatte das Recht zur Vorlage von Entwürfen bei OMGB besessen.233 Diese für die Stellung des Regierungschefs ganz wesentliche Regelung galt nun nur noch bedingt. Die von OMGB kommenden Schreiben liefen weiter über die Staatskanzlei. Die Antwortschreiben der Ministerien an das Amt der Militärregierung gingen jetzt jedoch direkt in die Tegernseer Landstraße.234

Zur besseren Koordinierung des bayerischen Vorgehens vor allem im Rahmen der bizonalen Institutionen drang Ehard auf die Bildung eines interministeriellen Ausschusses.235 Dieser konnte, was Information und gemeinsames Vorgehen betraf, auf die Landesdienststelle des Länderrats und der Zweizonenämter in der Staatskanzlei, an deren Spitze der Beamte Johannes von Elmenau236 stand, zurückgreifen. Als Pendant zu Elmenau fungierte der Bayerische Bevollmächtigte beim Länderrat in Stuttgart und später beim Exekutivrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in Frankfurt, Gebhard Seelos.237 Die Information der Landesdienststelle über Gesetzgebungsangelegenheiten sowie über allgemeine Entwicklungen auf diesen beiden Ebenen, die auch für die föderalistische Verfassungspolitik generell wichtig war, funktionierte ausgezeichnet und bildete die Basis der nur auf die Staatskanzlei gestützten „Außenpolitik“ des Ministerpräsidenten. Unter Ehard kam es insgesamt zu einem Ausbau der Staatskanzlei,238 die möglicherweise eine Reaktion auf die Koordinationsschwierigkeiten darstellte. Die Berufung von Friedrich Glum239 in die Staatskanzlei, der über hervorragende Kontakte zu OMGUS verfügte240 und zunächst mit der Erarbeitung einer dann nicht realisierten Geschäftsordnung betraut wurde,241 bedeutete ferner, daß Ehard die nun wieder von Anton Pfeiffer geleitete Staatskanzlei auch auf weite Sicht als „Brain Trust“ für eine föderalistische Verfassungspolitik ausbaute.242 Insgesamt gelang es Ehard jedoch nicht, die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit der Ressorts gänzlich abzustellen.243

Der Aufbau der Staatsverwaltung wurde auch durch zahlreiche personelle Schwierigkeiten erschwert. Infolge der Entnazifizierungsauflagen hatten alle Ministerien, vor allem aber das Wirtschafts-244, Verkehrs-245 und Sonderministerium Probleme bei der Personalrekrutierung, die erst in der zweiten Jahreshälfte 1947 behoben werden konnten. Personelle Probleme gab es auch in der Gesundheitsabteilung des Innenministeriums. Hintergrund der scharfen Kritik der Standesvertretung der Ärzte am Personal der Gesundheitsabteilung war die Entnazifizierung.246 Zum weiteren Kreis der inneren Verwaltung zählten ferner Fragen des Gesundheitszustands247 sowie verschiedene Angelegenheiten der Polizei (Personal und Motorisierung).248 Einer stärkeren Zentralisierung der Polizei standen weiterhin amerikanische Bedenken entgegen.249

Beamtenrechtliche Fragen nahmen ebenfalls einen breiten Raum in den Kabinettsberatungen ein. Zum einen betraf dies die in anderem Zusammenhang bereits erwähnten Richtlinien für die Wiedereinstellung der durch die Spruchkammern gegangenen Beamten.250 Ferner beschäftigte den Ministerrat eine Dienststrafordnung251 sowie die Kritik an der als undemokratisch empfundenen Formulierung des Beamteneides.252 Eine Änderung lehnte das Kabinett ab. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Beamten standen ferner so unterschiedliche Materien wie die Überprüfung gewählter Beamter,253 die kommissarische Tätigkeit höherer Staatsbeamter,254 Lebensmittelzulagen bei Dienstreisen,255 die Verteilung von Sonderkontingenten an Angehörige der Ministerien,256 die Beschaffung von Volkswagen für die Ministerien,257 die Arbeitszeit in den Ministerien258 oder die Handhabung von Dankschreiben an Beamte bei ihrer Ruhestandsversetzung.259 Erneut ging es auch um die Zahlung von Pensionen an nichtbayerische Pensionsberechtigte260 und an Soldaten sowie Wehrmachtsbeamte.261 In diesem Zusammenhang sei weiterhin erwähnt, daß die Ernennung der Präsidenten der Landeszentralbank262 und der Bayerischen Staatsbank,263 von höheren Beamten in den Ministerien, Behördenleitern (z.B. des Generalsekretärs des Landespersonalamts264 sowie der Generaldirektoren der Staatlichen Archive Bayerns und der Bayerischen Staatsbibliothek)265 sowie Richtern im Ministerrat einen breiten Raum einnahm und 1947 zahlreiche langfristige Personalentscheidungen fielen. Schwierig war die Finanzierung der ernannten Beamten.266 Ein weiteres Problem stellte der Rechtsanspruch der im Rahmen der Entnazifizierung Amnestierten auf Wiedereinstellung dar, für die nicht genügend Planstellen vorhanden waren.267

Die Errichtung eines Bayerischen Landespersonalamts – ein Novum in der deutschen Verwaltung – ging auf die amerikanischen Reformbemühungen für den deutschen öffentlichen Dienst zurück.268 Ihm sollten im Sinne einer gerechten Stellenbesetzung und der Demokratisierung der Verwaltung wesentliche Kompetenzen bei allen Personalangelegenheiten eingeräumt werden.269 Zunächst ging es im Ministerrat darum, die Arbeitsfähigkeit dieser Institution herzustellen und einen Generalsekretär zu berufen.270 Nach dessen Arbeitsaufnahme im Februar 1947 herrschte im Kabinett zunächst Unklarheit, welche Kompetenzen dem Amt bei den durch das Kabinett zu vollziehenden Personalangelegenheiten (Beförderungen ab Ministerialrat aufwärts)271 einzuräumen waren.272 Diese Unklarheit war gepaart mit einem gewissen Unwillen diesem Amt gegenüber. Andererseits hütete sich der Ministerrat angesichts der Wertschätzung, die es auf seiten von OMGB genoß, das Landespersonalamt deutlich erkennbar auszuschalten. Allerdings war man nicht bereit, ihm bei der Besetzung sogenannter „Spitzenstellen“ einen wirklichen Einfluß zu gewähren.273 Die Militärregierung drängte im September 1947 auf eine verstärkte Aktivität des Amtes, nun auch durch die öffentliche Ausschreibung von Beamtenstellen.274 Dagegen hatte der Ministerrat zwar rechtlich fundierte Bedenken, stellte diese jedoch zurück. Die Gewerkschaften nutzten das Landespersonalamt als Forum, eine Mitwirkung der Betriebsräte bei Beamtenernennungen und Beförderungen zu fordern, was der Ministerrat mit Nachdruck zurückwies.275

Damit ist die in diesen Protokollen wesentlich deutlicher wahrnehmbare Aktivität der Gewerkschaften angesprochen. Sie ist verknüpft mit dem Namen ihres Generalsekretärs Georg Reuter,276 der teilweise forsch auftrat und seine Forderung nach der 40-Stunden-Woche mit einer Streikdrohung verband. In diesen Kontext gehört auch das Betriebsrätegesetz, dessen Inkrafttreten sich fast ein Jahr verzögert hatte und auf das die Gewerkschaften nach dem Sommer drängten.277 Die Gewerkschaften kooperierten 1947 zur Behebung der Not intensiv mit dem Bayerischen Bauernverband.278 Das Ergebnis war ein gemeinsames Notprogramm.279

Ein weiterer Schwerpunkt der Regierungstätigkeit blieben Flüchtlingsfragen. Er betraf die Verteilung der Flüchtlinge in der US-Zone280 und in der Bizone,281 ferner die Verlängerung des Flüchtlingsnotgesetzes vom Dezember 1945,282 das Flüchtlingsgesetz vom 19. Februar 1947,283 und die Durchführungsverordnung zum Flüchtlingsgesetz.284 Weiter ging es um die Kompetenzen der Flüchtlingskommissare in Städten und Landkreisen und ihre Stellung gegenüber den Landräten und Oberbürgermeistern, womit grundsätzlich die Frage nach der Stellung der Flüchtlingsverwaltung verknüpft war.285 Hinzu kamen die Frage der Wohnraumbeschlagnahme für Flüchtlinge286 sowie ihre rechtliche Gleichstellung bei der Ausübung von Berufen,287 aber auch die Familienzusammenführung288 Auch die Flüchtlingssiedlung beschäftigte das Kabinett intensiv; konkret handelte es sich vor allem um das Projekt einer Siedlung für 15000 Menschen in Neuheim am Römerweg bei Osterhofen,289 Zu diesem Themenkreis gehört weiterhin die Beratung über die Umbenennung des Gemeindeteils Kaufbeuren-Hart in Kaufbeuren-Gablonz, die der Ministerrat ablehnte.290 Zu den Problemen mit den nun 1,5 Millionen Flüchtlingen (sowie ca. 320000 Evakuierten und ca. 280000 Displaced Persons) in Bayern kam 1947 das neue Phänomen einer steigenden Zahl von Flüchtlingen aus der Ostzone.291 Diese wurden in Grenzlagern aufgenommen.292

Die Krise der Lebensmittel- und der Energieversorgung erreichte 1947/1948 ihren Höhepunkt.293 Auf eine Stromkrise im Frühjahr folgte eine Ernährungskrise im Sommer, und im Herbst wurde erneut die Stromversorgung kritisch. Dies führte nicht nur Bauernverband und Gewerkschaften in eine Arbeitsgemeinschaft zusammen, auch der Ministerrat beschloß in der letzten Sitzung dieses Kabinetts einen entsprechenden Notaufruf 294

Die Frage der Ernährung wurde bestimmt von der Tatsache, daß Bayern eigentlich in ausreichendem Maße für die einheimische Bevölkerung und die dort lebenden Flüchtlinge und Evakuierten Nahrungsmittel produzierte. Da es jedoch gezwungen wurde, große Mengen davon an die anderen Länder der amerikanischen und britischen Zone abzuliefern,295 – darunter insbesondere Sonderkontingente für Bergarbeiter an der Ruhr – kam es schließlich auch in Bayern zu Ernährungsengpässen. Das Kabinett betrachtete die hohen Ablieferungsleistungen, so Ministerpräsident Ehard mehrfach wörtlich, als „Ausplünderung“.296 Die Staatsregierung stellte den Forderungen aus der britischen Zone ihrerseits die Säumigkeit der britischen Zone bei der Versorgung Bayerns mit Ruhrkohle gegenüber und versuchte ein Junktim zwischen der Lieferung von landwirtschaftlichen Produkten und der Kohleversorgung Bayerns herzustellen.

Andererseits wurde die Ablieferung der bayerischen Bauern von der Presse kritisiert. Hinzu kam im Februar 1947 die informelle Mitteilung, daß Bayern kein Bier mehr brauen dürfe.297 Das Rücktrittsangebot Landwirtschaftsminister Baumgartners, das Ehard ablehnte, stellte den Höhepunkt dieser Krise dar.298 Infolge der Ablieferungen war Bayern auf den Import von Brotgetreide angewiesen.299 Verschärft wurden die Probleme durch Transportschwierigkeiten.300 Die Lage blieb insgesamt schwierig.301 Zusätzlich zeichneten sich im Juli 1947 schlechte Ernteaussichten ab.302 Im Zusammenhang mit der mangelhaften Lebensmittelversorgung stand auch die durch die USA unterstützte Schulspeisung.303 Zum Bodenreformgesetz 304 vom September 1946 wurden 1947 Ausführungsbestimmungen erlassen, die inhaltlich weitgehend von der amerikanischen Militärregierung diktiert worden waren.305 Die Regierung erhielt den Auftrag, das Gesetz bis zum Jahresende 1947 durchzuführen; darauf drängte die Militärregierung auch infolge einer Viermächtevereinbarung. Aus Furcht vor einem „viel schärferen Gesetz“ setzte die Staatsregierung alles daran, die Frist einzuhalten,306

Die Folge der Nahrungsmittelknappheit war die Senkung der zugeteilten Lebensmittelrationen. Dies wirkte sich im Bereich der Industrie in Form von Kurzarbeit aus.307 Angesichts dieser Situation drohten Streiks,308 die in einem Falle auch tatsächlich stattfanden.309 Die Nahrungsmittelknappheit wirkte sich somit auch auf die Produktivität der Wirtschaft negativ aus310 und zwang ferner den Staat, mit Lohnunterstützungen einzuspringen.311 Sie hatte jedoch noch weitere Folgen. Um die Nahrungsmittelproduktion zu steigern, räumte General Clay der Düngerherstellung absolute Priorität ein.312 Da der Stickstoff für den Kunstdünger der gesamten US-Zone in Bayern bei den Süddeutschen Kalkstickstoffwerken produziert wurde und zu seiner Erzeugung große Mengen Strom notwendig waren, stellte dies im energieknappen Spätsommer eine ganz erhebliche Beeinträchtigung der Wirtschaft und der Privathaushalte dar.

Die Energieversorgung (Strom und Kohle) stellte im Winter 1946/1947313 und im Spätsommer 1947 ein zentrales Problem für die Staatsregierung dar.314 Dabei wurde unter anderem beschlossen, zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung den Wasserspiegel des Walchensees über das eigentlich vertretbare Maß hinaus abzusenken.315 Im Januar 1947 mußte die Universität München infolge Kohlemangels schließen, und die weitere Tätigkeit der Behörden und Ministerien war gefährdet.316 Eine Schlüsselstellung im Bereich der Stromversorgung nahm weiterhin der Landeslastverteiler ein. Im August 1947 war dann der Strom so knapp, daß es zu zahlreichen Stromsperren kam.317 Zur besseren Ausnutzung des Stroms wurden die Arbeitszeiten neu geregelt.318 Trotzdem war es unvermeidbar, daß ganze Industrien ihre Produktion zeitweilig einstellten. Zusätzlich war die Bilanz des vorgegebenen Stromaustauschs mit Österreich für Bayern negativ.319

Die Staatsregierung ergriff auch erste strategische energiepolitische Maßnahmen. Die wichtigste Entscheidung dieser staatlichen Energiepolitik war der Bau der Rißbach-Überleitung, um eine ganzjährig gleichmäßige Auslastung des Walchensee-Kraftwerks zu erreichen (Inbetriebnahme: Oktober 1949).320 Hier setzte sich die Staatsregierung gegen Einwände des Landtags und gegen erste umweltpolitisch begründete Bürgerproteste aus dem Raum Tölz durch.

Bei der Kohleversorgung sah es kaum besser aus. Hier war Bayern überwiegend auf Exporte aus dem Ruhrgebiet angewiesen. Die Ausbeutung der heimischen Kohlevorkommen (Pechkohle in Oberbayern, Braunkohle bei Schwandorf, Steinkohle in Oberfranken) wurde erheblich gesteigert,321 trotz mangelnder Rentabilität in staatlicher Regie betrieben und subventioniert. Mit Nachdruck wurde auch die Erschließung neuer Kohlevorkommen in Bayern vorangetrieben, ebenso der Torfabbau.322 Kohle wurde verstromt und kam in der Industrie zum Einsatz. Als Heizmaterial gab es Kohle auch 1947 überwiegend nur für öffentliche Einrichtungen (Krankenhäuser, Ernährungsbetriebe etc.). Gekocht und geheizt wurde in Privatwohnungen weiterhin mit Holz. Auch diese sogenannte Hausbrandversorgung war und blieb schwierig.323 Da man für den Winter 1947/1948 mit wachsenden Problemen auf den verschiedenen Ebenen der Brennstoffversorgung rechnete, berief der Ministerrat auf Initiative des Landtags – wohl nach dem Vorbild des Landeslastverteilers beim Strom – als verantwortlichen Koordinator einen Staatsbeauftragten für die Brennstoffversorgung.324 Dieser war dem Wirtschaftsministerium unterstellt. Bei der Hausbrandversorgung verschärfte sich die Situation, weil Bayern weiterhin im Rahmen des Holzexportprogramms325 wesentliche Teile des Holzeinschlags abliefern mußte326 und sich die Höhe des Holzeinschlags, die ohnehin schon als Raubbau mit unabsehbaren Folgen bezeichnet wurde, nicht beliebig steigern ließ. Hinzu kamen Preiserhöhungen für Kohle und Brennholz.327

Unter den Alltagssorgen waren Fragen, die sich um das Problemfeld Wohnraumknappheit gruppierten, für die Bevölkerung häufig noch drängender als die schwierige Ernährungslage und die mangelhafte Strom- und Brennstoffversorgung. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß dieses Reizthema in verschiedenen Sachzusammenhängen auch im Ministerrat auftauchte. An erster Stelle sind die Bemühungen der Staatsregierung zu nennen, eine Milderung der Härten zu erreichen, die von der durch die Militärregierung im großen Stil durchgeführten Beschlagnahme von Wohnraum328 (und Hausrat) ausgingen. Ständiger Konfliktstoff waren ferner Fragen der Wohnraumbewirtschaftung,329 in besonderem Maße die Kompetenzen der Flüchtlingskommissare zur Wohnungsbeschlagnahme330 sowie die Frage des Status von politisch Verfolgten331 und ehemaligen Nationalsozialisten bei der Zuteilung von Wohnraum.332 Um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, wurde ferner eine Wohnraumerhebung angeordnet.333 Speziell wurde Wohnraum für Minister und Staatssekretäre334 sowie für Beamte gesucht,335 die man dringend in den Ministerien in München brauchte.

Nach der Bildung des Landtags galt es, die in den Artikeln der Verfassung enthaltenen Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Landtag und Staatsregierung mit Leben zu füllen. Die Koordination der Gesetzgebung mit dem Landtag bereitete der zuvor uneingeschränkt über die Legislative verfügenden Staatsregierung anfänglich einige Probleme.336 Im Fall der zunächst vom Wirtschaftsausschuß des Landtags abgelehnten Rißbachüberleitung zog der Ministerrat alle Register und erreichte am Ende, daß der Landtag seine Meinung änderte.337 Beim Betriebsräte-Gesetz entschied der Ministerrat sich für eine Einschaltung des Landtags in das Gesetzgebungsverfahren, die nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre. Die Konsequenz war eine erhebliche Verzögerung des Inkrafttretens, was den Interessen des Kabinetts zuwiderlief.338 Der Landtag trat seinerseits selbstbewußt auf. So bestand er darauf, daß das Kabinett Ehard über eine Reihe von Gesetzen, die noch durch das Kabinett Hoegner I beschlossen und dem Landtag zugeleitet worden waren,339 erneut Beschluß faßte.340 Damit sprach der Landtag dem nicht demokratisch legitimierten Kabinett Hoegner indirekt die Kompetenz zur Gesetzesinitiative ab. Mehrfach kritisierte Ehard die mangelhafte Präsenz der Kabinettsmitglieder sowie der Ressorts in den Ausschußsitzungen des Landtags, worüber der Landtag Klage geführt hatte.341 Andererseits bemängelte der stellvertretende Ministerpräsident Hoegner, daß das Landtagsamt die Ressorts nicht rechtzeitig verständige, wenn in Ausschußsitzungen Vorwürfe gegen den Minister erhoben würden.342 Bei einigen Interpellationen bemühte sich die Regierung Ehard intern bei den Regierungsfraktionen um eine Zurückstellung; dies geschah teilweise mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Amerikaner.343 Andererseits sind Ansätze erkennbar, in denen Ehard und sein Kabinett den Landtag für ihre Politik instrumentalisierten. Dies ist zum Beispiel Überlegungen zu entnehmen, sich zur Frage der Ernährungslage im Landtag eine Interpellation „zu bestellen“.344 Diese bot der Staatsregierung Gelegenheit, ihren Standpunkt ausführlich öffentlich darzustellen. Von den fünf in der Regierungszeit des Kabinetts Ehard eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Bayerischen Landtags345 fand lediglich die Tätigkeit des am 31. Januar 1947 eingesetzten Ausschusses zur Untersuchung der Mißstände im Staatsministerium für Wirtschaft und in den Wirtschaftsämtern einen markanten Niederschlag in den Ministerratsprotokollen. Am 30. April 1947 nahm sein Vorsitzender Alois Schlögl (CSU) an einer Sitzung teil,346 die sich vor allem mit dem Korruptionsskandal im Warenlager Schalding bei Passau befaßte. Die dramatischen Aussichten für die Hausbrand Versorgung im Winter 1947/1948 führten am 31. Juli 1947 zum ersten Mal zur Einberufung des Zwischenausschusses des Bayerischen Landtags.347 Nicht recht glücklich war der Ministerrat darüber, daß der Hauptausschuß der Flüchtlinge und Ausgewiesenen348 und die „Parlamentsfraktion der KPD außerhalb des Bayerischen Landtags“349 dem Landtag Gesetzentwürfe zuleiteten. Im Zusammenhang mit dem Landtag beriet der Ministerrat ferner über die Stellung der Landtagsabgeordneten350 und ein Gesetz über deren Aufwandsentschädigung351 sowie über die mit der Stiftung Maximilianeum strittige Frage der Nutzung des Maximilianeums durch den Bayerischen Landtag sowie den Umbau des Gebäudes.352

Das Kabinett Ehard I betrachtete den Länderrat grundsätzlich positiv. Infolge der regelmäßigen Berichterstattung des Ministerpräsidenten über dessen Sitzungen, die zur Koordination der Gesetzgebung und zur Information über die Ausführungen General Clays diente, nahm der Länderrat breiten Raum in den Beratungen ein. Kritik übte der Ministerrat nur noch ausnahmsweise, 353 so an der Tendenz, den von Anfang an mit Mißtrauen betrachteten Kulturpolitischen Ausschuß des Länderrats zu erweitern.354 Am 29. März 1947 stimmte der Ministerrat der Errichtung des Deutschen Büros für Friedensfragen 355 zu. Nur en passant wurde hingegen die im März 1947 vollzogene teilweise Parlamentarisierung des Länderrats mit dem sogenannten Parlamentarischen Rat des Länderrats erwähnt.356

Der bizonalen Entwicklung und den bizonalen Institutionen stand der Ministerrat 1947 mit äußerster Reserve gegenüber. Sie standen unter generellem Zentralismusverdacht. Die Aversionen Bayerns werden um so verständlicher, wenn man bedenkt, daß dem Land seit Kriegsende eine Fülle staatlicher Funktionen zugewachsen waren, deren weitgehender und vollständiger Verlust an die Institutionen der Bizone nun nach kurzer Zeit drohte357 Die extreme Ablehnung beruhte ferner darauf, daß vor allem Ehard bemüht war, Präjudizierungen zu vermeiden, die in Richtung einer künftigen zentralistischen Verfassungsstruktur weisen konnten.358 Kulminationspunkt dieses grundsätzlichen Richtungsstreits war daher die Frage, ob den bizonalen Verwaltungen gegenüber den Ländern eine Rechtsetzungsbefugnis zustand.359 Am 12. März 1947 erklärte General Clay zunächst ganz im Sinne Bayerns, daß dies nicht der Fall sei.360 Diese Positionsbestimmung zwischen Ländern und bizonalen Organen stand jedoch bei der Beratung einer Warenverkehrsordnungy die weitreichende Kompetenzen für das Verwaltungsamt in Minden formulierte, erneut zur Debatte.361 Unter Verweis auf die weiter vorangeschrittene demokratische Entwicklung in der US-Zone versuchte man, generell die Übernahme von Strukturen der britischen Zone abzublocken. In diesen Zusammenhang gehören die – gescheiterten – Bemühungen Bayerns, eine Behörde zur Versicherungsaufsicht in der US-Zone 362 in Bayern zu etablieren. Mit dieser Initiative richtete man sich gegen Bestrebungen aus der britischen Zone, die Versicherungsaufsicht für beide Zonen dem Zonenamt des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen aus der britischen Zone zu übertragen.363 Es ist gleichzeitig der Anfang bayerischer Bemühungen, wenn schon länderübergreifende Behörden notwendig waren, diese in Bayern anzusiedeln. Im Nachgang zu den bereits 1946 geschlossenen Abkommen über die fünf bizonalen Verwaltungen gab der Ministerrat im März 1947 seine Zustimmung zu einem sechsten Abkommen über die Bildung eines Verwaltungsrates für das Personalwesen des VWG.364 Damit zusammen hing die Frage des Einflusses Bayerns auf die Beamten der bizonalen Verwaltungen, um den es auch bei der Frage von deren Vereidigung ging.365

Im Zusammenhang mit der Etablierung der Bizone in Frankfurt entschied der Ministerrat auch über die Besetzung des Postens eines Bayerischen Bevollmächtigten beim Exekutivrat sowie über die räumliche Unterbringung der Bayerischen Vertretung.366 Die Wahl der bayerischen Abgeordneten des Frankfurter Wirtschaftsrates durch den Bayerischen Landtag wurde im Kabinett lediglich im Hinblick darauf beraten, ob das Wahlergebnis der Landtagswahl oder die Sitzverteilung im Landtag zugrunde zu legen war. Den Ausschlag zugunsten des Wahlergebnisses, auf Grund dessen auch ein KPD-Abgeordneter aus Bayern nach Frankfurt entsandt wurde, gab die amerikanische Position in dieser Frage.367

Nicht nur Fragen des Länderrats und bizonale Angelegenheiten wurden von der grundsätzlich föderalistischen Position der Bayerischen Staatsregierung überlagert. Vielmehr betraf diese Haltung auch zahlreiche weitere Bereiche, namentlich auf dem Kultursektor. Eine originär föderalistische Initiative stellte die Münchner Ministerpräsidentenkonferenz vom Juni 1947 dar, was häufig angesichts ihrer gesamtdeutschen Dimension übersehen wird. Ehard machte dem Ministerrat über die Einberufung der Konferenz zwar Mitteilung und erstattete anschließend Bericht.368 Die Entscheidung dazu wurde jedoch nicht im Kabinett getroffen. General Clay war vom bayerischen Ministerpräsidenten vorher gefragt worden und hatte am Rande des Länderrats informell seine Zustimmung erteilt.369

Die bayerische Wirtschaft war weiterhin geprägt von Produktionslenkung, Warenbewirtschaftung und dem Treuhänderwesen.370 Infolgedessen nahmen die Bewirtschaftung,371 mangelhafte Versorgung372 und deren Folgen wie Schiebungen,373 Unterschlagungen, Schwarzmarkt 374 und Kompensationsgeschäfte 375 in den Beratungen breiten Raum ein. So beriet und verabschiedete der Ministerrat ein Gesetz zur Verschärfung der Strafen bei schweren Wirtschaftsverbrechen376 und ein Gesetz zur Verhütung des Mißbrauchs ausländischer Liebesgaben. Hinter diesem lyrischen Titel verbarg sich der Diebstahl von Care-Paketen.377 Ebenfalls um Schiebereien ging es bei der ausführlichen Besprechung über die Zustände im Warenlager Schalding bei Passau.378 Zu diesem Komplex gehörte auch die Verteilung der von der Gesellschaft zur Erfassung von Rüstungsgut verwalteten Güter (Wehrmachtsbestände).379

Die auf gravierende Mißstände bei der Vergabe der Treuhänderstellen zurückgehende Initiative von Wirtschaftsminister Erhard vom November 1945, ein Treuhändergesetz 380 zu erlassen, fand unter dem Kabinett Ehard I ihren Abschluß.381 Die Kontroverse um die Errichtung einer Industrie- und Handelskammer in Aschaffenburg, die das Kabinett Hoegner I am 27. November 1946 beschlossen hatte,382 fand eine Fortsetzung.383 Auf einen Hinweis der Militärregierung beschloß der Ministerrat, in umfangreicherem Maße wirtschaftsstatistische Daten zu erheben.384 Staatssekretär Jaenicke betonte die Leistungen der Flüchtlingsindustrie, die in Zukunft ein wesentlicher Impuls für Bayern zu werden verspreche.385

Einer der häufigsten Tagesordnungspunkte war die Beratung über die Sozialisierung im Sinne des Artikels 160 der Verfassung.386 Das recht weit gefaßte Sozialisierungspostulat der Verfassung hatte in den Besprechungen verschiedene Facetten. Das Thema besaß zwar im Unterschied zu fast allen übrigen Tagesordnungspunkten eine weitreichende weltanschauliche Dimension. Die Verstaatlichung großer Bereiche der Wirtschaft stand jedoch in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Grundsatz als Leitforderung in den Parteiprogrammen sowohl der bayerischen SPD wie der CSU.387 Ferner stand infolge der extremen Kohlennot das Engagement des Staates auf diesem Feld außer Frage.388 Soweit davon die ohnehin mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen Energieversorgungsunternehmen, Bergwerke und Hüttenbetriebe betroffen waren,389 gab es auch kaum Meinungsunterschiede im Kabinett. Die Energieknappheit hätte andernfalls dazu gezwungen, die unrentablen Kohlegruben durch Staatskredite zu unterstützen. Das Motiv, in diesem Bereich Sozialisierungen vorzunehmen, entsprang „mangelnden betriebswirtschaftlichen Alternativen“390 und weniger ordnungspolitischen Vorstellungen. Im Bereich der Energieversorgungsunternehmen (Bayernwerk, BAWAG) versprach sich die Staatsregierung von dem Gesetz auch ein Mittel, das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) notfalls gewaltsam aus seinen bayerischen Beteiligungen herauszudrängen.391 Sobald es allerdings darum ging, die Sozialisierung auf weitere Bereiche auszudehnen, – der Art. 160 (2) nannte Großbanken und Versicherungen – gab es von seiten der CSU und der Verwaltung Widerstände. Diesen Bereich der Sozialisierung klammerte das Kabinett infolgedessen aus, was bei der SPD-Basis Anlaß für Kritik war.392 Bereits bei der Formulierung der entsprechenden Passage der Regierungserklärung393 hatte sich allerdings der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Zorn als sehr moderat gezeigt; auch später setzte er sich dafür ein, den Gesetzentwurf nicht zu weitgehend zu fassen.394 Die Umsetzung des Artikels 160 (1) der Verfassung, die durch die Initiative des Landtags in Gang gesetzt worden war, verzögerte sich, weil das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium bei der Durchführung jeweils die Federführung beanspruchten. Am 18. Juli 1947 wurde dann das erste Gesetz zur Durchführung des Art. 160 der Bayerischen Verfassung von Ministerpräsident Ehard ausgefertigt und veröffentlicht.395 Die Durchführung des Sozialisierungsverfahrens wurde darin, obwohl im Staatsministerium für Wirtschaft ein Staatssekretär für die Planung existierte, einem Staatsbeauftragten übertragen, der dem Wirtschaftsministerium unterstand; ihm wurde ein spezieller Landtagsausschuß beigegeben.

Auch die Folgen der Demontage waren 1947 stärker zu spüren.396 Mehrfach beschäftigte das Kabinett die Demontage des Wälzlagerherstellers Kugelfischer in Schweinfurt.397 Auch die Dekartellisierung der deutschen Wirtschaft war ein Thema,398 das auch im Zusammenhang mit der Dezentralisierung der Großbanken zur Sprache kam.399

Zum Bereich der Wirtschaftspolitik gehören ferner erste Überlegungen zur Aktivierung des Fremdenverkehrs,400 die auch im Zusammenhang mit den nächsten Passionsspielen in Oberammergau erörtert wurden.401

Das Kabinett verabschiedete einen Gesetzentwurf über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1946.402 Ferner legte die Regierung Ehard der Militärregierung einen Entwurf des Haushaltsgesetzes für das Rechnungsjahr 1947 vor.403 Eine Beratung dieses Entwurfs fand vor der Zuleitung an OMGUS im Ministerrat jedoch nicht statt404 Zur Sprache kam lediglich, daß die Militärregierung auf eine rasche Vorlage drängte. In der Bewertung der Haushaltslage differierten die Ansichten von Kabinett und Militärregierung, die Einschätzung des Kabinetts war eher skeptisch.405 Die Absicht einer Steuersenkung406 scheiterte an der Militärregierung. Immer wieder beschäftigten das Kabinett auch Gerüchte über eine bald bevorstehende Währungsreform 407 bzw, spielten deren mögliche Folgen bei der Beratung einer ganzen Reihe von Themen eine Rolle,408 unter anderem bei der Wiederherstellung der Regierungsbezirke.409 Ferner beriet der Ministerrat ein Gesetz über die staatliche Rechnungsprüfung,410 den Entwurf eines Gesetzes über Staatskredite und Staatsbürgschaften411 sowie ein Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden für das Rechnungsjahr 1947.412 Der Entwurf einer Verordnung über die Errichtung des bayerischen Landesaufsichtsamtes für das Kreditwesen wurde wegen der in Aussicht stehenden einheitlichen Regelung für die US-Zone nicht weiterverfolgt.413

Die Bedeutung der vom Kabinett behandelten Fragen aus dem Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik stieg 1947 in markanter Weise an. An erster Stelle standen hier gesetzliche Regelungen für die Versorgung der Kriegs- und Körperbeschädigten 414 sowie der Schwerbeschädigten 415 sowie weiterhin die Neuordnung und der organisatorische Wiederaufbau der Sozialversicherung,416 Um einen Überblick über Zahl und Verbleib der bayerischen Kriegsgefangenen zu erhalten, wurde eine Registrierung durchgeführt417 Weitere Themen waren Hilfen, Betreuung nach der Rückkehr und der Einsatz der Staatsregierung für die Kriegsgefangenen.418 Im Zusammenhang mit den Kriegsgefangenen stand auch die Ergänzung des Verschollenheitsgesetzes.419 Da viele Industriebetriebe wegen des Strommangels Kurzarbeit machten oder zeitweise die Produktion ganz einstellten, war die Frage der Vergütung von Lohnausfällen infolge Betriebseinschränkungen ein Thema des Ministerrats.420 Auch eine vorläufige und die endgültige Regelung der Arbeitslosenunterstützung421 sowie von Kurzarbeitergeld422 gehören zu diesem thematischen Bereich. Die häufig behandelte Frage der Arbeitszeit 423 hing gleichfalls mit den Problemen bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Strom und Heizmaterial direkt zusammen.424 Dabei kam der Arbeitszeitregelung im öffentlichen Dienst eine Leitfunktion zu. Damit zusammen trafen Forderungen der Gewerkschaften nach einer generellen Verkürzung der Arbeitszeit. 425 Auch in diesem Bereich waren Vorgaben der Militärregierung zu beachten. Der Ministerrat beriet ferner über Lohnerhöhungen.426

Die Steigerung der Ruhrkohlenförderung unterstützte Bayern durch spezielle Nahrungsmittel- und auch Warenlieferungen für Bergarbeiter (Punktsystem)427 sowie dadurch, daß man in Bayern Bergarbeiter und weitere Arbeitskräfte in größerer Zahl anwarb, die bereit waren, im Ruhrbergbau zu arbeiten.428 Obwohl es 1947 auch Arbeitslose gab, sprach das Kabinett häufiger über Arbeitskräftemangel (z.B. in der Landwirtschaft). In diesem Zusammenhang war die zwangsweise Verpflichtung der Arbeitsunwilligen zu bestimmten Tätigkeiten mehrfach ein Thema.429

Auf dem Verkehrssektor waren die Kompetenzansprüche der bizonalen Institutionen besonders weitgehend.430 Die Ansprüche der bizonalen Wasserstraßenverwaltung betrafen auch die Rhein-Main-Donau AG.431 Der Ministerrat verteidigte jedoch seine Position hartnäckig. Der Straßenbau wurde in den Protokollen nur einmal angesprochen.432 Im Zentrum der gravierenden Transportprobleme stand der Fahrzeugmangel, teilweise auch der Reifenmangel433 und der Waggonmangel434 bei der Eisenbahn. Zum Ausgleich wurden teilweise Lastwagen aus Beständen der US-Armee gekauft.435

Im Arbeitsbereich des Kultusministeriums standen Hochschulfragen und die Schulreform 436 an erster Stelle. Die Schule war ein zentraler Bereich amerikanischer Reformbemühungen.437 Der energische Widerstand Kultusminister Hundhammers gegen die damit verbundene Forderung nach Abschaffung des Gymnasiums – auch Hoegner verteidigte das Gymnasium mit Nachdruck438 – erreichte allerdings erst 1948 seinen Höhepunkt. Auf Kritik auch von amerikanischer Seite stieß ferner die auf Initiative Hundhammers durchgeführte Elternbefragung über die Wiedereinführung des Züchtigungsrechts für Knaben an Volksschulen.439 Im Hochschulbereich ging es um die Arbeitsfähigkeit der Universitäten, die infolge Kohlenmangels im Winter 1946/1947 teilweise geschlossen waren,440 und um die Abhaltung juristischer Veranstaltungen an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen insgesamt und insbesondere in Regensburg.441 Sorgen bereitete auch die hohe Zahl der Studenten (24 000).442 Ferner ging es um Berufungsfragen, und zwar um Einzelfälle443 und generelle Regelungen.444 Im Zusammenhang mit der Universität Erlangen waren die Entnazifizierung445 und die Abwerbung entlassener Professoren nach Amerika ein Thema.446 Auch wenn damit nicht nur Hochschullehrer gemeint waren, so richtete sich der auf Staatssekretär Sattler zurückgehende Aufruf zur Rückkehr an die Emigranten ganz wesentlich an diese Gruppe.447 Die Beratung einer Verordnung über die Bayerische Akademie,448 die die Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Schönen Künste vereinigt hätte, war die kulturföderalistische Reaktion auf die Formierung einer Akademie in Berlin. Der Plan wurde nicht weiterverfolgt. Der Entwurf eines Staatsvertrags zwischen den Ländern der US-Zone zur Finanzierung der Forschungshochschule Berlin-Dahlem und weiterer deutscher Forschungsinstitute, darunter auch wichtiger Institute in Bayern, ging auf amerikanische Initiative zurück.449 Daß die Länder damit zu Trägern der ehemaligen Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft werden sollten und gegenüber einem befürchteten künftigen „Reichskultusministerium“ Fakten schufen, fand im Ministerrat Zustimmung. Gegenüber der Beteiligung an der Finanzierung der Berliner Forschungshochschule bestanden Bedenken. Im Verlauf der Landtagsberatungen wurde die Frage politisiert und die Zustimmung an bestimmte Bedingungen gebunden.450

Auch im Bereich der Staatstheater dominierten Berufungsfragen. Hier kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Staatssekretär für die Schönen Künste und dem Kulturreferenten der Staatskanzlei, Ministerialrat Pfister.451 Nur einmal erörtert wurde ein künftiges Rundfunkgesetz. 452 Ferner ging es in diesem Bereich um Denkmalschutz (Markgräfliches Opernhaus Bayreuth; Barocksynagoge in Fellheim)453 und um die Wiederzulassung des Kunsthandels.454

Im Bereich der Justiz beschäftigten den Ministerrat die Wiedereinführung der Schöffen- und Schwurgerichte,455 das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof456 sowie das Gesetz über die Wiedererrichtung des Obersten Landesgerichts.457 Ferner beriet das Kabinett erneut über das auf die Initiative Hoegners zurückgehende Gesetz über die Einsetzung von Friedensrichtern. 458 Ein weiterer Punkt waren Personalentscheidungen bei den Oberlandesgerichten.459 In drei Fällen beriet das Kabinett über die Begnadigung zum Tode verurteilter Mörder.460 Der Ministerrat begnadigte die Täter zu lebenslänglichem Zuchthaus wie bei allen übrigen Fällen in der Nachkriegszeit, bis mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Todesstrafe aufgehoben wurde. Die angesichts dieser Tagesordnungspunkte ausführlichen Diskussionen lassen unterschiedliche Auffassungen zur Notwendigkeit und Wirksamkeit von Strafen erkennen.

Der Ministerrat beschäftigte sich in einer ganzen Reihe von Fällen auch mit Angelegenheiten, die die Rechtsstellung, Versorgung etc. der Kabinettsmitglieder betrafen.461 Die Frage der Versorgung wurde in grundsätzlicher Weise am Beispiel des ehemaligen Verkehrsministers Helmerich und seines Staatssekretärs Waldhäuser erörtert.462 Wie schon im Kabinett Hoegner ging es ferner um die häufigen Autounfälle von Ministern und Staatssekretären,463 um die Reisekostenvergütung der Mitglieder der Staatsregierung,464 um die beamtenrechtliche Stellung ehemaliger Kabinettsmitglieder,465 Ruhegehälter ausgeschiedener Kabinettsmitglieder,466 die Frage der Steuerfreiheit von Aufwandsentschädigungen,467 Wohnungen für Minister und Staatssekretäre468 und die Erhöhung des Dispositionsfonds der Minister.469 Einen regelmäßigen Besprechungspunkt bildete die Verteilung der Repräsentationsaufgaben der Staatsregierung bei öffentlichen Anlässen.470

Auch 1946/1947 wurden die Kabinettsberatungen von normativen Materien dominiert, die in die Form von Gesetzen oder Verordnungen gegossen werden mußten. Nur in Ausnahmefällen gelangten daher Angelegenheiten von lokaler Bedeutung oder Ereignisse des aktuellen Tagesgeschehens auf die Tagesordnung. Bei den lokalen Angelegenheiten stellten die Auflösung des Stadtrats von Günzburg,471 die Trinkwasserversorgung Neuöttings472 sowie die mehrfach behandelte Lage des stark zerstörten Würzburg473 Ausnahmen dar. 1947 reiste Ministerpräsident Ehard mehrfach zu Staatsbesuchen, so der offizielle Terminus, in bayerische Städte. Diese Art der Repräsentation war identitätsstiftend und trug zur Förderung eines Landesbewußtseins bei. In den kommenden Jahren dehnte Ehard diese Praxis aus. Seine Beobachtungen, unter anderem nach Besuchen in München,474 Nürnberg,475 Schweinfurt, Würzburg476 und in Hof477 ließ er bei unterschiedlichen Tagesordnungspunkten einfließen. Etwas häufiger waren Tagesordnungspunkte, die die Landeshauptstadt München betrafen.478

Insgesamt ist zu beobachten, daß einzelne Ereignisse häufig vom Kabinett infolge von Presseberichten479 aufgegriffen wurden. Die Pressearbeit des Ministerrats kam nur schleppend in Gang. Die erste Pressekonferenz des Kabinetts480 fand erst Ende April 1947 statt. Das Presseamt der Staatskanzlei sollte ausgebaut werden, um die Wirksamkeit seiner Arbeit zu erhöhen.481 Die Notwendigkeit dazu ergab sich aus einer wachsenden Zahl von Falschmeldungen, z.B. über die Gründung einer Universität in Regens burg,482 und von Presseangriffen483 auf Mitglieder des Kabinetts. Dies ließ den Ministerrat auch erneut über eine rechtliche Regelung nachdenken, gegen persönliche Beleidigungen vorzugehen.484 In einem Fall gingen die Angriffe vom Mitteilungsblatt der CSU aus; sie waren Ausdruck der Spannungen innerhalb dieser Partei.485 Mit dieser Ausnahme spielten parteipolitische Angelegenheiten bzw. Meinungsunterschiede, die auf die parteipolitische Zuordnung der Regierungsmitglieder zurückgingen, lediglich noch bei der Beratung der Regierungserklärung,486 der Sozialisierung487 sowie des Notaufrufs in der letzten Ministerratssitzung488 eine Rolle. Die Parteien selbst waren lediglich hinsichtlich der Benzinzuteilung ein Thema.489 Die Benzinzuteilung wurde im Zusammenhang mit der Spaltung der WAV allerdings hochpolitisch.490 Das im Entwurf beratene Parteiengesetz 491 scheiterte am Einspruch des OMGB.492 Mehrfach beschäftigten das Kabinett jedoch außerparlamentarische Initiativen der KPD.493

Aus aktuellem Anlaß beriet der Ministerrat ferner die Frage einer finanziellen Beteiligung Bayerns am Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche,494 über die Eiskatastrophe auf der Donau,495 Waldbrände,496 eine Wildschweinplage,497 das Problem ausländischer Agenten498 und die Verhaftung des ehemaligen Ministerialdirektors im bayerischen Innenministerium während der Zeit des Nationalsozialismus Arno Fischer.499

Territoriale Fragen (das Verhältnis zu Österreich, Pfalz und Lindau) spielten im Unterschied zum Kabinett Hoegner I keine wesentliche Rolle. Einmal beschäftigten den Ministerrat angebliche Tschechische Gebietsforderungen. 500 Hatten 1946 auch publizistische Forderungen nach einer Loslösung Schwabens von Bayern für Unruhe gesorgt,501 so kamen im Kabinett diesmal lediglich Beschwerden über eine angebliche Benachteiligung Nordbayerns zur Sprache. Wortführer war erneut Regierungspräsident Schregle aus Ansbach.502