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Nr. 74MinisterratssitzungDonnerstag, 28. Juli 1949 Beginn: 15 Uhr 15 Ende: 18 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard,1 stv. Ministerpräsident Dr. Müller, Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Arbeitsminister Krehle, Verkehrsminister Frommknecht, Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium).2

Entschuldigt:

Finanzminister Dr. Kraus, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Oberste Baubehörde), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium).3

Tagesordnung:

I. Gesetz über den öffentlichen Dienst in Bayern (Beamtengesetz). II. Fall Loritz. III. Gesetz über die Versorgung von Friedensblinden. IV. Flüchtlings- und Siedlungsfragen. V. Egon Herrmann. VI. Übergangsgeld für die den Gemeinden und Gemeindeverbänden zugewiesenen Inhaber einer Zusicherung nach dem Gesetz vom 27. 3. 1948. VII. Erhebung eines Notgroschens. VIII. Einladung zur Brückeneinweihung in Ulm und Neu-Ulm. IX. Personalangelegenheiten.

I. Gesetz über den öffentlichen Dienst in Bayern (Beamtengesetz)4

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, die Militärregierung habe den neuen Entwurf5 des Beamtengesetzes für nicht befriedigend erklärt und eine Reihe von Einwendungen geltend gemacht. Seiner Auffassung nach müsse die Angelegenheit zunächst zurückgestellt werden, da es keinen Sinn habe, noch in weitere Verhandlungen einzutreten.

Der Ministerrat schließt sich diesem Vorschlag an.

II. Fall Loritz6

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt einen Überblick über den bisherigen Verlauf der Angelegenheit Loritz und teilt mit, daß er heute Nachmittag um 4.15 Uhr eine Besprechung bei der Militärregierung haben werde.7 Er ersuche das Justizministerium, möglichst bald einen umfassenden Bericht über den Ablauf der Sache fertigzustellen und der Militärregierung zu übersenden.

Anschließend verliest Ministerpräsident Dr. Ehard das Schreiben vom 28. Juli 1949, das er heute Nachmittag bei der Besprechung übergeben werde.8

Staatssekretär Geiger erkundigt sich, wie es sich mit den angeblich 230 Fällen verhalte, die die Militärregierung bisher schon nach ihren Angaben geprüft habe.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller antwortet, die Militärregierung habe grundsätzlich das Recht, auf Grund des Gesetzes Nr. 2,9 das übrigens ein Gesetz General Eisenhowers sei, in jedes Verfahren einzugreifen. Es sei wohl richtig, daß die Militärregierung häufig Akten erholt habe, niemals aber in so störender Weise wie jetzt. Auch habe sie niemals in den Terminablauf eingegriffen. Ein solcher Fall wäre nur einmal vorgekommen, damals habe er als Justizminister veranlaßt, daß der Termin trotzdem stattgefunden habe. Die ganze Angelegenheit sei übrigens von höchst grundsätzlicher Bedeutung und habe mit Herrn Loritz an sich nichts zu tun.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt abschließend, man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Loritz geschützt werden solle, der bekanntlich überall im Land nach wie vor die Justizverwaltung beschimpfe und verleumde.10 Außerdem habe die Militärregierung grundsätzliche Angriffe gegen die Justiz gerichtet, ohne dem Ministerium die Möglichkeit zu geben, die angeblichen Informationen festzustellen.11

III. Gesetz über die Versorgung von Friedensblinden

Staatssekretär Dr. Grieser erklärt einleitend, die Forderung, die Friedensblinden mit den Kriegsblinden gleichzustellen, sei schon in den 20er Jahren aufgetaucht; sie habe auch damals schon den Reichstag beschäftigt. Er selbst habe seinerzeit erreicht, daß die Friedensblinden in die gehobene Fürsorge eingereiht worden seien. Die völlige Gleichstellung werde jetzt wieder überall, auch in der britischen Zone, betrieben. Der Landtag habe nun neuerdings mit Beschluß vom 20. 7. 1949 die Staatsregierung beauftragt, die Einbringung eines entsprechenden Gesetzes umgehend durchzuführen.12 Der vom Arbeitsministerium jetzt vorgelegte Entwurf13 bleibe bedeutend hinter dem ursprünglichen am 3. März 1949 im Ministerrat besprochenen Entwurf zurück;14 so sehe er z. B. vor, daß Leistungen für Friedensblinde nur dann zu gewähren sind, soweit diese keine Einkünfte haben. Das wesentlichste sei das vorgesehene Blindengeld von DM 75,– und er bitte dringend, wenigstens in diesem Punkt zuzustimmen. Im übrigen könne man dann mit den anderen Ländern der westlichen Besatzungszonen Verhandlungen führen, ob die Gleichstellung auch auf den anderen Gebieten durchzuführen sei. Dieser Vorschlag gehe auf eine Anregung des Finanzministeriums zurück, den sich das Arbeitsministerium gern zu eigen mache. Man müsse auch bedenken, daß von amerikanischer Seite die Einheitlichkeit der Fürsorge gefordert werde, es bedeute aber keinen Verstoß gegen diesen Grundsatz, wenn man das Blindengeld zahle. Was eine zukünftige Regelung mit dem Bund betreffe, so glaube er kaum, daß der Bund die Fürsorge für die Friedensblinden übernehmen werde.

Staatssekretär Dr. Müller weist auf die schwierige Finanzlage hin und macht darauf aufmerksam, daß es im Widerspruch zu allen rechtlichen Grundsätzen stehe, wenn man Renten gewähren würde, ohne daß wie bei den Kriegsblinden eine Leistung oder ein Opfer für die Allgemeinheit vorliege.15 Es sei auch zu befürchten, daß die Gruppen der zivilen Taubstummen, der Siechen und Verkrüppelten usw. mit den gleichen Forderungen auftreten würden. Es handle sich immerhin bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um einen Bedarf von 1, 2 Millionen und er wisse nicht, wie dieser Betrag aufgebracht werden könne.

Staatsminister Dr. Ankermüller schließt sich dem Vorschlag des Herrn Staatssekretärs Dr. Grieser an und bestätigt, daß die Zahlung der 75,- DM Blindengeld keine Durchbrechung der Einheitlichkeit der Fürsorge bedeute.

Staatssekretär Dr. Grieser betont daraufhin nochmals, daß das Arbeitsministerium nicht die Gleichstellung beantrage, sondern nur den gleichen Zuschuß für Kriegs- und Friedensblinde als Pflege- oder Blindengeld.

Staatsminister Dr. Hundhammer schlägt vor, die Sache abzuschließen und den Entwurf dem Landtag zuzuleiten, der ja bereits einen entsprechenden Beschluß gefaßt habe.

Der Ministerrat beschließt sodann, dem Vorschlag des Staatsministeriums für Arbeit und Soziale Fürsorge entsprechend dem Beschluß des Landtags einen Gesetzentwurf vorzulegen,16 der lediglich die Zahlung eines Blindengeldes von DM 75,- auch an die Friedensblinden vorsehe, außerdem aber entsprechende Verhandlungen über die grundsätzliche Gleichstellung mit den übrigen Ländern der amerikanischen und britischen Zone aufzunehmen.17

IV. Flüchtlings- und Siedlungsfragen

1. Siedlung Haar bei München

Staatssekretär Geiger teilt mit, am gestrigen Tage habe die erste Sitzung des Landesplanungsausschusses stattgefunden, bei der leider das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht vertreten gewesen sei. Dabei sei auch die sogenannte Großsiedlung Haar b. München besprochen worden, die 400 Siedlerstellen vorsehe und insgesamt mehrere Tausend Bewohner aufnehmen solle. Diese Siedlung werde ohne Vorbereitung durchgeführt und ohne Einschaltung der Landesplanung. Zunächst sei die Finanzierungsfrage vollkommen ungeklärt, darüber hinaus sei aber auch die Wahl des Standortes gänzlich unmöglich. Für die Siedler bestehe keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit, auch die Wasser- und Stromversorgung sei außerordentlich schwierig, genauso wie die Beseitigung der Abwässer.

Am 3. August solle bereits der erste Spatenstich durch den Herrn Ministerpräsidenten und Landesdirektor Van Wagoner vorgenommen werden. Seiner Ansicht nach müsse das Landwirtschaftsministerium veranlaßt werden, die Feier am 3. August abzublasen, da sonst die größten Schwierigkeiten entstehen würden. Er verstehe überhaupt nicht, wie das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten derartige Siedlungspläne durchführen könne.

Staatsminister Dr. Ankermüller schließt sich diesen Ausführungen an und weist darauf hin, daß ständig Schwierigkeiten zwischen dem Landwirtschafts- und Innenministerium in der Frage der Siedlung bestünden, ähnlich wie früher zwischen Landwirtschafts- und Arbeitsministerium. Kleinsiedlungen hätten mit dem Landwirtschaftsministerium an sich nicht das geringste zu tun und gehörten in den Bereich des Innenministeriums als des Wohnungsbauministeriums. Er müsse auch darauf hinweisen, daß in Haar keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden, da dort nirgendwo Industrieanlagen seien. Dazu komme noch, daß an sich das Gelände zum Teil für den Autobahnring und für die Erweiterung des Flugplatzes Riem ausgewählt sei. Es sei hier tatsächlich nichts überlegt und gesichert worden. Am wenigsten die Finanzierung, für die ein Betrag von 20 Millionen notwendig sei. Das Landwirtschaftsministerium habe vom Innenministerium bereits 1, 8 Millionen DM angefordert.

Staatssekretär Dr. Müller macht darauf aufmerksam, daß die Verträge, die mit dem Vorbesitzer, Herrn von Finck,18 abgeschlossen worden seien, auch nicht in Ordnung gingen. Herr von Finck habe die betreffenden Grundstücke im Wege der Bodenreform zur Verfügung gestellt und erhalte angeblich dafür 260000 DM, eine Regelung, die im Widerspruch mit dem Entschädigungsgesetz über die Bodenreform19 stehe.20

Staatssekretär Dr. Müller gibt daraufhin dem Protokollführer des Ministerrats den Auftrag, den Herrn Ministerpräsidenten zu informieren, damit die Feier des Spatenstichs am 3. August zum mindesten bis zu einer etwaigen Klärung verschoben werden könne.21

2. Flüchtlingslager

Staatsminister Dr. Ankermüller teilt mit, auf dem Flüchtlingssektor bestünden immer noch die größten Schwierigkeiten, besonders durch die Überbelegung der Lager. Nach wie vor kämen in großer Zahl Flüchtlinge aus der Ostzone, besonders aber auch aus Österreich. Die letzteren versuchten, über Bayern in die französische Zone zu gelangen, in die sie aber nur unter der Bedingung aufgenommen würden, daß sie auf die Zahl derjenigen Ausgewiesenen angerechnet würden, die regulär aufgenommen werden. Man müsse versuchen, einen Schritt bei der Militärregierung zu unternehmen; ein entsprechendes Schreiben werde für den Herrn Ministerpräsidenten vorbereitet.

3. Werbe- und Propagandamaterial

Staatsminister Dr. Ankermüller erklärt, das Staatsministerium der Finanzen müsse insgesamt 50000 DM zur Verfügung stellen, damit Werbe- und Propagandamaterial gedruckt und verbreitet werden könne, das zur Verteilung im In- und Ausland bestimmt sei. Dieses Material solle einerseits einen Überblick über die bestehenden Schwierigkeiten geben und andererseits die maßgebenden Kreise im Ausland darauf hinweisen, was mit ihrer Unterstützung alles geschehen könne.

Staatssekretär Dr. Schwalber meint, es sei wohl zu erwarten, daß die Flüchtlingsvertretungen vom Bund übernommen werden und es frage sich, ob man sich jetzt noch in besondere Unkosten stürzen solle.

Staatsminister Dr. Ankermüller wiederholt die Notwendigkeit, gerade die kirchlichen und Wohlfahrtsorganisationen im Ausland durch geeignetes Material auf die Flüchtlingsprobleme in Deutschland hinzuweisen.

Staatsminister Krehle teilt in diesem Zusammenhang mit, die Aktion für die Werbung von Arbeitskräften nach England und Frankreich22 bei den Arbeitsämtern gehe sehr schleppend vor sich; vor allem weil bezüglich der Sozialversicherung noch keine Gegenseitigkeit bestehe.

Staatssekretär Dr. Müller berichtet über seine Erfahrungen in Amerika,23 wo vielfach noch höchst unklare Vorstellungen über die Flüchtlingsfragen bestünden. Weite Kreise in Amerika würden es durchaus begrüßen, wenn man ihnen entsprechendes Propagandamaterial herüberschicken könnte.

Staatsminister Dr. Ankermüller bestätigt, daß das Ausland keine Kenntnis über die Schwierigkeiten des Flüchtlingsproblems habe. Darum sei es auch notwendig, entsprechendes Material, das nicht allzuviel Mittel beanspruche, zu veröffentlichen. Er schlage vor, daß das Nähere zwischen dem Innen- und Finanzministerium vereinbart werde.

Dieser Vorschlag wird vom Ministerrat gutgeheißen.

V. Egon Herrmann24

Ministerialdirektor Sachs teilt mit, am heutigen Morgen sei Egon Herrmann von der Spruchkammer entlastet worden,25 da durch mehrere eidesstattliche Erklärungen sein Widerstand nachgewiesen worden sei.26 Infolgedessen könne Herrmann jetzt auch in die Wahlliste aufgenommen werden.27

VI. Übergangsgeld für die den Gemeinden und Gemeindeverbänden zugewiesenen Inhaber einer Zusicherung nach dem Gesetz vom 27. 3. 194828

Ministerialdirektor Sachs berichtet über die zweite Ausführungsverordnung zum Überführungsgesetz, die im Einvernehmen mit dem Sonderministerium und dem Innenministerium vom Finanzministerium ausgearbeitet worden sei. Danach trägt unbeschadet einer gesetzlichen Regelung der bayerische Staat das in § 8 bestimmte Übergangsgeld für diejenigen Inhaber einer Zusicherung, die einer bayerischen Gemeinde oder einem Gemeindeverband zugewiesen werden und zwar bis zum Letzten des Monats, in welchem der Gemeinde oder dem Gemeindeverband die Zuweisung zugeht.

Nachdem Herr Staatsminister Dr. Ankermüller die nach wie vor bestehenden Bedenken des Innenministeriums geltend gemacht hat, beschließt der Ministerrat einstimmig, den vorliegenden Verordnungsentwurf zu verabschieden, nachdem eine gesetzliche Regelung noch vorbehalten sei.29

VII. Erhebung eines Notgroschens30

Staatssekretär Geiger erklärt, das Wirtschaftsministerium habe im Interesse der Filmindustrie nach wie vor die größten Bedenken gegen die Erhebung eines Notgroschens für Film- und Theaterveranstaltungen.

Staatsminister Dr. Ankermüller erklärt, es handle sich hier um eine Angelegenheit der Selbstverwaltung, zu der die Regierungspräsidenten die Genehmigung nicht verweigern könnten.

Der Ministerrat beschließt gegen die Stimme des Herrn Staatssekretärs Geiger, es bei der bisherigen Regelung zu belassen und in das Verwaltungsrecht der Gemeinden nicht einzugreifen.

VIII. Einladung zur Brückeneinweihung in Ulm und Neu-Ulm

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller gibt die Einladung des Oberbürgermeisters der Stadt Neu-Ulm31 zu der am 8. August stattfindenden weiteren Veranlassung zwischen den Städten Ulm und Neu-Ulm bekannt.

Es wird vereinbart, daß die Bayer. Staatsregierung durch den Herrn stv. Ministerpräsidenten Dr. Müller und Herrn Staatsminister Frommknecht vertreten werden soll.32

IX. Personalangelegenheiten

Der Ministerrat beschließt auf Vorschlag des Wirtschaftsministeriums, Herrn Regierungsdirektor Dr. Jakob Kratzer zum Ministerialrat im Wirtschaftsministerium zu ernennen.33

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
In Vertretung
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Regierungsdirektor
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister